68 4 Die Außenfinanzierung durch Eigenkapital (Einlagenfinanzierung)
4.3 Die Eigenkapitalbeschaffung emissionsfähiger Unternehmungen
4.3.1 Die Rechtsformen emissionsfähiger Unternehmungen
4.3.1.1 Vorbemerkungen
Von emissionsfähigen Unternehmungen wird hier gesprochen, wenn Eigenkapital173 durch
den Verkauf von Anteilsrechten über die Börse beschafft werden kann. Für sie existiert
damit eine große Zahl potenzieller Eigenkapitalgeber.174 Nach wie vor betrifft dies nur
Aktiengesellschaften (AG) und Kommanditgesellschaften auf Aktien (KGaA). Das bedeutet
aber nicht, dass alle AG und KGaA tatsächlich auch Zugang zum organisierten Kapitalmarkt besitzen. Vielmehr werden die Aktien von ca. 75 % aller Unternehmungen dieser
Rechtsformen nur auf dem freien, nicht organisierten Kapitalmarkt gehandelt. Die AG
sowie die KGaA sind damit nicht per se emissionsfähig. Um diese Eigenschaft zu erlangen,
müssen sie vielmehr zum Handel an wenigstens einem Börsenplatz zugelassen sein.
Über die Zulassung entscheiden besondere Gremien jeweils an der Börse, bei der die Aufnahme in den Handel beantragt wird.175 Der Antrag auf Zulassung kann dabei in Deutschland nicht direkt von der AG bzw. KGaA selbst gestellt werden, sondern nur zusammen mit
einem Kreditinstitut, das Mitglied der betreffenden Börse ist. Der Antrag ist zudem um
einen sogenannten Börsenzulassungsprospekt zu ergänzen, in dem die wirtschaftlichen
und rechtlichen Verhältnisse der Gesellschaft dargestellt werden. Dieser Prospekt ist zur
Information der Anleger vor Aufnahme des Börsenhandels zu veröffentlichen. Für die Richtigkeit der Prospektangaben haftet neben der AG bzw. KGaA auch das die Zulassung beantragende Kreditinstitut.176
Nicht jede AG bzw. KGaA erfüllt aber die Voraussetzungen zur Zulassung. Die Erlaubnis
kann wegen einer schlechten wirtschaftlichen Situation, aber auch aufgrund eines zu geringen Emissionsvolumens verweigert werden. Nur wenn die emittierende AG bzw. KGaA mit
einer ausreichend großen Aktienzahl an die Börse geht, kann ein reibungsloser Handel
dieser Titel erwartet werden. Nur dann ist mit kontinuierlichem Angebot und Nachfrage und
einer insofern weitgehend störungsfreien Kursfeststellung zu rechnen. Erst ein genügend
großes Emissionsvolumen rechtfertigt schließlich auch die Kosten und den Verwaltungsaufwand der Einführung und Notierung an der Börse. Die praktische Erfahrung hat gezeigt,
dass das Grundkapital der AG bzw. KGaA bei Börseneinführung nicht weniger als
5 Mio. EUR betragen sollte, wovon mindestens 25-50 % platziert werden sollten. Zahlreiche kleinere Aktiengesellschaften und viele der – oft als Familienunternehmungen geführten
– Kommanditgesellschaften auf Aktien erfüllen diese Größenvoraussetzungen nicht.
173 Vgl. aber auch Fußnote 96.
174 Zu den sich aus der Börsenfähigkeit für Eigenkapitalgeber wie für die Unternehmungen ergebenden Vorteilen vgl. Abschnitt 4.3.1.3.3.
175 Vgl. Abschnitt 8.2.2.
176 Vgl. § 44 BörsG.
4.3 Die Eigenkapitalbeschaffung emissionsfähiger Unternehmungen 69
4.3.1.2 Die Kommanditgesellschaft auf Aktien
Die Kommanditgesellschaft auf Aktien177 ist eine Gesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit, bei der mindestens ein Gesellschafter als Komplementär den Gläubigern der
Gesellschaft persönlich und uneingeschränkt mit seinem gesamten Vermögen haftet. Für
persönlich haftende Gesellschafter, deren Name, Vorname und Wohnort in der Satzung
enthalten sein müssen,178 gelten die gleichen Beschränkungen hinsichtlich der Erweiterung
der Kapitalbasis wie für OHG-Gesellschafter und für Komplementäre einer KG. Die Ausdehnung ihrer Kapitalbasis wird vor allem durch ihre Vermögensverhältnisse begrenzt. Ob
ein persönlich haftender Gesellschafter auch eine GmbH sein kann, war umstritten.179
Daneben weist die KGaA eine größere Anzahl von Gesellschaftern auf, die an dem in Aktien zerlegten Grundkapital der Gesellschaft beteiligt sind und ausschließlich für die Erbringung ihrer Einlage haften. Diese sogenannten Kommanditaktionäre haben gegenüber den
Kommanditisten einer KG den Vorteil, dass sich ihre Anteile, insbesondere wenn sie zum
Börsenhandel zugelassen sind, relativ leicht veräußern lassen. Verglichen mit der Stellung
der Aktionäre haben sie jedoch den Nachteil, dass sie nur einen geringeren Einfluss auf die
Geschäftsführung des Komplementärs bzw. der Komplementäre nehmen können. Nur
Hauptversammlungsbeschlüsse, die die Belange der Kommanditaktionäre regeln, sind ohne
Weiteres wirksam. Dagegen bedürfen die Hauptversammlungsbeschlüsse „der Zustimmung
der persönlich haftenden Gesellschafter, soweit sie Angelegenheiten betreffen, für die bei
einer Kommanditgesellschaft das Einverständnis der persönlich haftenden Gesellschafter
und der Kommanditisten erforderlich ist“.180 Die geringe Verbreitung der KGaA (Beschränkung auf Familiengesellschaften) lässt sich damit erklären.
Es ist zu beachten, dass in der Bilanz die Einlagen der Komplementäre neben dem gezeichneten Kapital gesondert auszuweisen sind,181 dass Komplementäre sich auch durch
eine Aktienübernahme am gezeichneten Kapital beteiligen können und dass sie nicht unbedingt eine Einlage leisten müssen; ihre Haftungsübernahme wird allein schon als ausreichend angesehen.
Die KGaA haftet für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft. Die Kommanditaktionäre
nehmen bis zur Höhe ihrer Einlagen am Verlust teil. Darüber hinaus haften im Insolvenzfall
die Komplementäre unbeschränkt mit ihrem gesamten Vermögen. Der auf den Kapitalanteil
eines Komplementärs entfallende Verlust eines Geschäftsjahres ist von seinem Kapitalanteil
abzusetzen. Übersteigt der Verlust den Kapitalanteil, so ist er auf der Aktivseite der Bilanz
unter der Bezeichnung „Einzahlungsverpflichtungen persönlich haftender Gesellschafter“
unter den Forderungen gesondert auszuweisen, soweit eine Zahlungsverpflichtung besteht.
177 Vgl. §§ 278-290 AktG.
178 Vgl. § 281 Abs. 1 AktG.
179 Vgl. zur grundsätzlichen Diskussion und zum alten Rechtsstand Kußmaul, Heinz: Die GmbH &
Co. KG auf Aktien. In: Das Wirtschaftsstudium 1990, S. 494-496. Mittlerweile ist die Zulässigkeit
der GmbH & Co. KGaA geklärt. Zur höchstrichterlichen Klärung vgl. BGH-Urteil vom
24.02.1997, II ZB 11/96. In: Der Betrieb 1997, S. 1219-1222.
180 § 285 Abs. 2 Satz 1 AktG.
181 Vgl. § 286 Abs. 2 Satz 1 AktG.
70 4 Die Außenfinanzierung durch Eigenkapital (Einlagenfinanzierung)
Besteht eine solche nicht, so ist der Betrag als „Nicht durch Vermögenseinlagen gedeckter
Verlustanteil persönlich haftender Gesellschafter“ zu bezeichnen und gem. § 268 Abs. 3
HGB auszuweisen.182
Bei entsprechender Größe und Bonität hat die KGaA Zugang zum organisierten Kapitalmarkt und kann sich durch Emission von Aktien Eigenkapital beschaffen.
4.3.1.3 Die Aktiengesellschaft
4.3.1.3.1 Einleitende Bemerkungen
Unter sämtlichen Unternehmungsrechtsformen weist die Aktiengesellschaft die vielseitigsten, zugleich aber auch die am umfangreichsten gesetzlich geregelten Möglichkeiten der
Beteiligungsfinanzierung auf. Für wachsende Unternehmungen wird die Aktienfinanzierung
früher oder später die interessanteste Art der Beteiligungsfinanzierung sein. Nur sie schafft
ein festes, unkündbares Eigenkapital, ohne den Aktionären das jederzeitige Veräußerungsrecht ihrer Anteile zu nehmen (hohe Fungibilität der Aktien). Nur sie erlaubt die Aufbringung wachstumskonformer Eigenkapitalbeträge in kleiner Stückelung bei angemessenem
Mitspracherecht und Trennung von Management und Eigentum.
4.3.1.3.2 Charakteristik der Rechtsform „Aktiengesellschaft“
Die AG weist einen nominell fixierten Eigenkapitalteil auf: Das in der Bilanz als „gezeichnetes Kapital“ auszuweisende Grundkapital, das mindestens 50.000 EUR betragen muss183
und in einzelne Anteile, die in Aktien verbrieft werden, aufgeteilt ist. Diese werden von den
Gesellschaftern (Aktionären) übernommen und dokumentieren deren Mitgliedschaft. Allerdings gehört den Aktionären damit lediglich ein Wertanteil am Gesamtvermögen der AG,
nicht jedoch ein konkreter Anteil am Gesellschaftsvermögen.
Die Gründung erfolgt in folgenden Phasen:184
• Feststellung der Satzung (§ 23 AktG),
• Übernahme der Aktien durch die Gründer (§ 29 AktG),
• Bestellung des Aufsichtsrats, des Vorstands und des Abschlussprüfers (§ 30 AktG),
• Einzahlung (von mindestens 25 %) des Grundkapitals (§§ 36 Abs. 2, 36a Abs. 1
AktG),
• Erstattung des Gründungsberichts (§ 32 AktG),
• Durchführung der Gründungsprüfung (§§ 33-35 AktG),
• Anmeldung zum Handelsregister (§§ 36 Abs. 1, 37 AktG),
182 Vgl. § 286 Abs. 2 Satz 3 AktG.
183 Vgl. § 7 AktG.
184 Vgl. Süchting, Joachim: Finanzmanagement – Theorie und Politik der Unternehmensfinanzierung.
6. Aufl., Wiesbaden 1995, S. 41.
4.3 Die Eigenkapitalbeschaffung emissionsfähiger Unternehmungen 71
• Prüfung durch das Gericht (§ 38 AktG) sowie
• Eintragung in das Handelsregister (§ 39 AktG).
Bei der Gründung einer AG werden sämtliche Aktien von dem Gründerkreis übernommen,
der mindestens eine Person umfassen muss.185 Die AG entsteht mit der Eintragung in das
Handelsregister. Erst nach dieser konstitutiven (rechtsbegründenden) Eintragung können
die Aktien als Wertpapiere ausgegeben werden. Allerdings ist bei einer Bargründung
(Leistung der Einlagen in bar) bereits bei der Eintragung der Nachweis zu erbringen, dass
die Mindesteinlage (25 % des Grundkapitals bzw. des Nennwerts der einzelnen Aktien plus
gesamtes Agio) geleistet wurde und – mit Ausnahme der bei der Gründung anfallenden
Steuern und Gebühren – zur freien Verfügung des Vorstandes steht.186 Für die neben der
Bargründung mögliche Sachgründung sieht das Aktiengesetz strenge Satzungs-, Gründungs-, Gründungsprüfungs-, Aufsichts- und Haftungsbestimmungen vor, um möglichen
Manipulationen, vor allem hinsichtlich der Bewertung der einzubringenden Objekte, zu
begegnen.187 Diese Vorschriften gelten auch für sogenannte Nachgründungen.188 Das sind
Sachübernahmen in den ersten zwei Jahren nach Eintragung der AG in das Handelsregister.
Für die Verbindlichkeiten der AG haftet den Gläubigern ausschließlich das Gesellschaftsvermögen,189 denn aufgrund ihrer eigenen Rechtspersönlichkeit ist die AG Eigentümerin
des Gesellschaftsvermögens, damit Inhaberin aller Gesellschaftsforderungen sowie Schuldnerin aller Gesellschaftsschulden. Die Aktionäre als Gesellschafter haften lediglich für die
Erbringung ihrer Einlage. Deswegen hat der Gesetzgeber zum Schutz der Gläubiger u. a.
folgende Vorkehrungen getroffen:190
• Das Mindestgrundkapital soll sicherstellen, dass die Eigentümer wenigstens
50.000 EUR als Eigenkapital zur Verfügung stellen (deswegen auch das Verbot der
Unterpari-Emission gem. § 9 Abs. 1 AktG191). Diese Vorschrift kann allerdings nicht
gewährleisten, dass tatsächlich stets ein Eigenkapital von mindestens 50.000 EUR vorhanden ist. Zukünftig eintretende Verluste können durchaus zu einer Verminderung
dieses Eigenkapitals führen. Ausstehende Einlagen auf das gezeichnete Kapital sind in
der Bilanz gesondert auszuweisen.192
• Aus dem Jahresüberschuss ist eine gesetzliche Rücklage zu bilden.193 Es handelt sich
hierbei um eine durch Gesetz erzwungene offene Selbstfinanzierung.
185 Vgl. § 2 AktG; siehe auch § 42 AktG.
186 Vgl. §§ 36 Abs. 2 Satz 1, 36a AktG.
187 Vgl. §§ 27, 31, 32 Abs. 2, 33 Abs. 2, 34, 46 AktG.
188 Vgl. §§ 52, 53 AktG.
189 Vgl. § 1 Abs. 1 Satz 2 AktG.
190 Vgl. auch Drukarczyk, Jochen: Finanzierung. 10. Aufl., Stuttgart 2008, S. 214.
191 „Für einen geringeren Betrag als den Nennbetrag oder den auf die einzelne Stückaktie entfallenden
anteiligen Betrag des Grundkapitals dürfen Aktien nicht ausgegeben werden (geringster Ausgabebetrag).“ Nach § 9 Abs. 2 AktG ist die Ausgabe der Aktien für einen höheren Betrag zulässig.
192 Vgl. Abschnitt 4.3.2.2.1.2.
193 Vgl. § 150 Abs. 1 und 2 AktG.
72 4 Die Außenfinanzierung durch Eigenkapital (Einlagenfinanzierung)
• Den Aktionären dürfen Einlagen nicht zurückgewährt werden.194
• Vor Auflösung der AG darf unter den Aktionären nur der Bilanzgewinn verteilt
werden, soweit die Verteilung nicht ausgeschlossen wurde.195 Der Bilanzgewinn ist einerseits abhängig vom Jahresüberschuss, der sich aufgrund der Bilanzierungs- und
Bewertungsentscheidungen der den Jahresabschluss erstellenden Organe ergibt, andererseits wird er nicht nur durch die gesetzlichen und satzungsmäßigen Bestimmungen
zur Rücklagenbildung bestimmt, sondern auch durch die Entscheidungen von Vorstand
und Aufsichtsrat über die Verwendung des Jahresüberschusses durch Gesetz, Satzung
oder Hauptversammlungsbeschluss.196 Somit ist verständlich, dass die handelsrechtlichen Bilanzierungs- und Bewertungsvorschriften sowie die aktienrechtlichen Gewinnverwendungsmöglichkeiten für Vorstand und Aufsichtsrat grundsätzlich auch den
Schutz der Aktionäre vor einer Benachteiligung durch die genannten Organe im Auge
haben müssen.
• Bei Kapitalherabsetzungen dürfen Zahlungen an die Aktionäre nur geleistet werden,
wenn strenge Gläubigerschutzvorschriften eingehalten werden.197
• Bei einem Verlust in Höhe von 50 % des Grundkapitals hat der Vorstand unverzüglich
die Hauptversammlung einzuberufen.198
• Werden die Schulden durch das Vermögen nicht mehr gedeckt oder ist die AG zahlungsunfähig, so hat der Vorstand unverzüglich die Eröffnung des Insolvenzverfahrens
zu beantragen.199
Seit dem Jahr 2004 ist es Unternehmungen auch möglich, die Rechtsform der Europäischen Aktiengesellschaft (Societas Europaea; SE) zu führen. Durch die Etablierung dieser
europäischen Form der Aktiengesellschaft können Unternehmungen und ihre Tochtergesellschaften in einen EU-weit einheitlichen rechtlichen Mantel gebettet werden. Gleichwohl
bildet die europäische Verordnung zur SE (vgl. Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates
vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE)) nur ein Rahmenwerk, das einer Auslegung durch die nationale Gesetzgebung zu Aktiengesellschaften bedarf. Im Grundsatz haben damit die Regelungen des Aktiengesetzes auch für Europäische
Aktiengesellschaften mit Sitz in Deutschland Geltung. Allerdings beläuft sich das Mindestgrundkapital einer SE auf 120.000 EUR.
Neben dem Aktiengesetz sind für Europäische Aktiengesellschaften mit Sitz in Deutschland
die Vorgaben des SE-Ausführungsgesetzes (BGBl. I 2004, S. 3675) zu beachten.
194 Vgl. § 57 Abs. 1 AktG.
195 Vgl. §§ 57 Abs. 3, 58 Abs. 4 AktG.
196 Vgl. § 58 Abs. 1, 2 und 2a AktG.
197 Vgl. § 225 AktG.
198 Vgl. § 92 Abs. 1 AktG.
199 Vgl. § 92 Abs. 2 AktG; vgl. auch §§ 16-19 InsO.
4.3 Die Eigenkapitalbeschaffung emissionsfähiger Unternehmungen 73
4.3.1.3.3 Die Vorteile bei der Eigenkapitalbeschaffung für Aktiengesellschaften
Aus verschiedenen Gründen ist die Rechtsform der AG am besten für die Aufbringung
großer Eigenkapitalbeträge geeignet:200
• Das Grundkapital einer AG ist nach deutschem Aktienrecht in Aktien „zerlegt“,201
d. h., die Summe der Nennwerte bei Nennwertaktien bzw. – bei Stückaktien – die
Summe der auf die einzelnen Aktien entfallenden anteiligen Beträge des Grundkapitals
(fiktive Nennwerte) der ausgegebenen Aktien einer Gesellschaft entspricht deren
Grundkapital. Aufgrund des geringen Mindestnennbetrags einer Aktie von 1 EUR202
haben Aktiengesellschaften eine dementsprechend sehr große Zahl von Aktien auszugeben. Damit ist den Kapitalgebern bereits mit geringem Kapital eine Beteiligung
möglich. Durch den geringen „Mindesteinsatz“ hat der Anleger zudem die Möglichkeit, sich an vielen Aktiengesellschaften zu beteiligen. Dabei ist die Haftung des Aktionärs auf die von ihm zu erbringende Einlage beschränkt. Haftungsbeschränkung und
Diversifikation senken sein Risiko erheblich.
• Die Organisationsform der AG berücksichtigt, dass sich eine große Zahl von Personen,
bei denen grundsätzlich nur kapitalmäßige Interessen vorausgesetzt werden, von
denen aber eine direkte unternehmerische Betätigung i. S. einer Mitwirkung an der Geschäftsführung nicht erwartet wird, beteiligen kann.
• Trotz der großen Zahl von Eigentümern ist die Beweglichkeit der Leitung durch die
verselbstständigte Geschäftsführung sichergestellt. Nur bei äußerst wichtigen Entscheidungen ist ein Beschluss der Hauptversammlung erforderlich.203
• Die detaillierten rechtlichen Regelungen des Aktiengesetzes sichern die Rechte der
Eigentümer in einem gewissen Umfang. Bei fehlender direkter Mitwirkung an der Geschäftsführung ist eine solche von den derzeitigen und potenziellen Aktionären als ausreichend anerkannte gesetzliche Absicherung Voraussetzung dafür, dass von vielen
Kapitalgebern Eigenkapital in größerem Umfang zur Verfügung gestellt wird. Trotzdem wird sich nie vollständig vermeiden lassen, dass der Vorstand einer Aktiengesellschaft seine eigenen Interessen zu Lasten der Aktionärsinteressen verfolgt.
• Aktien sind vertretbare (fungible) Wertpapiere. Sofern sie an einer Börse gehandelt
werden,204 erlangen sie eine hohe Verkehrsfähigkeit; sie können fast täglich veräußert
werden. Der Anteilseigner kann sich damit an einem hoch organisierten Markt grundsätzlich leicht, d. h. schnell und ohne großen Aufwand, von diesen Papieren lösen, zumindest leichter als von einem Anteil an einer nicht-emissionsfähigen Unternehmung.
200 Vgl. auch Perridon, Louis/Steiner, Manfred: Finanzwirtschaft der Unternehmung. 14. Aufl.,
München 2007, S. 358.
201 Vgl. § 1 Abs. 2 AktG.
202 Vgl. § 8 Abs. 2 Satz 1 bzw. Abs. 3 Satz 3 AktG.
203 Vgl. § 119 AktG.
204 Vgl. dazu Abschnitt 8.
74 4 Die Außenfinanzierung durch Eigenkapital (Einlagenfinanzierung)
Dort müssen erst durch Zeitungsannoncen, Makler, Banken und Berater potenzielle
Käufer gefunden werden.
• Das Eigenkapital wird der AG i. d. R. unbefristet zur Verfügung gestellt. Der einzelne Aktionär kann seine Aktien lediglich einem anderen Anleger verkaufen; eine
Kündigung seines Beteiligungsverhältnisses und damit ein Zurückverlangen seiner
Einlage von der AG ist ausgeschlossen. Auf die finanzwirtschaftliche Situation der Gesellschaft hat der sich außerhalb der AG abspielende Wechsel der Anteilseigner grundsätzlich keine Auswirkungen. Soweit es dadurch aber zu veränderten Mehrheitsverhältnissen kommt, kann sich der gesamte Entscheidungsprozess innerhalb der Gesellschaft ganz erheblich verändern. Erfolgt die Veränderung der Mehrheitsverhältnisse
gegen den Willen des Managements, so spricht man von einer „feindlichen“ Übernahme. Soweit sich der Mehrheitsgesellschafter die für den Erwerb der Anteilsmehrheit erforderlichen Mittel durch Verkauf von Unternehmungsteilen der übernommenen AG
beschafft, ergeben sich für die übernommene Gesellschaft auch entsprechende finanzwirtschaftliche Auswirkungen.
