Zeitschrift für Ideengeschichte
- doi.org/10.17104/1863-8937-2022-2
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Zusammenfassung
Die Zeitschrift für Ideengeschichte fragt nach der veränderlichen Natur von Ideen, seien sie philosophischer, religiöser, politischer oder literarischer Art. Herausragende Fachleute aus allen Geisteswissenschaften gehen in Originalbeiträgen der Entstehung, den zahlreichen Metamorphosen, aber auch dem Altern von Ideen nach. Dabei erweist sich manch scheinbar neue Idee als alter Hut. Und umgekehrt gilt es, in Vergessenheit geratene Idee neu zu entdecken.
Die internationale Politik der letzten Jahre, die sich erneuernden Wertedebatten und die intensiv erlebte Wiederkehr der Religionen lassen keinen anderen Schluß zu: Die politische und kulturelle Gegenwart wird von Ideen geprägt, spukhaft oft, doch mit enormer Wirksamkeit. Wer diese Gegenwart verstehen will, kommt nicht umhin, Ideengeschichte zu treiben.
Die Zeitschrift für Ideengeschichte wendet sich an die gebildete Öffentlichkeit. Darüber hinaus strebt sie als Forum der Forschung und Reflexion eine fachübergreifende Kommunikation zwischen allen historisch denkenden und argumentierenden Geisteswissenschaften an.
Die Zeitschrift für Ideengeschichte wird von den drei großen deutschen Forschungsbibliotheken und Archiven in Marbach, Weimar und Wolfenbüttel sowie dem Wissenschaftskolleg zu Berlin gemeinsam getragen. Mögen die Quellen der Zeitschrift im Archiv liegen, so ist ihr intellektueller Zielpunkt die Gegenwart. Sie beschreitet Wege der Überlieferung, um in der Jetztzeit anzukommen; sie stellt Fragen an das Archiv, die uns als Zeitgenossen des 21. Jahrhunderts beschäftigen.
- 4–4 Zum Thema 4–4
- Zum Thema Hannah Baader, Gerhard Wolf Hannah Baader, Gerhard Wolf
- 73–84 Essay 73–84
- 85–94 Archiv 85–94
- 95–114 Denkbild 95–114
- 105–114 Die Farbe Roth Gunilla Eschenbach, Sandra Richter Gunilla Eschenbach, Sandra Richter 105–114
- 115–127 Konzept & Kritik 115–127
Titelei/Inhaltsverzeichnis
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Zusammenfassung
Abstract
Zum Thema
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Zusammenfassung
«Es gibt keine schönere Straße auf der Welt als die zwischen Genua und La Spezia», und: «in jedem Moment eröffnen sich dem Reisenden neue Schönheiten», schrieb Charles Dickens 1846 in Pictures from Italy. Er preist die Gesteinsformationen der Steilküste, die Fülle der Vegetation, das glitzernde blaue Meer, die malerischen Orte. Über Treppenpfade steigt er nach Camogli hinab, einer Gemeinde von Seeleuten und Kapitänen, die Handelsschiffe über alle Ozeane segelten. In der Beschreibung der Kutschenfahrt, er ist im Januar unterwegs, über die Passstraße Richtung La Spezia evoziert er ein anderes, suggestives Bild aus Sturm, Regen und einem wilden Meer in der Tiefe.
Der ligurische Komplex
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Zusammenfassung
Da aus Gärten warf sich ihm der Krokus entgegen [...]. Am Mittelmeer die Safranfelder [...] arabisches Za-fara, griechisches Krokē [...] die Blütenmatte und das Alpental [...] Südlichkeiten, Überhöhung! [...] Orangengärten, gelbflammend [...]. Wo war sein Süden hin? Der Efeufelsen? Der Eukaluptos, wo am Meer? Ponente, Küste des Niedergangs, silberblaue die Woge her! […] Rönne sah sich um […]: Groß glühte heran der Hafenkomplex: Über die Felsen steigt das Licht, schon nimmt es Schatten an, die Villen schimmern und der Hintergrund ist bergerfüllt. [...] Europa, Asien Afrika [...] schon geschah ihm die Olive. Auch die Agave war schön, aber die Taggiaska kam, feinölig, die blauschwarze, schwermütig vor dem Ligurischen Meer. Himmel, selten bewölkt; Rosen ein Gefälle; durch alle Büsche der blaue Golf, aber die endlosen lichten Wälder, welch ein schattenschwerer Hain! Wurde um den Stamm das Tuch gebreitet, lag Arbeit vor [… es ] schlugen Männer [...] die Kronen, jäh den Früchten zugewandt.
