Vahlens Handbücher – Bruhn – Relationship Marketing (3. Aufl.) – Hersteller: Frau Deuringer
Stand: 26.10.12 Status: Druckdaten Seite 1
1. Grundlagen des Relationship Marketing
1.1 Bedeutung und Entwicklung des Relationship Marketing
Der kontinuierliche Wandel der wirtschaftlichen und wettbewerblichen Rahmenbedingungen bedingt eine entsprechende Veränderung in der Ausrichtung des Marketing. So verändern sich die Aufgaben des strategischen Managements im Zeitablauf,
beispielsweise bezüglich der Erfolgsfaktoren von Unternehmen und des Einsatzes von
Analyseinstrumenten der Unternehmensführung. Bei einer groben Vereinfachung
lassen sich die in Schaubild 1-1 wiedergegebenen Entwicklungsphasen der Unterneh
mensführung unterscheiden (Meffert 1999a; Bruhn 2006a; Meffert/Burmann/Kirchgeorg
2012):
(1) In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg waren aus Unternehmenssicht keine Engpässe am Markt vorhanden, sodass Nachfrageüberhänge auf den Märkten existierten und die produzierten Waren in der Regel problemlos abgesetzt werden konnten. Demnach waren die Unternehmensaktivitäten durch eine Produktorientierung
gekennzeichnet, da hauptsächlich jene Unternehmen erfolgreich waren, die eine
Massenproduktion und somit eine weitgehende Befriedigung der vorhandenen
Nachfrage ermöglichen konnten. Eine Unternehmensführung auf Basis der vor-
1. Grundlagen des Relationship Marketing
1.1 Bedeutung und Entwicklung des Relationship Marketing
Produktorientierung
Marktorientierung
Kundenorientierung
1950er/60er Jahre
Wettbewerbsorientierung
1970er Jahre 1980er Jahre 1990er Jahre
Zeit
Methoden
Produkt-Markt-
Matrix
Portfolioanalyse
Marktsegmentierung
Positionierung
Konkurrenzanalyse
Wertkettenanalyse
Qualitätsmessung
Kundenbarometer
Kundenwertermittlung
Netzwerkorientierung
ab 2000
Netzwerkübergreifende Anwendung
von Methoden
Schaubild 1-1: Entwicklungsphasen der Unternehmensführung
(Quelle: Bruhn 2006a, S. 36; Meffert/Burmann/Kirchgeorg 2012, S. 8)
1. Grundlagen des Relationship Marketing2
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handenen Produkte, das Denken in der Produkt-Markt-Matrix, der Einsatz der
Portfolioanalyse u.a. waren das Kennzeichen der 1950er und 1960er Jahre.
(2) In den Folgejahren war ein grundlegender Wandel vom Verkäufer- zum Käufermarkt zu beobachten. Angesichts eines Überangebots an Waren und allgemeiner
Sättigungserscheinungen wurde zunehmend der Nachfrager zum Engpass. Infolge dieser Entwicklungen erkannten viele Unternehmen die Notwendigkeit einer
Marktorientierung, um die Bedürfnisse spezifischer Zielgruppen anzusprechen und
diese zum Kauf der Unternehmensleistungen zu bewegen. Der Einsatz von Methoden der Marktforschung zur Segmentierung von Märkten, der Positionierung von
Unternehmensleistungen u.a. konnte in den 1970er Jahren beobachtet werden.
(3) Aufgrund der zunehmenden Angleichung der Marketingaktivitäten und homogener Leistungen wurde es immer schwieriger, durch die alleinige Ausrichtung
am generellen Kundenwunsch am Markt erfolgreich zu sein. Die Herausforderungen im Absatzmarkt erweiterten sich insofern, dass die Profilierung und Abgrenzung des eigenen Angebots gegenüber den Wettbewerbern im Rahmen einer
Wettbewerbsorientierung eine zentrale Bedeutung erlangte. Das „Denken im strategischen Dreieck“ (Unternehmung – Kunde – Wettbewerber) zur Sicherung des
Unternehmenserfolges wurde in dieser Phase insbesondere durch die Beiträge von
Porter angeregt (vgl. Porter 1989). Hier standen in den 1980er Jahren Verfahren zur
Identifizierung von strategischen Wettbewerbsvorteilen, wie etwa die Konkurrenzanalyse, Wertkettenanalyse u.a., für die strategische Ausrichtung von Unternehmen zur Verfügung.
(4) Seit den 1990er Jahren wurde eine Abgrenzung vom Wettbewerb allein durch die
Befriedigung allgemeiner Kundenbedürfnisse immer schwieriger. Vielmehr erwarteten Kunden zunehmend eine individuelle Behandlung, sodass die Unternehmen verstärkt dazu übergingen, in Form einer Kundenorientierung ihre Aktivitäten an den spezifischen Bedürfnissen des einzelnen Kunden auszurichten. Diese
nach wie vor relevante Entwicklung lässt sich vor allem durch Veränderungen im
Konsumentenverhalten begründen, wie die zunehmende Heterogenität der Kundenerwartungen oder die Hybridisierung des Konsumentenverhaltens. Die Folge
ist eine in vielen Märkten anzutreffende Bereitschaft der Kunden, im Hinblick auf
bestimmte Leistungen die Anbieter häufig zu wechseln. Die Zufriedenheit und die
Bindung der Kunden sind zu zentralen Erfolgsgrößen im strategischen Management geworden. Auch hier steht der Einsatz spezieller Verfahren im Vordergrund,
beispielhaft seien die vielfältigen Methoden zur Erfassung von Qualitätsmerkmalen, Erhebung von Kundenbarometern, Ermittlung von Kundenwerten u.a. genannt.
(5) Schließlich ist die Situation der Unternehmen seit Beginn des neuen Jahrtausends
durch eine starke Globalisierung und zunehmende Bedeutung von Informationsund Kommunikationstechnologien, die zu einem Hyperwettbewerb führen, gekennzeichnet. In der Folge tritt in der Zukunft bei der Unternehmensführung
vermehrt eine Netzwerkorientierung in den Mittelpunkt. Kleine, früher regionale
Unternehmen bauen zur Stärkung ihres Know-hows strategische Netzwerke auf.
Große Unternehmen versuchen, ihre Wettbewerbsposition zu sichern, indem sie
strategische Allianzen eingehen. Es entstehen zunehmend firmen- und funktionenübergreifende Kooperationen zwischen Unternehmen eines Marktes oder unterschiedlicher Märkte (Meffert 1999a). Im Hinblick auf den Methodeneinsatz werden im Zuge der Netzwerkorientierung keine gänzlich neuen Methoden eingesetzt.
31.1 Bedeutung und Entwicklung des Relationship Marketing
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Vielmehr erfolgt eine Anwendung bestehender Methoden auf das gesamte Netzwerk, wie z.B. Wertkettenanalysen oder Controllingansätze (Weber 1999; Backhaus/
Voeth 2009).
In den letzten zehn Jahren hat sich in der Marketingpraxis die Kundenorientierung als
eine Ausprägung des Relationship Marketing zur Maxime der Marketingaktivitäten
entwickelt. Gegenstand des Relationship Marketing ist dabei die strategische Steue
rung von Kundenbeziehungen. In diesem Zusammenhang setzt sich eine Kundenbe
ziehung aus verschiedenen Beziehungsepisoden zusammen (Bitner/Hubbert 1994; Rust/
Oliver 1994; Liljander/Strandvik 1995; Dagger/Sweeney 2007). Eine Episode besteht wiederum jeweils aus mehreren Einzeltransaktionen, die abgrenzbare Teilleistungen darstellen (vgl. auch Bauer 2000; Kleinaltenkamp/Kühne 2003). Verschiedene Episoden sind
dabei identisch, d.h. sie setzen sich aus genau den gleichen Transaktionen zusammen,
oder sind inhaltlich unterschiedlich, wenn die Einzeltransaktionen der Episoden nicht
deckungsgleich sind. Die Zusammenhänge verdeutlicht Schaubild 1-2. Die Beziehung
zu einem Hotel fügt sich zusammen aus mehreren Hotelaufenthalten, die die Episoden der Beziehung darstellen. Jede dieser Episoden besteht wiederum aus einer Reihe
von abgrenzbaren Einzeltransaktionen wie dem Check-in, einem Abendessen, dem
Zustand des Zimmers u.a.m.
