4.9 Koordination von IV-Systemen der Praxis 559
Vahlens Handbücher – Horváth – Controlling (12. Auflage) – Herstellung: Frau Deuringer
Stand: 19.09.2011 Status: Imprimatur Seite 559
r Welche Informationen sind notwendig, um organisationales Lernen zu ermöglichen
und um das Verhalten der Organisationsmitglieder anzupassen? Die Frage zielt auf
die Einrichtung und den Betrieb von Informationsversorgungssystemen mit dem
Ziel das Verhalten der Organisationsmitglieder direkt bzw. indirekt über Lernen
zu beeinflussen.
4.9 Koordination von IV-Systemen der Praxis
4.9.1 Stand und Probleme der Informationsversorgung
Das zentrale Problem der Informationsversorgung in den Unternehmungen ist der ständig wachsende Informationsbedarf. Drei Aspekte wollen wir besonders herausstellen:
r Die zunehmende Bedeutung der betrieblichen Informationsversorgung wird auch
an den jährlichen Zuwachsraten des „Wissensstandes“ deutlich. Es wird die Auffassung vertreten, dass die Zuwachsraten den Grenzen einer geometrischen Reihe
gehorchen (vgl. die Hinweise bei Mertens, Schrammel 1977, S. 1 ff.). Eine Konsequenz
dieser Entwicklung ist, dass große Beträge in den Unternehmungen nur dafür aufgewendet werden, Forschungsarbeiten, die bereits irgendwo geleistet worden sind,
noch einmal durchzuführen.
r Die Informationsversorgung unternehmungsexterner Stellen wird zunehmend ein
Problem für die Unternehmungen. Der Verwaltungsaufwand durch die Flut neuer
Gesetze mit immer neuen auskunftspflichtigen Erfordernissen wächst unaufhaltsam. Die Zeitschrift „Wirtschaftswoche“ sprach von „öffentlichen Greueltaten“ auf
diesem Gebiet (vgl. o.V. 1976, S.24).
Die Anzahl der gesetzlichen Vorschriften, in denen von den Unternehmungen bestimmte Informationsaktivitäten verlangt werden, ist unübersehbar. Bereits im Jahre
1976 wurde geschätzt, dass in der Bundesrepublik ca. 10.000 verschiedene Antragsund Bescheinigungsformulare in Umlauf waren (vgl. o.V. 1976, S. 24).
r Mintzberg (vgl. 1971 und 1972) hat in seiner klassischen empirischen Studie festgestellt, dass Manager etwa die Hälfte ihrer Arbeitszeit lediglich mit der Übermittlung
der Informationen verbringen. Es ist also von wesentlicher Bedeutung, dass die
Effizienz der Führungsarbeit durch die Versorgung mit relevanten Informationen
in der von den Managern bevorzugten Form verbessert wird.
Welche Tendenzen kennzeichnen die gegenwärtige Entwicklung der betrieblichen
Informationsversorgung? Es lassen sich die folgenden Sachverhalte erkennen:
r Die Unterstützung von PK-Systemen durch Daten-, Methoden- und Modellbanken
stellt den Kernpunkt der Entwicklung dar (Einzelheiten vgl. Kap. 5).
r Das Problem der Wechselwirkungen zwischen Informationsversorgungssystem und
anderen Systemen in der Unternehmung findet immer stärkere Beachtung.
r Die Bedeutung der Benutzer- und Empfängerorientierung wird immer stärker beachtet.
r Informationen, die nicht aus dem Rechnungswesen stammen, werden eine zunehmend wichtige Rolle spielen.
4 Koordination des Informationsversorgungssystems560
Vahlens Handbücher – Horváth – Controlling (12. Auflage) – Herstellung: Frau Deuringer
Stand: 19.09.2011 Status: Imprimatur Seite 560
r Nicht nur das Management, sondern infolge des „Empowerment“ auch die Ausführungsebene werden an den Steuerungsinformationen aus dem Controlling partizipieren (vgl. hierzu die japanischen Beispiele bei Horváth et al. 1993).
Zu tun gibt es also einiges. Die Situation ist heute in vielen Unternehmungen so, dass
zwar ein automatisiertes IV-System existiert, von der Führung aber kaum genutzt
wird. Die eigentlichen Führungsinformationen stammen aus informellen, von den
Führungskräften gelegten Informationskanälen. Der Grund: Die von IT-Spezialisten
entworfenen IV-Systeme nehmen häufig wenig Rücksicht auf den Informationsbedarf
des Managements.
Die vorangegangene Darstellung hat versucht, die vielfältigen und heterogenen Probleme der Informationsversorgung aus der Sicht des Controllings aufzuzeigen. Im Folgenden wollen wir analog zum entsprechenden Abschnitt im Kapitel über PK-Systeme
(Kapitel 3.8) über Lösungen aus der Praxis berichten. Angesichts der Fülle des vorliegenden Materials über bestimmte Subsysteme der Informationsversorgung muss die
Auswahl subjektiv bleiben. Wie im Abschnitt über PK-Systeme in der Praxis soll eine
Gliederung in drei Teile erfolgen (vgl. die Erläuterung 3.8.1):
r Denkmodelle,
r Betriebsmodelle (Praxisbeispiele),
r Ergebnisse empirischer Untersuchungen.
Das Schwergewicht der Darstellung haben wir auf die Koordination des IV-Systems
mit dem PK-System gelegt. Detailfragen der Informationsversorgung bleiben im Hintergrund.
4.9.2 Denkmodelle der Informationsversorgung
Die Zahl der Denkmodelle zur Informationsversorgung ist in der betriebswirtschaftlichen Literatur unübersehbar.
Uns interessieren hier Vorschläge, die Gesamtmodelle der Informationsversorgung
für Planung und Kontrolle zum Inhalt haben. Wir wollen deshalb beispielhaft zwei
Vorschläge referieren, die die Gesamtversorgung mit Informationen für die Führung
zum Inhalt haben:
r Das Unternehmensdatenmodell (UDM) stellt Informationszusammenhänge in einer
Industrieunternehmung dar und kann zur systemgestaltenden Koordination des
IV-Systems herangezogen werden.
r Das System der Planungs- und Kontrollrechnungen (PuK) will alle Subsysteme des
PK-Systems mit ergebnis- und liquiditätsorientierten Informationen versorgen.
Die zwei Beispiele stellen die Kategorien der Integrationsansätze zur Gestaltung eines
Gesamtsystems der Führungsinformationsversorgung dar.
Das Unternehmensdatenmodell (UDM) ist am Informationsprozess orientiert und will
über die Integration der Daten das Gesamtsystem realisieren. Das PuK-System wählt
das Formalmodell des Planungs- und Kontrollsystems zum Koordinationsmaßstab.
In den Siebzigerjahren fand das Kölner Integrationsmodell (KIM) als integriertes Gesamtmodell der betrieblichen Informationsverarbeitung große Beachtung (vgl. Grochla
4.9 Koordination von IV-Systemen der Praxis 561
Vahlens Handbücher – Horváth – Controlling (12. Auflage) – Herstellung: Frau Deuringer
Stand: 19.09.2011 Status: Imprimatur Seite 561
et al. 1974). Dabei wurden die wichtigsten Informationsverarbeitungsaufgaben generalisiert erfasst und strukturiert abgebildet. Durch die zu starke Orientierung an veralteten
betriebswirtschaftlichen Erkenntnissen und den damals noch nicht ausreichenden
Möglichkeiten der Informationssysteme wurden die Erwartungen an das KIM, wonach
dieses Grundlage für konkrete Systementwicklungen sein sollte, jedoch nicht erfüllt.
Scheer (1995, S. 5 ff.) entwarf in der Folge den Ansatz des Unternehmensdatenmodells
als Basis integrierter Informationssysteme. Durch den Entwurf von Informationssystemen auf Grundlage der Datensicht werden die Datenstrukturen weitgehend anwendungsunabhängig konstruiert. Die bei der Konzentration des Systementwurfs auf
betriebswirtschaftliche Funktionen auftretenden hohen Datenredundanzen sollen auf
diese Weise vermieden werden. Ausgangspunkt des UDM ist deshalb ein relativ starkes
Abstraktionsniveau.
Die Datenstrukturen integrierter Informationssysteme unterstützen zwei Integrationsrichtungen (vgl. Scheer 1988 a, S. 191 ff., Abb. 4.178, und die Ausführungen zur Integration
in Kapitel 5.2.1):
r Horizontal: Weiterverwendung von Daten über Ablaufketten im operativen Bereich.
r Vertikal: Weiterverwendung von Daten über die Ebenen einer Informationspyramide.
Die Datenstrukturen sind so zu konstruieren, dass sie diese Integrationsrichtungen unterstützen. Ein solches Unternehmensdatenmodell, in dem die wesentlichen Objektty-
Abb. 4.178: Horizontale und vertikale Integration in Informationssystemen
(Scheer 1995, S. 5)
4 Koordination des Informationsversorgungssystems562
Vahlens Handbücher – Horváth – Controlling (12. Auflage) – Herstellung: Frau Deuringer
Stand: 19.09.2011 Status: Imprimatur Seite 562
pen mit ihren Beziehungen erfasst sind, ist die Grundlage für eine integrierte Ablaufbearbeitung und den Aufbau eines Führungsinformationssystems. Die Zusammenhänge
zwischen den fachlichen Aufgaben eines Unternehmens und den hierfür erforderlichen
Daten sollen verdeutlicht und die für mehrere Aufgaben notwendigen Daten bestimmt
werden. Das Unternehmensdatenmodell baut dabei auf den Ergebnissen bestehender
betriebswirtschaftlicher Gesamtunternehmensmodelle, wie beispielsweise dem System
der Produktionsfaktoren nach Gutenberg (1983), Konzepten des internen und externen
Rechnungswesens oder Operations-Research-Modellen, auf (vgl. Scheer 1988 b, S. 1095).
Zur Konstruktion des Unternehmensdatenmodells verwendet Scheer das von Chen
(1976) entwickelte Entity-Relationship Modell. Dabei werden Objekte und Beziehungen
grafisch in einem Entity-Relationship-Diagramm (vgl. Abb. 4.181) dargestellt:
r Objekttypen (sog. „Entitytypen“) als Rechtecke,
r Beziehungstypen (die zwischen den Objekten bestehen) als Rauten und
r Attribute (Eigenschaften von Objekt- oder Beziehungstypen) als Ellipsen oder Kreise
an den Rechtecken und Rauten.
