Vahlen – Allgemeine Reihe – Kolbeck/Rauscher – Tourismus-Management – Herstellung: Frau Deuringer
Stand: 22.08.2012 Status: Druckdaten Seite 118
2. Funktionsbereiche: Kernelemente touristischer Wertschöpfung118
2.2.6 Touristischer Leistungsträgereinkauf
Wie bereits in Abb. 24 gezeigt, „nehmen touristische Leistungen“ eine Sonderstellung in der Systematik der Beschaffungsobjekte ein. Im Rahmen der
Produktion eines Reiseveranstalters haben die einzukaufenden touristischen
Leistungen – in Analogie zur Sachgüterbeschaffung – einen Komponentencharakter für das eigene Produkt, etwa eine Flugpauschalreise.
Aus Reiseveranstaltersicht verfügen nur große, veranstalterdominierte Tourismuskonzerne über Eigentum oder größere Beteiligungen an touristischen
Leistungsträgern, also den Unternehmen, die touristische Leistungen entweder
im Zielgebiet selbst (Hotels, Zielgebietsagenturen) oder „auf dem Weg dorthin“
(Verkehrsträger, insbes. Fluggesellschaften) anbieten. Beispiele sind die Fluggesellschaften TUIfly (TUI-Konzern) und Condor (Thomas Cook-Konzern), deren
Flugleistungen den Reiseveranstaltern der Konzerne zur Verfügung stehen und
ihnen über konzerninterne Verrechnungspreise berechnet werden. In der Regel
aber müssen Reiseveranstalter die Flugleistungen „bei Dritten“, also fremden
Fluggesellschaften aushandeln und zu Marktpreisen einkaufen. Dabei bestehen
in den touristischen Wertschöpfungsketten große wechselseitige Abhängigkeiten zwischen den Zulieferern und den Abnehmern:
Am Beispiel einer Flugpauschalreise können folgende Teilbereiche des touristischen Leistungsträgereinkaufs unterschieden werden:
•• Flugeinkauf: Hier werden bei größeren Volumen häufig Charterverträge
abgeschlossen: Beim Vollcharter wird die gesamte Kapazität eines oder mehrerer Flugzeuge von einem Veranstalter (Charterer) vertraglich gebunden.130
Beim Teilcharter (Splitcharter) bietet die Fluggesellschaft die Kapazität mehreren Veranstaltern an und/oder verkauft Teile ihrer Kontingente direkt an
Endkunden, wodurch die Grenzen zwischen Charter und Linienflugverkehr
verschwimmen. Beim Subcharter wird die Kapazität einer Maschine von
einem Veranstalter als Hauptcharterer unter Vertrag genommen. Er kann
dann überzählige Plätze über Untercharterverträge anderen Veranstaltern
anbieten. Charterverträge verlieren bei Überkapazitäten im Flugbereich zwar
an Bedeutung, sie finden sich aber auch bei anderen Verkehrsträgern wie
etwa Bussen oder im Yachtbereich.131
130 Vgl. hierzu und im Folgenden Mundt (2011), S. 129, Gabler (2011b), Schulz (2009), S. 24
und S. 98, Berg (2006), S. 93–97 sowie Bastian (2004), S. 45 f.