Mit der Tendenz eines zunehmenden Denkens in Kundenbeziehungen geht die Hervorhebung der Kundenbindung als das zentrale Ziel der Marketingaktivitäten einher
(Homburg/Bruhn 2010). Diese Fokussierung ist auf die Überzeugung zurückzuführen,
dass Kundenbindung sowohl auf der Erlös- als auch auf der Kostenseite ökonomischen Erfolg verspricht (Reichheld/Sasser 1990; Stauss 1992; Rust/Zahorik/Keiningham
1994; Blattberg/Deighton 1996; Zeithaml/Berry/Parasuraman 1996; Anderson/Fornell/Rust
1997; Hadwich 2003; Krafft 2007). Auf der Erlösseite werden der Kundenbindung sowohl
Absatz- als auch Preiswirkungen zugesprochen. Zunächst soll die Bindung eines Kunden zur Sicherung des bestehenden Absatzes eines Unternehmens beitragen. Darüber
hinaus ist es möglich, bei gebundenen Kunden Kauffrequenzsteigerungen zu erzielen
und Cross Selling-Potenziale zu realisieren (Krafft/Götz 2010). Als Folge ergibt sich das
Potenzial zusätzlicher Absatzsteigerungen. Außerdem wird von einer Steigerung der
Preisbereitschaft gebundener Kunden ausgegangen, da sie für die Risikoreduktion zur
Zahlung von so genannter „Price Premiums“ bereit sind (Narayandas 1998; Diller 2006;
Vogel 2006). Auch konnte ein Einfluss der Kundenorientierung auf die Zahlungsbereitschaft nachgewiesen werden (Wieseke/Dickmann 2007). Eine veränderte Zahlungsbereitschaft – z.B. verursacht durch ein im Laufe der Jahre steigendes Einkommen – kann
durch das Unternehmen auch für Up Selling-Aktivitäten genutzt werden, wenn gebundene Kunden nach anfänglicher Nutzung günstiger Leistungen zu einem späteren
Zeitpunkt in der Kundenbeziehung zu höherwertigen Angeboten des Unternehmens
Episode 1: Mai Episode 2: August Episode 3: Dezember ...
Beziehung zu einem Hotel
Zimmer Check-out
Checkin
Abendessen
Checkout
Checkin Zimmer
Checkin
Zimmer Check-out
Frühstück
Schaubild 1-2: Zusammensetzung einer Kundenbeziehung aus Episoden und Transaktionen
1. Grundlagen des Relationship Marketing4
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wechseln. Insgesamt wird davon ausgegangen, dass die Bindung von Kunden an das
Unternehmen zu steigenden Erlöszahlen führt.
Auf der Kostenseite werden darüber hinaus Kostensenkungspotenziale angeführt, die
auf Erfahrungseffekte zurückzuführen sind (Duffy 2003). Zum einen beinhaltet die Bearbeitung gebundener Kunden aufgrund von Erfahrungseffekten beim Unternehmen
Kosteneinsparungspotenziale im Vergleich zur Bearbeitung neu gewonnener Kunden
(Finkelman/Goland 1990). Zum anderen trägt der Kunde in zahlreichen Branchen aufgrund seiner Erfahrung mit dem Anbieter zur Steigerung der Effizienz der Leistungserstellung bei. In diesem Zusammenhang wird auch von „Learning Relationships“ gesprochen, die mit der Zeit intensiver und für beide Seiten effizienter werden (Peppers/
Rogers 1997; Lingenfelder/Fisbeck 2000).
Neben den direkten Erfolgswirkungen der Kundenbindung auf die Beziehung zum
betrachteten Kunden werden häufig auch die indirekten Erfolgswirkungen auf andere
Kundenbeziehungen hervorgehoben. Es wird argumentiert, dass verbundene Kunden
das Unternehmen unter Umständen weiterempfehlen beziehungsweise anderen potenziellen und aktuellen Kunden selten vom Anbieter abraten (Boulding et al. 1993). Diese
MundzuMundKommunikation zeichnet sich durch ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit aus, da sie nicht vom Anbieter selbst, sondern durch unabhängige Dritte ausgeht
(Eggert/Helm/Garnefeld 2007; Markert 2008). Der Mund-zu-Mund-Kommunikation werden indirekte Erlöswirkungen zugesprochen, da ohne direkte Aktivitäten des Anbieters
Kundenabwanderungen vermieden und Neukunden akquiriert werden können.
Diese auf Plausibilitätsüberlegungen basierende Argumentation wurde durch empiri
sche Ergebnisse für einzelne Unternehmen oder Branchen untermauert:
• Im Rahmen einer Befragung der BBDO im Jahr 2009 wurden 300 Marketingentscheider bezüglich der aus ihrer Sicht wichtigsten Marketingtreiber beziehungsweise Erfolgsfaktoren befragt. Mit 18 Prozent wurde die Kundenbindung als wichtigster Erfolgsfaktor identifiziert (BBDO 2009).
• Die Resultate einer amerikanischen branchenübergreifenden Studie zeigen, dass
eine Verminderung der Kunden-Abwanderungsrate um fünf Prozent Gewinnsteigerungen um 25 bis 85 Prozent zur Folge hat (Reichheld/Sasser 1990). Dazu trug
eine Senkung der kundenbezogenen Transaktionskosten zwischen dem ersten und
zweiten Jahr der Unternehmen-Kunde-Beziehung bei. Bei einem Finanzdienstleister wurden beispielswiese in diesem Zeitraum die Kosten um ca. 60 Prozent reduziert. Dies ist auf der einen Seite auf gesteigerte Kenntnisse und Erfahrungen der
Kunden bezüglich der Leistung zurückzuführen. Auf der anderen Seite verfügte
der Dienstleister über ein umfangreicheres Wissen bezüglich der Präferenzen des
Kunden (Reichheld/Sasser 1990). Diese Resultate bestätigen die Erlös und Kosten
wirkungen der Kundenbindung. Schließlich wurde innerhalb der Studie auch die
Entwicklung einiger der beschriebenen Erfolgsgrößen im Laufe einer Kundenbeziehung untersucht. Die entsprechenden Ergebnisse bezüglich der Erfolgswirkungen
der Kundenbindung unter Berücksichtigung der Effekte der Mund-zu-Mund-Kommunikation zeigt Schaubild 1-3.
• Eine Studie von Krafft, Hoyer und Reinartz (2002) untersuchte die Konsequenzen
eines Customer Relationship Managements (CRM; vgl. zur Begriffsabgrenzung Abschnitt 1.2). Das untersuchte CRM-Konzept setzt sich aus der Kundengewinnung
(Kundenakquisition und -rückgewinnung), der Bindung und Intensivierung von
Kundenbeziehungen sowie der Beendigung von Kundenbeziehungen zusammen.
51.1 Bedeutung und Entwicklung des Relationship Marketing
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Branchenübergreifend zeigt sich, dass ein intensiverer Einsatz des CRM-Systems einen höheren qualitativen (Kundenzufriedenheit, Kundenbindung usw.) und ökonomischen (Profitabilität, Wachstum usw.) Erfolg bedingt (Krafft/Hoyer/Reinartz 2002).
• Die Bedeutung der Kundenbindung zeigt sich auch in einer Studie von Reinartz,
Thomas und Kumar (2005), bei der der Return on Investment für verschiedene Szenarien der Marketingbudget-Allokation berechnet wurde. Als Ergebnis ließ sich ableiten, ca. 75 Prozent des Marketingbudgets für Kundenbindungsmaßnahmen und
lediglich ca. 25 Prozent für Maßnahmen der Kundenakquisition zu investieren, um
den Unternehmensgewinn zu maximieren. Maßnahmen zur Beendigung von Kundenbeziehungen fanden in dieser Studie keine Berücksichtigung. Diese Gewichtung zeigt zumindest indirekt die große Bedeutung der Kundenbindung (Reinartz/
Thomas/Kumar 2005).