Durch die grafische Darstellung können Zusammenhänge übersichtlich und leicht verständlich beschrieben werden (vgl. Stahlknecht 1995, S. 196 ff.). Das Entity-Relationship-
Modell ist deshalb eine benutzerfreundliche Kommunikationsschnittstelle zwischen
betriebswirtschaftlichem Fachwissen und den Formalisierungsanforderungen computergestützter Informationssysteme (vgl. Scheer 1988 b, S. 1096).
Das hieraus entwickelte Unternehmensdatenmodell baut auf Stammdaten (z.B. Produktionsfaktoren) auf, die zeitunabhängig sind. Daneben treten Vorgänge auf, die
sich in der Zeit vollziehen (z.B. Aufträge) und datenmäßig abgearbeitet werden. Zur
Modellverfeinerung wurde die Datenstruktur oft an geeigneter Stelle aufgespalten.
Dieser Vorgang wird als Spezialisierung bezeichnet.
Ein von Scheer (1988 a) für die praktische Anwendung entwickeltes und in einigen
Industriebetrieben getestetes Unternehmensdatenmodell besteht aus etwa 300 Entityund Beziehungstypen der Bereiche Produktion, Beschaffung, Vertrieb, Personal und
Technik. Insgesamt wurden 17 betriebliche Funktionen dargestellt und modelliert (vgl.
Abb. 4.179).
Die Abb. 4.180 zeigt beispielhaft den Ausschnitt Beschaffungsbereich als Entity-Relationship-Modell. In diesem sowie in allen anderen Bereichen des UDM werden
Stammdaten (Entities) verwaltet (z.B. Lieferanten), Vorgänge (Beziehungen) dargestellt
(z.B. Wareneingang) und Spezialisierungen durchgeführt (Liefer- und Prüfpläne als
Spezialisierung der Konditionen). Die typischen und wichtigen Anwendungsfelder
eines Unternehmensdatenmodells sind in Abb. 4.181 zusammengefasst.
Mithilfe eines Unternehmensdatenmodells ist es möglich, sämtliche interne Daten eines
Unternehmens zu erfassen und darauf alle Anwendungssysteme (Administrations-,
Dispositions- und Führungsinformationssysteme) zu beziehen. Die Pflege eines solchen
Datenmodells ist jedoch sehr aufwendig und es müssen hohe Zugriffszeiten in Kauf
genommen werden (vgl. Stahlknecht 1995, S. 412).
Das von Hahn, Hungenberg (2001) entworfene System der Planungs- und Kontrollrechnungen (PuK) ordnet allen Stufen des Planungs- und Kontrollsystems die erforderlichen
ergebnis- und liquiditätsorientierten Informationen zu.
4.9 Koordination von IV-Systemen der Praxis 563
Vahlens Handbücher – Horváth – Controlling (12. Auflage) – Herstellung: Frau Deuringer
Stand: 19.09.2011 Status: Imprimatur Seite 563
Wir sind schon kurz auf die Planungsaspekte dieses Modells in Kapitel 3.8.2 eingegangen. Hier sollen die Informationsversorgungsfragen angesprochen werden.
Hahn, Hungenberg haben ein Kennzahlensystem entworfen („PuK-Kennzahlensystem“),
dessen Besonderheit darin besteht, dass es nach den Strukturvorgaben des Planungsund Kontrollsystems gestaltet wird.
Mit dessen Hilfe lassen sich unter Einsatz des Rechnungswesens ergebnis-und liquiditätsorientiert „Ziele, Alternativen der Zielerreichung, Wirkungen von Alternativen auf
Ziele, Entscheidungsergebnisse sowie Durchführungsresultate und damit Abweichungsangaben durch Zahlen ausdrücken bzw. errechnen und ausdrücken, wobei Entscheidungsergebnisse und Abweichungsangaben Ergebnisse der Prozesse Planung und Kontrolle sind“
(Hahn, Hungenberg 2001, S.56).
Seine Hauptzwecke können darin gesehen werden, dass es gestattet, (relativ) optimale
Entscheidungsresultate zu ermitteln, Ziele (Soll-Zahlen) vorzugeben und deren Erreichung durch frühzeitiges Aufdecken von tatsächlichen oder möglichen Abweichungen
(Soll-Ist-Differenzen) zu kontrollieren; um ggf. Korrekturmaßnahmen (Gegensteuerungen, Neuplanungen) vornehmen zu können (Hahn, Hungenberg 2001, S. 224 ff.). Die
Planungs- und Kontrollinformationen können in konzentrierter Form auf der Basis
eines RoI/Cashflow-Kennzahlensystems dargestellt werden.
Beschaffung
Kreditorenbuchführung
Materialflusssteuerung 1
Personal-Informationssystem
Lohnabrechnung
Kostenrechnung
Finanzbuchführung
Marketing-Informationssystem
Produktionsprogrammplanung
Absatz-/Auftragsbearbeitung
Absatz/Versand
Debitorenbuchführung
Bedarfsplanung
Zeitwirtschaft/Fertigungssteuerung
CAD Materialflusssteuerung 2
Büroautomation
Funktionale Bausteine des Unternehmensdatenmodells
Abb. 4.179: Funktionsbereiche im UDM (vgl. Scheer 1988 a, S. 573)
4 Koordination des Informationsversorgungssystems564
Vahlens Handbücher – Horváth – Controlling (12. Auflage) – Herstellung: Frau Deuringer
Stand: 19.09.2011 Status: Imprimatur Seite 564
„Primäre Zielgrößen dieses Systems sind:
a) Ergebnisorientierte Zielgrößen
Kalkulatorischer Gewinn,
Betriebsergebnis und
RoI (Return on Investment) =
Gewinn auf inv. Kap.
×
Erlös
Erlös Vermögen
Abb. 4.180: Beschaffungsbereich als Entity-Relationship-Modell (Scheer 1990, S. 53)
4.9 Koordination von IV-Systemen der Praxis 565
Vahlens Handbücher – Horváth – Controlling (12. Auflage) – Herstellung: Frau Deuringer
Stand: 19.09.2011 Status: Imprimatur Seite 565
Komponenten dieser Zielgrößen sind Erlöse und Kosten/Vermögen in unterschiedlichster Zusammensetzung, Deckungsbeiträge und aus diesen Größen abgeleitete
relative Kennzahlen.
Dieses Zahlenwerk dient primär internen Informationszwecken:
– Bilanzieller Gewinn,
– Unternehmungsergebnis vor Steuern,
– Unternehmungsergebnis nach Steuern und
– Eigenkapitalrentabilität.
Komponenten dieser bilanziellen Zielgrößen sind Positionen der GuV und der Bilanz
und hieraus abgeleitete relative Kennzahlen.
Dieses Zahlenwerk dient internen und externen Informationszwecken.
b) Ergebnis- und liquiditätsorientierte Zielgrößen
– Cashflow.
Komponenten dieser Zielgröße sind Auszahlungen und Einzahlungen oder hilfsweise Aufwendungen und Erträge (bzw. Kosten und Erlöse).
Dieses Zahlenwerk dient internen und externen Informationszwecken.
c) Liquiditätsorientierte Zielgrößen
– Liquiditätsreserve,
– (Außen-)Finanzierungsbedarf.
Komponenten dieser Zielgrößen sind Auszahlungen und Einzahlungen. Es ist ein
Zahlenwerk primär für interne Informationszwecke.“ (Hahn, Hungenberg 2001.)
Abb. 4.181: Anwendungsfelder eines Unternehmensdatenmodells
(vgl. Scheer 1990, S. 53)
4 Koordination des Informationsversorgungssystems566
Vahlens Handbücher – Horváth – Controlling (12. Auflage) – Herstellung: Frau Deuringer
Stand: 19.09.2011 Status: Imprimatur Seite 566
Der Aufbau einer Planungs- und Kontrollrechnung ist in starkem Maße von der Organisationsstruktur abhängig. Hahn stellt zwei Varianten ausführlich dar:
r PuK für Industrieunternehmungen der Massen- und Großserienfertigung mit funktionalerAufbauorganisation (vgl. Hahn, Hungenberg 2001, S. 941 ff.).
r PuK für Industrieunternehmungen der Massen- und Großserienfertigung mit divisionaler Aufbauorganisation (Konzern mit drei als Profit Center organisierten
Gliedbetrieben) (vgl. Hahn, Hungenberg 2001, S. 941 ff.)
Für die Resultate der Planungs- und Kontrollrechnungen steht eine Kennzahlenübersicht (Formularsatz) als Führungsinstrument zur Verfügung (vgl. Abb. 4.182).
Der Systemvorschlag von Hahn fußt im Wesentlichen auf den Zahlen des Rechnungswesens. Auch hier stehen also die internen, formalisierten und operativen Informationen
im Vordergrund. Der Wert des Systems liegt in dem Aufzeigen der Informationsmöglichkeiten des Rechnungswesens für ergebnisorientierte Planung und Kontrolle unter
Beachtung der organisatorischen Gegebenheiten.
Abb. 4.182: Deckblatt der PuK-Kennzahlenübersicht (Hahn, Hungenberg 2001, S. 299)
4.9 Koordination von IV-Systemen der Praxis 567
Vahlens Handbücher – Horváth – Controlling (12. Auflage) – Herstellung: Frau Deuringer
Stand: 19.09.2011 Status: Imprimatur Seite 567
Unsere Beispiele für Denkmodelle zeigen, dass im Vordergrund der Vorschläge die
Informationsversorgung der operativen Planung mit Rechnungsweseninformationen
– meist in Form von Kennzahlen – steht. Die für die strategische Planung erforderliche
Informationsversorgung lässt sich offenbar so wenig formalisieren und systematisieren, dass eine modellhafte Abbildung zum Zwecke der allgemeinen praktischen Anwendung nicht gelingen kann. Der Einbezug von Kontextfaktoren ist bei den meisten
Vorschlägen nur ansatzweise vorhanden.
4.9.3 Praxisbeispiele der Informationsversorgung
Die Zahl der veröffentlichten Praxisbeispiele zu einzelnen Teilproblemen der Informationsversorgung ist groß. Besonders stark sind hierbei Fallstudien zum führungsorientierten Rechnungswesen vertreten.
Wir haben drei Beispiele aus der deutschen Praxis ausgewählt, die die gegenwärtigen
Fragestellungen und umwälzenden Entwicklungen im internen Rechnungswesen als
den Kernbereich der Informationsversorgung durch das Controlling widerspiegeln.
Hierbei handelt es sich um die folgenden vier Unternehmungen bzw. Problembereiche:
r Weiterentwicklung des Reportings beim Bayerischen Münzkontor
r Wertorientiertes Controlling bei der ERGO Direkt Lebensversicherung AG
r Produktliniencontrolling mit Target Costing bei der Volkswagen AG.