4.3.2 Die Aktien
4.3.2.1 Der Begriff der Aktie
Formal gesehen stellt die Aktie einen Bruchteil des Grundkapitals dar.205 Mit ihr wird die
Mitgliedschaft in einer AG verbrieft. Werden Aktien verschiedener Gattungen ausgegeben,
so sind die Gattungen und die Gesamtnennbeträge der Aktien jeder Gattung als Vermerkposten in der Bilanz gesondert anzugeben.206 Dies führt zu der Frage nach den unterschiedlichen Aktienarten.
4.3.2.2 Die Aktienarten
4.3.2.2.1 Die Einteilung der Aktien nach den für die Eigentumsübertragung
maßgebenden Rechtsvorschriften
4.3.2.2.1.1 Die Inhaberaktien
Bei dieser in Deutschland üblichen Form der Aktie vollzieht sich die Eigentumsübertragung
relativ einfach durch Einigung und Übergabe.207 Beim Inhaberpapier folgt das Recht aus
dem Papier dem Recht am Papier. Die verbrieften Rechte kann nur der Inhaber der Aktienurkunde ausüben. Da dieser anonym bleibt, dürfen Inhaberaktien nur ausgegeben werden,
wenn der Nennbetrag der Aktien und darüber hinaus – sofern vorgesehen – auch das Agio
voll eingezahlt worden sind.208
205 Vgl. § 1 Abs. 2 AktG: „Die Aktiengesellschaft hat ein in Aktien zerlegtes Grundkapital.“
206 Vgl. § 152 Abs. 1 Satz 2 AktG.
207 Vgl. § 929 BGB.
208 Vgl. § 10 Abs. 2 Satz 1 AktG.
4.3 Die Eigenkapitalbeschaffung emissionsfähiger Unternehmungen 75
4.3.2.2.1.2 Die Namensaktien
Im Falle der nicht vollständigen Einzahlung des Grundkapitals müssen Namensaktien
ausgegeben werden, da ansonsten der Eigentümerwechsel völlig unkontrollierbar wäre und
die aktuellen Eigentümer, die noch Restzahlungen zu erbringen haben, im Zweifel nicht
auffindbar wären.
Nicht eingezahlte Anteile des Grundkapitals müssen nach dem Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts in einer Vorspalte offen vom gezeichneten Kapital auf der Passivseite der Bilanz abgesetzt werden.209 Dort ist dann der verbleibende Betrag als „Eingefordertes
Kapital“ in der Hauptspalte auszuweisen; außerdem ist der eingeforderte, aber noch nicht
eingezahlte Betrag unter den Forderungen des Umlaufvermögens gesondert aufzuführen
und entsprechend zu bezeichnen.
Werden von der AG eingeforderte Beträge nicht rechtzeitig durch die Aktionäre geleistet, so
muss der säumige Aktionär 5 % p. a. Verzugszinsen zahlen; daneben kann die AG weitere
Schäden geltend machen.210 Nach Ablauf einer Nachfrist kann der säumige Aktionär im
Wege der Kaduzierung ausgeschlossen werden. Die alten Aktien werden dann für kraftlos
erklärt und durch neue Urkunden ersetzt.211
In Deutschland verlangen beispielsweise Rückversicherungsgesellschaften üblicherweise
nicht sofort die volle Einzahlung des Grundkapitals. Sie benötigen für den normalen Geschäftsablauf ein geringes Eigenkapital, müssen aber bei außergewöhnlichen Schadensfällen
auf größere Eigenkapitalbeträge zurückgreifen können.
Die Übertragung dieser (geborenen) Orderpapiere erfolgt durch
• Einigung und Übergabe der Urkunde,
• schriftliche Abtretungserklärung auf der Rückseite des Wertpapiers (Indossament)
sowie
• Eintragung des Inhabers der Papiere mit Namen, Geburtsdatum und Adresse in das bei
der Gesellschaft zu führende Aktienregister.212
Nur der in das Aktienregister eingetragene Aktionär kann Aktionärsrechte aus Namensaktien ausüben.213 Die Regelung unterscheidet sich von der bei Inhaberaktien. Bei diesen kann
ein Kreditinstitut aufgrund einer Vollmacht des Aktionärs dessen Interessen in der Hauptversammlung („im Namen dessen, den es angeht“214) wahrnehmen; die Anonymität des
Aktionärs wird auf diese Weise gewährleistet. Bei Namensaktien ist eine derartige Stimmrechtsvertretung nicht möglich, da das Kreditinstitut – sofern ihm die Aktien nicht gehören
und es auch nicht in das Aktienregister eingetragen ist – „das Stimmrecht für Namensaktien
209 Vgl. § 272 Abs. 1 Satz 3 HGB.
210 Vgl. § 63 Abs. 2 AktG.
211 Vgl. § 64 AktG.
212 Vgl. §§ 68 Abs. 1, 3 und 4 sowie 67 Abs. 1 AktG.
213 Vgl. § 67 Abs. 2 AktG.
214 § 135 Abs. 4 Satz 2 AktG.
76 4 Die Außenfinanzierung durch Eigenkapital (Einlagenfinanzierung)
... nur unter Benennung des Aktionärs in dessen Namen aufgrund einer Ermächtigung aus-
üben“215 darf.216
Will der Aktionär jedoch seine Anonymität bewahren, so kann an seiner Stelle auch ein
Kreditinstitut, das die Aktien für ihn verwahrt, in das Aktienregister eingetragen werden.
Das Kreditinstitut gilt dann im Verhältnis zur Aktiengesellschaft als Aktionär217 und kann
das Stimmrecht ausüben. Im Innenverhältnis können der Aktionär und das Kreditinstitut
jedoch vereinbaren, wie das Stimmrecht vom Kreditinstitut auszuüben ist.218 Der Aktionär
bleibt in diesem Fall anonym, da die Ermächtigung zur Stimmrechtsausübung der Gesellschaft nicht vorzulegen ist.219 Insofern kann die Aktiengesellschaft auch nicht überprüfen,
ob dem Kreditinstitut überhaupt eine Ermächtigung vorliegt. Diese Überprüfung ist stattdessen vom Jahresabschlussprüfer des Kreditinstituts vorzunehmen,220 der über diese Prüfung
gesondert zu berichten hat.221
Die Nachteile, die sich früher aus der schwerfälligen und mit zusätzlichem Verwaltungsaufwand verbundenen Übertragung der Namensaktie ergaben (eingeschränkte Fungibilität),
können mit Hilfe der technologischen Entwicklungen der letzten Jahre vermieden werden,
so dass es neuerdings möglich ist, die Funktionalität der Namensaktie mit der Fungibilität
der Inhaberaktie zu vereinigen.222 Die einfache Übertragung der Namensaktie wird dadurch
erreicht, dass das Aktienregister nicht physisch (beispielsweise in Papierform), sondern
virtuell als elektronische Datei geführt wird.
Die Vorteile, die sich für die Aktiengesellschaft aus Namensaktien im Vergleich zu Inhaberaktien ergeben, basieren vor allem auf der elektronischen Verfügbarkeit der Daten. So
können die Daten aus dem Aktionärsregister mit vergleichsweise geringem Aufwand dazu
benutzt werden, direkt mit den Aktionären in Kontakt zu treten.223 Außerdem ist eine umfassende Analyse der Aktionärsstruktur möglich. Werden neben den gesetzlich vorgeschriebenen Daten224 weitere die Aktionäre betreffende Informationen erfasst, so wäre eine Auswertung der Aktionärsstruktur nach Kriterien wie beispielsweise Alter, Nationalität oder
215 § 135 Abs. 7 Satz 1 AktG.
216 Vgl. hierzu Noack, Ulrich: Die Namensaktie – Dornröschen erwacht. In: Der Betrieb 1999,
S. 1309-1310.
217 Vgl. § 67 Abs. 2 AktG.
218 Neben der vertraglichen Vereinbarung ergibt sich eine Weisungsgebundenheit des Kreditinstituts
auch aus §§ 128 Abs. 2, 135 Abs. 4 i.V.m. 135 Abs. 5 AktG.
219 Ist das Kreditinstitut hingegen nicht als Aktionär im Aktienregister eingetragen und übt es das
Stimmrecht lediglich aufgrund einer Vollmacht des Aktionärs aus, so „ist die Vollmachtsurkunde
der Gesellschaft vorzulegen und von dieser zu verwahren“ (§ 135 Abs. 4 Satz 3 AktG i.V.m. § 135
Abs. 7 Satz 2 AktG). In diesem Fall kann der Aktionär nicht anonym bleiben.
220 Vgl. § 29 Abs. 2 Satz 2 KWG.
221 Vgl. § 29 Abs. 2 Satz 3 KWG.
222 Vgl. Noack, Ulrich: Die Namensaktie – Dornröschen erwacht. In: Der Betrieb 1999, S. 1306.
223 Bei Inhaberaktien ist der Umweg über die Gesellschaftsblätter sowie die Depotbanken erforderlich.
224 Gemäß § 67 Abs. 1 AktG sind die Aktionäre mit ihrem Namen, Geburtsdatum und Adresse in das
Aktienregister einzutragen.
4.3 Die Eigenkapitalbeschaffung emissionsfähiger Unternehmungen 77
Geschlecht denkbar.225 Sogar die Handelsgewohnheiten der Aktionäre (durchschnittliche
Haltedauer, Ordervolumen, Häufigkeit von An- und Verkauf) könnten von der Gesellschaft
– sofern die entsprechenden Daten verfügbar sind – analysiert werden.
Dadurch, dass der Gesellschaft zeitnahe Informationen über die Höhe des Beteiligungskapitals der einzelnen Aktionäre zur Verfügung stehen, ist es eher möglich, „feindliche“ Übernahmen226 zu erkennen, so dass entsprechende Abwehrmaßnahmen früher ergriffen werden
können.227
Schließlich sind Namensaktien auch erforderlich, wenn sich eine Gesellschaft direkt, also
ohne Verwendung sogenannter American Depository Receipts (ADR)228 an US-amerikanischen Börsen notieren lassen möchte. Hierdurch werden auch Unternehmungsübernahmen
in den USA für die Gesellschaft einfacher, da sie anstelle von Bargeld ihre eigenen Aktien
als „Tauschwährung“ einsetzen kann.229
Den genannten Vorteilen für die Aktiengesellschaft ist es zuzuschreiben, dass die Namensaktie in Deutschland eine Renaissance erlebt230 und immer mehr Aktiengesellschaften auf
Namensaktien umstellen.231
Allerdings dürften die der Gesellschaft zur Verfügung stehenden Aktionärsdaten bei den
Aktionären Bedenken auslösen – nicht nur wegen der umfangreichen Analysemöglichkeiten, die sich der Gesellschaft eröffnen, sondern vielmehr auch, weil der Aktionär nicht weiß,
was mit seinen Daten geschieht. So besteht die Gefahr, dass sich die Gesellschaft die Daten
im Rahmen ihrer Marketingaktivitäten zu Nutze macht und den Kunden mit ihren Verkaufsmaßnahmen gezielt anspricht. Noch bedenklicher wäre es, wenn Aktionärsdaten an
Adressenhändler verkauft würden. Wäre externen Personenkreisen der Zugang zu den Aktionärsdaten möglich und könnten sich diese die Aktienregister mehrerer Gesellschaften
beschaffen, so würde durch Konsolidierung der über einen einzelnen Anteilseigner vorliegenden Informationen in der Tat der „gläserne Aktionär“ entstehen. Der Gesetzgeber sollte
daher durch entsprechende Regelungen dem Missbrauch von Aktionärsdaten entgegenwirken.
225 Weitere Beispiele nennt Noack, Ulrich: Die Namensaktie – Dornröschen erwacht. In: Der Betrieb
1999, S. 1306-1307.
226 Vgl. Abschnitt 4.3.1.3.3.
227 Allerdings besteht bei börsennotierten Gesellschaften die Vorschrift, dass der Aktionär bei Überbzw. Unterschreiten gewisser Stimmrechtsquoten die Gesellschaft unverzüglich (spätestens innerhalb von vier Handelstagen) hierüber informieren muss (vgl. § 21 Abs. 1 WpHG).
228 Dabei handelt es sich um US-amerikanische Hinterlegungszertifikate, die eine bestimmte Stückzahl von hinterlegten ausländischen Originalaktien verkörpern. An der Börse werden dann nicht
die Aktien, sondern die Hinterlegungszertifikate (ADR) gehandelt.
229 Vgl. Deutsche Börse AG (Hrsg.): Unterwegs zur Weltaktie. In: vision + money 1999, Heft 4,
S. 11.
230 Vgl. dazu die verschiedenen Beiträge in: Rosen, Rüdiger von/Seifert, Werner G. (Hrsg.): Die
Namensaktie. Schriften zum Kapitalmarkt. Band 3, o. O. (Frankfurt a. M.) 2000.
231 So waren im Mai 2009 unter den 30 im DAX notierten Unternehmungen 11 Gesellschaften mit
Namensaktien vertreten.
78 4 Die Außenfinanzierung durch Eigenkapital (Einlagenfinanzierung)
4.3.2.2.1.3 Die vinkulierten Namensaktien
Die Übertragung dieser (geborenen) Orderpapiere ist an die Zustimmung der Gesellschaft gebunden.232 Die Zustimmung erteilt grundsätzlich der Vorstand, sofern die Satzung
nicht bestimmt, dass der Aufsichtsrat oder die Hauptversammlung über die Erteilung der
Zustimmung beschließt.233 Die Satzung kann zudem die Gründe für die Verweigerung
festlegen.234 Durch vinkulierte Namensaktien versucht man zu verhindern, dass die Aktien
an unerwünschte Aktionäre verkauft werden, dass also beispielsweise
• die Aktien von Familienaktiengesellschaften an Nichtfamilienmitglieder gelangen,
• eine „Überfremdung“ durch ausländische Kapitalanleger erfolgt,
• Aktien von Aktionären mit geringer Kreditwürdigkeit erworben werden, wodurch
eine noch zu leistende Resteinzahlung gefährdet würde, oder
• Aktionäre von Nebenleistungsgesellschaften, deren Aktionäre berechtigt oder verpflichtet sind, außer den Einlagen gewisse ständig wiederkehrende und nicht in Geld
bestehende Leistungen zu erbringen (z. B. eine bestimmte Menge Zuckerrüben für eine
Zuckerrübenraffinerie zu liefern), entweder dieses Recht ohne Zustimmung der Gesellschaft an Dritte übertragen oder sich von ihrer Verpflichtung durch Verkauf der Aktien
lösen, was der Gesellschaft u. U. die Erfüllung des Gesellschaftszwecks erschwert oder
gar unmöglich macht.
4.3.2.2.2 Die Einteilung der Aktien nach dem Umfang und der Qualität der Mitgliedschaftsrechte
4.3.2.2.2.1 Die Stammaktien
Für Stammaktien, die ihrem Inhaber sämtliche im Aktiengesetz für den Normalfall vorgesehenen Rechte gewähren, gilt das Prinzip der Gleichberechtigung der Aktionäre hinsichtlich der ihnen eingeräumten Rechte, d. h., die Rechte der Aktionäre richten sich grundsätzlich nach der Höhe des Aktiennennbetrages, über den sie jeweils verfügen, bzw. nach der
Zahl der von ihnen gehaltenen Aktien.
Dieser Normaltyp der Aktie räumt dem Aktionär folgende Mitgliedschaftsrechte ein, die
nicht eingeschränkt werden dürfen:235
• Vermögensrechte
? das Dividendenrecht (Recht auf einen Anteil am Bilanzgewinn),
? das Recht auf einen Anteil am Liquidationserlös,
? das Bezugsrecht;
232 Vgl. § 68 Abs. 2 Satz 1 AktG.
233 Vgl. § 68 Abs. 2 Satz 2 und 3 AktG.
234 Vgl. § 68 Abs. 2 Satz 4 AktG.
235 Vgl. dazu vertiefend Drukarczyk, Jochen: Finanzierung. 10. Aufl., Stuttgart 2008, S. 331-343.
4.3 Die Eigenkapitalbeschaffung emissionsfähiger Unternehmungen 79
• Verwaltungsrechte
? das Stimmrecht,
? das Auskunfts- bzw. Informationsrecht,
? das Kontrollrecht.
Aus dem Recht auf einen Anteil am Bilanzgewinn ergibt sich für den einzelnen Aktionär
neben der Aussicht auf mögliche Kursgewinne die Chance der laufenden Einkommenserzielung, da er gemäß seiner Beteiligungsquote an den Ausschüttungen (Dividenden) der AG
beteiligt ist. Dieser Anspruch ist auf zweifache Weise eingeschränkt. Erst wenn andere
Kapitalgeber (Gläubiger, Vorzugsaktionäre) ihre Ansprüche befriedigt sehen, kann der
Aktionär seinen Ausschüttungsanspruch geltend machen (Residualanspruch). Außerdem
beschränkt sich der Anspruch des Aktionärs auf den Bilanzgewinn.236 Dieser Bilanzgewinn
wird bestimmt durch die Rechnungslegungsvorschriften, durch die Ausübung der Ansatzund Bewertungswahlrechte, durch gesetzliche Bestimmungen und Satzungsbestimmungen
hinsichtlich der Gewinnverwendung sowie durch Gewinnverwendungsbeschlüsse.
Auch beim Recht auf einen Anteil am Liquidationserlös handelt es sich um einen in
§ 271 AktG geregelten Residualanspruch, da zunächst stets die Ansprüche der Gläubiger
und je nach Art der gewährten Vorzüge auch die Ansprüche der Vorzugsaktionäre befriedigt
werden müssen; demnach handelt es sich streng genommen um einen Liquidationsüberschuss.
Bei einer Kapitalerhöhung gegen Einlagen237 bietet die AG „junge“ Aktien zum Bezugskurs
an. Aufgrund ihres Bezugsrechts haben die „Altaktionäre“ die Möglichkeit, „junge“ Aktien
gemäß ihrer bisherigen Quote zu erwerben und damit ihre Beteiligungsquote zu erhalten.238
Eine entsprechende Regelung besteht auch für die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln.239
Zu den Verwaltungsrechten der Aktionäre zählen u. a.:
• Teilnahme an der Hauptversammlung (§ 118 Abs. 1 AktG) und damit auch das Recht
auf
• Teilnahme an den in der Hauptversammlung gefassten Beschlüssen (§ 119 AktG),
namentlich über
? die Bestellung der Mitglieder des Aufsichtsrats,
? die Verwendung des Bilanzgewinns,
? die Entlastung der Mitglieder des Vorstandes und Aufsichtsrats,
? die Bestellung des Abschlussprüfers,
236 Vgl. §§ 57 Abs. 3, 58 Abs. 4 AktG.
237 Vgl. §§ 182-191 AktG; vgl. auch Abschnitt 4.3.3.2.2.
238 Vgl. § 186 Abs. 1 AktG; vgl. auch Abschnitt 4.3.3.2.2.1 und Abschnitt 4.3.3.2.5.
239 Vgl. § 212 AktG.
80 4 Die Außenfinanzierung durch Eigenkapital (Einlagenfinanzierung)
? Satzungsänderungen,
? Maßnahmen der Kapitalbeschaffung und der Kapitalherabsetzung,
? die Auflösung der Gesellschaft,
? Maßnahmen der Geschäftsführung (lediglich auf Verlangen des Vorstandes; § 119
Abs. 2 AktG); sowie
• das Minderheitenrecht, die Einberufung der Hauptversammlung zu verlangen (§ 122
AktG),
• das Antragsrecht (§ 126 AktG),
• das Auskunftsrecht über Angelegenheiten der Gesellschaft (§§ 131, 132 AktG),
• das Recht auf Information über die Lage der Gesellschaft (§ 175 Abs. 2 AktG),
• das Stimmrecht (§§ 133-136 AktG),
• das Anfechtungsrecht (z. B. § 245 AktG).
4.3.2.2.2.2 Die Vorzugsaktien
Diese Aktien besonderer Gattung gewähren dem Aktionär Vorteile im Verhältnis zur
Stammaktie hinsichtlich der eingeräumten Rechte, insbesondere bei der Gewinnverteilung,
der Ausübung des Stimmrechts oder der Verteilung des Liquidationserlöses (absolute Vorzugsaktien). Sind diese Vorteile mit einem Nachteil verbunden (z. B. stimmrechtslose
Aktien mit höherer Dividende), so liegen relative Vorzugsaktien vor.
Vorzugsaktien, die Vorzüge hinsichtlich der Dividendenzahlungen einräumen, werden
aus verschiedenen Gründen ausgegeben:240
• Durchführung einer Kapitalerhöhung gegen Einlagen bei einem unter dem Nennwert
bzw. unter dem auf die einzelne Stückaktie entfallenden anteiligen Betrag des Grundkapitals liegenden Börsenkurs der Stammaktien. Die Einräumung von Vorzügen gegenüber den bereits im Umlauf befindlichen Stammaktien ist notwendig, weil einerseits eine Ausgabe von Stammaktien zu einem unter dem Nennwert (Nennwertaktien241) bzw. zu einem unter dem auf die einzelne Aktie entfallenden anteiligen Betrag
des Grundkapitals (Stückaktie242) liegenden Ausgabekurs (sogenannte Unterpari-
Emission) nicht möglich ist243 und andererseits neue Aktien, die den bereits im Umlauf
befindlichen Stammaktien hinsichtlich der eingeräumten Rechte entsprechen, im hier
unterstellten Fall zum in § 9 Abs. 1 AktG geforderten Betrag oder zu einem höheren
Wert nicht abgesetzt werden können.
240 Vgl. Wöhe, Günter/Bilstein, Jürgen: Grundzüge der Unternehmensfinanzierung. 9.Aufl., München
2002, S. 46-48.