• Ebenfalls für das Relationship Marketing interessante Resultate liefert eine Studie,
bei der die finanziellen Auswirkungen verschiedener Formen von Kundenbindungsmaßnahmen untersucht wurden. Finanzielle Maßnahmen, wie beispiels weise Rabatte oder Belohnungssysteme für den Kunden verfügen dieser Untersuchung zufolge
über keine wirtschaftlichen Erfolgswirkungen. Dagegen liefern so genannte „Social Relationship Marketing Programs“, die z.B. persönliche Infor mationen für den
Kunden beinhalten, mit einem Return on Investment von 78 Prozent den höchsten
kurzfristig gemessenen Erfolg. Daneben wurden noch Maßnahmen untersucht, die
einen Einfluss auf die Unternehmensstruktur ausüben, wie z.B. ein kundenspezifisches Bestellsystem und ein fester Ansprechpartner für den jeweiligen Kunden. Hier
wurde eine Rendite von 23 Prozent erzielt, wobei dies aber nur für Kunden zutraf,
die regelmäßig mit dem Unternehmen in Interaktion traten. Somit untermauert auch
diese Studie die Vermutung positiver ökonomischer Auswirkungen eines gezielten
Relationship Marketing (Palmatier/Gopalakrishna/Houston 2006).
• Der enge Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und der Performance
eines Unternehmens zeigte sich auch in einer Studie von Morgan und Rego (2006).
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Basisgewinn
Erfolgsbeitrag aus
Cross Selling-Angeboten
Erfolgsbeitrag aus Preiszuschlägen
Erfolgsbeitrag aufgrund
von Weiterempfehlungen
Erfolgsbeitrag aufgrund geringerer
Betriebskosten
Kosten der
Kundenakquisition
Kundenbezogener
Gewinn
Jahre
Schaubild 1-3: Entwicklung von Nutzenkategorien im Verlauf einer Kundenbeziehung
(Quelle: Reichheld/Sasser 1990; 1991, S. 111)
1. Grundlagen des Relationship Marketing6
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In dieser wurde nachgewiesen, dass es möglich ist, von vorökonomischen Grössen
wie der Kundenzufriedenheit und der Kundentreue auf verschiedene ökonomische
Unternehmenskennzahlen wie z.B. das Umsatzwachstum oder den Shareholder
Value zu schließen (Morgan/Rego 2006).
• Eine von der Unternehmensberatung Roland Berger durchgeführte Studie kam zu
dem Ergebnis, dass die Bindung profitabler Kunden einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren ist, noch vor der Leistungsqualität und einer vorteilhaften Kostenstruktur.
Dabei planten 62 Prozent der befragten Unternehmen Budgetsteigerungen für Maßnahmen der Kundenbindung, wobei bei 22 Prozent eine Erhöhung um mehr als
20 Prozent vorgesehen wurde. Voraussetzung für die Effektivität der getroffenen
Maßnahmen ist die Übereinstimmung mit den strategischen Zielen, die Kundenakzeptanz, die Einbindung in den gesamten Marketingmix und die Quantifizierbarkeit der Effekte (Roland Berger 2003b).
• Die herausragende Bedeutung der Kundenbindung untermauert auch eine Studie
von Gupta, Lehmann und Stuart (2004). Sie wiesen nach, dass eine Erhöhung der Kundenbindungsrate um ein Prozent den Wert der Kunden zwischen drei und sieben
Prozent und den Firmenwert um fünf Prozent steigert. Im Vergleich dazu führte eine Reduzierung der Kosten für Maßnahmen zur Kundenakquisition um ein
Prozent lediglich zu einer Erhöhung des Firmenwertes um ebenfalls ein Prozent
(Gupta/Lehmann/Stuart 2004).
• Eine weitere Studie belegt, dass die Kundenbindung auch im Business-to-Business-
Bereich stetig an Bedeutung zunimmt. Mit Händlerclubs (z.B. Märklin-Händler-
Initia tive) oder mit Unternehmensclubs (z.B. Bonusprogramm der Internationalen
Spielwarenmesse in Nürnberg) wird versucht, die bestehenden Geschäftsbeziehungen zu halten und auszubauen. Bei einer Befragung wurde der Kundenbindung
bei den durch Marketinginstrumente beeinflussbaren Faktoren mit 91 Prozent der
Nennungen eine hohe Bedeutung beigemessen (Kreutzer 2005).
• Reimann, Schilke und Thomas (2010) weisen in ihrer Studie den positiven Einfluss
von CRM auf den Unternehmenserfolg nach. Jedoch zeigen sie auch, dass dieser
Einfluss indirekt verläuft. CRM hat einen positiven Einfluss auf den Grad der Differenzierung vom Wettbewerb und auf die potentielle Kostenführerschaft, die wiederum einen positiven Einfluss auf den Unternehmenserfolg ausüben (Reimann/
Schilke/Thomas 2010).
• Die Erlöswirkung der Kundenzufriedenheit konnte auch in einer empirischen Untersuchung bei Kunden eines Versandhandelsunternehmens bestätigt werden. Die
Studie kam zu dem Ergebnis, dass loyale Kunden mehr bestellen, weniger Bestellungen zurückgehen lassen und zudem das Unternehmen signifikant häufiger weiterempfehlen (Sinha/DeSarbo/Young-Helou 1999).
• Auch das rasante Wachstum von Social Media-Plattformen wie Facebook hat einen
Einfluss auf das Relationship Marketing und die Kundenbindungsmaßnahmen von
Unternehmen. So zeigt eine Studie der Strategieberatung Keylens, dass 46,1 Prozent
der 502 Befragten zufolge Kundenprogramme durch Social Media an Attraktivität
gewinnen (o.V. 2011a). Dies impliziert, dass Unternehmen in Zukunft aufgefordert
sind, vermehrt Social Media-Maßnahmen zu entwickeln, die zur Bindung der Kunden eingesetzt werden können.
Eine Zusammenfassung des Marketingwandels vom Transaktionsmarketing zum Relationship Marketing aufgrund der Veränderungen der Märkte, der Konsumenten sowie
der neuen Erkenntnisse der Marketingwissenschaft wird in Schaubild 1-4 gegeben.
71.1 Bedeutung und Entwicklung des Relationship Marketing
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Die Ergebnisse der erwähnten Studien, auf deren Methodik an dieser Stelle nicht explizit eingegangen werden soll und die für die untersuchten Einzelfälle die hohe Bedeutung von Kundenbindung bestätigen, haben in der Praxis zur Auffassung geführt,
dass Kunden in den verschiedenen Phasen ihrer Beziehung zum Unternehmen für
dieses eine unterschiedliche ökonomische Bedeutung aufweisen. Dieser Sachverhalt
wird häufig (plakativ) durch die in Schaubild 1-5 dargestellten Beziehungsphasen veranschaulicht. Nachdem ein Kunde gewonnen wurde, kann sich die Beziehung zum
Unternehmen in Abhängigkeit von der Kundenzufriedenheit in zwei grundsätzlich
unterschiedliche Richtungen entwickeln. Gelingt es dem Unternehmen, den Kunden
nachhaltig zufriedenzustellen, kann er im Idealfall ein „Enthusiast“, bezogen auf das
Unternehmen, werden, indem er sämtliche Unternehmensleistungen in hohem Maße
beansprucht, keine Konkurrenzangebote berücksichtigt und das Unternehmen häufig
an Freunde und Bekannte weiterempfiehlt. Bei negativer Zufriedenheitsentwicklung
ist es dagegen möglich, dass der Kunde sogar ein „Terrorist“ bezüglich des Unternehmens wird, indem er dem Unternehmen nicht nur Kosten verursacht, sondern auch
noch anderen aktuellen und potenziellen Kunden vom Anbieter abrät.