4.9.3.1 Weiterentwicklung des Reportings beim Bayerischen
Münzkontor
Das Bayerische Münzkontor, eine Marke der HMK GmbH, besteht seit nunmehr 33 Jahren.
Mittlerweile ist das Unternehmen mit Sitz in Waldaschaff im Landkreis Aschaffenburg
eines der größten Versandhandelsunternehmen im Sammlerbereich und europäischer
Marktführer für Sammlerartikel mit Schwerpunkt Münzen und Medaillen. Mit derzeit
400 Mitarbeitern in Deutschland, der Schweiz und den USA bedient das Bayerische
Münzkontor rund 10 Mio. Kunden. Neben dem Versand von Münzen und Medaillen
umfasst das Portfolio des Unternehmens Briefmarken, Orden und seltene Modellautos. Das Bayerische Münzkontor ist von Beginn an als klassischer B2C-Versender in der
Direktbelieferung seiner Kunden tätig. Im Jahr 2002 wurde das Unternehmen für sein
innovatives und erfolgreiches Geschäftsmodell mit dem zweiten Platz des deutschen
Versandhandelspreises ausgezeichnet.
Gerade für ein mittelständisches eigentümergeführtes Unternehmen sind transparente
und zeitnahe Informationsflüsse von großer Relevanz. Basis hierfür ist ein empfängerorientiertes Berichtswesen. Empfängerorientiertes Berichtswesen bedeutet beim
Bayerischen Münzkontor dreierlei:
r Planungszielorientierte Informationen für das Management mit besonderer Berücksichtigung des Eigentümers.
r Steuerungsinformationen für die Mitarbeiter im Sinne der Zielvereinbarungen.
r Ergebnis- und strategieorientierte Informationen für den Beirat als Aufsichtsorgan.
Im Rahmen der Analyse des bestehenden Reportings wurden Verbesserungspotenziale
identifiziert. So wurde festgestellt, dass das Berichtswesen einerseits wenig relevante
Informationen enthält, andererseits aber auch unvollständige Informationen für die
4 Koordination des Informationsversorgungssystems568
Vahlens Handbücher – Horváth – Controlling (12. Auflage) – Herstellung: Frau Deuringer
Stand: 19.09.2011 Status: Imprimatur Seite 568
jeweiligen Ziele der Empfänger liefert. Ursächlich hierfür ist das historisch gewachsene
Reportingsystem, dessen Berichte kontinuierlich ergänzt wurden, ohne die tatsächliche
Relevanz verschiedener Kennzahlen zu hinterfragen. Gleichzeitig wurde die Verständlichkeit der umfangreichen Berichte durch keinerlei graphische Elemente wie bspw. bei
Zeitreihendaten unterstützt. Teilweise entwickelten sich bereits Ansätze von „Zahlenfriedhöfen“, da die Berichte von den jeweiligen Führungskräften nicht oder nur kaum in
ihrer Tätigkeit berücksichtigt wurden. Der Beirat hat nicht die Schlüsselinformationen
erhalten, die er zur Wahrnehmung seiner Aufsichtsfunktion benötigte.
Zur Weiterentwicklung und Verbesserung des Berichtswesens im Sinne der Empfängerorientierung wurden daher folgende Schritte durchgeführt:
r Durch Interviews mit den Berichtsempfängern und eine Analyse der Aufgaben der
Empfänger wurde deren tatsächlicher Informationsbedarf ermittelt.
r Analysen der bisherigen Berichte sowie der informationsbereitstellenden Systeme
ließen Rückschlüsse auf das Informationsangebot zu.
r Ein Abgleich zwischen Informationsbedarf und Informationsangebot diente als
Grundlage für die Ausgestaltung des neuen Reportingsystems.
r Schließlich wurde hieraus die empfängergerechte Aufbereitung der Berichte abgeleitet. Im Mittelpunkt hierbei stand die Befriedigung des spezifischen Informationsbedarfs, indem bspw. der Berichtsrhythmus an den Informationsbedarf angepasst
oder die bessere und schnellere Lesbarkeit der Berichte durch graphische Elemente
unterstützt wurde.
Eine wesentliche Neuerung des Berichtswesens ist die durchgängige Plan-Ist-Gegen-
überstellung und die Kommentierung der bereitgestellten Zahlen (vgl. Abb. 4.183).
Dadurch wird ein einheitliches Verständnis der übermittelten Kennzahlen geschaffen
und Fehlinterpretationen werden vermieden. Darüber hinaus wurde konsequent eine
Ampelfunktion in die Berichte eingebaut.
Die einzelnen Berichte bzw. die darin enthaltenen Kennzahlen der unterschiedlichen
Managementebenen im Unternehmen werden aus der Kaskadierung und Konkretisierung der Unternehmensziele und der Strategie abgeleitet (vgl. Abb. 4.184). Die wenigen
relevanten (Spitzen-)Kennzahlen für die Geschäftsführung finden sich im Bericht des
jeweilig zuständigen Abteilungsleiters in der darunterliegenden Ebene wieder. Diese
hoch aggregierten Zahlen werden im Abteilungsbericht durch weitere Kennzahlen
konkretisiert und operationalisiert. Damit werden die wesentlichen Stellhebel erfasst
und die Ausrichtung der einzelnen Abteilungen entsprechend der Unternehmenszielsetzung gewährleistet.
Durch diese Änderungen gelang es dem Bayerischen Münzkontor, die Aufbereitung
und Verbreitung irrelevanter Informationen in den Berichten zu vermeiden und den
gesamten Prozess des unternehmerischen Reportings zu verschlanken. Dadurch steht
der Controllingabteilung, die für die Erstellung der Berichte verantwortlich ist, mehr
Zeit für wertschöpfende Tätigkeiten wie Analysen und Kommentierungen zur Verfügung. Dieser Wandel des Controllers hin zu einem „Business Partner“ entspricht dem
modernen Controllerverständnis im Sinne des Leitbildes des IGC (vgl. Kap. 2.9).
4.9 K
o
o
rd
in
atio
n
vo
n
IV
-System
en
d
er Praxis
569
V
ah
len
s H
and
bücher – H
orváth – C
ontrolling (12. A
u
flage) – H
erstellu
ng: Frau D
eu
ringer
Stand
: 19.09.2011
Statu
s: Im
prim
atu
r
Seite 569
Aug 09
Trend Ist Plan Abweichung Ampel Ist Jul 10 Jun 10 Mai 10 Apr 10 Mrz 10 Feb 10
90,0% 95,0% -5,0% 91,0% 92,0% 90,0% 90,0% 87,0% 91,0% 92,0%
87,0% 85,0% 2,0% 70% 86% 85% 81% 78% 74% 75%
50,00 52,00 -2,00 40 50 49 49 45 43 43
Verfügbarkeit EDV System: Prozentuale Verfügbarkeit des EDV Systems.
Berechnet aus: (Maximale Verfügbarkeit – Ausfallzeiten) / Maximale Verfügbarkeit.
Termineinhaltung Projekte: Prozentuale Termineinhaltung bei Projekten.
Berechnet aus: Anzahl der termingerecht erfüllten Aufgaben / Gesamtanzahl aller Aufgaben.
Kosten EDV: Kostenstellenkosten EDV (BAB).
Kommentare
Verfügbarkeit EDV System
Termineinhaltung Projekte
Kosten EDV (Tsd. €)
Entwicklung (6 Monate)
Steuerungsgrößen
Aug 10
EDV
?
?
?
Abb. 4.183: Beispielhaftes Berichtsblatt der EDV Abteilung
4 Koordination des Informationsversorgungssystems570
Vahlens Handbücher – Horváth – Controlling (12. Auflage) – Herstellung: Frau Deuringer
Stand: 19.09.2011 Status: Imprimatur Seite 570
4.9.3.2 Wertorientiertes Controlling bei der ERGO Direkt
Lebensversicherung AG
Die ERGO Direkt Versicherungen sind Tochterunternehmen der ERGO-Versicherungsgruppe AG und damit Bestandteil des Konzerns Munich Re AG. 1984 wurde der Lebensversicherer, 1985 der Schadenversicherer und 1991 der Krankenversicherer gegründet. Hervorgegangen aus den KarstadtQuelle Versicherungen setzen die Unternehmen
auf den Direktvertrieb (Mailings, Internet und Telefonie) sowie auf einfache, leicht
verständliche Produkte für Privatkunden. Über 4 Mio. Kunden vertrauen den ERGO
Direkt Versicherungen. Damit zählt die Gruppe zu den größten deutschen Direktversicherern. Ende 2009 betrugen die gebuchten Bruttobeiträge über 1.200 Mio. €. Der
Jahresüberschuss (HGB) belief sich zum gleichen Zeitpunkt auf über 31 Mio. €.
