Vahlen – Allgemeine Reihe – Kolbeck/Rauscher – Tourismus-Management – Herstellung: Frau Deuringer
Stand: 22.08.2012 Status: Druckdaten Seite 29
291.3 Handlungsfelder einer Betriebswirtschaftslehre des Tourismus
ökonomische Gewinne erwirtschaften. Da alle Beteiligten dabei gewinnen und
verlieren können, muss die Frage nach einem fairen Ausgleich zwischen allen
Genannten aufgeworfen werden. Beantwortet werden kann sie nur mittels der
erwähnten ganzheitlichen Denkweise, in Verbindung mit den in der jeweiligen Gesellschaftsordnung bei unterschiedlichen Interessenlagen vorgesehenen
„Aushandlungsmechanismen“.25 Dies kann natürlich zu sehr unterschiedlichen
Ergebnissen führen, je nachdem, ob eine demokratisch-freiheitlich organisierte
Wirtschaftsordnung oder ein zentralistisch-autokratisches System zugrunde
liegt.
Das integrierte Modell des Tourismusmanagements lässt sich nicht nur auf privatwirtschaftliche Unternehmen jeglicher Größe anwenden, sondern kann auch
in tourismusrelevanten Verwaltungseinheiten wie etwa den Tourismuszentralen in den Destinationen Wirkung entfalten. Wenn auch unter anderen Voraussetzungen und mit anderen Schwerpunkten: Eine Stärkung des betriebswirtschaftlichen Denkens hätte auch in diesen Bereichen viele Vorteile, und lägen
diese auch nur darin, dass man sich in das betriebswirtschaftliche Geschehen
der touristischen Betriebe vor Ort hineindenken kann. Nicht zuletzt sind auch
Destinationen als „virtuelle Unternehmen“26 insgesamt von den betriebswirtschaftlichen Fragen bspw. der Organisation, der Planung, der Finanzierung und
des Marketings betroffen. Eine fundierte Destinationsentwicklung kann nicht
ohne Kompetenzen in diesen Bereichen funktionieren.
1.3.3 Tourismusmanagement und Tourismusökonomie
Aufbauend auf dem Managementbegriff (Abschnitt 1.1), den Grundlagen zu
Tourismusangebot und -nachfrage (Abschnitt 1.2) und dem im vorigen Abschnitt vorgestellten, integrierten Modell des Tourismusmanagements lässt sich
das Tourismusmanagement wie folgt zusammenfassend definieren:
Definition
Das Tourismusmanagement umfasst die Strukturen, Prozesse und Tätigkeiten im Rahmen
der Führung von Unternehmen oder anderen Anbietern touristischer Produkte auf unterschiedlichen Wertschöpfungsstufen.
!
Die Strukturen im Tourismusmanagement sind zum einen von den relevanten touristischen Wertschöpfungsstrukturen, zum anderen von den Funktionsbereichen und der Aufbauorganisation (Abschnitt 3.4.3.2) des konkreten
touristischen Unternehmens, das betrachtet wird, geprägt. Ferner bilden die
sozialen Systeme im und um das Unternehmen herum eine wichtige Strukturkomponente.
25 Hierzu zählen unter anderem die in verschiedenen Demokratieformen vorgesehenen
Entscheidungswege, Partzipationsmöglichkeiten und Wege der Konsensfindung, vgl.
Schultze (2010), S. 138 f. Zudem sind gerade in der Tourismuspolitik stark zentralisierte
von dezentralen Strukturen abzugrenzen.
26 Bieger (2008), S. 93.
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Stand: 22.08.2012 Status: Druckdaten Seite 30
1. Grundlagen: Betriebswirtschaftslehre und Tourismus30
Die Prozesse im Tourismusmanagement lassen sich, wie gezeigt, in Managementprozesse und einzelne Geschäftsprozesse gliedern. Viele Prozesse und
Aufgaben im Tourismusmanagement sind von regelmäßig wiederkehrender
Natur. Einige Bereiche erfordern aufgrund der Besonderheiten des touristischen
Geschäfts allerdings auch die systematische Planung von Ausnahmeregelungen, etwa im Krisenmanagement.