Zur schwierigen Schönheit Liguriens
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Zusammenfassung
Unverhoffte Assoziationen setzte eine aus Kunstblumen gefertigte Installation Maria Fernanda Cardosos bei ihrer Betrachterin in Gang, wie diese im Jahr 2000 durch die Ausstellung Modern Starts: People, Places, Things im New Yorker Museum of Modern Art schlenderte. Die Kolumbianerin nannte ihr Werk zweisprachig Cementerio – Vertical Garden (1990–1999) und umriss, mit Bleistift, vertikal ausgerichtete Grabsteinsilhouetten auf einer hellen Graphitmauer, aus der horizontal lilienartige Plastikblumen zu wachsen schienen. Cardoso ruft mit ihrer Arbeit Schmerz und Trauma, Tod und Trauer in Erinnerung, indem sie die traurige Schönheit der Kolumbarienkunst kolumbianischer Friedhöfe nachempfindet und deren charakteristischen Kunstblumenschmuck als Hoffnungsschimmer ausstellt.
Das Haus. Die Wurzeln. Der Kosmos
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Das Haus ist die Villa Meridiana. Man erreicht es, indem man eine Seitenstraße entlang der Via Alessandro Volta, gleich außerhalb des Stadtzentrums, hinaufgeht. Sie liegt etwas erhöht an einem steilen Hang mit Blick auf das Meer. Ringsum Palmen. Davor erstreckt sich das kosmopolitische Sanremo der russischen Reisenden, mit seinem Hôtel des Anglais und dem Casino, welches schon seinerzeit – wir befinden uns am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts – eine der Attraktionen ist, Besucher in die Stadt bringen. Hinter der Villa ist die Welt jedoch eine andere; man braucht nur durch die kleine Tür zu treten, die zum Beudo (einem kleinen Kanal mit Pfad) führt, um sich auf dem Land wiederzufinden, wo die Sprachen, die man hört, nicht mehr die der reichen Touristen oder das Italienisch ihrer Gastgeber sind, sondern andere: der gutturale Dialekt der ligurischen Bauern, das Knallen und Pfeifen derer, die auf die Jagd gehen, und das «absurde Latein der Botaniker»,mit dem Mario Calvino über seine Pflanzen nachdenkt und welches er seinen Kindern beizubringen versucht.
Die Schule am Mittelmeer
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«Genua ist der Punkt, an dem man das Mittelmeer von Deutschland aus am schönsten erreicht. Dieses war der Gedanke […] als wir uns in Florenz entschlossen hatten, eine Schule aufzumachen und auf der Landkarte herumguckten, wo es wohl am günstigsten war […]. An die ligurische Seite der Küste war auch schon gedacht worden, aber keiner von uns war noch je dagewesen.» Die Suche nach einem geeigneten Haus hatte in Genua begonnen und sich als mühsam erwiesen. Erschöpft erklärte Hans Weil, der spätere Schulleiter, nach langen und vergeblichen Zugfahrten entlang der Küste, dass er am nächsten Ort aussteige. Dies war dann der «uns völlig unbekannte Ort Recco». Nach einigen Umwegen sei ihnen dort das später «Villa Palma» genannte Haus gezeigt worden. Hier sei schließlich 1934, so Weil in einer Schulansprache im Januar 1937, die «Schule am Mittelmeer» entstanden.
Genuas Königin
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Im 17. Jahrhundert war Genua, deren geografisches Gebiet Ligurien und Korsika umfasste, eine kleine, für den globalen Wirtschafts- und Finanzmarkt dennoch bedeutende Republik. Im 16. Jahrhundert hatte sie ihren geopolitischen Schwerpunkt vom Schwarzen Meer und östlichen Mittelmeer zum westlichen verlagert, indem sie unter anderem ihre letzten Kolonien in der Ägäis aufgab und durch Finanzierung der Spanischen Habsburger Karl V. und Philipp II. enorme Gewinne erzielte. Die Stadt florierte, die Bankgeschäfte boomten und die genuesischen Adelsfamilien, die Magnifici, wetteiferten darin, bei Künstlern und Architekten Kunstwerke und Paläste in Auftrag zu geben, die ihre Macht und ihren Reichtum demonstrieren sollten.