Die Lebensversicherer sind mit einem hoch volatilen Kapitalmarkt konfrontiert (vgl. im
Folgenden v. Estorff, Bogendörfer 2006, S. 239ff.). Dies zeigt rückblickend gerade das letzte
Jahrzehnt. Während sich die Aktienkurse vom Aktiencrash 2001/2002 erholten, erreichte im Jahr 2005 das Zinsniveau für öffentliche Anleihen einen ersten Tiefpunkt. Im
September 2005 konnte für zehnjährige Bundesanleihen lediglich noch eine Verzinsung
von 3 % erzielt werden. Ein neuer Tiefststand wurde in Folge der Finanzmarkt- und
Wirtschaftskrise 2010 mit knapp über 2 % erreicht, während im Bestand der Versicherer
durchaus Leistungsversprechen gegenüber Kunden – allein im garantierten Bereich –
von bis zu 4 % bestehen können. Zudem sah sich die Branche in der Finanzmarktkrise
zunächst einer Erhöhung der Credit Spreads auf Bonds bisher sehr renommierter
Schuldner – darunter gerade auch Mitgliedsstaaten der Euro-Zone – bis hin zu deren
völligen Zahlungsausfall gegenüber. Mögliche Haircuts auf diese Verbindlichkeiten, die
diskutierte Emission von Euro-Bonds und die Dynamik der weiteren Zinsentwicklung
können zu neuen Herausforderungen führen, welche durch die steuerliche Entlastung
Operative Mitarbeiter
Zi
el
vo
rg
ab
en
(P
la
nu
ng
) Leistungsm
essung
(Kontrolle)
GF BR
A
L
Fi
na
nz
en
A
L
M
ar
ke
tin
gggg
A
L
W
er
bu
ngggg
A
L
Lo
ggggi
st
ik
A
L
K
un
de
nd
ie
ns
t
A
L
R
ev
is
io
n
A
L
D
at
en
er
frraff
ss
un
gg g
A
L
E
D
V
AAAAAAAAAAAAAAAAAAA
Berichte Berichte Berichte Berichte
A
L
E
in
ka
uf
Marketing Werbung Finanzen Logistik EDV
Kundendienst Revision Datenerfassung Einkauf
eC
om
m
er
ce
TTTTTTTTTeTT
le
foff
nm
ar
ke
tin
ggg
E
ur
orr
ppa
m
ar
ke
tin
gggt
Berichte
gggggggggggggggggg
Berichte
GF: Geschäftsführung
BR: Beirat
AL: Abteilungsleiter
Abb. 4.184: Zielekaskadierung innerhalb des Reportingsystems
4.9 Koordination von IV-Systemen der Praxis 571
Vahlens Handbücher – Horváth – Controlling (12. Auflage) – Herstellung: Frau Deuringer
Stand: 19.09.2011 Status: Imprimatur Seite 571
bei der Bildung zusätzlicher Mittel zur Risikotragung und die voraussichtliche Absenkung des zukünftig garantierten Kundenzinses wohl kaum kompensiert werden können. Aufgrund dessen und in Anbetracht, dass mit den konkretisierten Anforderungen
von Solvency II – dem neuen europäischen Aufsichtssystem – auch neue Methoden
und Instrumente für das Risikomanagement sowie die Unternehmensführung zur
Verfügung stehen, richtet sich der Fokus auf das Geschäftsmodell der Lebensversicherer. Wie sollen sich die Gesellschaften zukunftssicher strategisch positionieren? Was
sind wettbewerbsrelevante Produktkomponenten, inwieweit sind diese, wie etwa ein
jahrzehntelanger Garantiezins, überhaupt notwendiger Gegenstand von Versicherung
und was ist dafür der angemessene Preis?
Ein stringentes, effizientes Controlling ist vor diesem Hintergrund unerlässlich, was
in Verbindung mit der bereits stattfindenden Branchenkonsolidierung und den Renditeforderungen der Eigentümer direkt zum wertorientierten Controlling für Versicherer führt. Die Wertorientierung in der Unternehmensführung gründet sich auf
dem Shareholder-Value-Gedankengut und der daraus abgeleiteten Prämisse, dass die
gesamte Unternehmenspolitik auf die Erzielung einer risikoadäquaten Verzinsung auf
das eingesetzte Kapital der Shareholder ausgerichtet wird.
Die Umsetzung einer Shareholder-Value-orientierten Unternehmensführung erfordert
eine erhebliche Weiterentwicklung des Controllings. Die traditionellen erfolgsorientierten Kennzahlen, wie der buchhalterische Gewinn, reichen nicht mehr aus, weil sie nur
begrenzt aussagefähig sind. Für eine Shareholder-Value-orientierte Unternehmensführung sind wertorientierte Kennzahlen, wie der Economic Value Added (EVA) oder für
Lebensversicherer auch branchenspezifische Kennziffern wie der Market Consistent
Embedded Value (MCEV) zu bilden. Der MCEV im weiteren Sinn ist der Barwert der
ausschüttbaren Erträge, der aus dem Bestand an Versicherungsverträgen generiert werden kann. In die Ermittlung des MCEV geht eine Marktpreissicht ein. Der EVA stellt den
Residualgewinn nach Abzug der Kapitalkosten dar. Die Kennzahl basiert auf buchhalterischen Größen, die durch verschiedene Maßnahmen ökonomisch angepasst werden.
In Reaktion auf diese Entwicklung wird versucht, das Prinzip einer Shareholder-Valueorientierten Unternehmensführung auf das Versicherungsgeschäft, das Kapitalanlagegeschäft und die Bestandsverwaltung zu übertragen.
Im Versicherungsgeschäft sind das Neu- und das Bestandsgeschäft zu steuern. Für
das Neugeschäft der ERGO Direkt Lebensversicherung AG geschieht dies durch die zentrale Kennzahl Ertragsbarwert (vgl. Abb. 4.185). Diese Kennzahl wird ergänzt durch
klassische Vertriebskennzahlen, wie die Abschlusskosten- und die Stornoquote. Der
Ertragsbarwert quantifiziert den auf den heutigen Zeitpunkt diskontierten Gewinn
aus dem jeweiligen Versicherungsvertrag. Dazu werden die zukünftigen Beiträge, die
Erträge aus Kapitalanlagen, die Leistungen, die Verwaltungs- und Abschlusskosten
sowie weitere Gemeinkosten abgezinst. Mit Hilfe des Ertragsbarwerts kann analysiert
werden, ob ein bestimmtes Produkt langfristig zum Unternehmenserfolg beiträgt. Dabei können verschiedene Varianten des gleichen Produkts verglichen und hinsichtlich
ihrer Langfristauswirkungen beurteilt werden. Allerdings ist zu beachten, dass der Ertragsbarwert nur einen Erwartungswert darstellt, so dass die Kalkulationsgrundlagen
entsprechend realistisch bzw. vorsichtig zu wählen sind bzw. auch laufend hinsichtlich
ihrer Relevanz zu überprüfen sind.
4 Koordination des Informationsversorgungssystems572
Vahlens Handbücher – Horváth – Controlling (12. Auflage) – Herstellung: Frau Deuringer
Stand: 19.09.2011 Status: Imprimatur Seite 572
Im Bestandsgeschäft der ERGO Direkt Lebensversicherung AG sind der Embedded
Value (EV) und der Market Consistent Embedded Value (MCEV) relevante Kennzahlen.
Der EV bzw. der MCEV ist im weiteren Sinn ein Ertragsbarwert des zum Stichtag vorhandenen Versicherungsbestands. Durch den EV wird der Bestandswert eines Lebensversicherers ermittelt. Allerdings weist der EV verschiedene Schwächen auf. So basiert
die Ermittlung des EV auf deterministischen Projektionen, durch die keine nachteiligen
Szenarien für den Lebensversicherer abgebildet werden. Weiterhin wird bei der Berechnung des EV keine Änderung von Prämissen im Projektionslauf vorgenommen. Die
Risiken werden nur pauschal durch den Risikozuschlag im Diskontierungsfaktor berücksichtigt. Der MCEV als Weiterentwicklung des EV basiert hingegen auf den Market
Consistent Embedded Value Principles (MCEVP) als europäische Branchenstandards
für die Ermittlung dieser Größe. Für die Ermittlung des MCEV werden stochastische
Projektionen verwendet, durch die verschiedene und insbesondere auch nachteilige
Szenarien berücksichtigt werden, was vor allem den Wert vertragsinhärenter Garantien und Optionen quantifizierbar macht. Der ermittelte MCEV als Bestandswert eines
Lebensversicherers hängt auch ab von unternehmensindividuellen Managementregeln.
Die Unternehmensführung kann z.B. simulieren, wie sich eine veränderte Zusammensetzung der Kapitalanlagen oder eine veränderte Überschussbeteiligung auf den
Bestandswert auswirkt und somit Einfluss auf die Höhe des MCEV nehmen.
Als integriertes Konzept für ein wertorientiertes Controlling kann der Economic Value
Added (EVA) verwendet werden. Dadurch werden die Kapitalkosten und die Risiken
berücksichtigt und zugleich die periodische Wertschaffung gemessen. Im Folgenden
wird die Ermittlung eines an die Anforderungen für Lebensversicherungsunter-nehmen angepassten EVA als Spitzenkennzahl vorgestellt.
Beitrag
EBW 1
Schäden/
Leistungen
Verwaltungskosten
Werbe-,
Policierungskosten
Gemeinkosten-DB
bzw. Ergebnis
140
120
100
80
60
40
20
0
EBW 2 EBW 3
Kapitalerträge
– Ergebnisrechnung einer Versicherung –
15
20 15
10
50
10
100
Abb. 4.185: Ertragsbarwert als wertorientiertes Controllinginstrument
im Neugeschäft
4.9 Koordination von IV-Systemen der Praxis 573
Vahlens Handbücher – Horváth – Controlling (12. Auflage) – Herstellung: Frau Deuringer
Stand: 19.09.2011 Status: Imprimatur Seite 573
Die Ausgangsbasis für die Ermittlung eines für Lebensversicherer geeigneten EVA ist
der klassische EVA, der folgendermaßen berechnet wird:
Klassischer EVA:
EVA = Angepasstes Ergebnis – (Betriebsnotwendiges Vermögen x Kapitalkostensatz)
Diese klassische Berechnung des EVA ist für Lebensversicherungsunternehmen anzupassen, indem das betriebsnotwendige Vermögen durch das Risikokapital abgebildet
wird. Darüber hinaus vorhandenes Eigenkapital gilt als überschüssiges Kapital. Risikokapital und überschüssiges Kapital sind mit differenzierten Kapitalkostensätzen zu
verzinsen. Das Risikokapital bzw. das überschüssige Kapital wird ermittelt, indem vom
IFRS-Eigenkapital unter Berücksichtigung ökonomischer Anpassungen zunächst das
Risikokapital abgezogen wird, um das überschüssige Kapital zu erhalten. Auf kurze
Sicht, d.h. in der Jahresperspektive, entspricht bei der ERGO Direkt Lebensversicherung
AG das Risikokapital im Wesentlichem den quantifizierten Risiken in der Kapitalanlage
des Lebensversicherers. Das überschüssige Kapital ist nicht zur Risikodeckung notwendig und wäre damit grundsätzlich für den Eigentümer disponibel. Das Ergebnis wird
angepasst, indem man es um die Veränderung der nicht veräußerbaren immateriellen
Vermögenswerte in der GuV korrigiert. Der für das Lebensversicherungsgeschäft angepasste EVA berechnet sich damit wie folgt:
Angepasster klassischer EVA für Lebensversicherer:
EVA = Angepasstes Ergebnis – [(Risikokapital x Kapitalkostensatz) + (Überschüssiges
Kapital x risikofreier Zins)]
Dieser angepasste klassische EVA eignet sich aber – gerade auch bei äquivalenter Fristigkeit der Determinanten – nur für ein kurzfristiges wertorientiertes Controlling von
Lebensversicherungsunternehmen, denn er berücksichtigt die langfristigen Optionen
und Garantien im Lebensversicherungsgeschäft sowie mögliche Reaktionen des Managements auf Risikokonstellationen der Zukunft nicht ausreichend.