Es wird deutlich, dass für Unternehmen eine Orientierung an gesamten Kundenbe
ziehungen anstatt an einzelnen Transaktionen mit den Kunden erforderlich ist. Dies
impliziert, dass eine Verknüpfung einzelner Transaktionen hergestellt werden muss,
da nur auf diese Weise z.B. die Kostensenkungspotenziale der Kundenbindung genutzt werden können. Bei einem Kunden, der vor jeder Transaktion „neu akquiriert“
wird, weil es dem Unternehmen nicht gelingt, frühere Transaktionen zur Beziehungsfortführung oder -ausweitung zu nutzen, fallen dem Unternehmen vor jeder neuen
Transaktion zusätzliche Akquisitionskosten (z.B. zur Kundenansprache im Rahmen
der Unternehmenskommunikation) an. Wenn ein Unternehmen außerdem die Infor-
Empirische Erkenntnisse
Veränderungen der
Konsumenten
Veränderungen der Märkte
Information durch den
Kunden als Wettbewerbsvorteil
Höhere Wechselbereitschaft
Sättigung der Märkte
Kosten des Haltens bestehender Kunden geringer als
Akquisition neuer Kunden
Hybrides KaufverhaltenWeniger Möglichkeiten zur
Differenzierung aufgrund
größerer Variantenanzahlen
Mitteilungsverhalten zufriedener vs. unzufriedener
Kunden
Größerer IndividualismusVerstärkter Preiskampf: Hohe
Qualität zu niedrigen Kosten
möglich
Höhere Profitabilität loyaler
Kunden
Höhere Ansprüche bei der
Erfüllung von Wünschen
Technologische Vorteile
schrumpfen durch homogene
Produktionstechniken
Wandel von Verkäufer- zu Käufermärkten-
Beziehungsorientierung zur Differenzierung und langfristigen Kundenbindung
Schaubild 1-4: Gründe des Wandels vom Transaktionsmarketing zum
Relationship Marketing
1. Grundlagen des Relationship Marketing8
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mationen über einen Kunden (z.B. bezüglich seiner Leistungsnutzung) nicht jederzeit
abrufbar speichert, müssen diese in jeder Transaktion neu aufgenommen werden.
Neben der Praxisperspektive im Hinblick auf Kundenbeziehungen lässt sich eine intensive Auseinandersetzung in der Marketingwissenschaft mit Überlegungen zu Kundenbeziehungen und dem Themenbereich Relationship Marketing feststellen. Hierbei
können verschiedene Herkunftslinien und Entwicklungstendenzen des Relationship
Marketing differenziert werden (vgl. Schaubild 1-6):
• Zunächst begann Bagozzi (1974; 1975) Mitte der 1970er Jahre, Marketingaktivitä
ten als Austauschprozesse zwischen Anbieter und Nachfrager aufzufassen. Damit
schuf er die Basis für eine spätere Konzeptionierung des Relationship Marketing, in
dessen Rahmen der wiederholte und systematische Austausch von Leistungen und
Gegenleistungen eine wesentliche Rolle spielt.
• Ausgehend von der Auffassung, dass sich eine Kundenbeziehung aus verschiedenen Austauschprozessen zusammensetzt, stellt sich die Frage, inwiefern sich eine
Kundenbeziehung im Zeitablauf verändert. In diesem Zusammenhang lassen sich
verschiedene Beziehungsphasen differenzieren, die erstmals Anfang der 1980er
Jahre diskutiert wurden (Ford 1980; Dwyer/Schurr/Oh 1987).
• Die Möglichkeit einer Differenzierung unterschiedlicher Phasen innerhalb einer
Beziehung macht die explizite Gestaltung eines Beziehungsmarketing beziehungsweise Relationship Marketing erforderlich, das unter diesen Begriffen erstmals im
Forschungsgebiet des Dienstleistungsmarketing in den frühen 1980er Jahren anzutreffen war (Berry 1983).
• Insbesondere im industriellen Bereich wurde um 1990 festgestellt, dass Austauschprozesse häufig nicht nur zwischen zwei einzelnen Austauschpartnern stattfinden,
sondern teilweise auch zwischen mehreren Partnern, die direkt oder indirekt miteinander in Kontakt stehen. In der Folge wurden die Merkmale von Interaktionen
Schaubild 1-5: Phasen einer Kundenbeziehung
Emigrant
Wackelkandidat
Dauer der Kundenbeziehung
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Aspirant
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Unzufriedene Kunden
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Stand: 26.10.12
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Schaubild 1-6: Entwicklungsrichtungen und Forschungsschwerpunkte zum Relationship Marketing
Konsumgütermarketing
Industriegütermarketing
Dienstleistungsmarketing
Kern 1990
Ford 1990
Backhaus 2009
Interaktionen/Netzwerke
Jacoby/Chestnut 1978
Diller 1996
Homburg/Bruhn 2010
Kundenbindung
Morgan/Hunt 1994
Liljander/Strandvik 1995
Beziehungskonstrukte
Stauss 1997
Strandvik/Törnroos 1997
Bruhn/Michalski 2003
Beziehungsbeendigung
Sheth/Parvatiyar 1995
Fournier 1998
Beziehungen zu Marken
1970 1980 1990 2000 2010
Bagozzi 1974
Bagozzi 1975
Ford 1980
Dwyer/Schurr/Oh 1987
Marketing als Austausch
Beziehungsphasen
Berry 1983
Gummesson 1987
Grönroos 1994
Relationship Marketing
Schultz 1999
Crosby/Johnson 2001
Walsh/Gilmore/Carson 2004
Leverin/Liljander 2006
Wirtschaftlichkeit des
Relationship Marketing
Palmatier/Scheer/Houston/
Evans/Gopalakrishna 2006
Palmatier/Dant/Grewal/Evans
2006
Gupta/Zeithaml 2006
Reimann/Schilke/Thomas
2010
Beziehungen und
ökonomischer Erfolg
McEwen 2004
Hess/Story 2005
Veloutsou 2007
Veloutsou 2009
Bindungsinstrumente und
-konstrukte für Marken
Entwicklungsrichtungen
Zeit
1. Grundlagen des Relationship Marketing10
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Stand: 26.10.12 Status: Druckdaten Seite 10
sowie Netzwerken Gegenstand weiterer Forschungen zum Relationship Marketing
(Ford 1990; Kern 1990).
• In der Folge einer Auseinandersetzung mit Kundenbeziehungen ist Anfang der
1990er Jahre die Kundenbindung als Marketingzielgröße in den Mittelpunkt der
Marketingforschung getreten (Diller 1996; Homburg/Bruhn 2010).
• Das Relationship Marketing, das zunächst nur im Industriegüter- und Dienstleistungsbereich Anwendung fand, wird seit Ende des letzten Jahrtausends auch für
Konsumgüter konzipiert und umgesetzt, indem Beziehungen zu Marken als Forschungsgegenstand betrachtet werden (Sheth/Parvatiyar 1995; Fournier 1998). In diesem Zusammenhang wird heute der Frage nachgegangen, inwieweit eine Marke als
Beziehungspartner fungieren kann (Bruhn/Eichen 2007).
• Weiterhin sind diverse Beziehungskonstrukte, wie Vertrauen und Commitment
(Morgan/Hunt 1994) sowie die Beziehungsqualität (Liljander/Strandvik 1995; Hadwich
2003) in den Mittelpunkt der Marketingwissenschaft gerückt, um die Entstehung
von Kundenbindung und langfristigen Kundenbeziehungen erklären zu können.
• Schließlich wird dem Relationship Marketing zunehmend der Forschungsbereich
der Beziehungsbeendigung subsumiert, der die Auflösung von Kundenbeziehungen und die Kundenrückgewinnung zum Gegenstand hat (Stauss 1997; Strandvik/
Törnroos 1997; Bruhn/Michalski 2001; Michalski 2002). Die Beendigung der Beziehung
kann dabei durch den Kunden oder auch bewusst durch das Unternehmen herbeigeführt werden (Bruhn/Michalski 2003; Lucco 2008).
• In Zukunft wird sich das Relationship Marketing – aufbauend auf der Idee, Beziehungen zu Marken zu etablieren – zunehmend mit der Frage beschäftigen, durch
welche Faktoren und Instrumente eine Bindung an Marken beeinflusst werden
kann (McEwen 2004). In diesem Zusammenhang stellt sich zudem die Frage, anhand
welcher Konstrukte Beziehungen zu Marken – in Abgrenzung zu persönlichen Beziehungen – erklärt werden können (Hess/Story 2005; Veloutsou 2007).