241 Vgl. Abschnitt 4.3.2.2.3.1.
242 Vgl. Abschnitt 4.3.2.2.3.2.
243 Vgl. § 9 Abs. 1 AktG.
4.3 Die Eigenkapitalbeschaffung emissionsfähiger Unternehmungen 81
• Sollen im Sanierungsfall nach der Verrechnung des Verlustvortrags mit dem Grundkapital („gezeichnetes Kapital“) – dies hat ein Zusammenlegen oder „Herunterstempeln“ der seitherigen Stammaktien zur Folge244 – flüssige Mittel durch Alt- oder Neuaktionäre zugeführt werden, so muss angesichts der schlechten wirtschaftlichen Situation der AG ein Anreiz zur (zusätzlichen) Beteiligung geboten werden.
• Können die bisherigen Aktionäre das von der AG benötigte zusätzliche Eigenkapital
nicht aufbringen, wollen sie aber ihre Anteilsquote (i. S. eines Stimmenanteils) erhalten, so können stimmrechtslose Aktien ausgegeben werden.245 Dieser Nachteil hinsichtlich der Mitwirkungsrechte kann durch den wirtschaftlichen Vorteil eines erhöhten
Dividendenanspruchs ausgeglichen werden. Der Ausschluss des Stimmrechtes für Vorzugsaktien ist allerdings nur möglich, wenn die Aktie mit einem nachzuzahlenden Dividendenvorteil ausgestattet ist (kumulative Vorzugsaktie).246 Vorzugsaktien ohne
Stimmrecht dürfen nur bis zur Hälfte des Grundkapitals ausgegeben werden.247
Für Dividendenvorrechte gibt es verschiedene Ausgestaltungsmöglichkeiten:248
• Prioritätischer Dividendenanspruch in Verbindung mit einer Gleichverteilungsregel
Wird an die Vorzugsaktionäre eine Vorzugsdividende gezahlt, bevor an die Stammaktionäre
Dividende ausgeschüttet wird, so muss für den nach vertragsgemäßer Bedienung der Vorzugsaktionäre verbleibenden Teil des Bilanzgewinns eine Zuteilungsregelung getroffen
werden. Wird eine gleichmäßige Verteilung des gesamten Bilanzgewinns auf Stamm- und
Vorzugsaktionäre angestrebt, so muss nach der Bedienung der Vorzugsaktien aus dem
verbleibenden Teil des Bilanzgewinns den Stammaktionären möglichst dieselbe Dividende
zugeteilt werden. Ein weiterhin noch verbleibender Rest ist auf alle Aktien gleichmäßig zu
verteilen. Ein Vorzug für die Vorzugsaktien ergibt sich nur, wenn der Bilanzgewinn nicht
ausreicht, auch den Stammaktionären die den Vorzugsaktionären zugesagte Dividende zu
zahlen.
Im folgenden Beispiel (Abbildung 20 und Abbildung 21; Seite 82) wurde für die Vorzugsaktionäre eine Dividende von 0,25 EUR pro Aktie vereinbart. Ein Vorteil für die Vorzugsaktien ergibt sich nur bis zu einer Gewinnausschüttung von 500.000 EUR.
244 Vgl. Abschnitt 4.3.4.2.2.
245 Vgl. § 12 Abs. 1 Satz 2 AktG.
246 Vgl. § 139 Abs. 1 AktG.
247 Vgl. § 139 Abs. 2 AktG.
248 Vgl. Wöhe, Günter/Bilstein, Jürgen: Grundzüge der Unternehmensfinanzierung. 9.Aufl., München
2002, S. 48-52.
82 4 Die Außenfinanzierung durch Eigenkapital (Einlagenfinanzierung)
Gewinnanteil in EUR
je Aktiengattung
Dividende in EUR je AktieBilanzgewinn
(Gewinnausschüttung)
in EUR
Vorzugsaktien
(800.000
Stück)
Stammaktien
(1.200.000
Stück)
Vorzugsaktien Stammaktien
80.000 80.000 – 0,10 –
160.000 160.000 – 0,20 –
200.000 200.000 – 0,25 –
320.000 200.000 120.000 0,25 0,10
500.000 200.000 300.000 0,25 0,25
600.000 240.000 360.000 0,30 0,30
700.000 280.000 420.000 0,35 0,35
Abbildung 20: Beispiel für einen prioritätischen Dividendenanspruch in Verbindung mit
einer Gleichverteilungsregel249
Vorzugsdividende
Dividende je
Aktie in EUR
0,40 Dividende auf Vorzugsaktie
0,30
0,20
Dividende auf Stammaktie
0,10
100 200 300 400 500 600 700 800 900 Bilanzgewinn
in 1.000 EUR
Abbildung 21: Prioritätischer Dividendenanspruch in Verbindung mit einer
Gleichverteilungsregel250
249 Modifiziert entnommen ausWöhe, Günter/Bilstein, Jürgen: Grundzüge der Unternehmensfinanzierung.9.Aufl., München 2002, S. 48.
250 Modifiziert entnommen ausWöhe, Günter/Bilstein, Jürgen: Grundzüge der Unternehmensfinanzierung.9.Aufl., München 2002, S. 49.
4.3 Die Eigenkapitalbeschaffung emissionsfähiger Unternehmungen 83
• Prioritätischer Dividendenanspruch in Verbindung mit einer generellen
Überdividende
Hier erfolgt die Verteilung des nach Bedienung der Vorzugsaktien noch verbleibenden Teils
des Bilanzgewinns zu gleichen Teilen pro Stamm- bzw. Vorzugsaktie (vgl. Abbildung 22).
Die Stammaktionäre können den Ausschüttungsvorsprung der Vorzugsaktie nie aufholen.
Bei ausreichendem Gewinn entfällt bei einem Prioritätsanspruch von 0,10 EUR je Aktie auf
die Vorzugsaktie stets ein Dividendensatz, der um 0,10 EUR höher liegt als der der Stammaktie.
Dividende je
Aktie in EUR
0,30
Dividende auf
Vorzugsaktie
0,20
Prioritätsanspruch 0,10 Dividende auf Stammaktie
100 200 300 400 500 Bilanzgewinn
in 1.000 EUR
Abbildung 22: Prioritätischer Dividendenanspruch in Verbindung mit einer generellen
Überdividende251
• Limitierte Vorzugsdividende
Der zur Ausschüttung verfügbare Bilanzgewinn wird zunächst zur Leistung der nach oben
begrenzten Vorzugsdividende verwendet (maximaler Dividendenanspruch). Der gesamte
verbleibende Teil des Bilanzgewinns fällt den Stammaktien zu. Nur bei relativ schlechter
Gewinnsituation kommt es zu einem Vorteil für die Vorzugsaktionäre. Dieser Vorteil
wächst mit steigendem Bilanzgewinn von 0 EUR bis zum maximalen Dividendenanspruch.
Danach schrumpft der Vorteil zusammen, bis er sich schließlich zu einem Nachteil umkehrt.
Dies ist ab einem Bilanzgewinn der Fall, der die Bezahlung des Vorzugsdividendensatzes
auch an die Stammaktionäre erlaubt. In Abbildung 23 (Seite 84) wird eine Vorzugsdividende von 0,30 EUR pro Aktie angenommen.
251 Modifiziert entnommen aus Wöhe, Günter/Bilstein, Jürgen: Grundzüge der Unternehmensfinanzierung. 9. Aufl., München 2002, S. 49.
84 4 Die Außenfinanzierung durch Eigenkapital (Einlagenfinanzierung)
Dividende je
Aktie in EUR
0,50
Dividende auf
Stammaktie
0,40
Vorzugslimit 0,30 Dividende aufVorzugsaktie
0,20
0,10
100 200 300 400 500 600 700 800 900 Bilanzgewinn
in 1.000 EUR
Abbildung 23: Limitierte Vorzugsdividende252
• Limitierte Vorzugsdividende mit Nachholung (kumulative Vorzugsdividende)
Wird für den Fall, dass der Bilanzgewinn die Bezahlung der vereinbarten Vorzugsdividende
nicht oder nicht vollständig erlaubt, vereinbart, dass die unterbliebenen Dividendenzahlungen im nächsten Geschäftsjahr, in dem der Bilanzgewinn dies zulässt, nachzuholen sind, so
entstehen die Dividendenansprüche auch in Verlustjahren. Diese sich kumulierenden Vorzugsdividenden garantieren dem Vorzugsaktionär eineMindestverzinsung, soweit in späteren Geschäftsjahren entsprechende Gewinne ausgewiesen werden. Dies bedeutet einen
Schutz vor Ausfall der Ausschüttungen aufgrund stark schwankender Gewinne bzw. jahresabschlusspolitischer Maßnahmen des Managements. § 139 Abs. 1 AktG schreibt diese
Regelung vor, wenn Vorzugsaktien nicht mit dem Stimmrecht ausgestattet sind. Auch bei
den zunächst dargestellten Arten des prioritätischen Dividendenanspruchs besteht die Möglichkeit, eine derartige Nachholung unterbliebener Dividendenzahlungen an die Vorzugsaktionäre zu vereinbaren.
Nach § 140 Abs. 2 AktG lebt das vertraglich ausgeschlossene Stimmrecht der Vorzugsaktionäre auf, wenn die Vorzugsdividende in einem Jahr nicht oder nicht vollständig gezahlt
und auch im Folgejahr nicht vollständig nachgeholt wird; das Stimmrecht bleibt bis zur
Nachzahlung aller Rückstände bestehen. Damit soll verhindert werden, dass die Vorzugsaktionäre – aufgrund des Vertrags – stimmrechtslos und zudem – aufgrund der wirtschaftlichen Situation der Gesellschaft – dividendenlos bleiben.
252 Modifiziert entnommen aus Wöhe, Günter/Bilstein, Jürgen: Grundzüge der Unternehmensfinanzierung.9.Aufl., München 2002, S. 50.
4.3 Die Eigenkapitalbeschaffung emissionsfähiger Unternehmungen 85
Bei den mit einem mehrfachen Stimmrecht ausgestatteten Mehrstimmrechtsaktien ist das
Prinzip der Gleichberechtigung der Aktionäre hinsichtlich der Stimmrechte durchbrochen.
Mehrstimmrechtsaktien können aber nur bei Beschlussfassungen Bedeutung erlangen, die
eine einfache oder größere Stimmenmehrheit erfordern, z. B. bei der Wahl und der Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern253 sowie bei der Feststellung des Jahresabschlusses.254
Bei mit Kapitalmehrheit zu fassenden Beschlüssen fallen die Mehrstimmrechtsaktien nicht
ins Gewicht. Bei allen Beschlüssen, die den Bestand und die Grundlage der Gesellschaft
betreffen (Satzungsänderungen wie z. B. Kapitalerhöhungen bzw. -herabsetzungen,255 Auflösung der Gesellschaft u. Ä.256) verlangt das Aktiengesetz zusätzlich zur Mehrheit der
abgegebenen Stimmen eine Mehrheit von drei Vierteln des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals.
Mehrstimmrechtsaktien, mit denen sich trotz geringer Kapitaleinlage die Stimmenmehrheit
sichern lässt, dürfen seit 1937 grundsätzlich nicht mehr ausgegeben werden.257 Die vor 1937
ausgegebenen Mehrstimmrechtsaktien haben jedoch weiterhin Gültigkeit, soweit sie nicht
durch Hauptversammlungsbeschlüsse beseitigt oder beschränkt worden sind. Die Beseitigung der Mehrstimmrechte kann von der Hauptversammlung mit einer Mehrheit, die mindestens die Hälfte des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals umfasst, beschlossen werden; die Mehrheit der abgegebenen Stimmen ist dafür nicht erforderlich.258
Sofern die Hauptversammlung nicht mit einer Mehrheit, die mindestens drei Viertel des bei
der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals umfasst, die Fortgeltung der Mehrstimmrechte beschlossen hatte, sind diese mit Wirkung zum 1. Juni 2003 erloschen.259
Schließlich können Vorrechte auch bei der Verteilung des Liquidationserlöses eingeräumt werden. Da Aktiengesellschaften aber i. d. R. als Gesellschaften auf unbestimmte Zeit
langfristig bestehen, ist die praktische Bedeutung dieses Vorrechts gering. Da zudem nur ein
Vorzug gegenüber den Stammaktionären, nicht jedoch gegenüber den Gläubigern eingeräumt werden kann, ist der ökonomische Wert dieses Vorrechts nicht zu hoch anzusetzen.
4.3.2.2.3 Die Einteilung der Aktien nach der Bestimmung der Anteilsquote
4.3.2.2.3.1 Die Nennwertaktien
Die auf dem europäischen Kontinent überwiegende Aktienart lautet auf einen bestimmten
festen Geldbetrag, den Nennwert. Die Summe der Nennwerte aller ausgegebenen Aktien
entspricht dem in der Satzung festgelegten Grundkapital.260 Deswegen spricht man auch von
Summenaktien. Damit ist bei einer zulässigen und durchaus auch üblichen Ausgabe der
253 Vgl. §§ 101 Abs. 1, 103 Abs. 1 AktG.
254 Vgl. § 58 Abs. 1 AktG.
255 Zu möglichen davon abweichenden Satzungsbestimmungen vgl. § 182 Abs. 1 Satz 2 und 3 AktG
und § 222 Abs. 1 Satz 2 AktG.
256 Vgl. §§ 179, 262 Abs. 1 Nr. 2
257 Vgl. § 12 Abs. 2 AktG.
258 Vgl. § 5 Abs. 2 Satz 1 und 2 EGAktG.
259 Vgl. § 5 Abs. 1 Satz 1 EGAktG.
260 § 1 Abs. 2 AktG: „Die Aktiengesellschaft hat ein in Aktien zerlegtes Grundkapital.“
86 4 Die Außenfinanzierung durch Eigenkapital (Einlagenfinanzierung)
Aktien über dem Nennwert (Überpari-Emission) das gesamte Aufgeld (Agio) in eine andere
Eigenkapitalposition, die Kapitalrücklage, einzustellen.261 Die einzelne Aktie muss zudem
einen Nennbetrag (Nennwert) von mindestens 1 EUR aufweisen; höhere Nennbeträge müssen auf volle EUR lauten.262
Die Rechte der Aktionäre entsprechen dem Anteil der von ihnen jeweils gehaltenen Aktiennennwerte im Verhältnis zu den gesamten Nennwerten (Grundkapital). Damit hat das in der
Bilanz als gezeichnetes Kapital ausgewiesene Grundkapital nicht nur die Aufgabe, das von
den Eigentümern zu erbringende Mindestgründungskapital zu bestimmen.263 Es hat auch die
Aufgabe, die Anteilsquoten und damit den Umfang der Rechtspositionen der einzelnen
Aktionäre zu bestimmen.
4.3.2.2.3.2 Die nennwertlosen Aktien
Im Gegensatz zu Nennwertaktien sind nennwertlose Aktien dadurch charakterisiert, dass bei
ihnen auf die Angabe eines Nennwertes auf der Aktienurkunde verzichtet wird. Wird anstelle eines Nennwertes der durch die einzelne Aktie repräsentierte Bruchteil der Beteiligung an
der Unternehmung – wie dies früher bei den Kuxen der bergrechtlichen Gewerkschaften der
Fall war264 – angegeben, so wird von „Quotenaktien“ gesprochen.265 Fehlt auf der Aktienurkunde auch die Angabe einer Quote und lauten die Aktien stattdessen lediglich auf eine
bestimmte Stückzahl, so handelt es sich um „Stückaktien“.266
Jede dieser beiden Erscheinungsformen nennwertloser Aktien kann als „echte nennwertlose
Aktie“ oder als „unechte nennwertlose Aktie“ ausgestaltet sein.267 Während die Differenzierung zwischen Quotenaktien und Stückaktien auf dem jeweiligen Aufdruck auf der Aktienurkunde basiert, orientiert sich die Einteilung in echte und unechte nennwertlose Aktien
daran, ob die Aktiengesellschaft ein Grundkapital hat oder nicht.268 Die echte nennwertlose
Aktie stellt einen Anteil an einer Aktiengesellschaft dar, der nicht über einen Nennbetrag
lautet. Außerdem besitzt die Aktiengesellschaft bei dieser Ausgestaltungsform kein bilanziell ausgewiesenes Grundkapital. Im Gegensatz dazu hat eine Aktiengesellschaft mit unechten nennwertlosen Aktien, die ebenfalls nicht über einen Nennwert lauten, ein Grundkapital, das gemäß den gesetzlichen Bestimmungen in der Bilanz auszuweisen ist.269
261 Vgl. § 272 Abs. 2 HGB.
262 Vgl. § 8 Abs. 2 AktG.
263 Vgl. Abschnitt 4.3.1.3.2
264 Vgl. Bieg, Hartmut: Betriebswirtschaftslehre 2: Finanzierung. Freiburg i. Br. 1991, S. 55.
265 Vgl. Kübler, Friedrich: Aktien, Unternehmensfinanzierung und Kapitalmarkt. Köln 1989,
S. 10. Da in diesem Fall die Summe der Bruchteile aller Aktien einer Gesellschaft Eins ergeben
muss, lässt sich der Umfang der Rechte der einzelnen Aktionäre durch Addition der jeweils von
ihnen gehaltenen Bruchteile bestimmen.
266 Vgl. Jahr, Günther/Stützel, Wolfgang: Aktien ohne Nennbetrag. Frankfurt a. M. 1963, S. 63.
267 Vgl. Jahr, Günther/Stützel, Wolfgang: Aktien ohne Nennbetrag. Frankfurt a. M. 1963, S. 14-15,
68, die auch auf die Möglichkeit hinweisen, diese beiden Ausgestaltungsformen derart zu modifizieren, dass sich „echte nennwertlose Aktien unter Beibehaltung des Grundkapitals“ ergeben, bei
denen Aktienzahl und Grundkapital völlig unabhängig voneinander verändert werden können.
268 Vgl. Jahr, Günther/Stützel, Wolfgang: Aktien ohne Nennbetrag. Frankfurt a. M. 1963, S. 68.
269 Siehe hierzu § 152 Abs. 1 Satz 2 AktG sowie § 272 Abs. 1 HGB.
4.3 Die Eigenkapitalbeschaffung emissionsfähiger Unternehmungen 87
In der Bundesrepublik Deutschland sind neben Nennwertaktien lediglich unechte nennwertlose Aktien in der Erscheinungsform von Stückaktien erlaubt,270 wobei der Gesetzgeber
diese spezielle Ausgestaltungsform im AktG als „Stückaktien“ bezeichnet.
Dadurch, dass auch bei der Emission von Stückaktien271 die Aktiengesellschaft über ein in
Aktien zerlegtes Grundkapital verfügen muss und die meisten Vorschriften für Nennwertaktien auch für Stückaktien Geltung haben, ergeben sich nahezu keine Unterschiede zwischen
Nennwertaktien und Stückaktien. So muss auch bei Stückaktien das Grundkapital der Aktiengesellschaft auf einen Nennbetrag in EUR lauten;272 der Mindestnennbetrag des Grundkapitals muss 50.000 EUR betragen.273
Da die Stückaktien weder über einen Nennwert noch über eine bestimmte Quote lauten und
insofern ein Maßstab für die Bestimmung des Umfangs der einem einzelnen Aktionär zustehenden Rechte sowie des Anteils, mit dem die einzelne Aktie am Grundkapital beteiligt
ist, fehlt, hat der Gesetzgeber die dafür erforderlichen Vorschriften im AktG verankert. So
bestimmt § 8 Abs. 3 Satz 2 AktG, dass die Stückaktien einer Aktiengesellschaft am Grundkapital der Unternehmung in jeweils gleichem Umfang beteiligt sind, so dass sich der Anteil
am Grundkapital bei Stückaktien nach der Anzahl der Aktien bestimmt.274 Da sowohl die
Höhe des Grundkapitals als auch die Anzahl der Stückaktien einer Aktiengesellschaft bekannt sind, kann ein fiktiver Nennwert der einzelnen Stückaktien ermittelt werden, indem
das Grundkapital durch die Anzahl der Stückaktien dividiert wird. Dieser „auf die einzelne
Aktie entfallende anteilige Betrag des Grundkapitals darf einen EUR nicht unterschreiten“.275 Allerdings hat die Bestimmung, dass höhere Aktiennennbeträge auf volle EUR
lauten müssen,276 lediglich für Nennwertaktien Geltung, nicht jedoch für Stückaktien. Bei
Letzteren kann der fiktive Nennwert somit auch auf „krumme“ EUR-Beträge lauten (beispielsweise 6,72 EUR), sofern der fiktive Nennwert mindestens 1 EUR beträgt.
Diese abweichende Regelung stellt den in der Praxis bedeutendsten Unterschied zwischen
Nennwertaktien und Stückaktien dar, der vor allem im Zusammenhang mit der Umstellung
des Gesellschaftskapitals von DM auf EUR von Relevanz war. Da der Umrechnungskurs
zwischen DM und EUR in Art. 1 EuroUmrechV unwiderruflich auf die Relation
1 EUR = 1,95583 DM festgelegt wurde, hätte eine Umstellung der Aktiennennwerte und
des Grundkapitals einer Aktiengesellschaft von DM auf EUR bei gleichzeitiger Rundung
der Nennbeträge auf volle EUR i. d. R. zu Abweichungen zwischen der Summe der Nennwerte aller Aktien der Aktiengesellschaft und der Höhe des Grundkapitals geführt, wenn die
270 Vgl. § 8 Abs. 1 AktG. Die Einführung echter nennwertloser Aktien war dem deutschen Gesetzgeber nicht möglich, da die Kapitalrichtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften für Aktiengesellschaften die Existenz eines Grundkapitals vorschreibt (vgl. auch Rohleder, Michael/Schulze,
Nathalie: Euro-Umstellung: Plädoyer für die Stückaktie. In: Die Bank 1998, S. 289).
271 Bei sämtlichen Aktien einer Aktiengesellschaft darf es sich entweder nur um Nennwertaktien oder
nur um Stückaktien handeln; eine Kombination von Nennwertaktien und Stückaktien ist nicht erlaubt (vgl. § 8 Abs. 1 AktG).