Aufgrund dessen kann die Konzeption des EVA mit dem Embedded Value (EV) bzw.
dem fortentwickelten Market Consistent Embedded Value (MCEV) verknüpft werden,
um eine umfassende wertorientierte Sichtweise auf das Lebensversicherungsgeschäft
zu erhalten. Ein angepasster ökonomischer EVA kann als Differenz zwischen Embedded Value Earnings und Expected Return bestimmt werden. Die Embedded Value Earnings umfassen im Grunde sämtliche Wertänderungen aus der Überleitungsrechnung
des Vorjahres-MCEV auf den aktuellen MCEV. Ein Bestandteil der Embedded Value
Earnings ist der Expected Return selbst. Der Expected Return ist der Wertzuwachs
aus dem Roll-Forward, der planmäßigen Fortschreibung, des Vorjahres-MCEV auf das
aktuelle Geschäftsjahr. Um die Netto-Wertänderungen zu erhalten, die ausschließlich
auf die Steuerungsmaßnahmen der Unternehmensführung zurückzuführen sind, werden die Embedded Value Earnings um den Expected Return gekürzt. Der angepasste
ökonomische EVA für das Lebensversicherungsgeschäft berechnet sich somit wie folgt:
Angepasster ökonomischer EVA für Lebensversicherer:
EVA = Embedded Value Earnings – Expected Return
Für das wertorientierte Controlling ist der angepasste ökonomische EVA und dessen
Determinanten in einzelne Werttreiber zu zerlegen (vgl. Abb. 4.186). Die Embedded
Value Earnings setzen sich aus den Operating Earnings, den Investment Variances und
den Economic Assumption Changes zusammen. Die Operating Earnings bestehen aus
4 Koordination des Informationsversorgungssystems574
Vahlens Handbücher – Horváth – Controlling (12. Auflage) – Herstellung: Frau Deuringer
Stand: 19.09.2011 Status: Imprimatur Seite 574
dem Expected Return, den Experience Variances, den Operating Assumption Changes
und dem Value Added New Business.
r Die Experience Variances stellen den Wertzuwachs aus dem tatsächlichen Geschäftsverlauf gegenüber dem erwarteten Geschäftsverlauf im Bestandsgeschäft dar. Durch
die Experience Variances werden die Auswirkungen von Steuerungsmaßnahmen
der Unternehmensführung erfasst, die z.B. aus einer Veränderung der Überschussbeteiligung resultieren, oder aber auch allgemeine Entwicklungen mit Einfluss auf
den Bestand, wie etwa die Sterblichkeit.
r Die Operating Assumption Changes beinhalten die Wertänderungen, die aus ver-
änderten Geschäftsannahmen für die Zukunft resultieren. Durch die Operating
Assumption Changes werden sowohl veränderte versicherungstechnische Annahmen, wie z.B. eine Änderung der Sterblichkeiten, als auch die Auswirkungen von
Steuerungsmaßnahmen für die Zukunft abgebildet.
r Der Value Added New Business ist der Wertzuwachs an Neugeschäft innerhalb
eines Jahres. Diese Größe zeigt auch, wie erfolgreich die Steuerungsmaßnahmen
der Unternehmensführung zur Akquise von ertragsstarkem Neugeschäft waren.
r Die Investment Variances bilden die Wertänderungen ab, die aus der tatsächlichen
Entwicklung der Kapitalmärkte resultieren. Externe Faktoren, wie die Entwicklung
der Zinsen und der Aktien, können von der Unternehmensführung nicht gesteuert
werden. Allerdings kann das Management über eine Variation der Asset-Allokation
indirekt Einfluss auf die Wertentwicklung der Investment Variances nehmen. So sind
z.B. bei einer niedrigen Aktienquote die Wertänderungen der Investment Variances
weniger volatil als bei einer hohen Aktienquote.
r Die Economic Assumption Changes sind die Wertänderungen aus veränderten
ökonomischen Annahmen für die Zukunft. Sie resultieren aus der Veränderung
von volkswirtschaftlichen und gesetzlichen Annahmen. Durch die Economic Assumption Changes wird z.B. eine veränderte Inflation für die Zukunft abgebildet.
+ Expected Return
+ Expenence Variances
+ Operating Assumption Changes
+ Value Added New Buisness
= Operating Earnings
Investment Variances
Economic Assumption Changes
Embedded Value Earnings
Expected Return
Angepasster ökonomischer EVA
=
=
–
+
+
+ 2
+ 7
+ 1
+ 5
= 15
3
5
13
2
11
=
=
–
–
+
Abb. 4.186: Ermittlung des angepassten ökonomischen EVAs
4.9 Koordination von IV-Systemen der Praxis 575
Vahlens Handbücher – Horváth – Controlling (12. Auflage) – Herstellung: Frau Deuringer
Stand: 19.09.2011 Status: Imprimatur Seite 575
Das wertorientierte Controlling und die Verwendung der vorgestellten Kennzahlen, wie
etwa des Market Consistent Embedded Value (MCEV) oder des angepassten ökonomischen
EVA, erhöht die Komplexität. So sind klassische Kennziffern und Quoten, wie etwa auf
Basis des HGB, auch weiterhin und sogar rechtlich bindend relevant. Die Information über
die Wertschaffung, eine prospektive Sicht über die Einperiodizität der Rechnungslegung
hinaus und eine Sensitivität gegenüber Risiken bieten aber nur die wertorientierten Kennzahlen. Gleichwohl dürfen diese aber auch nicht als alleinige, omnipotente Steuerungsgrößen betrachtet werden, wie die eingangs vorgestellten vielfältigen Risikofacetten allein
des Kapitalmarkts zeigen und die Erfahrung im benachbarten Bankensektor gelehrt hat.
Die Herausforderung ist, leistungsstarke Tools im Bewusstsein ihrer Möglichkeiten, aber
auch ihrer Schwächen zu nutzen („Don` t blame The Quants“ versus „Die Mickey-Mouse-
Welt des Effizienzmodells“). Aus Managementsicht ist eine Konvergenz der rechtlich verpflichtenden Rechnungslegung mit wertorientierten Zahlen wünschenswert, was aber nur
gelingen kann, sofern damit verbundene Informationsanforderungen konvergierbar sind.
4.9.3.3 Produktliniencontrolling bei der Volkswagen AG
Zufriedene Kunden – das ist die oberste Maxime der Volkswagen AG. Das heutige
Wissen um die zukünftigen Wünsche der Autofahrer ist entscheidend für die Überlebensfähigkeit eines Automobilherstellers. Die Volkswagen AG will sich aber nicht
nur mithilfe „autoorientierter Motivforschung“ und Zukunftsszenarien frühzeitig
auf die Produktwünsche seiner Kunden in fünf oder zehn Jahren einstellen, um für
diese die besten Fahrzeuge bauen zu können, sondern ihnen auch das beste Preis-
Leistungsverhältnis im Wettbewerbsumfeld bieten. Deshalb forciert Volkswagen seine
Anstrengungen, immer wettbewerbsfähiger und wirtschaftlicher zu werden. Das ist
Volkswagen nicht nur seinen Kunden schuldig, sondern auch den Aktionären und Mitarbeitern. Mittelfristig hat Volkswagen, je nach Produkt, eine Zielumsatzrendite von
mindestens 6,5 % vor Steuern im Visier. In dieser Kennzahl spiegelt sich nicht nur die
angemessene Kapitalverzinsung, sondern auch die Effektivität und Effizienz der Arbeit
aller Beteiligten des Unternehmens wider. Sie ist die Voraussetzung, um auch zukünftig
den Kunden ein optimales Preis-Leistungsverhältnis bieten zu können.
Damit dabei die „richtigen Dinge richtig getan“ werden und die Transformation der
Kundenwünsche in entsprechende Produkte ohne Reibungs- und Zeitverluste auch
unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten gelingt, wurde als wesentlicher Baustein im
Rahmen des Zielkostenmanagements die Methodik des Target Costing (vgl. Kapitel
4.5.5.7) eingeführt. Dies war der Anstoß für das Produkt-Controlling (vgl. Abb. 4.187)
zu einem grundlegenden Prozess des Umdenkens hin zu einer Kultur der absoluten
Markt- und Kundenorientierung.
Hierbei steht nicht mehr die Frage im Vordergrund, was ein Produkt kosten wird,
sondern die Frage, was ein Produkt unter spezifischen Kundenanforderungen kosten
darf. Zunächst soll aber einem weit verbreiteten Missverständnis vorgebeugt werden,
und zwar der Vorstellung, dass für die Kostenziele allein das Controlling zuständig
sei. Im Hinblick auf das notwendige Ergebnis gibt Controlling zwar die Ziele vor, die
dann aber im Rahmen der Fachgruppen und Simultaneous Engineering Teams bis auf
Einzelteilebene zu detaillieren und durch „Kostenkneten“ zu gestalten sind.
Target Costing ist eine ganzheitliche Planungs- und Steuerungsphilosophie, die es
ermöglicht, den Gewinnanspruch des Unternehmens und die Anforderungen der
Kunden an das Produkt in Einklang zu bringen.
4 K
o
o
rd
in
atio
n
d
es In
fo
rm
atio
n
sverso
rg
u
n
g
ssystem
s
576
V
ah
len
s H
and
bücher – H
orváth – C
ontrolling (12. A
u
flage) – H
erstellu
ng: Frau D
eu
ringer
Stand
: 19.09.2011
Statu
s: Im
prim
atu
r
Seite 576
GM-Produktmanagement, PSK, VAP
F
a
c
h
b
e
r
e
i
c
h
e
d
e
r
T
e
c
T T
h
n
i
s
c
h
e
n
E
n
t
w
i
c
k
l
u
n
g
Leitung Produktlinien/Finanzprojekte
(Ergebnissteuerung)
L
e
i
t
u
n
g
B
a
u
g
r
u
p
p
e
(
M
a
t
e
r
i
a
l
k
o
s
t
e
n
-
K
a
l
k
u
l
a
t
i
o
n
)
Serien-
Kalkulation,
Fahrzeugabrechnung
und Ablaufsteuerung
Entwicklungs-
Controlling
A-Karosserie
A-Ausstattung
A-Elektrik
A-Fahrwerk
B-Karosserie
B-Ausstattung
B-Elektrik
B-Fahrwerk
C/D-Karosserie
C/D-Elektrik
C/D-Fahrwerk
A0-Karosserie
A0-Ausstattung
A0-Elektrik
A0-Fahrwerk
Controlling
Produktplanung
l Compact Midsize Fullsize
AU
KA
EL
FA
AG
Diesel GetriebeOtto
Produktcontrolling
C/D-Ausstattung
Abb. 4.187: Produktcontrolling
4.9 Koordination von IV-Systemen der Praxis 577
Vahlens Handbücher – Horváth – Controlling (12. Auflage) – Herstellung: Frau Deuringer
Stand: 19.09.2011 Status: Imprimatur Seite 577
Dies gelingt aber nur durch die Einbindung aller am Produktentstehungsprozess beteiligten organisatorischen Einheiten in das Target Costing-Prozedere, einschließlich der
im Forward Sourcing Prozess festgelegten System-Lieferanten. Im Rahmen des Simultaneous Engineering können unrealistische Targets ausgeschlossen, Kostenvorgaben
kundenorientiert umgesetzt und teureres Over-Engineering vermieden werden, um
zum nachhaltig gewünschten Erfolg zu gelangen.