• Vor dem Hintergrund der Diskussion über anbieterseitige Beziehungsbeendigungen kommt auch dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit von Maßnahmen und
Programmen des Relationship Marketing eine zunehmende Bedeutung in der
Forschung zu (Schultz 1999; Crosby/Johnson 2001; Walsh/Gilmore/Carson 2004). Das
Input-Output-Verhältnis (Investition in eine Kundenbeziehung und damit erreichte
Wirkung) ist eine wichtige Kenngröße zur Steuerung der Beziehungsaktivitäten.
Die zentrale Schwierigkeit hierbei ist in dem auch aus anderen Bereichen wie der
Werbewirkungsforschung bekannten Zurechnungsproblem von Wirkungen zu einzelnen Bindungsinstrumenten zu sehen.
• Darüber hinaus befasst sich die Forschung weiterhin mit dem Versuch, den Beitrag
des Relationship Marketing zum wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen zu bestimmen. Hierbei steht im Vordergrund, die Beziehung zwischen vorökonomischen
Beziehungskonstrukten und ökonomischen Unternehmenskennzahlen zu quantifizieren und mögliche Einflussfaktoren zu identifizieren (vgl. beispielsweise Gupta/
Zeithaml 2006; Palmatier et al. 2006; Palmatier et al. 2007).
Die Entwicklungen im Hinblick auf kundenbeziehungsorientierte Forschungen in der
Marketingwissenschaft haben zur Ausgestaltung der Forschungsrichtung und des
Konzepts Relationship Marketing beigetragen.
111.2 Begriff und Merkmale des Relationship Marketing
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1.2 Begriff und Merkmale des Relationship Marketing
Das Aufkommen des Relationship Marketing (Berry 1983; Grönroos 1994; Gummesson
1994; Payne 1995; Kleinaltenkamp/Plinke 1997; Bruhn/Bunge 1996; Peck et al. 1999; Hennig-
Thurau/Hansen 2000) begründet sich in der Kritik an einem rein transaktionsorien
tierten Marketing. Im Rahmen des traditionellen Marketing wurden über Jahrzehnte
hinweg Konzepte und Methoden entwickelt, die aus Sicht der Kritiker auf einer ausschließlichen Transaktionsorientierung basieren (Jüttner/Wehrli 1994; Brodie et al. 1997).
Sowohl die Ansätze des strategischen Marketing als auch die Instrumente des operativen Marketing (die 4 Ps: Product, Price, Promotion und Place) zielen danach auf die Initiierung von Transaktionen mit häufig nicht näher konkretisierten Kunden ab. Zudem
wird kritisiert, dass ein rein transaktionsorientiertes Marketing mit den im Folgenden
erläuterten Problemen im Hinblick auf die zugrunde liegende Marketingphilosophie,
die Instrumentestrukturierung, die Marketingorganisation und das Leistungsangebot
behaftet sei.
Bezüglich der Marketingphilosophie stehen definitionsgemäß seit jeher die Kundenbedürfnisse im Mittelpunkt von Marketingüberlegungen. Diese geforderte Kundenorientierung lasse sich jedoch häufig nur unzureichend in den Leitbildern und anderen strategischen Papieren der Unternehmenspraxis wiederfinden (Kühn 1991, S. 97).
Vielmehr führe eine ausschließliche Strukturierung von Marketingaktivitäten nach
den 4 Ps zu einer produkt- beziehungsweise leistungsorientierten Marketing definition
(Grönroos 1994, S. 6) und werde in der Praxis häufig als Instrumentarium zur „Kundenmanipulation“ (Gummesson 1994, S. 9) genutzt.
Weiterhin wird in der Literatur darauf hingewiesen, dass die Instrumentestrukturie
rung nach den 4 Ps eine mangelhafte Trennschärfe aufweise (van Waterschoot/van de
Bulte 1992, S. 85). Dies zeige sich insbesondere bei der Integration neuerer Instrumente
und Konzepte zur Erzielung von Kundenorientierung, wie z.B. des Qualitäts- oder
Beschwerdemanagements, die entweder willkürlich den 4 Ps zugeordnet oder isoliert
von den 4 Ps betrachtet werden.
Ebenso wird kritisiert, dass die Orientierung an den 4 Ps hinsichtlich der Marketingor
ganisation zu einer Isolierung der Marketingaktivitäten geführt habe, indem in Unternehmen Marketingabteilungen geschaffen wurden, die mit Aufgaben im Zusammenhang mit der Erfüllung von Kundenbedürfnissen betraut seien (Grönroos 1994, S. 7).
Gerade vor dem Hintergrund einer kundenorientierten Unternehmensführung komme dem Marketing jedoch im Sinne eines „Dualen Konzeptes der marktorientierten
Unternehmensführung“ (Meffert 2003, S. 5) eine abteilungsübergreifende Funktion zu.
Darüber hinaus ist die im Transaktionsmarketing enge Definition des Leistungsan
gebots zu kritisieren. Diese stellt nur das Produkt und dessen Vermarktung in den
Vordergrund. In vielen Branchen – v.a. in Industriegüter- und Dienstleistungsmärkten
– ist aber auch die Interaktion ein wesentlicher Teil der Leistung (vgl. Schaubild 1-7).
Bei Dienstleistungen lässt sich diese aufgrund der häufig notwendigen Integration
des Kunden in den Leistungserstellungsprozess nicht oder nur bedingt umgehen (z.B.
Friseurbesuch, Beratungsgespräch bei der Bank). Im Industriegüterbereich, beispielsweise im Anlagenbau oder auch bei Beratungsleistungen, ist die Interaktion vor allem
aufgrund der Individualität der erbrachten Leistung erforderlich. Für den Kauf von
Konsumgütern ist eine Interaktion zwischen Unternehmen und Kunde zwar nicht
zwingend erforderlich, dennoch gilt sie als eine wichtige Voraussetzung für Marken-
1.2 Begriff und Merkmale des Relationship Marketing
1. Grundlagen des Relationship Marketing12
Vahlens Handbücher – Bruhn – Relationship Marketing (3. Auflage) – Hersteller: Frau Deuringer
Stand: 26.10.12 Status: Druckdaten Seite 12
beziehungen (Bruhn/Eichen 2007). Die Interaktion ist ein relevanter Bestandteil von
Beziehungen zwischen Unternehmen und Kunden und damit auch des Relationship
Marketing.
Während der Zweck eines transaktionsorientierten Marketing dementsprechend
überwiegend in der Anbahnung einzelner Transaktionen mit dem Kunden liegt, befasst sich das Relationship Marketing mit der Steuerung von Kundenbeziehungen, wie
die in der Literatur anzutreffenden unterschiedlichen Definitionen dieses Konzepts
zeigen (vgl. Schaubild 1-8). Unter Berücksichtigung dieser Begriffsauffassungen wird
in diesem Buch folgende Definition zugrunde gelegt:
Relationship Marketing umfasst sämtliche Maßnahmen der Analyse, Planung,
Durchführung und Kontrolle, die der Initiierung, Stabilisierung, Intensivierung
und Wiederaufnahme sowie gegebenenfalls der Beendigung von Geschäftsbeziehungen zu den Anspruchsgruppen – insbesondere zu den Kunden – des Unternehmens mit dem Ziel des gegenseitigen Nutzens dienen.
Aus dieser Definition lassen sich folgende Merkmale des Relationship Marketing ableiten:
• Anspruchsgruppenorientierung,
• Managementorientierung,
• Zeitraumorientierung,
• Nutzenorientierung.
Dem Konzept des Relationship Marketing liegt eine Anspruchsgruppenorientierung
zugrunde, sein Gegenstand sind die Beziehungen eines Unternehmens zu seinen
Anspruchsgruppen. Auch wenn sich Marketingaktivitäten auf unterschiedliche Anspruchsgruppen beziehen können (vgl. Schaubild 1-9), stellen die Kunden die zentrale
Anspruchsgruppe dar. Demnach lassen sich zwei Ausgestaltungsformen des Relation
ship Marketing differenzieren:
• Das Relationship Marketing im engeren Sinne betrifft ausschließlich Kundenbeziehungen.