272 Vgl. § 6 AktG.
273 Vgl. § 7 AktG.
274 Vgl. § 8 Abs. 4 AktG.
275 § 8 Abs. 3 Satz 3 AktG.
276 Vgl. § 8 Abs. 2 Satz 4 AktG.
88 4 Die Außenfinanzierung durch Eigenkapital (Einlagenfinanzierung)
Betragsglättung nicht durch Kapitalanpassungen (beispielsweise durch eine Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln oder eine Kapitalherabsetzung) vorgenommen worden wäre.
Um derartige Kapitalmaßnahmen zu vermeiden, hatte der Gesetzgeber mit der Zulassung
von Stückaktien die Möglichkeit der Substitution von Nennwertaktien durch Stückaktien
geschaffen. Da Stückaktien keinen Nennwert haben und ihr fiktiver Nennwert nicht auf
volle EUR lauten muss, waren Kapitalmaßnahmen bei der Umstellung des Grundkapitals
einer AG von DM auf EUR dann entbehrlich, wenn gleichzeitig mit der Grundkapitalumstellung die Nennwertaktien durch Stückaktien ersetzt wurden.
Da der fiktive Nennwert von Stückaktien rechnerisch ermittelt werden kann, war es dem
Gesetzgeber möglich, hieran anknüpfende Bestimmungen zu erlassen, die im Wesentlichen
analog zu den für Nennwertaktien geltenden Vorschriften ausgestaltet sind. So ist auch bei
Stückaktien die Unterpari-Emission nicht zulässig.277 Dies bedeutet, dass der Emissionspreis
der Stückaktien nicht unter dem fiktiven Nennwert liegen darf. Höhere Emissionspreise sind
allerdings zulässig,278 wobei ein über den fiktiven Nennbetrag hinausgehendes Agio in die
Kapitalrücklage einzustellen ist.279
4.3.2.2.4 Die eigenen Aktien
Der Erwerb eigener Aktien stellt eine Rückzahlung von Teilen des Eigenkapitals dar. Aus
Gründen des Gläubigerschutzes ist er deswegen grundsätzlich gesetzlich verboten.
Die in § 71 AktG vorgesehenen Ausnahmen (vgl. Abbildung 24; Seite 89) setzen voraus,
dass die AG im Zeitpunkt des Erwerbs eine Rücklage in Höhe der Aufwendungen für den
Erwerb bilden könnte, ohne das Grundkapital oder eine nach Gesetz oder Satzung zu bildende Rücklage zu mindern, die nicht zur Zahlung an die Aktionäre verwandt werden
darf.280 Auf diese Weise wird sichergestellt, dass der Rückkauf der eigenen Anteile nur aus
dem ausschüttungsfähigen Vermögen erfolgt.281
4.3.2.2.5 Die Vorratsaktien
Diese bei der Gründung einer AG oder im Rahmen einer bedingten Kapitalerhöhung neu
geschaffenen, noch nicht in Umlauf gesetzten Aktien werden von Dritten (z. B. einem Kreditinstitut) für Rechnung der ausgebenden Gesellschaft gehalten. Der Übernehmer haftet für
die volle Einlage, kann aber aus der Vorratsaktie keine Rechte geltend machen. Er hält sie
zur Verfügung der AG, die sie zu einem günstigen Zeitpunkt verwenden kann (z. B. zur
Kurspflege).
277 Vgl. § 9 Abs. 1 AktG.
278 Vgl. § 9 Abs. 2 AktG.
279 Vgl. § 272 Abs. 2 Nr. 1 HGB.
280 Vgl. § 71 Abs. 2 Satz 2 AktG.
281 Vgl. hierzu auch Bieg, Hartmut/Sopp, Guido: Der Gesetzesentwurf eines Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes (BilMoG) – Teil III. In: Der Steuerberater 2008, S. 283-284.
4.3 Die Eigenkapitalbeschaffung emissionsfähiger Unternehmungen 89
Ausnahmen vom Verbot des Erwerbs eigener Aktien
(§ 71 AktG)
1. Der Erwerb ist notwendig, um einen schweren, unmittelbar bevorstehenden
Schaden von der Gesellschaft abzuwenden.
2. Die Aktien sollen den Arbeitnehmern der Gesellschaft oder einer mit ihr verbundenen Unternehmung zum Erwerb angeboten werden.
3. Der Erwerb geschieht, um Aktionäre abzufinden, wenn die AG einen
Eingliederungs- oder Beherrschungsvertrag abgeschlossen hat (§§ 305 Abs. 2,
320b AktG, § 29 Abs. 1 UmwG).
4. Die AG erwirbt die Aktien unentgeltlich oder ein Kreditinstitut führt mit dem
Erwerb eine Einkaufskommission aus.
5. Der Erwerb erfolgt im Rahmen einer Gesamtrechtsnachfolge.
6. Der Erwerb erfolgt aufgrund eines Beschlusses der Hauptversammlung nach
den Vorschriften über die Herabsetzung des Grundkapitals.
7. Der Erwerb erfolgt durch ein Kreditinstitut, Finanzdienstleistungsinstitut oder
Finanzunternehmen aufgrund eines Hauptversammlungsbeschlusses zum
Zwecke desWertpapierhandels.
8. Der Erwerb erfolgt aufgrund einer bestimmte Einschränkungen enthaltenden,
höchstens 18 Monate geltenden Ermächtigung der Hauptversammlung.
Nach Auslaufen der Ermächtigung ist ein Erwerb eigener Aktien nicht mehr
möglich.
In den Fällen 1-3 sowie 7 und 8 dürfen die erworbenen Aktien zusammen mit dem
Betrag anderer Aktien der Gesellschaft, die diese bereits erworben hat und noch besitzt, 10 % des Grundkapitals nicht übersteigen (§ 71 Abs. 2 Satz 1 AktG).
In den Fällen 1, 2, 4, 7 und 8 ist der Erwerb nur zulässig, wenn auf die Aktien der
Ausgabebetrag voll geleistet ist (§ 71 Abs. 2 Satz 3 AktG).
Abbildung 24: Ausnahmefälle vom Verbot des Erwerbs eigener Aktien (§ 71 AktG)282
4.3.3 Die Kapitalerhöhung bei der Aktiengesellschaft
4.3.3.1 Begriff und Motive der Kapitalerhöhung
Eigentlich stellt jede Erweiterung der Eigen- oder Fremdkapitalbasis einer Unternehmung
eine Kapitalerhöhung dar. In der betriebswirtschaftlichen Literatur wird aber meist lediglich
die Erhöhung von Eigenkapital durch Einbringung von außen, also im Wege der Au-
ßenfinanzierung, als Kapitalerhöhung bezeichnet.
282 Modifiziert entnommen aus Bieg, Hartmut: Betriebswirtschaftslehre 2: Finanzierung. Freiburg
i.Br. 1991, S. 56.
90 4 Die Außenfinanzierung durch Eigenkapital (Einlagenfinanzierung)
Eine solche Zuführung zusätzlichen Eigenkapitals von außen ist beispielsweise erforderlich
zur
• Vornahme größerer Umstellungen im Produktionsprogramm,
• Durchführung kapazitätsunwirksamer Rationalisierungsmaßnahmen, insbesondere von
Modernisierungsinvestitionen,
• Erweiterung der Unternehmungskapazität oder zur
• Beschaffung von Beteiligungen an anderen Unternehmungen.
In vielen Fällen ermöglicht eine Kapitalerhöhung durch Einlage zusätzlicher Geld- oder
Sachmittel erst die Aufnahme weiteren Fremdkapitals, führt sie doch zur Erhöhung der
Haftungsbasis und damit auch zur Verbesserung der für Kreditaufnahmen notwendigen
Kreditwürdigkeit (Bonität).283
4.3.3.2 Die Formen der aktienrechtlichen Kapitalerhöhung
4.3.3.2.1 Überblick
Das Aktiengesetz unterscheidet folgende Formen der Kapitalerhöhung,284 wobei die Entscheidung – da es sich stets um Satzungsänderungen handelt – jeweils von der Hauptversammlung, und zwar grundsätzlich mit Dreiviertelmehrheit des bei der Beschlussfassung
vertretenen Grundkapitals, zu treffen ist:285
• Kapitalerhöhungen, die zu einer Erweiterung der Eigenkapitalbasis führen, d. h., der
Unternehmung werden im Wege der Beteiligungsfinanzierung neue Geldmittel von au-
ßen zugeführt. Hierzu zählen:
? die ordentliche Kapitalerhöhung, d. h., die Ausgabe neuer („junger“) Aktien gegen Einlagen,
? die bedingte Kapitalerhöhung sowie
? das genehmigte Kapital.
• Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln (nominelle Kapitalerhöhung), bei der
Umschichtungen innerhalb des Eigenkapitals ohne Zuführung zusätzlicher Mittel von
außen erfolgen. Unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten ist es hier allerdings
nicht gerechtfertigt, von einer Kapitalerhöhung zu sprechen, da nominelle Kapitalerhöhungen nur die Struktur des ausgewiesenen Eigenkapitals ändern, seine Höhe jedoch
nicht beeinflussen.
283 Vgl. dazu auch Abschnitt 5.2.7.
284 Vgl. §§ 182-220 AktG.
285 Vgl. §§ 182, 193, 202, 207 AktG.
4.3 Die Eigenkapitalbeschaffung emissionsfähiger Unternehmungen 91
4.3.3.2.2 Die ordentliche Kapitalerhöhung286
4.3.3.2.2.1 Das Bezugsrecht
Bei der Kapitalerhöhung gegen Einlagen werden zur Beschaffung zusätzlichen Eigenkapitals nach entsprechendem Hauptversammlungsbeschluss287 neue („junge“) Aktien ausgegeben. Sollen die neuen Aktien zu einem über dem Nennwert bzw. über dem fiktiven Nennwert288 liegenden Emissionskurs ausgegeben werden, so ist der Mindestemissionskurs im
Beschluss über die Grundkapitalerhöhung festzusetzen.289 Beschluss und Durchführung der
Erhöhung des Grundkapitals sind zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden;290 mit
der Eintragung der Durchführung der Erhöhung des Grundkapitals gilt das Grundkapital als
erhöht.291
Jedem bisherigen Aktionär steht ein grundsätzlich nicht entziehbares Bezugsrecht auf
den seiner seitherigen Beteiligungsquote am Grundkapital entsprechenden Teil der neuen
Aktien zu.292 Üben alle Aktionäre innerhalb der mindestens zwei Wochen293 betragenden
Bezugsfrist ihr Bezugsrecht in vollem Umfang aus, so wird ihre Beteiligungsquote gerade
erhalten. Durch Beschluss der Hauptversammlung (grundsätzlich Dreiviertelmehrheit des
vertretenen Grundkapitals) kann das Bezugsrecht jedoch ganz oder zum Teil ausgeschlossen
werden.294 Dabei unterscheidet man zwischen dem formellen und dem materiellen Ausschluss des Bezugsrechtes.
Ausschließlich zur Erleichterung des Emissionsvorgangs dient der formelle Ausschluss des
Bezugsrechts. Um den Gegenwert der neuen Aktien sofort zur Verfügung zu haben, werden
die jungen Aktien an eine Bank bzw. an ein Bankenkonsortium verkauft. Die Übernehmer
verpflichten sich, den Altaktionären die jungen Aktien gemäß dem Bezugsrecht anzubieten.
Im Falle dieser Fremdemission erhalten die beteiligten Kreditinstitute – als Gegenleistung
für die Vorfinanzierung der Kapitalerhöhung und die Durchführung der Aktienemission –
eine Übernahmeprovision.
Bei Fusionen oder bei der Ausgabe von Belegschaftsaktien werden die jungen Aktien für
die abzufindenden Minderheitsaktionäre der aufgenommenen Gesellschaft bzw. für Belegschaftsmitglieder benötigt. Das Bezugsrecht der Altaktionäre muss deswegen ausgeschlossen werden; die Folge dieses materiellen Ausschlusses ist eine Veränderung der Beteiligungsquoten der Altaktionäre.295 Da mit dem Ausschluss des Bezugsrechts ein wichtiges
286 Vgl. §§ 182-191 AktG.
287 Vgl. § 182 Abs. 3 AktG.
288 Vgl. Abschnitt 4.3.2.2.3.2.
289 Vgl. § 182 Abs. 3 AktG.
290 Vgl. §§ 184, 188 AktG.
291 Vgl. § 189 AktG.
292 Vgl. § 186 Abs. 1 Satz 1 AktG.
293 Vgl. § 186 Abs. 1 Satz 2 AktG.
294 Vgl. § 186 Abs. 3 Satz 1 und 2 AktG. Die Satzung der AG kann allerdings „eine größere Kapitalmehrheit und weitere Erfordernisse bestimmen“; § 186 Abs. 3 Satz 3 AktG.
295 Vgl. Wöhe, Günter/Bilstein, Jürgen: Grundzüge der Unternehmensfinanzierung. 9.Aufl., München
2002, S. 84-86.
92 4 Die Außenfinanzierung durch Eigenkapital (Einlagenfinanzierung)
Mitgliedschaftsrecht der Aktionäre eingeschränkt wird, kann ein entsprechender Hauptversammlungsbeschluss nur erfolgen, wenn die Ausschließung ausdrücklich und ordnungsgemäß in der Tagesordnung zur Hauptversammlung bekannt gemacht worden ist.296 Zudem
muss der Vorstand der Hauptversammlung einen schriftlichen Bericht über den Grund für
den teilweisen oder vollständigen Ausschluss des Bezugsrechts vorlegen.297 Vermögensmäßige Nachteile erleiden Altaktionäre bei einem Bezugsrechtsausschluss nur dann nicht,
wenn die jungen Aktien zum Tageskurs ausgegeben werden. Dies ist bei dem der Hauptversammlung zu unterbreitenden Vorschlag, in dem der Ausgabebetrag zu begründen ist,298 zu
beachten. Unter bestimmten Voraussetzungen ist ein erleichterter Bezugsrechtsausschluss
möglich.299
Die Aufgaben des Bezugsrechts sind:
• die Wahrung der bestehenden Beteiligungsverhältnisse sowie
• der Ausgleich der Vermögensnachteile der Altaktionäre.
Während der erste Gesichtspunkt bereits dargestellt wurde und ohne Weiteres einsichtig ist,
muss der zweite im Folgenden näher begründet werden. Gesetzliche Untergrenze des Emissionskurses ist der (fiktive) Nennwert der jungen Aktien;300 wirtschaftliche Untergrenze
dürfte die Summe aus (fiktivem) Nennwert und anteiligen Emissionskosten sein. Eine rechtliche Obergrenze ist nicht gegeben;301 wirtschaftlich dürfte der Kurs der Altaktien im Zeitpunkt der Durchführung der Kapitalerhöhung die Obergrenze darstellen, da sich die mit den
alten und den jungen Aktien verbundenen Rechte nicht unterscheiden. Die richtige Wahl
des Emissionskurses der jungen Aktien ist somit ein wichtiger Faktor für das Gelingen oder
Scheitern einer Kapitalerhöhung.
Liegt der Ausgabekurs der jungen Aktien unter dem Börsenkurs der alten Aktien, so werden
diejenigen Altaktionäre, die sich nicht an der Kapitalerhöhung beteiligen, einen Vermögensnachteil erleiden, da sich nach der Kapitalerhöhung für die nun nicht mehr zu unterscheidenden alten und jungen Aktien ein Mischkurs einstellen wird, der unter dem Börsenkurs der alten Aktien und über dem Emissionskurs der neuen Aktien liegt. Während der
Erwerber einer jungen Aktie einen Kursgewinn in Höhe der Differenz zwischen neuem
Mischkurs und Emissionskurs erfährt, erleidet der Altaktionär einen Kursverlust in Höhe
der Differenz zwischen altem Börsenkurs und Mischkurs. Nur wenn der Inhaber der alten
Aktien sämtliche Bezugsrechte durch Kauf junger Aktien ausübt, werden sich die Kursverluste bei den alten Aktien und die Kursgewinne bei den jungen Aktien kompensieren.
Nimmt er nicht oder nicht in vollem Umfang an der Kapitalerhöhung teil, so soll ihm sein
Kursverlust durch den vom neuen Aktionär zu zahlenden Wert des Bezugsrechtes ausgegli-
296 Vgl. §§ 186 Abs. 4 Satz 1, 124 Abs. 1 AktG.
297 Vgl. § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG.
298 Vgl. § 186 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 AktG.
299 Vgl. § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG; vgl. hierzu Abschnitt 4.3.3.2.2.3.
300 Vgl. § 9 Abs. 1 AktG.
301 Vgl. § 9 Abs. 2 AktG.
4.3 Die Eigenkapitalbeschaffung emissionsfähiger Unternehmungen 93
chen werden; dieser Wert des Bezugsrechtes soll auch den Kursgewinn des Inhabers der
jungen Aktien ausgleichen.
Diesen Zusammenhang verdeutlicht das folgende Beispiel (vgl. auch Abbildung 25 bis
Abbildung 30; Seite 95).302
Beispiel:
M : Mischkurs
B : Wert des Bezugsrechts
Ka : Kurs der alten Aktie (Tageskurs)
Kn : Emissionskurs der neuen Aktien
a : Anzahl der alten Aktien
n : Anzahl der neuen Aktien
(a:n) : Bezugsverhältnis
(fiktiver)
Gesamt-
Nennwert
[EUR]
Anzahl der
Aktien
[Stück]
Kurs
[EUR
je Aktie]
Gesamtkurswert
[EUR]
Bisheriges
Grundkapital
Kapitalerhöhung
5.000.000
2.500.000
a = 1.000.000
n = 500.000
Ka = 40
Kn = 25
40.000.000
12.500.000
Gesamtes
Grundkapital 7.500.000 1.500.000 M = ? 52.500.000
Abbildung 25: Ordentliche Kapitalerhöhung
Der Gesamtkurswert von 52,5 Mio. EUR entfällt nach der Kapitalerhöhung auf ein Grundkapital von 7,5 Mio. EUR.303 Ohne weitere kursbeeinflussende Einwirkungen würde sich (rechnerisch) ein Mischkurs ergeben, der auf folgende Weise zu berechnen ist:
Mischkurs =
Mischkurs =
Kurswert der alten Aktien + Kurswert der neuen Aktien
Zahl der alten Aktien + Zahl der neuen Aktien
1.000.000 + 500.000
40.000.000 + 12.500.000 = 35 Aktie
EUR
Abbildung 26: Berechnung des Mischkurses bei der ordentlichen Kapitalerhöhung (Variante 1)
Danach beträgt im Beispiel der Gewinn durch Kurssteigerung pro junge Aktie 10 EUR (=
35 EUR – 25 EUR), der Verlust durch Kurssenkung pro alte Aktie 5 EUR (= 40 EUR –
35 EUR). Übt demnach ein Altaktionär bei dem im Beispiel unterstellten Bezugsverhältnis von
2 : 1 (a : n) sein Bezugsrecht aus, so verliert er an zwei alten Aktien je 5 EUR, an der neu übernommenen Aktie gewinnt er 10 EUR. Ein Vermögensnachteil bzw. -vorteil ergibt sich für ihn
solange nicht, wie sich der Kurs nach der Kapitalerhöhung tatsächlich wie errechnet entwickelt.
302 Modifiziert entnommen aus Bieg, Hartmut: Die Eigenkapitalbeschaffung emissionsfähiger Unternehmungen. In: Der Steuerberater 1997, S. 155-156. Dieses Beispiel ist unabhängig davon gültig,
ob das Grundkapital der AG in Nennwertaktien oder in Stückaktien zerlegt ist. Im ersten Fall wird
vom Nennwert, im zweiten Fall vom fiktiven Nennwert gesprochen.
303 Dies entspricht 1,5 Mio. Aktien mit einem (fiktiven) Nennwert von 5 EUR.
94 4 Die Außenfinanzierung durch Eigenkapital (Einlagenfinanzierung)
Anleger, die keine alten Aktien besitzen, sich aber an der Kapitalerhöhung beteiligen wollen,
müssen sich das Recht auf Teilnahme an der Kapitalerhöhung erwerben, indem sie einem
Altaktionär, der nicht an der Kapitalerhöhung teilnehmen möchte oder kann, seine Bezugsrechte abkaufen. Der Altaktionär möchte den zu erwartenden Kursverlust an seiner Altaktie durch
den Kaufpreis des Bezugsrechtes ausgeglichen bekommen. Der Erwerber des Bezugsrechtes
wird zu diesem Ausgleich bereit sein, da er aus dem Kauf der jungen Aktien einen Kursgewinn
erwartet. Folgende Formel verdeutlicht den sogenannten Bezugsrechtsabschlag:
BKM a ?=
Abbildung 27: Berechnung des Mischkurses bei der ordentlichen Kapitalerhöhung
(Variante 2)
Beispiel:
Die Formel zur Ermittlung des rechnerischen Wertes des Bezugsrechtes lässt sich aus den
vorstehenden Überlegungen wie folgt ableiten:
1n
a
KK
na
nKaKK
MKB
BKM
nan
a
a
a
a
+
?=
+
?+??=
?=
?=
Für das Beispiel:
3
15
11
2
2540
B =
+
?
= = 5 EUR/Bezugsrecht
?
Abbildung 28: Formel zur Ermittlung des rechnerischen Werts des Bezugsrechts
Die Tatsache, dass neue Aktien für das Geschäftsjahr ihrer Ausgabe nicht voll dividendenberechtigt sind, kann in der Formel zur Berechnung des Bezugsrechtes berücksichtigt werden. Der Dividendennachteil (DN) ist beim Emissionskurs der neuen Aktien als Agio
(Aufpreis) zu berücksichtigen:
4.3 Die Eigenkapitalbeschaffung emissionsfähiger Unternehmungen 95
( )
1n
a
DNKKB(1) na
+
+?
=
Berechnung des Dividendennachteiles DN:
?
?
?
?
?
?
??=
a
n
DZ
DZ1DDN(2)
Monaten)inB.(z.AktienaltendermngszeitrauberechtiguDividendenDZ
Monaten)inB.(z.AktienneuendermngszeitrauberechtiguDividendenDZ
DividendetlichevoraussichD
a
n
=
=
=
Für das Beispiel bei einer erwarteten Dividende von 3 EUR je Aktie für das laufende
Geschäftsjahr, für das die jungen Aktien nur zur Hälfte dividendenberechtigt sind:
AktieneueproEUR,5010,53)
12
6(13DN =?=??=
Eingesetzt in (1):
srechtEUR/Bezug4,50
3
13,50
11
2
1,50)(2540B ==
+
+?