Zusätzlich wird die Kreativität der Experten dieser Projektteams durch die Ergebnisse
aus Clinic-Studien, Zielgruppenbefragungen, Wettbewerbsanalysen und Kundenreklamationen unterstützt. Dadurch wird sichergestellt, dass kostenintensive Komponenten
wirklich nur dort zum Einsatz kommen, wo der Kunde ihre Funktion auch wahrnimmt.
Die notwendigen Einsparungen erfolgen an den Teilen, die nicht kunden- und nicht
sicherheitsrelevant sind.
Früher richteten sich Preise und Kosten eines Fahrzeugprojekts nach den Gegebenheiten der Kostenstellen, dem Vorjahresumsatz und vor allem nach dem Vorgängermodell.
Die produktspezifischen Aufwendungen, also Entwicklungskosten, Spezialbetriebsmittel und Anlaufkosten wurden anhand von Erfahrungswerten geschätzt. Zwischenzeitlich optimierte Prozessabläufe blieben dabei oftmals ebenso unberücksichtigt wie
ehrgeizige Zielvorgaben.
Die traditionelle Kostenrechnung setzte erst nach der Konzeption der Neufahrzeuge
und der Festlegung der Fertigungsprozesse sowie nach der endgültigen Standortwahl
ein. Mit anderen Worten: zu spät. Empirische Untersuchungen haben gezeigt, dass
nach dem Serienanlauf nur noch zehn bis 15 Prozent der Kosten beeinflusst, also auch
gesenkt werden können. Damit schon zum Produktionsstart vermeldet werden kann:
„Wir sind am Kostenziel“, muss die Kostenrechnung sehr viel früher einsetzen.
Target Costing erzwingt frühzeitig den Blick in die Zukunft. Diesem zukunftsorientierten Ansatz wird bei Volkswagen breiter Raum gegeben. Dies beginnt schon in der
allerersten Planungsphase, also zwischen „Produktmission“ und „Konzeptentscheid“
(vgl. Abb. 4.188).
Schon hier wird der künftige Zielpreis eines inländischen Kalkulationsmodells im
ausstattungsbereinigten Wettbewerbsumfeld unter besonderer Berücksichtigung zu-
P
roduktm
ission
P
rojektpräm
issen
P
roduktdefinition
P
rojektfeasibility
K
onzeptentscheid
D
esignentscheid
D
esignfreeze
B
eschaffungsfreigabe
Launchfreigabe
V
orserienfreigabefahrzeuge
P
roduktversuchsserie
N
ull-S
erie
S
tart of P
roduction
M
arkteinführung
PM
Produktvorplanungsphase
Produktentstehungsphase Serie
PP PD PF KE DE DF BF LF VFF PVS OS SOP ME
Abb. 4.188: Produktentstehungsprozess mit Meilensteinen
4 Koordination des Informationsversorgungssystems578
Vahlens Handbücher – Horváth – Controlling (12. Auflage) – Herstellung: Frau Deuringer
Stand: 19.09.2011 Status: Imprimatur Seite 578
künftiger Kundenwünsche sowie Prognosen und Szenarien bezüglich künftiger Entwicklungen ermittelt (vgl. Abb. 4.189).
Die durchschnittlichen Nettoerlöse ab Markteinführung werden anschließend aus
diesem Zielpreis abgeleitet. Dazu werden vom Zielpreis Mehrwertsteuer, Händlermarge und Erlösschmälerungen abgezogen. Die Erlösschmälerungen resultieren aus
Preisnachlässen für Großabnehmer, z.B. Bundesbahn, Bundespost und diverse Fahrzeugvermieter, aber auch aus geringeren Erlösen infolge der Einführung preiswerter
Sondermodelle. Als Ergebnis erhält man die Nettoerlöse des Nachfolgermodells. (vgl.
Abb. 4.190)
Der finanzielle Ergebnisanspruch in Form des „Ergebnisbeitrags“ (EB) und des „Kalkulatorischen Produktergebnisses“ (KPE) wird in dieser frühen Phase prozentual
vorgegeben und auf die vorher absolut ermittelten Nettoerlöse je Fahrzeug projiziert.
Dadurch werden die Zielwerte für die Einzelkosten, die Gemeinkosten, die Risikovorsorge und das KPE in € je Fahrzeug errechenbar. Für die weitere Kostendetaillierung
ist zunächst die Konzentration auf die Einzelkosten und die Separierung der restlichen
Einzelkosten (Erfahrungswert) erforderlich. (vgl. Abb. 4.191)
Target Costing funktioniert bei Volkswagen nach dem „Gegenstromverfahren“, d.h. nach
der Top-down-Targetvorgabe wird dann auch Bottom-up die Struktur der Einzelkosten
in Form der „Material u. Fertigungspersonalkosten“ (Mat+FPK) für das Nachfolgermodell ermittelt. Ausgehend von der Ist-Situation eines in Serie befindlichen Referenzmodells werden diverse Anpassungen vorgenommen. Das Ergebnis ist das „Voraussichtliche IST“ (VSI) zum Zeitpunkt „End of Production“ (EOP). Die Berücksichtigung
diverser Entfallteile, die aus der auslaufenden Serie nicht auf den Nachfolger übertragen
werden, bzw. die Übernahme von „Carry Over Parts“ (COP) und die Aufnahme von
„Neuteilen“ (NT) führt zu einer inhaltlich modifizierten Einzelkostenüberleitung vom
Vorgänger- auf das Nachfolgermodell (vgl. Abb. 4.192).
Preis Serie
Kalk.-Modell
Inland
Preispositionierung
VSI Serie
ausstattungsbereinigt
Zielpreis NF
Kalk.-Modell
Inland ab SOP
Anpassung an
Hauptwettbewerber
Annahmen bzgl.
r*OGMBUJPO
r,VOEFOWFSIBMUFO
rWetUCFXFSCTWFSIBMUFO
r(esetzgebung
28.000,- 1.129,-
26.871,- 26.871,-
'JLUJWFT Zahlenbeispiel
S
im
ulation
Abb. 4.189: Ableitung des Zielpreises eines PKW-Nachfolgermodells (NF) Inland
[€/Fzg] – Serienpreis Vorgängermodell bis Zielpreis Nachfolgermodell (Top-down)
4.9 Koordination von IV-Systemen der Praxis 579
Vahlens Handbücher – Horváth – Controlling (12. Auflage) – Herstellung: Frau Deuringer
Stand: 19.09.2011 Status: Imprimatur Seite 579
Top down Targetierung
Ableitung Nettoerlöse auf Basis Kundenpreis
[€/Fzg.]
MwSt
(19%)
Zielpreis NF
Kalk.-Modell
Inland
ab SOP
26.871,-
4.290,-
4.065,-
400,-
18.116,-
Händlermarge
Erlösschmälerung
Nettoerlös NF
Kalk.-Modell Inland
ab SOP
Fiktives Zahlenbeispiel
Abb. 4.190: Ableitung der Nettoerlöse eines PKW-Nachfolgermodells Inland
[€/Fzg] – Zielpreis Nachfolgermodell bis Nettoerlös Nachfolgermodell (Top-down)
Top down Targetierung
Ableitung Einzelkostentarget auf Basis Nettoerlösen
[€/Fzg.]
Vorgabe
Soll-Kosten- und
Ergebnisstruktur
Nettoerlös
Kalk.-Modell
Inland
18.116,-
Einzelkosten-
Target
10.870,-
Unspezif.
RV = 2%
EK = 60%
GK =28%
KPE = 10%
100%
-Material
-FPK
5.072,-
362,-
10.870,-
1.812,-
10.270,-
600,-
Restliche Einzelkosten
- Gewährl.-Kosten
- Änderungsrisiko
- SEK Vertrieb
- Verkaufshilfen
- Transportverladekosten
- Beschaffungsnebenkosten
- Restl. sonstige Einzelk.
.
Fiktives Zahlenbeispiel
Abb. 4.191: Ableitung der Einzelkostentargets aus den Nettoerlösen [€/Fzg] – Nettoerlös Nachfolgermodell bis Einzelkostentarget Nachfolgermodell (Top-down)
4 Koordination des Informationsversorgungssystems580
Vahlens Handbücher – Horváth – Controlling (12. Auflage) – Herstellung: Frau Deuringer
Stand: 19.09.2011 Status: Imprimatur Seite 580
Für den sich anschließenden „Knetprozess“ besitzen die COP eine besondere Qualität.
Bei diesen handelt es sich in der Regel um bereits mit den Lieferanten abschließend
verhandelte Umfänge mit schon berücksichtigter zukünftiger Preisreduzierung. Die
notwendigen Kostenreduzierungen lasten demzufolge allein auf den auch optisch von
den COP getrennten Neuteilen (vgl. Abb. 4.193).
Die Fachgruppentargets des Fahrzeugprojekts werden dann nach der Komponenten-
Methode wie folgt ermittelt:
r Zusammenfassung der COP,
r Prozentuale Übertragung der Bottom-up innerhalb des Neuteilumfangs ermittelten
Fachgruppenstruktur auf den Neuteilumfang des Top-down vorgegebenen Fahrzeugtargets,
r Bestimmung der Fachgruppentargets für Neuteile,
r 1:1- Rückführung der vorher separierten COP,
r Zusammenfassung von Neuumfangtarget und COP zum jeweiligen Fachgruppentarget.
Zum Zeitpunkt der Projektentscheidung liegen neben dem Gesamttarget damit auch
schon die Fachgruppentargets für Motor/Getriebe, Fahrwerk, Karosserie, Ausstattung
und Elektrik vor. Diese Prozedur wiederholt sich im nächsten Schritt für alle weiter zu
detaillierenden Umfänge, z.B. für die Bestimmung des Einzelkostentargets (Mat+FPK)
IST Referenzfahrzeug
(z.B. Serie/
Vorgänger)
A1
SET:
A2
...