Die Tätigkeiten im Tourismusmanagement besitzen in den verschiedenen Wertschöpfungsstufen viele Facetten. Zudem sind in verschiedenen Situationen
unterschiedliche allgemeine Fähigkeiten bei den Akteuren gefragt, um „gut
zu managen“:
•• fragen, zuhören, antworten
•• delegieren, anfordern
•• priorisieren, entscheiden
•• ignorieren
Während das Tourismusmanagement das Agieren/Gestalten einzelner Unternehmen auf verschiedenen touristischen Märkten zum Inhalt hat, erweitert die
Tourismusökonomie das Geschehen auf die Analyse und Hinterfragung der
touristischen Märkte insgesamt.
Definition
Die Tourismusökonomie „stellt die Frage nach der Funktionsweise, nach der Entwicklung
und nach den gesamtwirtschaftlichen (positiven oder negativen) Wohlfahrtseffekten des
Tourismus in der Destination/Region, in der Nationalökonomie und in der Weltwirtschaft;
und sie versucht, tourismuspolitische Aussagen für die relevanten Entscheidungsträger der
Branche zu treffen.“27
!
Darüber hinaus analysiert die Tourismusökonomie die allgemeinen volkswirtschaftlichen Themen mit Blick auf den Tourismus. Beispiele hierfür sind
das Entstehen von Marktgleichgewichten und -ungleichgewichten, die Preisbildung , die Allokation von Ressourcen, mögliche externe Effekte und das
Marktversagen.28
In dieser gesamtwirtschaftlichen Perspektive wird deutlich, dass sich die Wertschöpfung des Tourismus vornehmlich im personalintensiven tertiären Sektor
der Volkswirtschaften vollzieht.29 Die exakte volkswirtschaftliche Erfassung
und Abgrenzung touristischer Wertschöpfungseffekte im Rahmen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR), etwa durch die Bildung touristischer
Satellitenkonten, ist eine große aktuelle Herausforderung für die Tourismus-
ökonomie.30 Sie ist ungleich komplexer als die bloße Bildung teilbranchenbezogener, originärer oder derivativer touristischer Wertschöpfungsstufen, wie sie
in Abschnitt 1.2 für die Zwecke des Tourismusmanagements vollzogen wurde.
27 Letzner, Munz (2011), S. 10.
28 Vgl. grundlegend Letzner (2010), S. 20–30, S. 53–76 und S. 93–116.
29 Zur volkswirtschaftlichen Bedeutung und Entwicklung des tertiären Sektors vgl.
Corsten (2007), S. 5–19.
30 Vgl. Letzner, Munz (2011), S. 11.
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311.3 Handlungsfelder einer Betriebswirtschaftslehre des Tourismus
Sowohl Tourismusmanagement als auch Tourismusökonomie verfolgen neutral-beschreibende (deskriptive) als auch gestaltend-vorschlagende (normative)
Ziele. Zwischen beiden Gebieten bestehen zahlreiche Berührungspunkte und
Überschneidungen. Zwei Fragekomplexe mögen dies andeuten:
•• Welche Bedeutung hat der Tourismus in der Wirtschaft, in der Kultur, in
den Sozialstrukturen, in der Politik? Wie bringt man die verschiedenen
Interessen (Hoteliers, Gäste, örtliche Bevölkerung, …) in Einklang? Beispiel:
Staaten wie Ägypten sind vom Tourismus zu großen Teilen abhängig. Der
Fernreisetourismus dorthin zieht jedoch massive Klimaschädigungen, die
Zerstörung der Korallenriffe im Roten Meer und das Aufeinanderprallen
westlicher „Badekultur“ mit islamischen Grundsätzen nach sich.