=
Abbildung 29: Rechnerischer Wert des Bezugsrechts bei Dividendennachteil
Demzufolge ergibt sich auch eine Modifikation der Formel zur Berechnung des Mischkurses:
na
DNn+nK+aK
=M na
+
???
Für das Beispiel:
EUR/Aktie35,504,5040=BK=M
EUR/Aktie35,50=
1.500.000
53.250.000
=
500.0001.000.000
1,50500.00012.500.00040.000.000
=M
a =??
+
?++
Abbildung 30: Formel zur Berechnung des Mischkurses unter Berücksichtigung eines
Dividendennachteils
Die dargestellten mathematischen Zusammenhänge zeigen, welche Faktoren Einfluss auf
den Wert des Bezugsrechtes nehmen. Während das Verhältnis von alten und neuen Aktien
durch den Umfang der Kapitalerhöhung vorgegeben ist, besteht zum Zeitpunkt der Festlegung des Emissionskurses der jungen Aktien über die Höhe des Kurses der Altaktien zum
96 4 Die Außenfinanzierung durch Eigenkapital (Einlagenfinanzierung)
Emissionszeitpunkt Unsicherheit. Je höher – unter sonst gleichen Bedingungen – der Kurswert der alten Aktien im Emissionszeitpunkt ist, desto höher ist der Bezugsrechtswert.
Darüber hinaus entscheidet das Verhältnis zwischen dem Kurs der Altaktien und dem Emissionskurs über das Gelingen der Kapitalerhöhung. Die Wahl eines günstigen Emissionszeitpunktes in Bezug auf die am Aktienmarkt herrschende Situation und die Bestimmung
des Emissionskurses, der nicht unter dem im Hauptversammlungsbeschluss genannten
Mindestemissionskurs liegen darf, sind daher von großer Bedeutung für die Durchführung
der ordentlichen Kapitalerhöhung. Mithin stellt sich die Frage nach den verschiedenen
Platzierungsmethoden zur Findung des Emissionskurses junger Aktien.
4.3.3.2.2.2 Die Platzierungsmethoden
4.3.3.2.2.2.1 Überblick
In Abhängigkeit von den für die Platzierung Verantwortlichen unterscheidet man zwischen
Eigen- und Fremdemission (vgl. Abbildung 31; Seite 97). Die Eigenemission ist dadurch
gekennzeichnet, dass die emittierende Unternehmung alle mit der Emission verbundenen
Aufgaben selbst wahrnimmt. Sie muss daher über das entsprechende Knowhow und die
notwendigen Verbindungen zu den potenziellen Anlegern verfügen. Die Eigenemission ist
daher eher die Ausnahme. Die übliche Vorgehensweise zur Unterbringung der aus einer
ordentlichen Kapitalerhöhung stammenden jungen Aktien am Markt ist die Fremdemission
in Form der öffentlichen Platzierung, bei der die kapitalaufnehmende Unternehmung ein
Kreditinstitut bzw. ein Konsortium von Kreditinstituten damit beauftragt, die Aktien einem
breiten Anlegerpublikum anzubieten. Die Auflegung junger Aktien zur öffentlichen Zeichnung erfolgt hierbei entweder nach dem Festpreisverfahren oder nach dem Bookbuildingverfahren.
Bei den Platzierungsmethoden lassen sich die öffentliche und die private Platzierung von
Wertpapieren unterscheiden. Bei der öffentlichen Platzierung werden die Wertpapiere
einem breiten Anlegerpublikum angeboten, während bei der privaten Platzierung lediglich
ein ausgewählter Anlegerkreis angesprochen wird. I. d. R. werden die privat platzierten
Wertpapiere nicht an der Börse gehandelt.
Wird bei der Auflegung zur öffentlichen Zeichnung (Subskription) ein Festpreis zugrunde gelegt, so können interessierte Anleger, die durch Zeichnungsprospekte informiert werden, innerhalb eines bestimmten Zeitraumes zu dem festgelegten Emissionskurs Papiere in
dem von ihnen gewünschten Umfang zeichnen. Beim Tenderverfahren (Auktionsverfahren) – einer weiteren Variante der öffentlichen Zeichnung – wird der Emissionskurs vom
Gebot der einzelnen zeichnenden Anleger bestimmt. Dieses Verfahren ähnelt einer Versteigerung der Wertpapiere. Das sogenannte Bookbuildingverfahren stellt eine Weiterentwicklung der Idee des Tenderverfahrens dar.
Die Besonderheit des freihändigen Verkaufs im Rahmen einer öffentlichen Platzierung ist
der sukzessive Verkauf der Wertpapiere an die Investoren. Durch dieses Verfahren passt
sich der Verkaufskurs der jeweiligen Marktlage an. Die Zuteilung der Wertpapiere erfolgt in
der Reihenfolge des Eingangs der Kaufaufträge. Der Verkauf kann dabei über ein eigenes
Vertriebssystem erfolgen (z. B. am Bankschalter) oder aber – bei Zulassung des Wertpapiers zum Handel an der Börse – durch Verkauf an der Börse entsprechend der Nachfra-
4.3 Die Eigenkapitalbeschaffung emissionsfähiger Unternehmungen 97
ge.304 Der freihändige Verkauf eignet sich besonders zur Vornahme von Daueremissionen.
Daher wird er vorwiegend von Realkreditinstituten zum Absatz ihrer Pfandbriefe genutzt.
Eigenemission Fremdemission
Öffentliche
Platzierung
Private
Platzierung
Freihändiger
Verkauf
Öffentliche
Zeichnung
Platzierung
über Börse
Festpreisverfahren
Tenderverfahren
Bookbuilding
Abbildung 31: Platzierungsmethoden bei Wertpapieren
Eine direkte Unterbringung der zu emittierenden Wertpapiere an der Börse ist für eine
Großemission von untergeordneter Bedeutung, da mit ihr erhebliche, nicht abschätzbare
Risiken (Kurssturz durch Überschwemmung des Marktes mit einer großen Anzahl von
jungen Aktien; Unsicherheit, ob die nachgefragte Aktienmenge das Emissionsvolumen
erreicht) verbunden sind. I. d. R. werden heute nur noch die nach Durchführung anderer
Platzierungsmethoden vorhandenen Restbestände von Wertpapieren direkt an der Börse
platziert.305
Im Rahmen der Platzierung von Aktien bei einer Kapitalerhöhung kommen vor allem das
Festpreisverfahren und das Bookbuilding zur Anwendung.
4.3.3.2.2.2.2 Das Festpreisverfahren
• Ablauf des Festpreisverfahrens und Bestimmung des Emissionskurses
Beim Festpreisverfahren überträgt die kapitalsuchende Unternehmung einem Kreditinstitut
alle im Rahmen der Aktienplatzierung anfallenden Aufgaben (Verkaufsfunktion). Das
Kreditinstitut garantiert außerdem die Abnahme der Aktien zu dem vorher bestimmten
festen Preis (Garantiefunktion). Bei größerem Emissionsvolumen bilden mehrere Kreditinstitute zur Aufgabenteilung und zur Begrenzung des Emissionsrisikos ein Konsortium, in
dem sich jedes einzelne Konsortialmitglied zur Übernahme einer bestimmten Quote der
Gesamtemission verpflichtet.
304 Vgl. Perridon, Louis/Steiner, Manfred: Finanzwirtschaft der Unternehmung. 14. Aufl., München
2007, S. 366.
305 Vgl. Becker, Hans-Paul: Bankbetriebslehre. 7. Aufl., Ludwigshafen (Rhein) 2008, S. 188.
98 4 Die Außenfinanzierung durch Eigenkapital (Einlagenfinanzierung)
Der Preis, zu dem die Aktien gezeichnet werden können, wird spätestens zu Beginn der
Verkaufsfrist von der emittierenden Unternehmung in Abstimmung mit dem (konsortialführenden) Kreditinstitut („Lead Manager“) festgelegt (Festpreis). Nur die Festlegung eines
am Markt erzielbaren angemessenen Platzierungspreises kann dabei verhindern, dass die
beteiligten Kreditinstitute auf dem übernommenen Bestand an Aktien „sitzen“ bleiben.
Grundlage der Bestimmung des Festpreises sollte deshalb in jedem Falle eine Unternehmungsanalyse und -bewertung sein. Kommt es dennoch zur Überzeichnung, überschreiten also die eingegangenen Zeichnungen das Emissionsvolumen, so kann die Zuteilung nach
dem Ermessen der die Emission durchführenden Konsortialbanken erfolgen. Für diese
Repartierung gelten keine speziellen Regelungen, jedoch ist es häufig angebracht, die
Zuteilung quotal vorzunehmen.306 Auch eine chronologische Berücksichtigung der Zeichnungen ist denkbar, wird jedoch i. d. R. abgelehnt.307 In jedem Fall ergibt sich aber aus der
Zeichnung kein Anspruch auf Zuteilung der gewünschten Wertpapiermenge, sondern lediglich die Verpflichtung, die gesamte gezeichnete Menge im Fall der Zuteilung abzunehmen.
• Vor- und Nachteile des Festpreisverfahrens
Das Festpreisverfahren hat für die kapitalsuchende Unternehmung den Vorteil, dass ihr
durch die Garantiefunktion der beteiligten Kreditinstitute ein von vornherein aufgrund der
Zahl der jungen Aktien und ihres Emissionskurses festgelegter Mittelzufluss sicher ist.
Nachteilig wirkt sich allerdings aus, dass die vorhandene Investorennachfrage zeitverzögert, d. h. erst mit Beginn der Verkaufsfrist, ermittelt werden kann. Außerdem können
aktuelle Marktereignisse, die sich möglicherweise entscheidend auf die Nachfrage und den
Kurswert der Altaktie auswirken, wegen der vor der Platzierung liegenden Festlegung des
Emissionskurses nicht berücksichtigt werden. Schließlich fließen die konkreten Preisvorstellungen der Investoren – wenn überhaupt – nur indirekt (häufig nur über Schätzungen)
in die Preisfindung mit ein. Diese Aspekte können zu einer Fehleinschätzung bei der Preisfestlegung führen, die letztlich den Erfolg der Gesamtemission beeinträchtigen kann. Um
diese Mängel und Gefahren zu beseitigen, wird seit einiger Zeit zunehmend das Bookbuildingverfahren für die Preisfestlegung der zu emittierenden Aktien angewendet.
4.3.3.2.2.2.3 Das Bookbuildingverfahren
• Ablauf des Bookbuildingverfahrens und Bestimmung des Emissionskurses
Auch bei diesem Verfahren beauftragt die emittierende Unternehmung ein Kreditinstitut
oder ein Konsortium von Kreditinstituten mit der Platzierung der jungen Aktien. Anders als
beim Festpreisverfahren sind hierbei jedoch Verkaufs- und Garantiefunktion nicht so eng
miteinander verbunden, d. h. das beauftragte Kreditinstitut bzw. die beteiligten Konsortialmitglieder übernehmen zuallererst die Platzierungsleistung und garantieren erst in zweiter
Linie die Abnahme der auszugebenden Aktien zu einem festgelegten (Mindest-)Preis. Dieser (Mindest-)Preis ist zudem niedriger als ein nach den Kriterien des Festpreisverfahrens
bestimmter Preis. Hauptaufgabe der Kreditinstitute ist es damit nicht, den Zufluss an liqui-
306 Vgl. Bitz,Michael/Stark, Gunnar: Finanzdienstleistungen. 8. Aufl., München/Wien 2008, S. 154.
307 Vgl. Kollar, Axel: Emission von Wertpapieren. In: Handwörterbuch des Bank- und Finanzwesens,
hrsg. von Wolfgang Gerke und Manfred Steiner, 2. Aufl., Stuttgart 1995, Sp. 505.
4.3 Die Eigenkapitalbeschaffung emissionsfähiger Unternehmungen 99
den Mitteln selbst sicherzustellen, sondern die Papiere am Markt unter Beachtung weiterer
Zielvorgaben unterzubringen. Diese Funktionsauflösung zwischen Verkaufs- und Garantiefunktion spiegelt sich auch in der Provisionsverteilung wider. Zwar erhalten die Konsortialmitglieder wie beim Festpreisverfahren eine Garantieprovision auf ihre jeweils übernommene Quote; die Verkaufsprovision fällt jedoch nur auf die tatsächlich erbrachte Platzierungsleistung an.308
Über diese Funktionsauflösung hinaus wird der Verkauf der Aktien beim Bookbuildingverfahren durch ein im Vergleich zum Festpreisverfahren gezielteres Marketing vorbereitet, so
dass den Kreditinstituten als weitere Funktion eine Marketingfunktion zukommt. Die
emittierende Unternehmung wird ihre Wahl des konsortialführenden Kreditinstituts, des
sogenannten Federführers, daher insbesondere danach treffen, welches Kreditinstitut ihr
das beste Beratungs- und Platzierungskonzept vorlegt und ihr die qualifizierteste Marketingund Durchführungsunterstützung zusagen kann.309
Hieran anknüpfend lassen sich beim Bookbuildingverfahren folgende fünf Phasen unterscheiden:310
(1) Pre-Marketing-Phase,
(2) Marketing-Phase,
(3) Order-Taking-Phase,
(4) Pricing- und Zuteilungs-Phase sowie
(5) Greenshoe-Phase.
Zu (1): Pre-Marketing-Phase
Die erste Phase dient der Vorbereitung der Emission. Durch allgemeine Informationen
über die beabsichtigte Kapitalerhöhung soll der Kreis potenzieller Investoren angesprochen
werden. Das federführende Kreditinstitut erstellt „Research-Berichte“, in denen das spezifische Chancen-/Risikoprofil der emittierenden Unternehmung dargelegt wird. In einer „equity story“ werden die Wettbewerbsposition, die Ziele, die Zukunftsstrategie und die Ertragserwartungen der emittierenden Unternehmung dargestellt. Denkbar ist auch die Vornahme
von Unternehmungspräsentationen („road-shows“). In Gesprächen mit gezielt ausgewählten
Investoren versucht man, Preisvorstellungen zu erfahren.311 Die angesprochenen Investoren
erhalten so einen Informationsvorsprung vor den übrigen Marktteilnehmern.
308 Vgl. Grundmann, Wolfgang: Bookbuilding – ein neues Emissionsverfahren setzt sich durch. In:
Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen 1995, S. 917.
309 Vgl. Voigt, Hans-Werner: Bookbuilding – der andere Weg zum Emissionskurs. In: Die Bank 1995,
S. 340.
310 Vgl. dazu ausführlich Voigt, Hans-Werner: Bookbuilding – der andere Weg zum Emissionskurs.
In: Die Bank 1995, S. 340-341.
311 Vgl. Grundmann, Wolfgang: Bookbuilding – ein neues Emissionsverfahren setzt sich durch. In:
Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen 1995, S. 916.
100 4 Die Außenfinanzierung durch Eigenkapital (Einlagenfinanzierung)
Ergebnis dieser Phase ist die Festlegung eines Preisrahmens für die Ausgabe der jungen
Aktien, der üblicherweise eine Bandbreite von 10 % bis 15 % des geplanten Emissionskurses umfasst.
Zu (2): Marketing-Phase
Diese Phase beginnt mit der Bekanntgabe des Preisrahmens für den Emissionspreis.
Dabei werden die potenziellen Investoren durch Unternehmungspräsentationen („roadshows“) oder in Einzelgesprächen („one-on-one Meetings“) gezielt angesprochen. Um
überhaupt geeignete Investoren zu finden und die Gespräche dann erfolgreich führen zu
können, muss sich das konsortialführende Kreditinstitut zunächst detaillierte Kenntnisse
über die spezifischen Märkte der potenziellen Investoren beschaffen. Darüber hinaus muss
es fundierte Hintergrundinformationen in den Beratungsgesprächen liefern können.
Der Schwerpunkt der gezielt angesprochenen Investoren liegt bei den institutionellen Anlegern. Private Anleger werden i. d. R. durch die Anlageberater der Kreditinstitute über die
bevorstehende Emission informiert. Generell kommt aber der Beratung auch dieses Kundenkreises im Rahmen des Bookbuildingverfahrens eine größere Rolle zu als beim Festpreisverfahren.312
Federführer wie Vorstand der emittierenden Unternehmung sind in der Marketing-Phase
besonders gefordert. Der Vorstand wird aktiv in das Marketing mit einbezogen, indem er
die Unternehmungspräsentationen unterstützt oder sogar selbst vornimmt. Dabei besteht die
Gelegenheit zum Gedankenaustausch mit den potenziellen Investoren über die Entwicklungschancen der Unternehmung. Der Vorstand erhält so die Möglichkeit, den Meinungsbildungsprozess der Investoren gezielt, insbesondere im Hinblick auf den Emissionspreis,
zu beeinflussen.313
In dieser Phase sollen feste Vorstellungen der (potenziellen) Investoren über den Emissionspreis und ihr nachgefragtes Investitionsvolumen entwickelt werden.
Zu (3): Order-Taking-Phase
Die Phase des Order-Taking überlappt die Marketing-Phase zeitlich weitgehend. Die einzelnen an der Emission beteiligten Kreditinstitute erfassen die Zeichnung der Aktien
durch die Investoren, die wie beim Festpreisverfahren für die Zeichner bereits bindend ist.
Das federführende Kreditinstitut ist über die erfolgten Zeichnungen fortlaufend zu informieren. Alle Zeichnungen werden von ihm in einem gemeinsamen EDV-Orderbuch gesammelt, von dem das Bookbuildingverfahren seinen Namen hat. Aufgrund dieser Erfassungsaufgabe wird der Federführer beim Bookbuildingverfahren auch „Bookrunner“ genannt.
Die Zusammenfassung aller Orders in einem gemeinsamen Buch erhöht die Transparenz
der Nachfrage und verhindert außerdem nicht beabsichtigte Doppelzeichnungen.
312 Vgl. Grundmann, Wolfgang: Bookbuilding – ein neues Emissionsverfahren setzt sich durch. In:
Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen 1995, S. 917.
313 Vgl. Grundmann, Wolfgang: Bookbuilding – ein neues Emissionsverfahren setzt sich durch. In:
Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen 1995, S. 916; Voigt, Hans-Werner: Bookbuilding – der
andere Weg zum Emissionskurs. In: Die Bank 1995, S. 342.
4.3 Die Eigenkapitalbeschaffung emissionsfähiger Unternehmungen 101
Die Mitteilungen der Konsortialmitglieder an den Bookrunner erfolgen anhand eines Orderformulars, in dem ab einer bestimmten Ordergröße folgende Angaben der institutionellen Anleger erfasst werden:
• Name und Nationalität des Investors; die Namensnennung setzt allerdings das ausdrückliche Einverständnis des Investors voraus;
• Preislimit innerhalb des angegebenen Preisrahmens, um schließlich den geeignetsten
Emissionspreis bestimmen zu können;
• geplante Zeichnungsgröße des Investors, um die Höhe des insgesamt von den Investoren nachgefragten Emissionsvolumens bestimmen zu können;
• Branche des Investors, um die gewünschte Investorenstreuung zu erzielen;
• Qualität des Investors, d. h. seine geplante Haltedauer der Anteile. Voraussetzung ist
allerdings, dass die Investoren bereit sind, Auskunft darüber zu geben bzw. dass aus
der Bedeutung der Anteile für den Investor darauf geschlossen werden kann. Die Einstufung der Investoren in Qualitätsstufen soll die Zuteilung nach den Platzierungsvorstellungen der emittierenden Unternehmung ermöglichen.
Die Angabe der genannten Daten ist notwendig, weil der Bookrunner (Federführer) mit
ihrer Hilfe erkennen kann, „zu welchen Preisen welche Volumina bei welchen Investoren
und in welchen Ländern und Regionen plazierbar sind“.314 Seine Aufgabe ist es nämlich,
nach Ablauf der Zeichnungsfrist die Zeichnungen der potenziellen Investoren auszuwerten,
um den Emissionspreis endgültig festlegen und den von der emittierenden Unternehmung
gewünschten Investorenmix verwirklichen zu können. Die privaten Anleger werden mit
ihren Preisvorstellungen und Zeichnungsgrößen nur pauschal, d. h. ohne Erfassung dieser
Merkmale berücksichtigt.
Zu (4): Pricing- und Zuteilungs-Phase
Nach Abschluss der Order-Taking-Phase erfolgt zunächst eine Auswertung der gesammelten Daten. Hierzu wird die Gesamtnachfrage nach verschiedenen Einzelkriterien (z. B. nach
Investorenqualität, -typ und -land) aufgeschlüsselt. Daran schließt sich die Bestimmung der
Preissensitivität (-elastizität) der Gesamtnachfrage sowie nach Investorentyp und nach
Regionen an. Die Zusammenfassung der Analyse der einzelnen Merkmale, d. h. die Bestimmung, zu welchen Preisen welche Volumina bei welchen Investoren untergebracht
werden können, führt nach Absprache mit der emittierenden Unternehmung über die gewünschte Zusammensetzung der Investorengruppe (Investorenmix) zur Festlegung des
Emissionspreises.
Die Zuteilung der Aktien erfolgt schließlich nach Vorgabe des federführenden Kreditinstituts durch die einzelnen Konsortialpartner an ihre Kunden, die gezeichnet haben („directed
allocation“). Lediglich ein kleiner Teil der Gesamtemission steht jedem Kreditinstitut des
Konsortiums zur freien Platzierung zur Verfügung („free retention“). Im Ergebnis kann
314 Voigt, Hans-Werner: Bookbuilding – der andere Weg zum Emissionskurs. In: Die Bank 1995,
S. 341.
102 4 Die Außenfinanzierung durch Eigenkapital (Einlagenfinanzierung)
dieser Verteilungsmodus dazu führen, dass zugunsten der gewünschten Investorenstreuung
nicht immer die Meistbietenden voll befriedigt werden.