M6
11.460,-
7%
89%
100%
Anpassung
Produkt-
Maßnahmen
bis EOP
Anpassung
Performance
bis EOP
Überleitung
Referenzfahrzeug
zu Nachfolger
VSI Nachfolger
zu SOP
VSI-Bewertung basiert auf
einem Referenzlauf und
erfolgt auf
Teil-für-Teil-Ebene
Die VSI-Bewertung
= COP-Anteil je SET
Am Beispiel des Kalkulationsmodells – Material- und Fertigungspersonalkosten in €/Fzg.
Fiktives Zahlenbeispiel
Referenzfahrzeug
zu EOP
11.060,-
10.300,-
(1.000,-)
240,-
(400,-)
Fertigungstiefe
i.d.R. analog
Vorgänger/
Referenzfahrzeug
Modellpflege
Große Produktaufwertung
Produktkostenoptimierung
Änderungen
technischer
Konzepte
Innovationen
Abb. 4.192: Ableitung der Einzelkosten Target für Fachgruppen [€/Fzg] – Ist-Kosten
Vorgängermodell bis voraussichtliche Ist-Kosten Nachfolgermodell (Bottom-up)
4.9 Koordination von IV-Systemen der Praxis 581
Vahlens Handbücher – Horváth – Controlling (12. Auflage) – Herstellung: Frau Deuringer
Stand: 19.09.2011 Status: Imprimatur Seite 581
der Lenkung innerhalb der Fachgruppe Fahrwerk und weiter für das Einzelteil-Einzelkostentarget der Lenksäule innerhalb des Simultaneous Engineering-Umfangs Lenkung. Damit ist der mechanistische Prozess abgeschlossen.
Im weiteren Verlauf des Produktentstehungsprozesses wird parallel zu den Komponenten jede Funktion des sich in Entwicklung befindlichen Fahrzeugs analysiert.
Zu den Aufgaben des Produktliniencontrollings gehört es, die kundenorientierte Funktionalität unter Kosten-/Nutzen-Gesichtspunkten teilebezogen mit Targets zu belegen
und damit greifbar zu machen. Die Unterstützung durch die Marktforschung und
antizipatives Denken sind dafür unerlässlich, da das, was heute noch als besondere
Ausstattung zu einer hohen Kundenzufriedenheit führt, in wenigen Jahren schon zum
Standard gehören wird (Ausstattungserosion).
Neben den Funktionen und Komponenten gilt es schließlich, noch eine Vielzahl externer Einflüsse zu berücksichtigen: Wie entwickelt sich die Konjunktur? Starten die
Wettbewerber eine Offensive? Welche Rolle spielt die E-Mobilität? Wie sieht künftig der
Absatzmarkt für die gesamte Fahrzeugflotte aus? Was hält der Gesetzgeber an neuen
Steuer-, Recycling-, Abgas-, Gewährleistungs- oder Sicherheitsauflagen für erforderlich?
Unter welchem Kostendruck stehen zukünftig die Produkte aufgrund der Regulierung
der CO2-Emissionen bei PKWs?
Ständige Abweichungsanalysen durch kontinuierliche Soll-Ist-Vergleiche des „Kalkulationsmodells Inland“ begleiten das Fahrzeugprojekt ab Konzeptentscheid über seinen
gesamten Lebenszyklus. Die Ziellücke zwischen den voraussichtlichen Ist-Kosten und
Die Bottom up Detaillierung
A1
SET:
A2
...
M6
89%
10.270,- 10.270,-
Bottom-up
Target-
Detaillierung
Anspannung
Anspannung
VSI auf Niveau
Top-down-Target
100%
Top-down Target
11.460,-
1.190,-
COP: VSI–ca. 2,5% p.a.**
Neuteile: VSI–x%
(x = Notw. Anspann. zum Erreichen des Top-down-Targets)
Anspannungslogik *:
Berücksichtigung von gremienentschiedenen Aggregate- und
Modultargets
Für den Zeitversatz zwischen Kostenstand des COP-Teils und SOP
Targetvorgabe durch
Produktliniencontrolling
(Teil-für-Teil-Ebene)
Plausibilisierung durch
Baugruppencontrolling
(Quervergleiche)
7%
= COP-Anteil je SET
Fiktives Zahlenbeispiel
Am Beispiel des Kalkulationsmodells ? Material- und Fertigungspersonalkosten in €/Fzg.
VSI Nachfolger
zu SOP
*
**
Abb. 4.193: Ableitung der Einzelkosten Target für Fachgruppen [€/Fzg] –
Voraussichtl. Ist-Kosten Nachfolgermodell für Fachgruppen bis Target für
Fachgruppen (Bottom-up)
4 Koordination des Informationsversorgungssystems582
Vahlens Handbücher – Horváth – Controlling (12. Auflage) – Herstellung: Frau Deuringer
Stand: 19.09.2011 Status: Imprimatur Seite 582
dem Ziel, z.B. der Lenksäule, ist bis zum „Start of Production“ (SOP) durch „Kostenkneten“ mithilfe bereichsübergreifender Maßnahmenpläne zu schließen. Hier ist die
technische Entwicklung genauso in ihrer Kreativität gefordert wie die Produktion, die
Beschaffung oder der Vertrieb (vgl. Abb. 4.194).
Da sich das Ergebnisziel aber nicht allein auf das „Kalkulationsmodell Inland“ bezieht,
sondern auf die gesamte Palette weltweit, ist hier verstärkt die organisatorische Einheit
„Preisbildung Produktvorhaben und Projekte“ gefordert. Sie ermittelt iterativ zunächst
die „Soll-Kosten- und Ergebnisstruktur“ der über das Kalkulationsmodell hinausgehenden Aggregate, Ausstattungen und Optionen und kommt damit zur notwendigen
Ergebnisstruktur „Ø Palette Inland“. Ausgehend von einem „Basis-Modell Export“
wird auch hier unter Berücksichtigung der weiteren Aggregate, Ausstattungen und
Optionen das notwendige Kalkulatorische Produktergebnis (KPE) „Ø Palette Export
Europa“ festgelegt. Auf die gleiche Art und Weise werden auch die Zielansprüche für
„Ø Palette Regionen und Restliche Märkte„ ermittelt. Die Summe aus „Ø Palette Inl.“,
„Ø Palette Exp.“, „Ø Palette Regionen und Restliche Märkte“ führt nach einer Vielzahl
iterativer Schleifen zum gewünschten KPE-Ziel „Ø Palette weltweit“. Die Targetermittlung für alle über das „Kalkulationsmodell Inland“ (i.d. R. Volumenmodell) hinausgehenden Umfänge erfolgt dann auf Basis von Delta-Werten zum Kalkulationsmodell.
Über zehn Jahre Erfahrung in der Anwendung des Zielkostenmanagements bei Volkswagen haben gezeigt, dass durch alleinige Beeinflussung der Einzelkosten das Gesamttarget i.d.R. nicht zu erreichen ist. Dies kann nur unter Einbeziehung auch der
Gemeinkosten gelingen. Neben den zu verteilenden Gemeinkosten in Form projektunabhängiger Infrastrukturkosten stehen hier vor allem die von den jeweiligen Projekten
ausgelösten projektspezifischen Aufwendungen im Vordergrund. Für diese sind bei
größeren Fahrzeugprojekten mehrere hundert Millionen Euro aufzuwenden. Allein
die absolute Höhe dieser Aufwendungen rechtfertigt vor dem Hintergrund nicht auszuschließender Projektrisiken eine unter wirtschaftlichen und strategischen Gesichts-
VSI NF
Lenksäule SOP
Designvariance
(NT)
NeueStandort
Technologien
60,-
Fiktives Zahlenbeispiel
Scaleeffekte TargetNF SOP
ohne RV
Lenksäule
34,-
Maßnahmen zur Targeterreichung Neuteil, die im
Rahmen der Businesspläne von den Bereichen zu
kommittieren sind
5,-
10,-
8,-
,3 -
Abb. 4.194: Maßnahmen zur Erreichung der EK-Target [€/Fzg] – Voraussichtliche
Ist-Kosten Nachfolgermodell bis Target Nachfolgermodell (Bottom-up/Top-down)
4.9 Koordination von IV-Systemen der Praxis 583
Vahlens Handbücher – Horváth – Controlling (12. Auflage) – Herstellung: Frau Deuringer
Stand: 19.09.2011 Status: Imprimatur Seite 583
punkten differenziert abgeleitete und abgesicherte Vorgabe für die Geschäftsbereiche.
Diese reklamieren ihrerseits regelmäßig einen deutlich höheren Bedarf. In Abhängigkeit von der Art und Weise, wie z.B. „Target Investment“ oder „Target Engineering
Expense“ ermittelt werden, kommt man zu unterschiedlichen Ergebnissen. Die Praxis
hat jedoch gezeigt, dass sich die Ergebnisse aller Ableitungen innerhalb eines Clusters
mit relativ geringer Streubreite bewegen.
Die mit jeder singulären methodischen Vorgehensweise verbundene Unsicherheit wird
bei Volkswagen durch die Verwendung unterschiedlicher Ansätze unter anderem zur
Ableitung eines plausiblen Investitions-Targets vermieden.
Die Top-down ermittelte Vorgabe wird aber erst nach einem Abgleich mit dem von den
Fachbereichen Bottom-up als erforderlich betrachteten Investitionsbedarf zur Vorgabe
für Produktion und Beschaffung. Produktcharakteristika, die durch Gremienentscheidungen nachträglichen Investitionsbedarf auslösen, müssen in sich wirtschaftlich
begründet sein. Dies setzt die Bereitschaft der Kunden zur finanziellen Honorierung
dieser zusätzlichen Projektumfänge voraus.
Ebenso wie bei den Einzelkosten ist es auch bei den unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten abgeleiteten Aufwendungen das Ziel, diese entsprechend den differenzierten
Kundenerwartungen optimal einzusetzen. Bei der Targetdetaillierung der Aufwendungen ist zu berücksichtigen, dass die Teileebene häufig nicht die Kundensicht reflektiert
und dort ihre logische Grenze findet, wo Marketing und Vertrieb keinen Zusammenhang mehr zwischen Kundenbedürfnis und technischem Umfang herstellen können.