•• Wie kann Tourismus nicht nur betriebswirtschaftlich nachhaltig („erfolgreich“) für einzelne Unternehmen, sondern gesamtgesellschaftlich nachhaltig gestaltet werden? Wie wird Nachhaltigkeit (Abschnitt 4.3) für Tourismusmanager entscheidungsrelevant? Welche Rolle spielt der Tourismus
tatsächlich in Steueraufkommen, Arbeitsplätzen und Wohlstand? Beispiel:
„Positive Auswirkungen auf Tourismus“ ist wohl das meist genannte und
am wenigsten belegte Argument, das im Rahmen der Lobbyarbeit für sportliche Großveranstaltungen (Weltmeisterschaften, Olympische Spiele) genannt
wird. Meist sind die tourismuswirtschaftlichen Effekte aus solchen „Mega-
Events“ in Umfang und Zeithorizont allerdings sehr überschaubar.
1.3.4 Betriebswirtschaft und Tourismusmanagement in der Lehre
In der akademischen Ausbildung ist Tourismusmanagement eine branchenbezogene, angewandte Managementlehre, die sich mit den Besonderheiten der
Führung touristischer Unternehmen befasst:
•• Wie funktionieren touristische Unternehmen?
•• Was brauche ich, um in ihnen erfolgreich zu arbeiten?
In einzelwirtschaftlicher Sicht kann das Tourismusmanagement als spezielle
Ausprägung des Dienstleistungsmanagements angesehen werden.31 Eine touristisch orientierte Betriebswirtschaftslehre liefert demnach den theoretischen
Unterbau für das erfolgreiche Arbeiten in touristischen Unternehmen und
Destinationen.
Betrachtet man tourismuswirtschaftliche Themen in einer Zusammenschau
aus beiden Perspektiven (BWL und VWL), ergibt sich die Darstellung in Abb. 5.
Darin ist bewusst der Begriff des „Tourismusmanagement“ verwendet anstelle
einer „Tourismus-Betriebslehre“, da die Heterogenität der touristischen Betriebsformen und Teilbranchen den „Betrieb“ als definitionsprägenden Begriff
für das Lehrgebiet nur schwerlich zulässt.
Zu vielen der in Abb. 5 grau hinterlegten, touristischen Themen gibt es in Studiengängen zum Tourismusmanagement eigene Lehrveranstaltungen. Dane-
31 Vgl. Bieger (2007), S. 2.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Vorteile
- Umfassendes Grundlagenwerk zur touristischen Betriebswirtschaftslehre
- Im deutschsprachigen Bereich ohne Beispiel
- Abdeckung aller wesentlichen Funktionsbereiche des Tourismus-Managements
- Eignung für Studierende und Praktiker
- Zahlreiche Praxis-Kurzbeiträge von Führungskräften
Zum Werk
Die Tourismusbranche gehört zu den am stärksten wachsenden, aber auch komplexesten Wirtschaftsbereichen.
Dieses Werk vermittelt erstmalig ein umfassendes betriebswirtschaftliches Grundwissen für die Tourismusbranche für Studium und Praxis, das alle wesentlichen Bereiche der Betriebswirtschaftslehre abdeckt. Es unterstützt Studierende und Praktiker bei der Entwicklung einer betriebswirtschaftlichen Denkhaltung, die sinnvolles aktives Handeln („Management“) im touristischen Geschäft ermöglicht.
Das Buch beschreibt auf der Basis eines integrierten Management-Modells Investition und Finanzierung, Beschaffung, Produktion und Marketing sowie die Managementprozesse Planung, Steuerung, Personalmanagement und Organisation. Den Abschluss bilden langfristige Überlegungen zur strategischen Unternehmensführung sowie zum nachhaltigen Tourismusmanagement.
Zahlreiche Experten-Statements von Führungskräften aus der Branche illustrieren die Praxisrelevanz.
Autoren
Prof. Dr. Felix Kolbeck und Prof. Dr. Marion Rauscher, Fakultät für Tourismus, Hochschule München
Zielgruppe
- Studierende der Bachelor-Studiengänge Tourismusmanagement, Masterstudiengänge, Weiterbildungsangebote (IHK, MBA, …) und Tourismusunternehmen.