131 Zum Yachtcharter vgl. Schulz, Auer (2010), S. 311–318.
Hotel Veranstalter Fluggesellschaft
Betten
GästeGäste
Flugsitzplätze
Abbildung 32: Beispielhafte Lieferanten- und Abnehmerrollen im Tourismus
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1192.2 Beschaffung
•• Hoteleinkauf: Hoteleinkauf und der Einkauf von Zielgebietsagenturleistungen machen zusammen den Zielgebietseinkauf aus. Zusätzlich zum
Auslastungsrisiko, das schon beim Flugeinkauf ein wichtiges Kriterium
darstellt, kommen beim Zielgebietseinkauf Länder- oder Regionsrisiken
hinzu. Politische Unruhen, Unwetter, Währungsrisiken und Korruption
stellen in vielen touristisch relevanten Ländern mehr oder weniger regelmäßige Tatbestände dar. Ziel des Hoteleinkaufes muss es daher sein, unter
Qualitäts-, Preis- und Risikogesichtspunkten die richtigen Leistungsträger
auszuwählen und zu binden. Diese drei Kriterien müssen allerdings je nach
Quellmarktherkunft der Gäste unterschiedlich interpretiert, ausdifferenziert
und gewichtet werden.132 Vertraglich fixiert werden im Hoteleinkauf die
folgenden Sachverhalte:133 Zeitraum, Leistungen, Volumen, Zeitpunkt des Risikoüberganges an den Veranstalter (Verfallsfrist) und Zahlungsmodalitäten.
Die häufigste Vertragsform ist der Kontingentvertrag (Allotmentvertrag), bei
dem der Hotelier zunächst das Auslastungsrisiko trägt. Der Einfluss des Reiseveranstalters auf den Hotelier ist in diesem Fall gering, etwa in Bezug auf
die Frage, welche Konkurrenzveranstalter ebenfalls Kontingente in diesem
Hotel belegen können. Dabei gilt der Grundsatz, dass dem Veranstalter umso
mehr Einflussnahme zusteht, je mehr und früher er das Auslastungsrisiko
übernimmt. Häufig sichern Veranstalter dem Hotelier zusätzlich Vorauszahlungen vertraglich zu, mit denen der Hotelier in der schwachen Vorsaisonzeit
oder einer Schließungszeit Renovierungsarbeiten beauftragen und die fixen
Teile der Personal- und Betriebskosten decken kann. Dies führt bei Reiseveranstaltern nicht nur zu Zinsverlusten und Währungsrisiken, sondern gerade
in Wintern mit schleppend anlaufenden Buchungen für den kommenden
Sommer häufig auch zu einem bedrohlichen Rückgang der eigenen Liquidität, da den Vorauszahlungen zu wenig Kundenanzahlungen oder andere
Mittelzuflüsse gegenüberstehen.
•• Einkauf von Zielgebietsagenturleistungen: Hierzu zählen die Gästebetreuung (u. a. Empfang, Transfers, Reiseleitung, Information, Notfall- und Beschwerdemanagement) und die Qualitätssicherung vor Ort (u. a. Hotels,
Transfers, Katalogkorrekturen).134 Mitunter nehmen veranstaltereigene Zielgebietsagenturen auch den lokalen Hoteleinkauf wahr.
Während beim Einkauf touristischer Leistungen bei externen Dritten Marktpreise ausgehandelt und bezahlt werden müssen, würden bei Nutzung eigener
Ressourcen interne Verrechnungspreise anfallen.135 Bei grenzüberschreitenden,
internationalen Verrechnungspreissystemen bieten sich zwar in bestimmtem
Maße steueroptimierende Möglichkeiten der Gewinnverlagerung, auf der anderen Seite ergeben sich Probleme bei der Erfolgsermittlung, der Motivation
und der Koordination.
132 Vgl. Steckel, Hovenbitzer (2004), S. 272 f.
133 Vgl. hierzu und im Folgenden Mundt (2011), S. 137 und S. 142 f. sowie Berg (2006),
S. 88–93.
134 Vgl. Mundt (2011), S. 147, Berg (2006), S. 97 f. und Harling, Weiss (2004), S. 289.
135 Vgl. Wöhe, Döring (2010), S. 213–215 sowie ausführlich Oestreicher (2003).
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2. Funktionsbereiche: Kernelemente touristischer Wertschöpfung120
2.2.7 Eine zentrale Frage im Tourismus: Selber produzieren oder
fremd beziehen?