• Das Relationship Marketing im weiteren Sinne betrifft die Beziehungen des Unternehmens zu sämtlichen Anspruchsgruppen.
Für den Erfolg eines Unternehmens sind letztendlich die Kundenbeziehungen entscheidend, deren Qualität wiederum von den Beziehungen des Unternehmens zu den
übrigen Anspruchsgruppen abhängt. Daher stehen die Kundenbeziehungen im Mit-
Schaubild 1-7: Leistungsangebot als Kombination von Produkt und Interaktion
Leistung
+Produkt Interaktion
131.2 Begriff und Merkmale des Relationship Marketing
Vahlens Handbücher – Bruhn – Relationship Marketing (3. Auflage) – Hersteller: Frau Deuringer
Stand: 26.10.12 Status: Druckdaten Seite 13
Schaubild 1-8: Ausgewählte Definitionen des Begriffs „Relationship Marketing“
Relationship Marketing is attracting, maintaining and enhancing
customer relationships.
Grönroos 1990
Berry 1983
The goal of relationship marketing is to establish, maintain and enhance
relationships with customers and other parties at a profit so that the
objectives of the parties involved are met.
Shani/Chalasani
1992
Relationship marketing is an integrated effort to identify, maintain and build
up a network with individual consumers and to continuously strengthen the
network for the mutual benefit of both sides, through interactive,
individualized and value-added contacts over a long period of time.
Morgan/Hunt 1994 Relationship marketing refers to all marketing activities directed toward
establishing, developing and maintaining successful relational exchanges.
Sheth/Parvatiyar
1995
Relationship marketing is a marketing orientation that seeks to develop
close interactions with selected customers, suppliers and competitors for
value creation through cooperative and collaborative efforts.
Ballantyne 1997 Relationship Marketing is an emergent disciplinary framework for creating,
developing and sustaining exchanges of value between the parties
involved, where by exchange relationships evolve to provide continuous
and stable links in the supply chain.
Gummesson 2004 Relationship marketing is marketing based on interaction within networks
of relationships.
Relationship Marketing is the sum total of marketing approaches focusing
on the relationship between a business, its customers and its different
stakeholders.
Palmatier 2008 Relationship marketing is the process of identifying, developing,
maintaining, and terminating relational exchanges with the purpose of
enhancing performance.
Frow/Payne 2009 Relationship marketing is the strategic management of relationships with all
relevant stakeholders in order to achieve long term shareholder value.
Critical tasks include the identification of relevant relational forms for different
stakeholders and the segments and sub-groups within them and the optimal
management of interactions within these stakeholder networks.
Wu/Chen/Chung 2010
Bonnemaizon/Cova/
Loyot 2007
Relationship marketing discusses the key issues involved in all forms of
relational exchange.
Schaubild 1-9: Anspruchsgruppen des Marketing
(Quelle: in Anlehnung an Meffert/Bruhn 2009, S. 49)
Öffentlichkeit
Lieferanten
Absatzmittler
Endkäufer
Konkurrenz
Mitarbeiter
Unternehmen
1. Grundlagen des Relationship Marketing14
Vahlens Handbücher – Bruhn – Relationship Marketing (3. Auflage) – Hersteller: Frau Deuringer
Stand: 26.10.12 Status: Druckdaten Seite 14
telpunkt der Ausführungen dieses Buches. Auf die Beziehungen zu den übrigen Anspruchsgruppen wird bei Bedarf im Einzelfall eingegangen.
Weiterhin wird unter Relationship Marketing ein Managementansatz verstanden, der
durch eine Managementorientierung Maßnahmen der Analyse, Planung, Durchführung und Kontrolle umsetzt. Damit stellt das Relationship Marketing einen inte grierten Ansatz dar, unter dessen Dach sämtliche Marketingmaßnahmen eines Unternehmens zusammengefasst werden können. Außerdem ist auf diese Weise mit dem
Konzept eine Handlungsorientierung verbunden. Es sind Maßnahmen festzulegen,
die einer bewussten Steuerung von Beziehungen dienen.
Relationship Marketing beschäftigt sich nicht nur mit der Initiierung von Beziehungen, sondern darüber hinaus mit ihrer Stabilisierung, Intensivierung und Wiederaufnahme, falls ein Kunde, den das Unternehmen halten möchte, die Beziehung beendet.
Die Steuerung von Kundenbeziehungen kann, z.B. aus rechtlichen oder ökonomischen
Gründen, allerdings auch eine vom Unternehmen herbeigeführte Beendigung der Beziehung beinhalten. Dieser Zeitraumorientierung, die den dynamischen Charakter
von Kundenbeziehungen widerspiegelt, wird vor allem durch das Konzept des Kundenbeziehungszyklus Rechnung getragen.
Schließlich verfolgt das Relationship Marketing eine Nutzenorientierung, indem der
Nutzen für die Beziehungspartner im Vordergrund steht. Im Hinblick auf Kundenbeziehungen liegt der Nutzen für den Kunden in der Erfüllung seiner Bedürfnisse durch
das Unternehmen, während der Nutzen für das Unternehmen in gewinnbringenden
Kundenbeziehungen zu sehen ist.
Von dieser umfassenden Definition des Relationship Marketing ist der Begriff des Cus
tomer Relationship Management (CRM) abzugrenzen. Zum CRM liegt in der Literatur
keine eindeutige Begriffsdefinition vor. Zum einen wird unter CRM ein umfassendes
kundenorientiertes, technologiegestützes Managementkonzept verstanden (Hippner/
Wilde 2004, S. 15), zum anderen wird auch die Auffassung vertreten, dass CRM hauptsächlich ein rein (operatives) technologisches Instrument zur Bearbeitung von Kundendaten darstellt (Schwetz 2000).
Im Rahmen dieses Buches wird CRM als Informationstechnologie aufgefasst. Das Relationship Marketing wird dagegen als strategischer Ansatz zum Management von
Kundenbeziehungen definiert. Dem CRM kommt dabei eine unterstützende Funktion
zu, beispielsweise durch den Einsatz von Informationstechnologien zur Archivierung
und Verarbeitung von Kundendaten (Bruhn 2011a). Einem Unternehmen wird es allerdings aufgrund der vielfältigen erforderlichen Daten und der teilweise komplexen
Datenauswertung schwer fallen, das Relationship Marketing ohne die technologische
CRM-Unterstützung umzusetzen. Umgekehrt wird aber auch eine rein informationstechnologische Umsetzung den Ansprüchen nicht gerecht. Diese Einschätzung wird
durch Studien bestätigt, die über Misserfolgsquoten bei CRM-Projekten von 70 bis 80
Prozent berichten (META Group 2002; Reinartz/Krafft/Hoyer 2004). Auch hängt der Erfolg
von CRM-Projekten nicht unmittelbar von der Qualität der angewandten Technologie
ab. Wie in Schaubild 1-10 skizziert ist daher ein ausgewogenes Verhältnis zwischen
Technologieorientierung und der Durchsetzung einer kundenorientierten Philosophie
des Relationship Marketing erforderlich. Neben einem CRM als beziehungsorientiertem Informationssystem sind für den Erfolg des Relationship Marketing auch beziehungsorientierte Organisationsstrukturen und eine beziehungsorientierte Unternehmenskultur erforderlich (vgl. hierzu auch Kapitel 7).
151.2 Begriff und Merkmale des Relationship Marketing
Vahlens Handbücher – Bruhn – Relationship Marketing (3. Auflage) – Hersteller: Frau Deuringer
Stand: 26.10.12 Status: Druckdaten Seite 15
Auf Basis einer Analyse der Kundendaten wird eine beziehungsorientierte Markt- und
Kundensegmentierung durchgeführt sowie der segmentspezifische Einsatz der Marketinginstrumente auf Kundengruppen- oder Einzelkundenebene geplant. Der Nutzen
eines CRM-Systems für das Unternehmen besteht in der besseren Ausschöpfung des
Kundenpotenzials sowie einem effizienteren Einsatz der Marketinginstrumente. Der
Kunde profitiert im Falle eines individuell auf ihn abgestimmten Einsatzes der Marketinginstrumente von bedarfsgerechten Problemlösungen. Dadurch generiert das Unternehmen einerseits eine Steigerung des Umsatzes, andererseits vermeidet der gezielte
Einsatz der Marketinginstrumente unnötige Marketingausgaben, die durch den unkoordinierten und nicht an den Bedürfnissen des Kunden ausgerichteten Einsatz von Marketingmaßnahmen entstehen. So ergab eine Studie, dass ein auf die Kundenbedürfnisse
abgestimmtes Marketing bei einem Finanzdienstleister zu durchschnittlich 400 USD
Mehreinnahmen pro Kunde führte (Kumar/Venkatesan/Reinartz 2006).