Das große Flickwerk. Ein Gespräch
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Maurizio Molinari: Wir befinden uns auf der Baustelle der Brücke in Genua, einer Brücke, die Sie erdacht, gewollt und konstruiert haben. Was ist das für ein Ort? Renzo Piano: Der Bau einer Brücke ist eine kollektive Anstrengung. Ich habe sie mir vorgestellt, aber über tausend Leute haben daran gearbeitet: Ingenieure, Architekten, Zimmerleute, Maurer, Schweißer, Kranführer. So eine Baustelle ist ein außergewöhnlicher Ort. Es ist wie beim Bau einer Kathedrale: Solche Werke werden entworfen, nehmen aber erst Gestalt an, wenn sie zu einem choralen Werk werden – wenn immer mehr Menschen in die Arbeit eingebunden werden. Mein Vater wurde hier, in Certosa, 1892 geboren. Als Kind kam ich nach dem Krieg oft hierher. Damals gab es noch keine Brücke. Dann wurde die Autobahnbrücke von Riccardo Morandi gebaut [1962–1967].
Nietzsches Ligurien
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«In Genua angelangt, stiegen wir unweit des Hafens, in demselben Gasthofe, einem alten Palazzo ab, und verbrachten dort einige Tage in regem Verkehr mit dem, ausserhalb der Fachgenossen und des Wagner-Kreises, noch ungenannten, unberühmten Professor aus Basel. […] [Wir] unternahmen […] zu dritt manch’ schöne Partie, von denen vor allen ein langer nächtlicher Spaziergang durch Genuas malerische Gassen und Gässchen als Lichtpunkt in meiner Erinnerung dasteht. Farbenreich und plastisch zugleich liess Nietzsches Wort Genuas Vergangenheit vor unsrem geistigen Auge wieder erstehn. Es erschloss uns das Verständniss für die Kunst der Renaissance und des Barocks, die der Stadt der Paläste, ‹Genova, la superba›, der einstigen Nebenbuhlerin Venedigs, ihren Stempel aufgeprägt. […]. Wie unbeschreiblich steigerte sich der Genuss an der malerischen Umgebung, wo Nietzsches Beredtsamkeit zum Zauber der Gegenwart noch die Schatten der mächtigen Vorzeit heraufbeschwor.»
Ein Album
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Kartographie Nicht nur Meer und Berge, auch die Gebirgsformationen von Alpen und Apennin stoßen in Ligurien zusammen. Beide Gebiete bestehen überwiegend aus Sedimentgestein, das heißt aus Ablagerungen eines älteren Ozeans. Orogenese – Gebirgsentstehung – und politische Geschichte im Anthropozän bilden demnach Allianzen, die den Blick auf die Kartographie eines «Ligurischen Komplexes» herausfordern, das Klima umfassen und auf Ökologie, Ökonomie und Ästhetiken zurückwirken. 1815 wurde der Küstenstreifen zwischen Nizza und La Spezia zusammen mit seinem bergigen Hinterland – weitgehend das heutige Ligurien – Teil des Königreiches Sardinien. Unter den Savoia fand ab 1816 eine Kartierung des Herrschaftsgebiets in mehreren Teilen statt. Die abgebildete Karte zeigt den westlich von Genua gelegenen Abschnitt der ligurischen «Landschaft», die Ponente.
Gegen den Trend. Auf Ginzburgs Spuren für die Leidenschaft der Anomalien
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Die Singularitäts-These Wer sich mit quantitativer Kulturgeschichte beschäftigt, für den ist Carlo Ginzburg, der mit seinem Werk solchen Geschichtsmodellen eine kompromisslose Absage erteilt, ein formidabler Sparring. «Die italienische Mikrogeschichte», schreibt er in seinem kleinen Manifest Mikrogeschichte, «ist aus dem Widerstand gegen das soeben erwähnte Geschichtsmodell [der Annales-Schule] erwachsen», das «mit Braudel als Rückhalt […] Mitte der siebziger Jahre zum Höhepunkt des Strukturfunktionalismus erhoben worden» war. Und was den Käse und die Würmer betrifft, sein Buch über Menocchio, einen Müller aus dem 16. Jahrhundert, der von der Inquisition verhört und hingerichtet worden ist, so «entsprang es einer Leidenschaft für die Anomalie» und strebte nach «einer wissenschaftlichen Erkenntnis der Einmaligkeit [singolarità]», deren Möglichkeit «für Braudel […] ausgeschlossen blieb:Der fait divers konnte sich allenfalls dadurch rehabilitieren, weil er als repetitiv […] typisch» galt.