Zu (5): Greenshoe-Phase
Als Greenshoe315 oder Greenshoe-Option wird die dem Konsortium eingeräumte Möglichkeit bezeichnet, über das ursprünglich angestrebte Emissionsvolumen hinaus weitere Aktien
der emittierenden Unternehmung bei den Investoren zu Originalkonditionen platzieren zu
können. Damit den Investoren das gesamte Emissionsvolumen zum Zeitpunkt der Emission
zugeteilt werden kann, muss das Konsortium zum Zeitpunkt der Platzierung der Aktien über
die erforderliche Anzahl an Aktien (ursprünglich angestrebtes Emissionsvolumen zuzüglich
der Mehrzuteilung) verfügen. Da dem Konsortium lediglich das ursprünglich angestrebte
Emissionsvolumen zur Verfügung gestellt wird, muss es sich die für die Mehrzuteilung
bestimmten Aktien auf anderem Wege besorgen. Hierfür stehen ihm verschiedene Möglichkeiten offen.
Denkbar ist bspw., dass das Konsortium die Mehrzuteilung aus eigenen Beständen bedient.
Dies setzt voraus, dass die Konsortialbanken bereits vor der Emission an der Aktiengesellschaft beteiligt waren. Daneben besteht die Möglichkeit, dass das Konsortium mit institutionellen Großanlegern vereinbart, dass diese die von ihnen gezeichneten Aktien erst zu
einem späteren Zeitpunkt erhalten. Die auf diese Weise nicht zum Emissionszeitpunkt an
die institutionellen Großanleger zu liefernden Aktien können dann zur Bedienung der
Mehrzuteilung eingesetzt werden. Bei diesen beiden Möglichkeiten besteht die Gefahr, dass
die Konsorten, die die Aktien aus dem Eigenbestand zur Verfügung gestellt haben, bzw. die
Großanleger, die erst später bedient werden, auf starke Schwankungen des Aktienkurses
nicht rechtzeitig reagieren können, da sie über die Aktien nicht mehr bzw. noch nicht verfügen.
Aus diesem Grund wird die Mehrzuteilung regelmäßig durch den Abschluss eines Wertpapierleihvertrages zwischen dem Konsortium und den Altaktionären bedient. Dabei leiht sich
das Konsortium die benötigte Anzahl an Aktien von den Altaktionären und kann damit den
Investoren das erhöhte Volumen zuteilen. Für die Altaktionäre ergeben sich aus diesem
Verleih ihrer Aktien i. d. R. nicht die bei den beiden anderen Möglichkeiten bestehenden
Nachteile (Gefahr nicht rechtzeitig auf ungünstige Kursentwicklungen reagieren zu können), da die Aktionäre gemäß den Börsenbestimmungen häufig dazu verpflichtet sind, ihre
Aktien innerhalb eines bestimmten Zeitraumes nach der Emission (z. B. 180 Tage) nicht zu
veräußern. Sie können daher – unabhängig davon, ob sie ihre Aktien verleihen oder nicht –
innerhalb dieses Zeitraums nicht auf ungünstige Kursentwicklungen reagieren.
Das Emissionskonsortium ist aufgrund des Wertpapierleihvertrages dazu verpflichtet, die
entliehenen Aktien an die Altaktionäre zurückzugeben. Der das Emissionsvolumen übersteigende Betrag soll aus dem Rückfluss jenes Teils der zugeteilten Aktien gedeckt werden,
der sich erfahrungsgemäß aus dem sofortigen Verkauf der jungen Aktien durch die Investo-
315 Die Bezeichnung „Greenshoe“ wurde aus dem Namen der Greenshoe Manufacturing Inc. abgeleitet, da im Rahmen der Platzierung der Aktien dieser Gesellschaft zum ersten Mal von der Möglichkeit der Mehrzuteilung Gebrauch gemacht wurde.
4.3 Die Eigenkapitalbeschaffung emissionsfähiger Unternehmungen 103
ren an der Börse ergibt. Dabei sind zwei Situationen zu unterscheiden. Ein hoher Rückfluss
aufgrund des Verkaufs der jungen Aktien durch die Investoren führt zu einem Sinken des
Börsenkurses. In diesem Fall können die Konsortialbanken die Aktien billiger an der Börse
erwerben und damit ihre Lieferverpflichtung aus dem Wertpapierleihvertrag begleichen.
Außerdem erhöht der Rückkauf der Aktien durch die Konsortialmitglieder die Nachfrage.
Es kommt somit zu einer Kursstützung. Steigt jedoch der Börsenpreis der emittierten Aktien, so müssten die Konsortialbanken zur Bedienung des Wertpapierleihvertrags die Aktien
zu einem über dem Emissionspreis liegenden Kurs an der Börse erwerben. Die Konsortialbanken werden sich gegen diese Gefahr dadurch absichern, dass sie sich das Recht einräumen lassen, eine entsprechende Anzahl an Aktien von den Altaktionären zu erwerben oder
die im Rahmen einer weiteren Kapitalerhöhung geschaffenen Aktien zu übernehmen, wobei
der Preis für die Aktien jeweils dem Emissionspreis entspricht. Während sich die Anzahl
der Aktien beim Bezug der Aktien von den Altaktionären nicht ändert, ist mit der Kapitalerhöhung eine Erhöhung der Aktienzahl der emittierenden Gesellschaft verbunden.
• Vor- und Nachteile des Bookbuildingverfahrens
Durch die genaue Information über die interessierten Investoren und ihre Preisvorstellungen, die sie in der Zeichnung zum Ausdruck bringen, kann der Emissionskurs beim Bookbuildingverfahren marktgerechter als beim Festpreisverfahren bestimmt werden. Die
explizite Einbindung der Investoren in die Preisfindung ermöglicht die Erzielung eines
hinsichtlich der Zielvorstellungen der emittierenden Unternehmung weitgehend optimalen
Emissionserlöses. Darüber hinaus kann aufgrund der Daten, die über die Investoren gesammelt werden, ein Zuteilungsmodus bestimmt werden, der zu einer zielgruppenorientierten Allokation der Aktien führt. Die Aktienplatzierung kann also qualitativ und quantitativ gezielt bei den Investoren mit den gewünschten Charakteristika erfolgen. Da man sich
bei der Festlegung des Emissionskurses direkt an der Nachfrage orientiert sowie die Zuteilung der Aktien an der Qualität der Nachfrage ausrichtet und zudem das Greenshoe-
Verfahren einsetzt, können die Aktien nachhaltiger platziert werden, d. h., es drängen
wesentlich weniger Aktien direkt nach der Platzierung wieder auf den Markt. Dies schafft
ein positives Standing für die emittierende Unternehmung und für das Konsortium.
Die Leistung des Konsortiums besteht in dem Verkauf der Aktien. Die beteiligten Banken
werden deshalb beim Bookbuildingverfahren danach beurteilt, wie erfolgreich sie die Zielvorgaben ihrer Auftraggeberin, der emittierenden Gesellschaft, erfüllen. Dadurch entsteht
ein Konkurrenzdruck unter den Kreditinstituten. Der zunehmende Wettbewerb kann sich
zugunsten der emittierenden Unternehmungen auswirken.
Das Bookbuilding hat allerdings auch einige Nachteile. Hier ist aus Sicht der kapitalsuchenden Unternehmung die bis zur endgültigen Festlegung des Emissionspreises bestehende
Unsicherheit über den erzielbaren Mittelzufluss zu nennen. Durch die erst kurz vor der
Zuteilung erfolgende Festlegung des Emissionspreises besteht für sie zwar die Möglichkeit,
an einer günstigen Marktentwicklung bis zum Ende des Bookbuildingverfahrens teilzunehmen. Bei einer ungünstigen Marktentwicklung erfolgt jedoch auch beim Bookbuildingverfahren – wie beim Festpreisverfahren – ein Zufluss in Höhe des garantierten Übernahmebetrages. Hier erweist sich aber die niedrigere Preisgarantie beim Bookbuildingverfahren als
nachteilig für die emittierende Unternehmung.
104 4 Die Außenfinanzierung durch Eigenkapital (Einlagenfinanzierung)
Das aufgrund der umfangreichen Marketingarbeit, der zahlreichen Gespräche und der notwendigen Auswertungsmaßnahmen doch sehr aufwendige Bookbuildingverfahren erfordert
ein relativ hohes Mindestemissionsvolumen (als Anhaltspunkt kann ein Volumen von
50 Mio. EUR genannt werden); für kleinere Kapitalerhöhungen kann das Bookbuildingverfahren demnach nicht rentabel durchgeführt werden.
Darüber hinaus werden an die emittierende Unternehmung weitere Anforderungen gestellt.
Aufgrund der großen Öffentlichkeitswirksamkeit des Bookbuildingverfahrens und der zu
verfolgenden Marketing-Strategie ist es noch mehr als beim Festpreisverfahren von Vorteil,
wenn die emittierende Unternehmung sehr bekannt und in einer interessanten Branche tätig
ist.
Die Offenlegung der Namen der institutionellen Investoren kann Schwierigkeiten bereiten.
Viele Investoren werden nicht daran interessiert sein, die geforderten Daten und Informationen „nur“ zum Zwecke des Kaufs von Anteilen zur Verfügung zu stellen.
Die Zeichnungswünsche der privaten Investoren werden beim Bookbuildingverfahren nur
pauschal berücksichtigt. Dies hat zwar den Vorteil, dass sie anonym bleiben können, doch
im Zweifel werden ihre Zeichnungen zugunsten der institutionellen Anleger nicht berücksichtigt. Zudem bietet ihnen das Festpreisverfahren den Vorteil, aufgrund des von Anfang
an feststehenden Emissionskurses den Umfang ihres Engagements von vornherein klar
errechnen zu können. Beim Bookbuildingverfahren erweist es sich als Nachteil, dass die
Privatanleger häufig nicht bereit sind, ihr nachgefragtes Volumen in Abhängigkeit vom
Preis zu definieren; es fehlt ihnen die Flexibilität der institutionellen Anleger.
Das Bookbuildingverfahren wird zukünftig vor allem bei der gezielten institutionellen
Platzierung von größeren Aktienemissionen im In- und Ausland angewendet werden. Das
Verfahren sichert einen an der tatsächlichen Nachfrage orientierten Preis und kann zu einer
nachhaltigeren und dauerhafteren Platzierung des Emissionsvolumens führen. Das Bookbuilding ist außerdem dazu geeignet, einen fairen Ausgleich der gegenläufigen Interessen
von emittierender Unternehmung und Investoren zu ermöglichen.316 Von großem Vorteil für
den Erfolg des Verfahrens ist es, bei der Emission das Bezugsrecht auszuschließen. Hierfür
wurde das im Folgenden dargestellte erleichterte Verfahren geschaffen.
4.3.3.2.2.3 Der erleichterte Bezugsrechtsausschluss nach § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG
4.3.3.2.2.3.1 Vorbemerkungen
Mit dem Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts
vom 02.08.1994317 wurde börsennotierten Aktiengesellschaften durch die Einfügung des
§ 186 Abs. 3 Satz 4 AktG die Möglichkeit eingeräumt, bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen einen erleichterten Bezugsrechtsausschluss vorzunehmen.318 Die dadurch erreich-
316 Vgl. Grundmann, Wolfgang: Bookbuilding – ein neues Emissionsverfahren setzt sich durch. In:
Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen 1995, S. 916 sowie Voigt, Hans-Werner: Bookbuilding –
der andere Weg zum Emissionskurs. In: Die Bank 1995, S. 343.
317 Vgl. BGBl I 1994, S. 1961.
318 Zu den bisher schon bestehenden Möglichkeiten des regulären Bezugsrechtsausschlusses vgl.
Abschnitt 4.3.3.2.2.1.
4.3 Die Eigenkapitalbeschaffung emissionsfähiger Unternehmungen 105
bare flexiblere Gestaltung des Instruments der ordentlichen Kapitalerhöhung soll nach dem
Willen des Gesetzgebers dazu beitragen, die Finanzierung von Aktiengesellschaften durch
Eigenkapitalaufnahme zu erleichtern, die Ausnutzung günstiger Kapitalmarktverhältnisse
ohne große Vorlaufzeit und Kursschwankungsrisiken zu ermöglichen und die seither in
diesem Bereich bestehenden Wettbewerbs- und Standortnachteile deutscher Aktiengesellschaften zu verringern.319 Das bisherige Verfahren der ordentlichen Kapitalerhöhung wurde
nicht nur als zur situationsbezogenen flexiblen Unternehmungsfinanzierung zu schwerfällig
eingeschätzt. Es wurde auch als Nachteil angesehen, dass aufgrund der Unsicherheit der
Börsenkursentwicklung bei der Festlegung des Emissionskurses auch Abschläge vom Börsenkurs notwendig sind, um bei Rückgang des Kursniveaus die Emission nicht zu gefährden, wodurch sich die Höhe des bei der Emission erzielbaren Agios und damit die Höhe des
Mittelzuflusses für die Unternehmung verringert.
Zwar bestand schon vor der Verabschiedung dieses neuen Gesetzes die Möglichkeit, das
Bezugsrecht auszuschließen.320 Dieser auch weiterhin mögliche reguläre Bezugsrechtsausschluss war in der Vergangenheit jedoch aufgrund der strengen Voraussetzungen für Zwecke der Unternehmungsfinanzierung von untergeordneter Bedeutung.321 Wegen des erleichterten Bezugsrechtsausschlusses gemäß § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG kann es allerdings zu
einer Benachteiligung der Altaktionäre kommen. Um dies weitestgehend zu verhindern,
sind sowohl materielle als auch formale Voraussetzungen zu erfüllen.
4.3.3.2.2.3.2 Die materiellen Voraussetzungen
• Barkapitalerhöhung
Der erleichterte Bezugsrechtsausschluss ist nur bei Zuführung von Barkapital erlaubt. Diese
Voraussetzung wird insofern als zielkonform angesehen, als gerade eine Barkapitalerhöhung in besonderem Maße der Unternehmungsfinanzierung dient.
• 10 %-Grenze
Die Vereinfachungsregelung darf nur angewendet werden, wenn die Kapitalerhöhung 10 %
des Grundkapitals nicht übersteigt. Bei der Bestimmung des möglichen Kapitalerhöhungsbetrages ist auf den Nennbetrag des Grundkapitals im Zeitpunkt des Kapitalerhöhungsbeschlusses bzw. – beim genehmigten Kapital – auf den Zeitpunkt des Wirksamwerdens der
Ermächtigung abzustellen. Diese Voraussetzung soll sicherstellen, dass die Beteiligungsquote der einzelnen Altaktionäre trotz des fehlenden Bezugsrechts i. d. R. nicht wesentlich
beeinträchtigt werden kann. Da im Normalfall der Zukauf von jungen Aktien an der Börse
möglich ist, können Altaktionäre einerseits ihre Beteiligungsquote aufgrund des relativ
niedrigen Kapitalerhöhungsbetrages mit einem verhältnismäßig geringen Kapitaleinsatz
319 Vgl. auch Dilger, Eberhard: Die kleine AG und die Neuregelung zum Bezugsrechtsausschluß. In:
Die Bank 1994, S. 614.
320 Vgl. Lutter, Marcus: Das neue „Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des
Aktienrechts“. In: Die Aktiengesellschaft 1994, S. 440.
321 Vgl. § 186 Abs. 3 Sätze 1-3 AktG.
106 4 Die Außenfinanzierung durch Eigenkapital (Einlagenfinanzierung)
erhalten.322 Andererseits verändert sich bei einem Kleinaktionär, der keine Aktien zukauft,
seine Beteiligungsquote nur minimal. Allerdings ist die Häufigkeit der Durchführung von
Kapitalerhöhungen mit erleichtertem Bezugsrechtsausschluss nicht begrenzt bzw. ein zeitlicher Mindestabstand zwischen derartigen Maßnahmen nicht vorgeschrieben. Zumindest
theoretisch kann es damit zu einer Benachteiligung von Altaktionären durch mehrere unmittelbar aufeinander folgende derartige Kapitalerhöhungen kommen.
• Börsennotierung323
Der erleichterte Bezugsrechtsausschluss ist nur erlaubt, wenn eine Börsennotierung der
Aktien im Regulierten Markt an einer inländischen Börse oder aber an einer ausländischen
Börse erfolgt;324 dies ergibt sich aus dem in § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG verwendeten Begriff
des Börsenpreises.325
• Nicht wesentliche Unterschreitung des Börsenpreises durch den Ausgabebetrag
Um diese Voraussetzung konkretisieren zu können, müssen zunächst die darin enthaltenen
Begriffe Ausgabebetrag und Börsenpreis erläutert werden. Unter dem Ausgabebetrag im
Sinne des Gesetzes ist der Ausgabekurs zu verstehen, zu dem die neuen Aktien an die Interessenten abgegeben werden.326 Der Börsenpreis wiederum ist der Preis, der an der Börse
für eine (alte) Aktie erzielt werden kann. Dieser Rückgriff auf den Börsenpreis als Maßstab
für die Bestimmung des Ausgabebetrages schließt aus, dass die Börseneinführung einer
Unternehmung (Going Public) mit Hilfe des erleichterten Bezugsrechtsausschlusses vorgenommen werden kann, denn beim going public kann kein Börsenpreis zur Orientierung
herangezogen werden.
Durch die Vorschrift, dass der Ausgabekurs den Börsenpreis nicht wesentlich unterschreiten
darf, soll sichergestellt werden, dass der von den Altaktionären gehaltene Beteiligungswert
nicht wesentlich „verwässert“ wird. Je geringer der zwischen diesen beiden Kursen bestehende Unterschied und je geringer der Umfang der Kapitalerhöhung im Verhältnis zum
alten Grundkapital ist, desto näher ist der Mischkurs am Kurs der alten Aktie. Dem Wertverlust, den der Altaktionär bei den Altaktien erleidet, steht zwar eine Wertsteigerung bei
den jungen Aktien gegenüber; wegen des Bezugsrechtsausschlusses gelangen diese Papiere
322 Vgl. Lutter, Marcus: Das neue „Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des
Aktienrechts“. In: Die Aktiengesellschaft 1994, S. 441.
323 Eine ausführliche Darstellung der Börsengeschäfte findet sich in Abschnitt 8, insbesondere Abschnitt 8.3.
324 Bei im Ausland gehandelten Aktien muss allerdings sichergestellt sein, dass die Art des Zustandekommens des Börsenpreises an der ausländischen Börse der Preisermittlung im inländischen Amtlichen Handel bzw. am Geregelten Markt gleichwertig ist. Diese zusätzliche Voraussetzung wird in
jedem Fall von Aktien, die an Börsen im EWR sowie an den US-amerikanischen Börsen gehandelt
werden, erfüllt; vgl. Marsch-Barner, Reinhard: Die Erleichterung des Bezugsrechtsausschlusses
nach § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG. In: Die Aktiengesellschaft 1994, S. 533.
325 Vgl. auch § 24 BörsG.
326 Um den Unternehmungen eine größtmögliche Kapitalschöpfung zu ermöglichen, sollte dieser Kurs
allerdings erst so spät wie möglich festgelegt werden, d.h. nicht schon zum Zeitpunkt der Zeichnung der Aktien, sondern erst bei ihrer Platzierung; vgl. Marsch-Barner, Reinhard: Die Erleichterung des Bezugsrechtsausschlusses nach § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG. In: Die Aktiengesellschaft
1994, S. 535-536.
4.3 Die Eigenkapitalbeschaffung emissionsfähiger Unternehmungen 107
jedoch nicht an die Altaktionäre, so dass diese an der Wertsteigerung auch nicht teilhaben
können. Um den Wertverlust der Altaktionäre möglichst gering zu halten, ist es außerdem
angebracht, den Ausgabebetrag so spät wie möglich festzulegen.
Ein geringer Kursabschlag ist jedoch notwendig, um das – aufgrund der kurzen Zeitspanne
zwischen Festlegung des Ausgabebetrages und Platzierung der Aktien i. d. R. zwar niedrig
einzuschätzende, aber dennoch bestehende – Kursänderungsrisiko abzufedern und zudem
den potenziellen Käufern einen gewissen Anreiz zu geben, junge Aktien zu erwerben. Der
Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages sieht dabei einen Kursabschlag von 3 % bis
maximal 5 % als nicht wesentlich an.327 Aus dieser Regelung ergibt sich demnach grundsätzlich ein Vermögensschaden für die Altaktionäre. Allerdings wird durch diese Bestimmung die Ausgabe der jungen Aktien zu einem über dem Börsenpreis liegenden Ausgabebetrag nicht ausgeschlossen. Ein derartiger, höherer Ausgabebetrag kann z. B. bei der Übernahme aller Jungaktien durch einen einzelnen Bewerber bei Zahlung eines Paketzuschlags
oder im Rahmen der Sanierung der Unternehmung, wenn die Großaktionäre freiwillig ein
höheres Agio zahlen, auftreten.
4.3.3.2.2.3.3 Die formalen Voraussetzungen
• Hauptversammlungsbeschluss
Der reguläre Bezugsrechtsausschluss muss bei einer ordentlichen Kapitalerhöhung im Beschluss der Hauptversammlung über die Erhöhung des Grundkapitals enthalten sein.328 Er
ist nur gültig, wenn drei Viertel des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals
zustimmen.329 Soll er im Rahmen des genehmigten Kapitals erfolgen, so kann die Entscheidung über den Bezugsrechtsausschluss auch auf den Vorstand übertragen werden.330 Diese
Regelungen gelten auch für den vereinfachten Bezugsrechtsausschluss nach § 186 Abs. 3
Satz 4 AktG.
• Absprachen über die mit der Kapitalerhöhung angesprochenen potenziellen
Aktionäre
Die Hauptversammlung kann in ihrem Beschluss festlegen, dass die jungen Aktien z. B.
möglichst breit gestreut an private und/oder institutionelle Anleger verkauft werden sollen.
Damit werden Machtverschiebungen innerhalb der Altaktionäre verhindert,331 denn viele
neue Aktionäre haben jeweils allein nur eine geringe Macht.