Der Erfolg der Implementierung von CRM-Systemen bleibt häufig hinter den Erwartungen zurück. Studien, die eine Misserfolgsquote bei der Einführung von CRM-Software in Höhe von 60 Prozent bis 85 Prozent angeben, kommen zu dem Ergebnis, dass
in erster Linie der Nutzen des Systems nicht erkennbar ist sowie die organisatorischen
Voraussetzungen fehlen (Bruhn 2011a). Eine Umfrage bei Handelsunternehmen zeigte, dass zwar immerhin 60 Prozent der Unternehmen eine Kundenkarte als Maßnahme zur Kundenbindung einsetzten, jedoch nutzten nur 25 Prozent der Befragten die
gewonnenen Daten mit Hilfe eines Data-Mining zur Durchführung einer sinnvollen
Kundensegmentierung (Klingsporn 2005). Eine Studie von Reinartz, Krafft und Hoyer
zeigt, dass die Wirtschaftlichkeit eines CRM nicht unmittelbar von der Qualität der
angewandten Technologie abhängt. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass sich eine positive Rendite erst nach der Überwindung anfänglicher Anwendungsschwierigkeiten
einstellt (Reinartz/Krafft/Hoyer 2004).
Die Entwicklung zum Relationship Marketing wird teilweise als ein Paradigmenwechsel bezeichnet (Brodie et al. 1997). Aufgrund der Konstituierung einer Beziehung
aus Einzeltransaktionen ist Relationship Marketing jedoch nicht als eine Neudefini-
Balance
Philosophie:
Relationship Marketing
Technologie: CRM
Schaubild 1-10: Zusammenspiel der Philosophie des Relationship Marketing und der
CRM-Technologie
(Quelle: in Anlehnung an Gummesson 2001, S. 118)
1. Grundlagen des Relationship Marketing16
Vahlens Handbücher – Bruhn – Relationship Marketing (3. Auflage) – Hersteller: Frau Deuringer
Stand: 26.10.12 Status: Druckdaten Seite 16
tion des Marketinggedankens, sondern vielmehr als eine Weiterentwicklung des tradi
tionellen Marketing aufzufassen (Gummesson 1994; Baker/Buttery/Richter-Buttery 1998;
Gummesson 2002). Diese Sichtweise wird durch eine Gegenüberstellung der Unterschei
dungsmerkmale von Transaktionsmarketing auf der einen Seite und Relationship Marketing auf der anderen Seite deutlich (vgl. Schaubild 1-11):
• Im Hinblick auf die Betrachtungsfristigkeit hat das Transaktionsmarketing einen
eher kurzfristigen, das Relationship Marketing einen eher langfristigen Charakter.
Während sich das Transaktionsmarketing auf die kurzfristige Initiierung von Leistungsverkäufen bezieht, steht beim Relationship Marketing die langfristige Gestaltung von Kundenbeziehungen im Vordergrund.
• Bezüglich des Objektes der Marketingaktivitäten steht die Leistung des Anbieters
im Mittelpunkt von Maßnahmen des Transaktionsmarketing, während sich Relationship Marketing-Maßnahmen sowohl auf die Leistung als auch auf die Kunden
beziehen.
• Hinsichtlich der Marketingziele sind Maßnahmen des Transaktionsmarketing auf
die Gewinnung neuer Kunden ausgerichtet. Dahingegen konzentriert sich das Relationship Marketing nicht nur auf die Kundenakquisition, sondern darüber hinaus
auf die Bindung und Rückgewinnung profitabler Kunden.
• Die Marketingstrategie vor dem Hintergrund eines Transaktionsmarketing bezieht
sich auf die Leistungsdarstellung. Beim Relationship Marketing wird ein Dialog
mit dem Kunden angestrebt, um die Leistungen des Anbieters an den individuellen
Kundenbedürfnissen auszurichten.
• Schließlich treten beim Relationship Marketing neben die klassischen ökonomischen Erfolgs und Steuerungsgrößen kundenindividuelle Kennziffern, wie der
Kundendeckungsbeitrag oder der Kundenwert in den Vordergrund.
Unterscheidungskriterien Transaktionsmarketing
Betrachtungsfristigkeit Kurzfristigkeit Langfristigkeit
Marketingobjekt Produkt Produkt und Interaktion
Marketingziel
Kundenakquisition
durch Marketingmix
Kundenakquisition,
Kundenbindung,
Kundenrückgewinnung
Marketingstrategie Leistungsdarstellung Dialog
Ökonomische Erfolgsund Steuergrößen
Gewinn,
Deckungsbeitrag,
Umsatz,
Kosten
zusätzlich:
Kundendeckungsbeitrag,
Kundenwert
Relationship Marketing
Schaubild 1-11: Unterscheidung zwischen Transaktionsmarketing und
Relationship Marketing
(Quelle: in Anlehnung an Bruhn 2010b, S. 31)
171.3 Anwendungsbereiche des Relationship Marketing
Vahlens Handbücher – Bruhn – Relationship Marketing (3. Auflage) – Hersteller: Frau Deuringer
Stand: 26.10.12 Status: Druckdaten Seite 17
Ausgehend von den bisherigen Ausführungen lassen sich zahlreiche Vorteile des Relationship Marketing formulieren, die sich in drei grundlegende Aspekte aufteilen: Rentabilitätsaspekte, Wachstumsaspekte und Sicherheitsaspekte. Die Vorteile, die durch
die Einführung eines Beziehungsmarketings innerhalb der einzelnen Teilaspekte geschaffen werden können, sind in Schaubild 1-12 dargestellt.
1.3 Anwendungsbereiche des Relationship Marketing
Bei einer Auseinandersetzung mit der Konzeption des Relationship Marketing kann
die Anwendbarkeit eines Relationship Marketing von der Art der betrachteten Branchen und Leistungen abhängen (Dwyer/Schurr/Oh 1987). Ausgangspunkt dieser These ist eine Differenzierung von Märkten anhand eines Spektrums mit den Extrema
„Always-a-Share“- und „Lost-for-Good“-Märkte (Jackson 1985). In „AlwaysaShare“
Märkten werden austauschbare Leistungen nachgefragt, bezüglich derer Kunden geringe Wechselkosten und somit ein geringes Abhängigkeitsverhältnis empfinden (z.B.
Telekommunikation). Auf diesen Märkten ist das Relationship Marketing von geringerer Relevanz (Jackson 1985, S. 122). „LostforGood“Märkte sind durch differenzierbare
Leistungen geprägt, bei denen Kunden mit hohen Wechselkosten und einem hohen
Abhängigkeitsverhältnis konfrontiert sind (z.B. Private Banking). Im Hinblick auf das
Marketing in solchen Märkten kommt dem Relationship Marketing eine übergeordnete Bedeutung zu (Jackson 1985, S. 123).
Dieser marktbezogenen Unterscheidung liegt allerdings eine isolierte Auseinandersetzung mit Beziehungen und Transaktionen zugrunde, die als eine unzweckmäßige
Trennung von unterschiedlichen Austauschprozessen anzusehen ist (Engelhardt/Freiling 1995, S. 37). Häufig ist eine solche Unterscheidung bereits bei ein und derselben
Leistung nicht aufrecht zu erhalten. Beispielsweise wären Theaterbesucher mit Abonnement eher dem „Lost-for-Good“-Modell und Theaterbesucher ohne Abonnement
eher dem „Always-a-Share“-Modell zuzuordnen (Georgi 2000). Schließlich führt der
normative Charakter einer isolierten Betrachtung von Beziehungen und Transaktionen zu irreführenden Implikationen für das Marketing. Sie legt die Unterscheidung
nahe, lediglich auf Märkten, bei denen das „Lost-for-Good“-Modell angewandt werden kann, eine Steuerung von Kundenbeziehungen anzustreben. Dahingegen stellt
gerade die Schaffung und Erhaltung von Kundenbeziehungen eine Marketingherausforderung auch für Anbieter auf „Always-a-Share“-Märkten dar.