Was ist der Fall? Eine Spieleröffnung
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Ich beginne mit einem Detail. «Manchmal», so Franco Moretti, lässt seine [meine] Sprache «an Carl Schmitt denken»: «Die Ausnahme ist interessanter als der Normalfall.» Moretti weist sofort darauf hin, dass mein Ansatz weltanschaulich meilenweit von Carl Schmitts entfernt ist. Zur Geschichte dieses Diktums gehört, dass Schmitt mit seiner Äußerung über die Ausnahme in einer Politischen Theologie einen Absatz eines nicht namentlich genannten «protestantischen Theologen» kommentiert. Dass es sich bei diesem um Sören Kierkegaard handelt, ist kein Geheimnis. Der zitierte Abschnitt stammt aus Kierkegaards Schrift Die Wiederholung – Schmitt lässt jedoch stillschweigend drei Sätze daraus unter den Tisch fallen.1 Zunächst fasst Kierkegaard die Beziehung zwischen Ausnahme und Regel ontologisch auf – doch dann legt er plötzlich ihr erkenntnistheoretisches Potential offen: «und wenn man das Allgemeine so richtig studieren will, braucht man sich bloß nach einer berechtigten Ausnahme umzusehen; sie zeigt alles viel deutlicher auf als das Allgemeine selbst.»
Häretiker im Weltbürgerkrieg. Delio Cantimoris historische Methode
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Zu den intellektuellen Ereignissen meines Studiums gehören die Vorlesungen von Valerio Marchetti, die ich in den späten 1990er Jahren an der Università di Bologna besuchte. Marchetti las damals über «Hermaphrodismus im 17. Jahrhundert». Ich war fasziniert von den gelehrten Debatten, in denen Theologen, Mediziner und Juristen über die Bedeutung abnormer Geschlechtsmerkmale gestritten hatten. Zu Beginn der 1980er Jahre war Marchetti nach Paris gegangen, hatte Foucault am Collège de France gehört und war als bekehrter Foucaultianer nach Italien zurückgekehrt. Als ich bei ihm studierte, war er mit der Herausgabe von Foucaults Vorlesung aus dem akademischen Jahr 1974/75, Les Anormaux, beschäftigt, die bald darauf bei Gallimard erschien. Nach über zehnjähriger Forschung kamen 2008 schließlich auch seine eigenen Untersuchungen unter dem sprechenden Titel L‘invenzione della bisessualità. Discussioni tra teologi, medici e giuristi del XVII secolo sull‘ambiguità dei corpi e delle anime heraus.
Ton Steine schreiben
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Im Leben können sich immer wieder Kreise auf bemerkenswerte und teils auch unerwartete Weise schließen. Bei Claudia Roth, der amtierenden Kulturstaatsministerin, scheint dies so zu sein. Der subkulturellen bayrischen Szene schon in jungen Jahren direkt nach dem Abitur in Ulm als Dramaturgie- und Regieassistentin zugetan, folgten einige Semester Theaterwissenschaft in München und erste Tätigkeiten als Dramaturgin an den Städtischen Bühnen Dortmund. Bekannt wurde sie jedoch als Managerin der Politrockband Ton Steine Scherben von 1982 bis 1985, ehe sie sich auf eine Stellenanzeige in der alternativen taz als Pressesprecherin für die damals noch junge Partei «Die Grünen» bewarb und in der Folgezeit für «Bündnis 90 / Die Grünen» eine atemberaubende politische Karriere hinlegte, die bislang in der Wahl zur Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages gipfelte. Bislang. Denn die Kultur kam zurück, mit voller Wucht und mit dem wichtigsten politischen Amt, das unser Land dafür zu vergeben hat.