2.2.7.1 Die Make or Buy-Entscheidung
Die Make or Buy-Entscheidung ist die Entscheidung über die vertikale Produktions- und Leistungstiefe eines Unternehmens.136 Konkret stellt sich zu
verschiedenen Anlässen die Frage, ob bestimmte Güter oder Leistungen innerhalb des betrieblichen Leistungsprozesses selbst erstellt („make“ = Produktion)
oder zugekauft („buy“ = Beschaffung) werden sollen. Daher ist es sinnvoll,
diese Frage genau zum Abschluss des Beschaffungskapitels als Übergang zum
Produktionskapitel aufzuwerfen.
Auch die Entscheidung für eine eigene Produktion zieht unweigerlich Beschaf fungs prozesse nach sich. Insofern ist die Make or Buy-Entscheidung nur
teilweise eine „entweder oder“-Frage, deren Beantwortung die nachfolgenden
Beschaffungsprozesse lediglich auf unterschiedlichen Ebenen auslöst. Zudem
kann diese Auswahlentscheidung langfristiger (strategischer) oder kurzfristiger
(operativer) Natur sein, wobei jeweils unterschiedliche Entscheidungskriterien
zu Grunde liegen.
Diese Zusammenhänge lassen sich für die Tourismusbranche sehr gut anhand
eines Vergleiches mit Beispielen aus dem Verarbeitenden Gewerbe veranschaulichen:
136 Vgl. ausführlich Abschnitt 4.2.2.2.4 sowie Jung (2010), S. 330.
Branche: Verarbeitendes Gewerbe (Automobilhersteller)
Entscheidung Konsequenzen für die
Beschaffung (Beispiele)
Strategisch
Make:
Getriebe eines neuen
Modells selbst herstellen
Investitionsgütereinkauf:
Fertigungsanlagen
Materialbeschaffung:
Rohstoffe, Komponententeile
Dienstleistungseinkauf:
Service, Wartung, Werksschutz
Buy:
Getriebe für das neue Modell
zukaufen
Komponenteneinkauf:
Evtl. Getriebe zusammen mit
Lieferanten entwickeln
Operativ
(selten)
Make:
Training für neue Maschinen
in-house durch eigenes
Personal
Materialbeschaffung:
Büromaterial, Strom, Flipcharts
Buy:
Training für neue Maschinen
ex-house beim Hersteller
Dienstleistungseinkauf:
Weiterbildungsmaßnahme
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Vorteile
- Umfassendes Grundlagenwerk zur touristischen Betriebswirtschaftslehre
- Im deutschsprachigen Bereich ohne Beispiel
- Abdeckung aller wesentlichen Funktionsbereiche des Tourismus-Managements
- Eignung für Studierende und Praktiker
- Zahlreiche Praxis-Kurzbeiträge von Führungskräften
Zum Werk
Die Tourismusbranche gehört zu den am stärksten wachsenden, aber auch komplexesten Wirtschaftsbereichen.
Dieses Werk vermittelt erstmalig ein umfassendes betriebswirtschaftliches Grundwissen für die Tourismusbranche für Studium und Praxis, das alle wesentlichen Bereiche der Betriebswirtschaftslehre abdeckt. Es unterstützt Studierende und Praktiker bei der Entwicklung einer betriebswirtschaftlichen Denkhaltung, die sinnvolles aktives Handeln („Management“) im touristischen Geschäft ermöglicht.
Das Buch beschreibt auf der Basis eines integrierten Management-Modells Investition und Finanzierung, Beschaffung, Produktion und Marketing sowie die Managementprozesse Planung, Steuerung, Personalmanagement und Organisation. Den Abschluss bilden langfristige Überlegungen zur strategischen Unternehmensführung sowie zum nachhaltigen Tourismusmanagement.
Zahlreiche Experten-Statements von Führungskräften aus der Branche illustrieren die Praxisrelevanz.
Autoren
Prof. Dr. Felix Kolbeck und Prof. Dr. Marion Rauscher, Fakultät für Tourismus, Hochschule München
Zielgruppe
- Studierende der Bachelor-Studiengänge Tourismusmanagement, Masterstudiengänge, Weiterbildungsangebote (IHK, MBA, …) und Tourismusunternehmen.