Altaktionäre können aber auch im Voraus bestimmte Festbezugserklärungen abgeben. So
können die Altaktionäre bereits im Vorfeld sicherstellen, dass sich ihre Position im Vergleich zur Situation vor der Kapitalerhöhung nicht verändert bzw. dass das Ergebnis dieser
Festbezugserklärung dem der Erhöhung mit Bezugsrecht entspricht. Auf diese Weise lässt
327 Vgl. Entwurf eines Gesetzes für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts. In: BT-Drucksache 12/7848 vom 13.06.1994, S. 9.
328 Vgl. § 186 Abs. 3 Satz 1 AktG.
329 Vgl. § 186 Abs. 3 Satz 2 AktG.
330 Vgl. § 203 Abs. 2 AktG i.V.m. § 186 Abs. 4 AktG.
331 Vgl. Marsch-Barner, Reinhard: Die Erleichterung des Bezugsrechtsausschlusses nach § 186
Abs. 3 Satz 4 AktG. In: Die Aktiengesellschaft 1994, S. 538.
108 4 Die Außenfinanzierung durch Eigenkapital (Einlagenfinanzierung)
sich z. B. eine 10 %ige (steuerlich relevante) Schachtelbeteiligung wahren. Festbezugserklärungen können aber auch zur Erreichung einer bestimmten Beteiligungsquote abgegeben
werden. Derartige Erklärungen sind jedoch nur erlaubt, wenn später vom Vorstand dargelegt wird, dass das vorrangige Ziel des Bezugsrechtsausschlusses nicht die Stärkung der
Position dieser Aktionäre ist. Da dadurch die Möglichkeit der übrigen Altaktionäre beschnitten wird, ihre Beteiligungsquote über den Zukauf am Markt zu erhalten, sollten diese
Festbezugserklärungen zum Schutz vor Anfechtungsklagen bereits im Hauptversammlungsbeschluss über den Bezugsrechtsausschluss enthalten sein.
• Vorstandsbericht
Wie beim regulären Bezugsrechtsausschluss muss der Vorstand auch beim erleichterten
Bezugsrechtsausschluss einen Bericht über den Grund des Ausschlusses der Bezugsrechte vorlegen. Dieser Bericht unterliegt beim vereinfachten Bezugsrechtsausschluss allerdings
geringeren Anforderungen als beim regulären Bezugsrechtsausschluss. Die wesentliche
Erleichterung besteht darin, dass der Ausschluss sachlich nicht ausdrücklich gerechtfertigt
werden muss; seine gesetzliche Zulässigkeit ergibt sich bereits aus § 186 Abs. 3 Satz 4
AktG. So genügt es, wenn der Vorstand in seinem Bericht darlegt und begründet, dass die
Unternehmung zur Stärkung der Eigenkapitalbasis ein berechtigtes Interesse an der Kapitalerhöhung und an dem Bezugsrechtsausschluss hat.
Der Vorstandsbericht darf nicht als bloße Formalie angesehen werden, liefern doch die
darin vorgenommenen Begründungen möglicherweise den Ansatzpunkt für eventuelle
Anfechtungen bzw. Klagen von Aktionären wegen Benachteiligungen ihrer Interessen und
daraus abgeleitet für Schadensersatzansprüche gegen den Vorstand aufgrund dieser Benachteiligungen. Daher muss dargelegt werden, dass der Ausgabekurs den Börsenkurs nicht
wesentlich unterschreitet; außerdem muss der individuell gewählte Betrag der Kapitalerhöhung ausdrücklich und plausibel begründet werden, denn die 10 %-Grenze stellt lediglich
eine Grenze dar, die nicht überschritten werden darf.332
4.3.3.2.2.3.4 Abschließende Bemerkungen
Es ist nicht davon auszugehen, dass Unternehmungen, die den erleichterten Bezugsrechtsausschluss vornehmen können, in Zukunft ihre Aktienemissionen vorwiegend oder
gar ausschließlich auf diese Weise durchführen werden. Das gesetzliche Bezugsrecht stellt
zwar einerseits einen wesentlichen Kostenfaktor bei der Emission von jungen Aktien dar, es
sichert aber andererseits auch die Abnahme der Aktien auf dem etablierten Markt der Altaktionäre. Das Bezugsrecht stellt insofern eine Vertriebserleichterung dar bzw. es erfüllt eine
Art Abnahmegarantiefunktion. So kann davon ausgegangen werden, dass die Unternehmungen zukünftig zweigleisig vorgehen und größere Emissionen wie bisher mit Bezugs-
332 Vgl. Lutter, Marcus: Das neue „Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des
Aktienrechts“. In: Die Aktiengesellschaft 1994, S. 443.
4.3 Die Eigenkapitalbeschaffung emissionsfähiger Unternehmungen 109
rechtsausgabe vornehmen werden,333 hingegen kleinere Emissionen flexibel bezugsrechtsfrei durchführen werden.334
Die Bezugsrechtserleichterung darf nicht rechtsmissbräuchlich angewendet werden. Da
bewusst in Kauf genommen wird, dass sich aufgrund wechselnder Beteiligungsquoten auch
die Rechtspositionen der Aktionäre verschieben können, liegt ein Rechtsmissbrauch erst
dann vor, wenn der Bezugsrechtsausschluss einzig mit dem Ziel einer derartigen Verschiebung durchgeführt wurde.335 Diese Verschiebungen werden durch die Möglichkeit der
Festzusagen zwar einerseits ermöglicht, können aber andererseits auch dadurch vermieden
werden. Eine rechtsmissbräuchliche Anwendung des erleichterten Bezugsrechtsausschlusses
ist also anzunehmen, wenn dieser nur aufgrund des Zieles, bestimmten Aktionären aktienrechtlich relevante Anteile, also Minderheitenrechte bzw. Schlüsselpositionen (5 %, 10 %,
25 % + 1 Aktie, 50 %), zu gewähren oder zu entziehen, durchgeführt wurde. Aber auch der
Ausschluss des Bezugsrechts mit dem alleinigen bzw. hauptsächlichen Ziel, eine drohende
„feindliche“ Übernahme zu verhindern, würde einen Rechtsmissbrauch der Vereinfachungsregelung darstellen.336
4.3.3.2.3 Die bedingte Kapitalerhöhung337
Die Hauptversammlung kann eine Erhöhung des Grundkapitals beschließen, die nur so weit
durchgeführt werden soll, wie von einem Umtausch- oder Bezugsrecht Gebrauch gemacht
wird, das die Gesellschaft auf die neuen Aktien (Bezugsaktien) einräumt.338 Die bedingte
Kapitalerhöhung wird also erst bei Erfüllung bestimmter Bedingungen wirksam. § 192
Abs. 2 AktG nennt die Zwecke, zu denen allein eine bedingte Kapitalerhöhung beschlossen
werden kann.
(1) Gewährung von Umtausch- oder Bezugsrechten an Gläubiger von Wandelschuldverschreibungen
Wandelschuldverschreibungen verbriefen neben den Rechten aus einer Teilschuldverschreibung339 auch ein Umtauschrecht in bzw. ein Bezugsrecht auf neue Aktien.340
333 Ein Ausschluss des Bezugsrechts wäre hier auch nur bis zu 10 % des Grundkapitals möglich.
334 Vgl. Marsch-Barner, Reinhard: Die Erleichterung des Bezugsrechtsausschlusses nach § 186
Abs. 3 Satz 4 AktG. In: Die Aktiengesellschaft 1994, S. 535.
335 Zu denken ist in diesem Zusammenhang eventuell auch an mehrmalige, in kurzen Zeiträumen
unmittelbar aufeinander folgende Bezugsrechtsausschlüsse.
336 Vgl. Marsch-Barner, Reinhard: Die Erleichterung des Bezugsrechtsausschlusses nach § 186
Abs. 3 Satz 4 AktG. In: Die Aktiengesellschaft 1994, S. 540.
337 Vgl. §§ 192-201 AktG.
338 Vgl. § 192 Abs. 1 AktG.
339 Vgl. vertiefend hierzu die Ausführungen in Abschnitt 5.3.4.
340 Vgl. § 221 Abs. 1 Satz 1 AktG.
110 4 Die Außenfinanzierung durch Eigenkapital (Einlagenfinanzierung)
Demnach sind zu unterscheiden:
• Wandelschuldverschreibungen i. e. S. mit Umtauschrecht in Aktien (Wandelanleihen)341
Der Gläubiger kann die Obligation innerhalb einer bestimmten Frist in einem festgelegten
Umtauschverhältnis und eventuell unter Zuzahlung eines Betrages in junge Aktien aus der
bedingten Kapitalerhöhung umtauschen. Die Wandelschuldverschreibung geht nach dem
Umtausch unter. Der Gläubiger wird zum Eigenkapitalgeber.
• Wandelschuldverschreibungen mit Bezugsrecht auf Aktien (Optionsanleihen)342
Der Gläubiger kann Aktien343 innerhalb einer bestimmten Frist zu einem festgelegten Bezugskurs beziehen. Die Optionsanleihe bleibt auch nach Bezug der Aktien bis zur Tilgung
bestehen. Die Gläubigerposition des Obligationärs geht also nicht unter, der Fremdkapitalgeber wird vielmehr zusätzlich zum Eigentümer.
Voraussetzungen für die Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen sind:344
• Zustimmung von mindestens drei Viertel des bei der Beschlussfassung vertretenen
Grundkapitals zum Beschluss über die Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen.
Die Satzung kann eine andere Kapitalmehrheit, also auch eine kleinere, und weitere
Erfordernisse bestimmen.345
• In Höhe des von den Wandelobligationären zu beanspruchenden Aktienkapitals ist eine
bedingte Kapitalerhöhung durchzuführen. Der Nennbetrag darf grundsätzlich die
Hälfte des zur Zeit der Beschlussfassung über die bedingte Kapitalerhöhung vorhandenen Grundkapitals nicht übersteigen.346 Die gesetzlichen bzw. satzungsmäßigen Regelungen der Beschlussfassung über die bedingte Kapitalerhöhung entsprechen denen bei
der Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen, wobei die Satzung allerdings nur eine
größere Kapitalmehrheit und weitere Erfordernisse festlegen kann.347 Der Beschluss
der Hauptversammlung muss den Zweck der bedingten Kapitalerhöhung, den Kreis der
Bezugsberechtigten und den Ausgabebetrag enthalten.348
341 Vgl. Abschnitt 6.4.
342 Vgl. Abschnitt 6.5.
343 Nur der Vollständigkeit halber sei hier darauf hingewiesen, dass auch ein Optionsrecht auf andere
Vermögensgegenstände, z. B. Devisen, eingeräumt werden kann.
344 Vgl. Süchting, Joachim: Finanzmanagement – Theorie und Politik der Unternehmensfinanzierung.
6. Aufl., Wiesbaden 1995, S. 130.
345 Vgl. § 221 Abs. 1 Satz 2 und 3 AktG.
346 Vgl. § 192 Abs. 3 AktG.
347 Vgl. § 193 Abs. 1 AktG.
348 Vgl. § 193 Abs. 2 AktG.
4.3 Die Eigenkapitalbeschaffung emissionsfähiger Unternehmungen 111
• Den Aktionären muss ein Bezugsrecht für die Wandelobligation eingeräumt werden,
um eine Beeinträchtigung ihrer Rechte zu verhindern. Die gesetzliche Regelung des
Bezugsrechts bei einer Kapitalerhöhung gegen Einlagen349 gilt sinngemäß.350
(2) Vorbereitung des Zusammenschlusses mehrerer Unternehmungen
(Unternehmungsfusion)
Bei Unternehmungsfusionen ist eine bedingte Kapitalerhöhung erforderlich, wenn anderen
Personen zur Vorbereitung des Zusammenschlusses Umtausch- oder Bezugsrechte eingeräumt wurden. Nimmt z. B. eine Aktiengesellschaft A eine andere Aktiengesellschaft B auf,
so müssen die bisherigen Minderheitsgesellschafter der B-AG entschädigt werden. Dies
kann u. a. durch Umtausch der B-Aktien in A-Aktien geschehen. Da die Kapitalerhöhung
nur in dem Umfang erfolgen soll, in dem eine Entschädigung vorgenommen wird, bietet
sich das Instrument der bedingten Kapitalerhöhung an. Das Bezugsrecht der Altaktionäre
der A-AG ist dann notwendigerweise auszuschließen.
(3) Gewährung von Bezugsrechten an Arbeitnehmer der Gesellschaft
Die bedingte Kapitalerhöhung ist auch für solche Fälle vorgesehen, in denen den Arbeitnehmern Geldforderungen aus ihnen eingeräumten Gewinnbeteiligungen zustehen, die sie in
die Aktiengesellschaft einbringen, um dafür Aktien zu erhalten. Auch hier ist ein Ausschluss des Bezugsrechts der Altaktionäre erforderlich.
Der Beschluss über die bedingte Kapitalerhöhung (einschließlich der Höhe des bedingten
Kapitals) ist in den vorgenannten Fällen zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden.351 Erst wenn dies geschehen ist, darf mit der Ausgabe der jungen Aktien („Bezugsaktien“) begonnen werden.352 Im Gegensatz zur ordentlichen Kapitalerhöhung wird die bedingte
Kapitalerhöhung nicht erst mit der späteren Eintragung der Durchführung beim Handelsregister wirksam, sondern bereits mit der Ausgabe der Bezugsaktien; das Grundkapital gilt
dann als erhöht.353
Da die effektive Erhöhung des Aktienkapitals von der Ausübung der Bezugs- oder Umtauschrechte abhängig ist, muss die Höhe der tatsächlich erfolgten Kapitaleinlagen nach
Ablauf eines jeden Geschäftsjahres zur Eintragung in das Handelsregister angemeldet
werden.354 In der Bilanz ist das bedingte Kapital mit seinem Nennbetrag beim gezeichneten
Kapital zu vermerken, jedoch nicht hinzuzurechnen.355 Der tatsächliche Ausweis des Eigenkapitals durch Aufnahme in die Hauptspalte erfolgt erst nach Durchführung der Kapitalerhöhung.
349 Vgl. Abschnitt 4.3.3.2.2.
350 Vgl. § 221 Abs. 4 AktG.
351 Vgl. § 195 Abs. 1 AktG.
352 Vgl. § 197 Satz 1 AktG.
353 Vgl. § 200 AktG.
354 Vgl. § 201 Abs. 1 AktG.
355 Vgl. § 152 Abs. 1 Satz 3 AktG.
112 4 Die Außenfinanzierung durch Eigenkapital (Einlagenfinanzierung)
4.3.3.2.4 Das genehmigte Kapital356
Beim genehmigten Kapital erhält der Vorstand durch Hauptversammlungsbeschluss (Dreiviertelmehrheit bzw. durch die Satzung bestimmte größere Kapitalmehrheit und weitere
Erfordernisse) für längstens fünf Jahre die Ermächtigung, das Grundkapital nach Bedarf bis
zu einem bestimmten Nennbetrag durch Ausgabe neuer Aktien gegen Einlagen zu erhöhen.357 Der Aufsichtsrat soll jedoch der Ausgabe neuer Aktien zustimmen.358 Der Nennwert
des genehmigten Kapitals darf die Hälfte des zur Zeit der Ermächtigung vorhandenen
Grundkapitals nicht übersteigen.359 Da das genehmigte Kapital zum Zeitpunkt seiner Festlegung nicht an einen bestimmten Finanzierungsanlass gebunden wird, ist diese Finanzierungsmaßnahme weniger schwerfällig als die ordentliche Kapitalerhöhung. Der Vorstand
kann günstige Kapitalmarktsituationen ausnutzen (etwa auch für den Erwerb von Beteiligungen an anderen Unternehmungen) und kurzfristig eintretenden Kapitalbedarf befriedigen
(größere Elastizität in der finanziellen Disposition).
Beschließt die Hauptversammlung bzw. aufgrund einer Ermächtigung der Hauptversammlung der Vorstand den materiellen Ausschluss des gesetzlichen Bezugsrechtes der Altaktionäre,360 so kann der Vorstand die Aktien der Belegschaft anbieten361 oder sie an der Börse
veräußern. Diese Veräußerung sollte zum Tageskurs erfolgen, um eine vermögensmäßige
Schädigung der Altaktionäre zu verhindern. Eine Verschiebung der Anteilsverhältnisse ist
dann u. U. nicht zu vermeiden.
Das genehmigte Kapital ist im Anhang anzugeben.362 Die Bestimmungen hinsichtlich der
Eintragung und Wirksamkeit der Kapitalerhöhung entsprechen denen bei der Kapitalerhöhung gegen Einlagen.363
4.3.3.2.5 Die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln364
Durch Hauptversammlungsbeschluss365 kann das Grundkapital der Aktiengesellschaft auch
ohne zusätzliche Einlagen der bisherigen oder neuer Aktionäre erhöht werden, indem Teile
der Kapitalrücklage und der Gewinnrücklagen in Grundkapital umgewandelt werden. Eine
derartige Umbuchung innerhalb der Eigenkapitalpositionen (Passivtausch) stellt keine
Maßnahme der Kapitalbeschaffung, sondern lediglich eine Umfinanzierungsmaßnahme
(Eigenkapitalumschichtung) dar. Der emittierenden Aktiengesellschaft fließen keine zusätzlichen finanziellen Mittel zu. Bei unveränderter Höhe des bilanziell ausgewiesenen Eigen-
356 Vgl. §§ 202-206 AktG.
357 Vgl. § 202 Abs. 1 und 2 AktG.
358 Vgl. § 202 Abs. 3 Satz 2 AktG.
359 Vgl. § 202 Abs. 3 Satz 1 AktG.
360 Vgl. §§ 203 Abs. 1 und 2, 186 AktG.
361 Vgl. § 202 Abs. 4 AktG.
362 Vgl. § 160 Abs. 1 Nr. 4 AktG.
363 Vgl. § 203 Abs. 1 AktG.
364 Vgl. §§ 207-220 AktG.
365 Vgl. § 207 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 182 Abs. 1 Satz 1, 2 und 4, § 184 Abs. 1 AktG.
4.3 Die Eigenkapitalbeschaffung emissionsfähiger Unternehmungen 113
kapitals, der Bilanzsumme und der gesamten Aktiva ändert sich nur die Relation von gezeichnetem Kapital und offenen Rücklagen.
Bei Aktiengesellschaften, deren Grundkapital in Nennwertaktien zerlegt ist, hat die Erhöhung des Grundkapitals die Ausgabe neuer Nennwertaktien (Zusatz- oder Berichtigungsaktien; irreführend auch „Gratisaktien“ genannt) an die seitherigen Aktionäre im Verhältnis
ihrer Anteile am bisherigen Grundkapital zur Folge.366 Da ein entgegengesetzter Hauptversammlungsbeschluss nichtig ist,367 bleibt ihre Beteiligungsquote in jedem Fall erhalten. Ist
das Grundkapital der Aktiengesellschaft hingegen in Stückaktien zerlegt, so kann das
Grundkapital auch ohne Ausgabe neuer Stückaktien erhöht werden.368 In einem solchen Fall
erhöht sich lediglich der fiktive Nennwert der einzelnen Stückaktien. Die prozentuale Erhöhung des fiktiven Nennwerts richtet sich dabei nach der Relation des Kapitalerhöhungsbetrags zum bisherigen Grundkapital. Mit der Eintragung des Beschlusses über die Erhöhung
des Grundkapitals in das Handelsregister wird die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln
wirksam.369
In Grundkapital können nur offene Rücklagen umgewandelt werden. Die Umwandlung von
„anderen Gewinnrücklagen“ und deren Zuführungen ist in voller Höhe möglich, die Umwandlung der „Kapitalrücklage“ und der „gesetzlichen Rücklage“ sowie deren Zuführungen
nur, soweit sie zusammen den zehnten oder den in der Satzung bestimmten höheren Teil des
bisherigen Grundkapitals übersteigen.370 Ist in der zugrunde gelegten Bilanz ein Verlust
einschließlich eines Verlustvortrags ausgewiesen, so dürfen die Kapitalrücklage und die
Gewinnrücklagen sowie deren Zuführungen insoweit nicht in Grundkapital umgewandelt
werden.371 Die Umwandlung satzungsmäßiger Rücklagen ist nur möglich, soweit dies mit
ihrer Zweckbestimmung vereinbar ist.372 Die Umwandlung stiller Rücklagen in Grundkapital setzt ihre vorherige Auflösung und Überführung in offene Rücklagen voraus.
Wer glaubt, die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln sei ein Geschenk der Gesellschaft
an ihre Aktionäre – diese Auffassung wird begünstigt durch den Ausdruck „Gratisaktien“ –,
unterliegt der sogenannten Nennwertillusion. Zwar verfügen die Aktionäre im Falle der
Emission von Berichtigungsaktien nach der nominellen Kapitalerhöhung über eine größere
Anzahl von Aktien mit einem entsprechend erhöhten (fiktiven) Gesamtnennwert.373 Der
Wert der Aktien wird aber nicht durch ihren (fiktiven) Nennwert bestimmt. Da sich der
Wert der Unternehmung durch eine Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln nicht ändert,
wird sich der Wert der einzelnen Aktien in Abhängigkeit von dem Bezugsverhältnis vermindern. Denn der ökonomische Gesamtwert aller Aktien nach der Kapitalerhöhung kann
366 Vgl. § 212 Satz 1 AktG.
367 Vgl. § 212 Satz 2 AktG.
368 Vgl. § 207 Abs. 2 Satz 2 AktG.
369 Vgl. § 211 AktG.
370 Vgl. § 208 Abs. 1 AktG.
371 Vgl. § 208 Abs. 2 Satz 1 AktG.
372 Vgl. § 208 Abs. 2 Satz 2 AktG.
373 Zur bei Aktiengesellschaften mit Stückaktien bestehenden Möglichkeit der Kapitalerhöhung aus
Gesellschaftsmitteln ohne Ausgabe neuer Stückaktien s.o.