1.3 Anwendungsbereiche des Relationship Marketing
Rentabilitätsaspekte SicherheitsaspekteWachstumsaspekte
? Geringere Transaktionskosten
bei Stammkunden
? Erkennen zukünftigen Nutzens
von Beziehungen
? Geringere Preissensibilität von
Stammkunden
? Kundengewinne und Kosteneinsparungen durch Mund
zu Mund-Werbung
? Steigende Rentabilität von
Stammkunden im Zeitverlauf
? Größere Planungssicherheit durch
stabile Geschäftsbeziehungen
? Größere Fehlertoleranz der
Kunden
? Kundenbindung als Markteintrittsbarriere
? Geringeres Risiko von Produktinnovationen durch Kundendialoge
? Geringere Wechseltendenz aufgrund schwierigerer Substitution
? Mehr Weiterempfehlungen durch
Stammkunden
? Vermehrte Cross-Buying-Effekte
? Zielgenauere Ansprache durch
Kundendialog
? Höhere Kauffrequenz im Verlauf
der Geschäftsbeziehung
? Information über potenzielle zukünftige Geschäftsfelder durch
genaue Kenntnis der Kundenbedürfnisse
Schaubild 1-12: Vorteile und Ziele eines beziehungsorientierten Marketing
1. Grundlagen des Relationship Marketing18
Vahlens Handbücher – Bruhn – Relationship Marketing (3. Auflage) – Hersteller: Frau Deuringer
Stand: 26.10.12 Status: Druckdaten Seite 18
Deshalb erscheint zur Diskussion der Anwendbarkeit des Relationship Marketing
zum einen eine Differenzierung unterschiedlicher Leistungstypen sinnvoll. Zum anderen ist es erforderlich, die Unterschiede zwischen diesen Leistungstypen differenzierter herauszuarbeiten, als es beim Vergleich von „Lost-for-Good“- und „Always-a-
Share“-Märkten der Fall ist. Als Pole eines Leistungsspektrums können dabei folgende
grundsätzlichen Leistungstypen bezüglich kontakt-, leistungs- und kundenbezogener
Merkmale unterschieden werden (vgl. Schaubild 1-13):
(1) Individualleistungen,
(2) Standardleistungen.
Die kontaktbezogenen Merkmale beziehen sich auf die Art und Weise der Kontakte
zwischen Anbieter und Nachfrager im Rahmen der Leistungserstellung. Individualleistungen weisen zunächst im Vergleich zu Standardleistungen einen hohen Integrationsgrad auf. Bei Individualleistungen ist es erforderlich, dass der Kunde oder seine
Verfügungsobjekte an der Leistungserstellung beteiligt sind. Als Folge sind Individualleistungen mit einem höheren Interaktionsgrad verbunden. Je stärker der Kunde in
die Leistungserstellung eingebunden ist, desto wichtiger sind die Interaktionen zwischen Anbieter und Nachfrager für die Leistung. Weiterhin sind Individualleistungen
eher durch Informationsasymmetrien zu Ungunsten des Kunden gekennzeichnet.
Häufig verfügt der Anbieter über einen Informationsvorsprung gegenüber dem Kunden. Ebenfalls aufgrund des höheren Integrationsgrades sind Kunden, die Individualleistungen beanspruchen, weniger anonym für den Anbieter. Schließlich ist bei Individualleistungen die relative Bedeutung einzelner Kunden für den Anbieter häufig
höher als bei Standardleistungen.
Als Folge der kontaktbezogenen Merkmalsausprägungen ergeben sich Unterschiede
zwischen den beiden generellen Leistungstypen im Hinblick auf leistungsbezogene
Merkmale. Individualleistungen erfordern vom Anbieter eher als Standardleistungen eine kontinuierliche Bereitstellung des Leistungserstellungspotenzials. Weiterhin
weist der erste Leistungstyp eine höhere Heterogenität und Komplexität auf. Da zur
Leistungserstellung die Anwesenheit des Kunden erforderlich ist, können Individualleistungen darüber hinaus häufig nicht gelagert und transportiert werden.
Schließlich haben sowohl die Ausprägungen der kontaktbezogenen als auch der leistungsbezogenen Merkmale entsprechende Ausprägungen von kundenbezogenen Merk
malen zur Folge, die vor allem das Kaufverhalten der Kunden betreffen. Individualleistungen sind zunächst für den Kunden schwieriger zu beurteilen als Standardleistungen.
Dies liegt in einem Übergewicht von Glaubens- und Erfahrungseigenschaften bei Individualleistungen im Vergleich zu Sucheigenschaften (Darby/Karni 1973; Zeithaml 1991;
Friedmann/Smith 1993) bei Standardleistungen begründet (vgl. Abschnitt 2.3.1). Folglich
ist der Kauf von Individualleistungen für den Kunden mit einem höheren Risiko verbunden, das zu einem höheren Involvement des Kunden bei der Kaufentscheidung sowie zu einer höheren Rationalität und einer längeren Fristigkeit der Kaufentscheidung
führt. Aufgrund dieser Aspekte empfindet der Kunde bezüglich des Kaufs von Individualleistungen höhere Wechselbarrieren als bei Standardleistungen.
Die Ausführungen in den folgenden Kapiteln zur theoretischen Fundierung, Konzeptionierung und Gestaltung des Relationship Marketing haben generell für die Anbieter sämtlicher Leistungstypen Gültigkeit. Bei zahlreichen Aspekten ergeben sich
jedoch Bedeutungsunterschiede in Abhängigkeit vom Leistungstyp, auf die an den
entsprechenden Stellen explizit hingewiesen wird.
191.3 Anwendungsbereiche des Relationship Marketing
Vahlens Handbücher – Bruhn – Relationship Marketing (3. Auflage) – Hersteller: Frau Deuringer
Stand: 26.10.12 Status: Druckdaten Seite 19
Merkmale
Bedeutung des Leistungserstellungspotenzials
Heterogenität der Leistungen
Komplexität der Leistungen
Lagerfähigkeit der Leistungen
Transportfähigkeit der Leistungen
Leistungsbezogene Merkmale
Integrationsgrad
Interaktionsgrad
Informationsasymmetrie
Direktheit des Kontaktes
Anonymität der Kunden
Relative Bedeutung einzelner Kunden
Kontaktbezogene Merkmale
gering
gering
gering
hoch
hoch
hoch
hoch
hoch
gering
gering
gering
gering
gering
gering
hoch
gering
hoch
hoch
hoch
hoch
gering
hoch
hoch
gering
gering
gering
gering
gering
hoch
hoch
hoch
hoch
Beurteilbarkeit
Risiko und Involvement des Kunden
Fristigkeit von Beschaffungsprozessen
Rationalität von Kaufentscheidungen
Wechselbarrieren
Kundenbezogene Merkmale
In
d
iv
id
u
al
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tu
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g
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un
gs
typ
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S
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hoch
gering
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ra
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In
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iv
id
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ru
n
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Grad
d
er S
tan
d
ard
isieru
n
g
hoch
gering
Schaubild 1-13: Leistungstypologie im Hinblick auf die Anwendungsbereiche des
Relationship Marketing
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Relationship Marketing - Professionelle Kundenbeziehungen
Das Werk gibt den aktuellen Stand des Relationship Marketing wieder und entwickelt daraus einen praktischen Managementansatz. Auf alle notwendigen Phasen einer Marketingkonzeption wird detailliert eingegangen:
– Analyse,
– Strategische Ausrichtung,
– Operativer Einsatz,
– Implementierung und
– Kontrolle.
Die Neuauflage
berücksichtigt die aktuellen Entwicklungen des Relationship Marketing und erarbeitet daraus neue theoretische und konzeptionelle Grundlagen.