Die Farbe Roth
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«KAPUTT-SCH» und «KAPPUCI-NO» mit drei Ausrufezeichen notiert Rio Reiser ganz oben auf den ersten Seiten einer Arbeitskladde für das Theaterstück Märzstürme aus dem Jahr 1981.1 Streng poetologisch handelt es sich um Ein-Wort-Verse, die unter einander stehen, gefolgt von einer dreifachen Exklamation. Hinter den rebellischen Tönen versteckten sich bei Ralph Christian Möbius, der seinen Künstlernamen aus Karl Philipp Moritz’ Anton Reiser herleitete, literarische Ambitionen. Der Punk als bundesrepublikanischer Bildungsroman: Seine Ein-Wort-Verse reichert Rio Reiser durch ein Datum an, das die Versordnung zu sprengen scheint: «März Mars [Bringt verbrauchte Energie sofort zurück!!!] MARSCH ARSCH / 13 / NEIN / 9 / ZEN ?ZINN? ZEN / HUND / HUNN / ER DER / TZW / ZWANGS / N / ICH??? /ZICH».
Die Italo-Berlino-Fraktion
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Im ersten Band seiner Autobiographie Die gerettete Zunge berichtet Elias Canetti, wie er im Frühjahr 1917 auf dem Weg zur Kantonsschule in Zürich einem Herrn begegnete, der seinen Hund «Dschoddo» rief. Er erfuhr, dass es sich um den Komponisten Ferruccio Busoni handelte und der Hund Giotto hieß. Busoni, durch den Kriegseintritt Italiens auf Seiten der Entente zum «feindlichen Ausländer» geworden, hatte Berlin verlassen müssen und war in die Schweiz gezogen. Er kehrte 1920 in seine Wohnung am Viktoria-Luise-Platz zurück. Der Ausbruch der schweren psychischen Erkrankung, die das Leben des Kunsthistorikers Aby Warburg von November 1918 bis 1924 zeichnete, fiel mit dem Ende des Ersten Weltkriegs nicht nur äußerlich zusammen. «Der Krieg erregte Warburg maßlos», schrieb sein Hausarzt in der Anamnese und meinte damit nicht nur die patriotischen Empfindungen des Patienten, der zeitweilig erwog, als Dolmetscher ins Feld zu ziehen.
Mamma Mia
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Zusammenfassung
Meine Schwiegermutter stammt aus dem Städtchen Forlì in der Emilia-Romagna und lebt seit vielen Jahren in Stuttgart. Sie ist bestens integriert und hofft, dass Deutschland nicht so wird wie Italien. Wäre da nicht die Betonung von «beobáchten» auf der dritten Silbe, würde man ihre Herkunft kaum erahnen. Im Herzen ist meine Schwiegermutter allerdings stolze Italienerin, überzeugt von den großartigen Leistungen ihrer Landsleute in Vergangenheit und Gegenwart. Auf die italienischen Spuren in der Weltgeschichte wird man von ihr dann auch regelmäßig hingewiesen. Die italienisch-mediterrane Küche ist nicht nur gesund, sondern wohlschmeckend wie keine andere; kein Design ist so elegant wie Mailänder Mode und Möbel, keine Mannschaft trägt ein so schönes Azurblau wie eben die squadra azzurra; nirgendwo macht das Flanieren so viel Vergnügen wie in der Via Condotti zwischen Via del Corso und Spanischer Treppe in Rom.
Der toskanische Komplex
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Zusammenfassung
Nach 1945 haben die archäologischen, kunsthistorischen und historischen Institute wie auch das Studienzentrum in Venedig und die Casa di Goethe in Rom die abgerissenen Fäden der langen Beziehung zwischen Deutschland und Italien aufgenommen und wieder zusammengeführt. Als Einzelfigur aber überragt Klaus Wagenbach. Bereits 1988 wurde er zum Cavaliere del merito der italienischen Republik ernannt und 2001 mit dem Großen Verdienstkreuz der Bundesrepublik ausgezeichnet. An seinem Todestag meldeten die Tagesschau und deren italienische Pendants in Rai 1 und TG1 seinen Tod, und am folgenden Tag publizierten die wichtigsten Tageszeitungen beider Länder teils aufwändige Würdigungen. In seinem neben Berlin zweiten Wohnsitz, dem geliebten toskanischen Dorf in der Nähe von Montepulciano, läuteten bei Bekanntwerden seines Todes die Glocken.
Die Autorinnen und Autoren
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