So ausgefeilt das Zielkostenmanagement auch ist – nicht alles ist planbar. Letzte Prognoseunsicherheiten werden bleiben und bei den betrachteten langen Zeiträumen auch
nicht zu vermeiden sein. Volkswagen wird das Zielkostenmanagement und insbesondere
das Target Costing unter Berücksichtigung der gewonnenen Erfahrungen weiterentwickeln, damit schon frühzeitig im Produktentstehungsprozess die Vision schon zum
Produktionsstart das Kostenziel bei Erfüllung aller Kunden- und Markterfordernisse
zu erreichen immer häufiger Wirklichkeit wird.
4.9.4 Ergebnisse empirischer Untersuchungen
Die Betriebswirtschaftslehre ist in den vergangenen Jahren eine empirisch forschende
Wissenschaft geworden.
In einer der neueren Studien setzen sich Franz und Kajüter (2002) mit dem Kostenmanagement in Deutschland auseinander. Ziel der Untersuchung ist, durch einen Vergleich
mit den Befunden aus der vorangegangenen Studie (1996), Entwicklungstendenzen
im Kostenmanagement aufzuzeigen. Für die vergleichende Feldstudie wurden 700
Fragebögen an deutsche Großunternehmen (mehr als 3.000 Mitarbeiter) aller Branchen
verschickt. Mit 98 Antworten beträgt die Rücklaufquote 14%.
Bezogen auf den Stellenwert des Kostenmanagements ergibt die Studie, dass alle teilnehmenden Unternehmen ihre Aktivitäten zur Kostensenkung forcieren.
Hauptziel des Kostenmanagements sind die Verbesserung der relativen Kostenposition
sowie die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens. Diese Ziele lassen
sich in weitere, untergeordnete Ziele differenzieren. Einen Vergleich zwischen 1996 und
2002 der Priorisierung der Ziele stellt Abb. 4.195 dar.
4 Koordination des Informationsversorgungssystems584
Vahlens Handbücher – Horváth – Controlling (12. Auflage) – Herstellung: Frau Deuringer
Stand: 19.09.2011 Status: Imprimatur Seite 584
Ein weiterer Teil der Studie widmete sich den Instrumenten des Kostenmanagements.
Das Target Costing wird in 59 % der befragten Unternehmen eingesetzt. Im Vergleich
zu 1996 hat sich dieses Instrument somit weiter in der Unternehmenspraxis verbreitet.
In Unternehmen der Automobil- und Elektrotechnik-/Elektronikindustrie gehört das
Target Costing weiterhin zum State-of-the-Art und wird von allen in der Stichprobe vertretenen Unternehmen eingesetzt. Demgegenüber ist im Dienstleistungssektor immer
noch eine deutlich geringere Verbreitung des Target Costing festzustellen.
Eine Prozesskostenrechnung haben rund 47% der Unternehmen etabliert, wobei keinen nennenswerten Unterschiede in der Verbreitung zwischen dem Industrie- und
Dienstleistungssektor bestehen. Im Vergleich zu 1996 (52%) ist ein leichter Rückgang
des Einsatzes dieser Methode festzustellen.
Mit 91 % weist das Benchmarking die höchste Verbreitung unter den vier betrachteten
Instrumenten des Kostenmanagements auf. Die schon 1996 beobachtete weite Akzeptanz des Benchmarkings hat sich damit weiter verstärkt. Allerdings ist hier, wie auch
schon bei der letzten Studie 1996, zu vermuten, dass der relativ hohe Einsatzgrad dieser
Methode darin begründet liegt, dass die antwortenden Unternehmen auch traditionelle
Kennzahlenvergleiche als Benchmarking betrachten.
Das Life Cycle Costing wird nur von 28% der Unternehmen eingesetzt. Dabei handelt
es sich zum ganz überwiegenden Teil um Industrieunternehmen und hierbei vor allem
um Unternehmen der Automobil und Elektrotechnik-/Elektronikindustrie, die Großserienprodukte herstellen. In diesen Branchen betragen die Einsatzgerade 67 % bzw. 71%.
Mit 55 % ist die Verbreitung im Maschinenbau ebenfalls überdurchschnittlich. Das Life
Cycle Costing stellt daher im Gegensatz zu den anderen Instrumenten eher eine branchenspezifische Methode dar, die sich im Vergleich zu 1996 kaum weiter verbreitet hat.
Abb. 4.196 fasst die Verbreitung und den geplanten Einsatz der Kostenmanagementinstrumente zusammen, Abb. 4.197 stellt die Ergebnisse zur Leistungsfähigkeit der
Kostenmanagementinstrumente dar.
– Kostensenkung
– Optimierung der Kostenstruktur
– Förderung degressiver Verläufe
– Vermeidung progressiver Verläufe
– Identifikation der Kostentreiber
– Stärkung des Kostenbewusstseins
– Erhöhung der Kostentransparenz
1 2 3 4 5 6 7
Ziele des Kostenmanagements 2001
1996
sehr gering Pr... iorität... sehr hoch
Abb. 4.195: Ziele des Kostenmanagements (Franz, Kajüter 2002, S. 574)
4.9 Koordination von IV-Systemen der Praxis 585
Vahlens Handbücher – Horváth – Controlling (12. Auflage) – Herstellung: Frau Deuringer
Stand: 19.09.2011 Status: Imprimatur Seite 585
Einen weiteren Beitrag zur empirischen Controllingforschung leisten Weber und Kunz
(2003). Sie fassen die Ergebnisse mehrerer Studien in einem Werk zusammen. Die
grundlegenden Aspekte wie die Planung und Kontrolle sowie die Informationsversorgung werden dabei ebenso abgedeckt wie die Gestaltung der Controllership. Neben
einer Studien zur Führung in der evangelischen Kirche und zum Logistik-Controlling,
werden abschließend Skalen der empirischen Controllingforschung dargestellt.
tnalpegztasniEdargztasniE
100 %
90 %
80 %
70 %
60 %
50 %
40 %
30 %
20 %
10 %
0 %
1996 2001
54%
59%
52%
47%
82%
91%
27%
28%
22%
13%
53%
33%
6%
7%
22%
19%
Target
Costing
Prozesskostenrechnung
Benchmarking
Life Cycle
Costing
Target
Costing
Prozesskostenrechnung
Benchmarking
Life Cycle
Costing
Abb. 4.196: Verbreitung und geplanter Einsatz von Kostenmanagement-
Instrumenten (Franz, Kajüter 2002, S. 579)
– Target Costing
– Prozesskostenrechnung
– Benchmarking
– Life Cycle Costing
1 2 3 4 5
Leistungsfähigkeit 2001
1996
hcohrhesgniregrhes
3,89
4,23
3,52
3,42
3,37
3,52
3,64
3,72
Abb. 4.197: Leistungsfähigkeit von Kostenmanagement-Instrumenten
(Franz, Kajüter 2002, S. 582)
4 Koordination des Informationsversorgungssystems586
Vahlens Handbücher – Horváth – Controlling (12. Auflage) – Herstellung: Frau Deuringer
Stand: 19.09.2011 Status: Imprimatur Seite 586
4.10 Zusammenfassung
Das Informationsversorgungssystem haben wir in erster Linie im Hinblick auf seine
Verbindung mit dem Planungs- und Kontrollsystem behandelt. Unsere wesentlichen
Erkenntnisse hierbei waren:
r Das IV-System ist unter Controllinggesichtspunkten als Input des PK-Systems zu
analysieren und zu gestalten.
r Ein geeignetes Differenzierungskriterium der Analyse bilden die Phasen des Informationsverarbeitungsprozesses:
– Die Gestaltung der Informationsversorgung beginnt mit der Informationsbedarfsermittlung.
– Die wesentlichen Gebiete der Informationsbeschaffung und -aufbereitung betreffen Informationen über Umwelt und Unternehmung, Informationen aus dem
Rechnungswesen und steuerliche Informationen.
r Informationsversorgung umfasst neben der Versorgung mit einzelnen Informationen auch Modell- und Methodenversorgung.
r Bei der Ermittlung des Informationsbedarfs für die Führung ist zwischen operativen
und strategischen Informationen zu unterscheiden. Der Bedarf an strategischen Informationen kann nur in Kenntnis der kritischen Erfolgsfaktoren ermittelt werden.
r Besondere Bedeutung für die Unternehmungsführung haben Früherkennungsinformationen, die operativ und strategisch bedeutsame Veränderungen in Umwelt und
Unternehmung frühzeitig signalisieren.
r Das für das Controlling zentrale Gebiet ist weiterhin das Rechnungswesen. Hier gibt
es zwei Hauptproblembereiche:
– operativ und strategisch orientierte Aufbereitung der Rechnungsweseninformationen,
– Schaffung eines integrierten Gesamtsystems des Rechnungswesens.
r In der Praxis prägen immer noch steuerliche Vorschriften den Inhalt des Rechnungswesens. Es ist eine steuerliche Informationsbasis für die Planung zu schaffen.
r Das Kernproblem der Informationsübermittlung ist die empfängerorientierte Gestaltung des Berichtssystems.
Testfragen zu Kapitel 4:
1. Wie lässt sich der Zusammenhang zwischen Informationsversorgungs- und Planungs- und Kontrollsystem kennzeichnen?
2. Wie lassen sich Führungsinformationen charakterisieren?
3. Welche Eigenschaften zeichnen Informationen aus, die von Führungskräften bevorzugt werden?
4. Welche Dimensionen sind hinsichtlich der Differenzierung von Informationsversorgungssystemen zu beachten?
5. Welche Besonderheiten weist der Informationsinput für die drei Planungsebenen
(strategische, taktische, operative Planung) auf?
6. Durch welche Merkmale kann der Informationsbedarf beschrieben werden?
7. Schildern Sie Methoden der Informationsbedarfsermittlung für die Unternehmungsführung.
8. Welche Aufgaben soll der Controller im Rahmen der informationellen Koordination
erfüllen?
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Der Klassiker zum Controlling.
Controlling: umfassend und bewährt
Auch nach über dreißig Jahren verfolgt dieses Buch weiterhin das ehrgeizige Ziel, mit jeder Neuauflage den »State of the Art« in Wissenschaft und Praxis des Controllings wiederzugeben. Unverändert geblieben ist dabei die Intention dieses Standardwerkes. Es liefert eindeutige Antworten auf drei umfassende Fragen:
* Was ist die Grundidee des Controllingkonzepts?
* Welche Aufgaben umfasst die Controllingfunktion?
* Wie wird die Controllingfunktion organisatorisch realisiert?
Höchste Autoren-Kompetenz
Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Péter Horváth gehört zu den renommiertesten Persönlichkeiten im Controlling. Er ist Vorsitzender des Aufsichtsrates einer Managementberatung und Gründungsherausgeber der Zeitschrift für Controlling.