114 4 Die Außenfinanzierung durch Eigenkapital (Einlagenfinanzierung)
nur der gleiche sein wie der ökonomische Gesamtwert aller Aktien vor der Grundkapitalerhöhung. Das Vermögen der Aktionäre, das sich durch Multiplikation der gestiegenen Zahl
der Aktien mit dem jetzt niedrigeren Kurs ergibt, wird demzufolge durch eine nominelle
Kapitalerhöhung nicht verändert. Dies gilt zumindest theoretisch, d. h., wenn man von
Börseneinflüssen absieht, die zu einer (teilweisen) Aufholung des durch die Zusatzaktienausgabe bedingten Kursabschlages führen können. Vermögensänderungen können sich
allerdings durch die Dividendenpolitik der Aktiengesellschaft ergeben. Wird der Dividendenbetrag pro Aktie nach einer nominellen Kapitalerhöhung aus Gründen der „Dividendenoptik“ beibehalten, so erhöht dies den Ausschüttungsbetrag an alle Aktionäre und damit
auch an den einzelnen Aktionär. In diesem Fall wird der Ausschüttungsbetrag an die Aktionäre verbessert, ohne dass der Dividendenbetrag (pro Aktie) erhöht werden müsste.
Erfolgt die nominelle Kapitalerhöhung bei Aktiengesellschaften mit Stückaktien durch
Erhöhung des fiktiven Nennwerts, so bleibt die Anzahl der Stückaktien konstant. Da sich
ein unveränderter Gesamtwert der Unternehmung auf eine ebenfalls unveränderte Anzahl an
Stückaktien verteilt, wird sich auch der Kurswert der Stückaktien theoretisch, also wenn von
anderen Börseneinflüssen abgesehen wird, nicht verändern. Somit bleibt in diesem Fall
neben dem Vermögen der Aktiengesellschaft und der Anzahl ihrer Stückaktien auch das
Vermögen des Aktionärs, die Anzahl seiner Stückaktien dieser Gesellschaft sowie der (theoretische) Kurs dieser Stückaktien konstant.
Die nominelle Kapitalerhöhung mit dem Splitting der Aktien wird durchgeführt, um die
Senkung eines optisch als zu hoch angesehenen Börsenkurses zu erreichen. Aufgrund der
niedrigeren Kurse erhofft man sich eine Verstärkung des Aktienhandels, insbesondere
aber eine breitere Streuung der Aktien, da nun auch „kleine“ Anleger die Möglichkeit
haben, diese Papiere zu erwerben. Aus diesem Grund wird die bei Stückaktien mögliche
nominelle Kapitalerhöhung durch Erhöhung des fiktiven Nennwerts eher eine Ausnahme
sein.
4.3.4 Die Kapitalherabsetzung bei der Aktiengesellschaft
4.3.4.1 Der Begriff der Kapitalherabsetzung
Unter Kapitalherabsetzung versteht man im Allgemeinen nicht jede Verminderung der
Kapitalbasis durch Rückzahlung in Form von Geld oder Sachwerten, sondern nur die Verminderung des Eigenkapitals einer Unternehmung. Analog zur Kapitalerhöhung zählt
zur Kapitalherabsetzung im engsten Sinne nur die Herabsetzung des Nennkapitals von
Kapitalgesellschaften, insbesondere der Aktiengesellschaft.374
374 Vgl.Wöhe, Günter/Bilstein, Jürgen: Grundzüge der Unternehmensfinanzierung. 9. Aufl., München
2002, S. 108. Zu Formen und Möglichkeiten der Herabsetzung des Fremdkapitals vgl. Vormbaum,
Herbert: Finanzierung der Betriebe. 9. Aufl., Wiesbaden 1995, S. 515-529.
4.3 Die Eigenkapitalbeschaffung emissionsfähiger Unternehmungen 115
4.3.4.2 Die Formen der aktienrechtlichen Kapitalherabsetzung
4.3.4.2.1 Überblick
Das Aktiengesetz unterscheidet drei Formen der Kapitalherabsetzung, für die aus Gründen
des Gläubigerschutzes strenge gesetzliche Regelungen bestehen:375
• die ordentliche Kapitalherabsetzung; es handelt sich hier um die Rückzahlung von
Teilen des Grundkapitals in Form von Geld oder von Sachwerten an die Aktionäre oder
um die Anpassung des bilanziell ausgewiesenen Eigenkapitals an das durch Verluste
geschrumpfte Vermögen der Gesellschaft (Ausgleich eines Jahresfehlbetrages/Verlustvortrages);
• die vereinfachte Kapitalherabsetzung; sie dient dem Ausgleich von Wertminderungen, der Deckung sonstiger Verluste oder der Einstellung von Beträgen in die Kapitalrücklage;
• die Kapitalherabsetzung durch Einziehung von Aktien; sie dient den bereits genannten Zwecken.
4.3.4.2.2 Die ordentliche Kapitalherabsetzung376
Für die Herabsetzung des Grundkapitals im Rahmen einer ordentlichen Kapitalherabsetzung
stehen zwei Verfahren zur Verfügung:377
• Verminderung des (fiktiven) Nennwerts der einzelnen Aktien
Bei diesem „Herunterstempeln“378 der Aktien darf der (fiktive) Mindestnennwert von
1 EUR nicht unterschritten werden. Die Zahl der Aktien bleibt gleich.
• Zusammenlegung mehrerer Aktien zu einer Aktie
Beim Austausch einer bestimmten Zahl von Altaktien gegen eine geringere Zahl neuer
Aktien (mit gleichem (fiktiven) Nennwert je Aktie) können die Aktionäre aufgrund der
Umtauschrelation zum Verkauf von Aktien oder zum zusätzlichen Erwerb von Aktien
gezwungen werden, was zu einer geringfügigen Änderung der Stimmrechtsverhältnisse
führt. Deswegen ist diese zweite Alternative nur erlaubt, wenn die Herabsetzung des
(fiktiven) Nennwertes zu einer Unterschreitung des (fiktiven) Mindestnennwerts von
1 EUR führen würde.
Eine Kombination beider Verfahren ist möglich, wenn die Herabsetzung des (fiktiven)
Nennwerts zwar vorgenommen werden kann, jedoch für den Umfang der Kapitalherabset-
375 Siehe hierzu §§ 222-239 AktG.
376 Vgl. §§ 222-228 AktG.
377 Vgl. § 222 Abs. 4 Satz 1 und 2 AktG.
378 Die Herabsetzung des Nennbetrags der Aktien ist nur bei Nennwertaktien vorgeschrieben (vgl.
§ 222 Abs. 4 Satz 1 AktG). Bei Stückaktien ist dieses Erfordernis entbehrlich, da sie auf keinen
Nennwert lauten (insofern ist eine Herabsetzung des Aktiennennbetrags bei ihnen erst gar nicht
möglich) und sich ihr fiktiver Nennwert – der sich aus der Relation Grundkapital zu Anzahl der
Stückaktien ergibt – „automatisch“ mit der Herabsetzung des Grundkapitals der Aktiengesellschaft
reduziert.
116 4 Die Außenfinanzierung durch Eigenkapital (Einlagenfinanzierung)
zung nicht ausreichend ist. Bei der ordentlichen Kapitalherabsetzung darf der gesetzlich
festgelegte Mindestbetrag des Grundkapitals in Höhe von 50.000 EUR379 nur unterschritten
werden, wenn gleichzeitig mit der Kapitalherabsetzung eine Kapitalerhöhung (ohne Sacheinlage) beschlossen wird, durch die das Mindestgrundkapital wieder erreicht wird.380
Der mit einer Kapitalmehrheit von mindestens drei Viertel des bei der Beschlussfassung
vertretenen Grundkapitals getroffene Hauptversammlungsbeschluss381 ist zur Eintragung in
das Handelsregister anzumelden.382 Das Grundkapital gilt mit der Eintragung des Beschlusses als herabgesetzt.383 Soweit die Forderung eines Gläubigers vor Bekanntmachung der
Eintragung des Kapitalherabsetzungsbeschlusses begründet worden ist, kann dieser innerhalb von sechs Monaten nach der Bekanntmachung Sicherheiten für seine Forderungen
verlangen, soweit er nicht Befriedigung verlangen kann.384 Kapitalrückzahlungen an die
Aktionäre sind daher erst nach Ablauf dieser sechsmonatigen Sperrfrist zulässig; außerdem
muss den Gläubigern alter Forderungen, die sich rechtzeitig gemeldet haben, Befriedigung
oder Sicherheit gewährt worden sein.385 Das Recht der Gläubiger, Sicherheiten für ihre
Forderungen zu verlangen, ist unabhängig davon, ob Kapitalrückzahlungen an die Aktionäre
geleistet werden.386
Die einzelnen Aktionäre sind verpflichtet, nach Bekanntmachung der Kapitalherabsetzung
ihre Aktien der Gesellschaft zum „Herunterstempeln“ oder zur Zusammenlegung einzureichen. Erfolgt die Einreichung nicht, so kann die Gesellschaft diese Aktien nach Aufforderung in den Gesellschaftsblättern für kraftlos erklären.387 An die Stelle der für kraftlos erklärten Aktien treten neue Aktien, die die Gesellschaft unverzüglich zugunsten der säumigen Aktionäre zum amtlichen Börsenkurs und bei Fehlen eines Börsenpreises durch öffentliche Versteigerung zu verkaufen hat.388 Der Erlös ist den säumigen Aktionären auszuzahlen
bzw. zu ihren Gunsten zu hinterlegen.389
379 Vgl. § 7 AktG.
380 Vgl. § 228 Abs. 1 AktG.
381 Vgl. § 222 Abs. 1 Satz 1 AktG. „Die Satzung kann eine größere Kapitalmehrheit und weitere
Erfordernisse bestimmen“; § 222 Abs. 1 Satz 2 AktG.
382 Vgl. § 223 AktG.
383 Vgl. § 224 AktG.
384 Vgl. § 225 Abs. 1 Satz 1 AktG.
385 Vgl. § 225 Abs. 2 Satz 1 AktG.
386 Vgl. § 225 Abs. 3 AktG.
387 Vgl. § 226 Abs. 1 und 2 AktG.
388 Vgl. § 226 Abs. 3 Satz 1 AktG.
389 Vgl. § 226 Abs. 3 Satz 6 AktG.
4.3 Die Eigenkapitalbeschaffung emissionsfähiger Unternehmungen 117
4.3.4.2.3 Die vereinfachte Kapitalherabsetzung390
Diese Form der Kapitalherabsetzung ist nur zulässig,
• um Wertminderungen auszugleichen, sonstige Verluste zu decken oder Beträge in die
Kapitalrücklage einzustellen,391
• nachdem der Teil der gesetzlichen Rücklage und der Kapitalrücklage, um den diese
zusammen über 10 % des nach der Herabsetzung verbleibenden Grundkapitals hinausgehen, sowie die (anderen) Gewinnrücklagen in voller Höhe vorweg aufgelöst worden
sind,392
• solange ein Gewinnvortrag nicht vorhanden ist.393
Ansonsten gelten die Regelungen bezüglich der ordentlichen Kapitalherabsetzung mit Ausnahme der §§ 222 Abs. 3 und 225 AktG.394
Beträge, die aus der Auflösung der Kapital- oder Gewinnrücklagen und aus der Kapitalherabsetzung gewonnen werden, dürfen aus Gläubigerschutzgründen nicht zu Zahlungen an die
Aktionäre verwendet werden.395 Gewinne dürfen in den Folgejahren erst ausgeschüttet
werden, wenn die gesetzliche Rücklage und die Kapitalrücklage wieder zusammen 10 %
des herabgesetzten Grundkapitals erreicht haben.396 Zudem ist die Zahlung eines Gewinnanteils von mehr als 4 % des Grundkapitals erst ab dem dritten Geschäftsjahr nach dem Beschluss über die vereinfachte Kapitalherabsetzung zulässig, es sei denn, berechtigte Gläubiger werden zuvor befriedigt oder sichergestellt.397 Es ist zu beachten, dass die Beträge aus
der Auflösung von Kapital- und Gewinnrücklagen und aus der vereinfachten Kapitalherabsetzung auch dann nicht als Gewinn ausgeschüttet werden dürfen, wenn die Gläubigerschutzregelungen des § 225 Abs. 1 AktG ergriffen werden.
Das gezeichnete Kapital sowie die Kapital- und Gewinnrücklagen können zudem bereits im
Jahresabschluss für das der vereinfachten Kapitalherabsetzung vorausgehende Geschäftsjahr
in der Höhe ausgewiesen werden, in der sie nach der Kapitalherabsetzung bestehen sollen
(„berichtigte Unterbilanz“398),399 falls die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:400
• Der Beschluss über die Feststellung des Jahresabschlusses ist der Hauptversammlung
zu übertragen.
390 Vgl. §§ 229-236 AktG.
391 Vgl. § 229 Abs. 1 Satz 1 AktG.
392 Vgl. § 229 Abs. 2 Satz 1 AktG.
393 Vgl. § 229 Abs. 2 Satz 2 AktG.
394 Vgl. § 229 Abs. 3 AktG.
395 Vgl. § 230 Satz 1 AktG.
396 Vgl. § 233 Abs. 1 Satz 1 AktG.
397 Vgl. § 233 Abs. 2 AktG.
398 Vgl. Vormbaum, Herbert: Finanzierung der Betriebe. 9. Aufl., Wiesbaden 1995, S. 509.
399 Vgl. § 234 Abs. 1 AktG.
400 Vgl. § 234 Abs. 2 und 3 AktG.
118 4 Die Außenfinanzierung durch Eigenkapital (Einlagenfinanzierung)
• Der Beschluss soll gleichzeitig mit dem Beschluss über die vereinfachte Kapitalherabsetzung gefasst werden.
• Der Beschluss über die vereinfachte Kapitalherabsetzung ist innerhalb von drei Monaten nach der Beschlussfassung in das Handelsregister einzutragen.
Danach darf der veränderte „verlustfreie“ Jahresabschluss veröffentlicht werden. Auch eine
gleichzeitig mit der Kapitalherabsetzung beschlossene Kapitalerhöhung darf bereits in
diesem Abschluss als vollzogen berücksichtigt werden.401
Durch die im Rahmen der vereinfachten Kapitalherabsetzung vorgesehenen gläubigerschützenden Regelungen soll eine offene oder verdeckte Kapitalausschüttung an Aktionäre verhindert werden. Hauptzweck der vereinfachten Kapitalherabsetzung ist damit die finanzielle
Sanierung in Form eines Verlustausgleiches.402 Aufgrund der lediglich vorzunehmenden
Umbuchung verändert sich weder das effektiv vorhandene Eigenkapital noch das Vermögen
der Aktiengesellschaft. Die nicht auf eine Liquiditätsverbesserung ausgerichtete Maßnahme
verfolgt also lediglich das Ziel, die in der Bilanz auf der Passivseite gesondert ausgewiesenen Verluste (Summe der bis zum Zeitpunkt der vereinfachten Kapitalherabsetzung aufgelaufenen Verluste) buchmäßig zu beseitigen und eventuell zusätzliche Rücklagen zu bilden.
Da es jedoch einer in Schwierigkeiten geratenen Aktiengesellschaft häufig erst durch Zuführung neuen Eigenkapitals und der damit verbundenen Stärkung ihrer Liquiditätsverhältnisse möglich sein wird, ihre Geschäftstätigkeit Erfolg versprechend fortzuführen, schließt
sich an eine vereinfachte Kapitalherabsetzung u. U. eine ordentliche Kapitalerhöhung an.403
Neben der buchmäßigen Abdeckung bereits entstandener Verluste geht es hier demzufolge
insbesondere auch um eine Verbesserung der Liquiditätslage der Aktiengesellschaft und
zwar durch Zuführung von Eigenkapital. Denn sollen mit den neu gewonnenen Mitteln
bisherige Verlustquellen beseitigt werden, so dürfte es sinnvoll sein, wenn diese langfristig
zur Verfügung gestellt werden. Ansonsten könnten in naher Zukunft erneut Liquiditätsprobleme auftreten. Allerdings wird es zu einer Zuführung neuen Eigenkapitals wohl nur kommen, wenn die Eigenkapitalgeber von der Sanierungswürdigkeit der Aktiengesellschaft
überzeugt werden können. Diese ist dann gegeben, wenn die nach Durchführung der Sanierungsmaßnahmen zu erwartende Gewinnsituation eine angemessene Verzinsung des dann
im Betrieb gebundenen Kapitals zulässt. Mit anderen Worten: Der den Eigenkapitalgebern
in der Zukunft verbleibende Gewinn darf nicht kleiner sein als der Betrag, den sie im Falle
einer Liquidation aus der anderweitigen Verwendung des Liquidationserlöses erzielen könnten. Reicht der Gewinn hierzu nicht aus, so kann die Fortführung des Betriebes allenfalls
unter anderen (z. B. sozialen) Gesichtspunkten gerechtfertigt werden.
401 Vgl. § 235 AktG.
402 Vgl. Vormbaum, Herbert: Finanzierung der Betriebe. 9. Aufl., Wiesbaden 1995, S. 509.
403 Vgl. zu einem Berechnungsbeispiel Waschbusch, Gerd: Kapitalherabsetzung und Kapitalerhöhung. In: Fortbildung – Zeitschrift für Führungskräfte in Verwaltung und Wirtschaft 1992, S. 89-
90.
4.3 Die Eigenkapitalbeschaffung emissionsfähiger Unternehmungen 119
4.3.4.2.4 Die Kapitalherabsetzung durch Einziehung von Aktien404
§ 237 Abs. 1 Satz 1 AktG sieht zwei Möglichkeiten vor:
• die Zwangseinziehung von Aktien,
• die Einziehung von Aktien nach Erwerb durch die Gesellschaft.
Für beide Formen der Aktieneinziehung gelten grundsätzlich die Vorschriften über die
ordentliche Kapitalherabsetzung,405 d. h., es muss ein Hauptversammlungsbeschluss mit
Dreiviertelmehrheit vorliegen. Außerdem sind die Gläubigerschutzvorschriften, die bei der
vereinfachten Kapitalherabsetzung nicht zu beachten waren, hier anzuwenden. Der Erwerb
eigener Aktien, die eingezogen werden sollen, ist zudem aktienrechtlich unbeschränkt zulässig.406
Die Einziehung von Aktien kann zu allen Zwecken erfolgen, zu denen eine Herabsetzung
des Grundkapitals zulässig ist. Besonders bedeutungsvoll ist jedoch die Sanierung durch
Rückkauf eigener Aktien. Da die Aktiengesellschaft in diesem Falle den Aktionären, die
ihre Aktien abgeben, ein Entgelt zahlen muss, setzt dieses Verfahren voraus, dass die sanierungsbedürftige Gesellschaft noch über ausreichende liquide Mittel verfügt. Allerdings ist
die Durchführung dieser Sanierungsmaßnahme mit Blick auf eine buchmäßige Beseitigung
von Verlusten nur sinnvoll, wenn die Aktien unter pari angekauft werden können. Nach
der Aktivierung der erworbenen Aktien zu den Anschaffungskosten wird das Grundkapital
um den (fiktiven) Nennwert der erworbenen Aktien herabgesetzt, so dass – ein Kauf unter
pari vorausgesetzt – ein Buchgewinn in Höhe der Differenz zwischen dem (fiktiven) Nennwert der eigenen Aktien und dem niedrigeren Kurswert (Anschaffungskosten) der eigenen
Aktien entsteht. Dieser wird zur buchmäßigen Abdeckung des Verlustvortrages verwendet.
Die erworbene Vermögensposition „Eigene Aktien“ geht durch die Vernichtung der Aktien
unter.
Bei Erfüllung einer der beiden folgenden Voraussetzungen gelten schließlich vereinfachte
Vorschriften für die Einziehung von Aktien:407
• Voll eingezahlte Aktien werden der Gesellschaft unentgeltlich zur Verfügung gestellt.
Die Aktiengesellschaft muss also keine eigenen finanziellen Mittel aufwenden.
• Voll eingezahlte Aktien werden zu Lasten des Bilanzgewinns oder einer anderen Gewinnrücklage, soweit sie zu diesem Zweck verwendet werden können, eingezogen. Die
Verwendung dieser Mittel verstößt nicht gegen Gläubigerinteressen, da diese Mittel jederzeit als Dividende an die Aktionäre ausgeschüttet werden könnten.
404 Vgl. §§ 237-239 AktG.
405 Vgl. § 237 Abs. 2 Satz 1 AktG.
406 Vgl. § 71 Abs. 1 Nr. 6 AktG.
407 Vgl. § 237 Abs. 3 AktG.
120 4 Die Außenfinanzierung durch Eigenkapital (Einlagenfinanzierung)
In beiden Fällen kann die Hauptversammlung die Kapitalherabsetzung durch Einziehung
von Aktien mit einfacher Stimmenmehrheit beschließen.408 Ein dem (fiktiven) Gesamtnennbetrag der eingezogenen und anschließend vernichteten Aktien entsprechender Betrag ist in
die Kapitalrücklage einzustellen.409 Dadurch wird eine entsprechende Auszahlung an die
Aktionäre zu Lasten der Gläubiger verhindert.
408 Vgl. § 237 Abs. 4 Satz 1 und 2 AktG.
409 Vgl. § 237 Abs. 5 AktG.
5 Die Außenfinanzierung durch Fremdkapital
(Kreditfinanzierung)
5.1 Die Charakteristika und Formen der Kreditfinanzierung
5.1.1 Die Abgrenzung von Eigen- und Fremdkapital
Eigen- und Fremdkapital unterscheiden sich neben den von ihnen zu erfüllenden Funktionen
auch bezüglich ihrer charakteristischen Merkmale. Im Folgenden werden die einzelnen
Charakteristika von Eigen- und Fremdkapital einander gegenübergestellt.
Eigenkapital zeichnet sich dadurch aus, dass mit ihm eine Eigentümerposition verbunden
ist, d. h., dass eine Person, die Eigenkapital in eine Unternehmung einbringt, gleichzeitig
(Mit-)Eigentümer dieser Unternehmung wird. Im Gegensatz hierzu erwerben Gläubiger als
Fremdkapitalgeber kein Eigentum an der Unternehmung. Ihre Verbindung mit der Unternehmung ist vielmehr schuldrechtlicher Natur.
Die Fremdkapitalgeber einer Unternehmung besitzen i. d. R. keine Mitsprache-, Kontroll- und Entscheidungsbefugnisse bei der Geschäftsführung. Sie besitzen – wenn
überhaupt – lediglich die Möglichkeit einer indirekten Einflussnahme auf die Geschäftsführung der Unternehmung. Man darf allerdings nicht übersehen, dass bei hohem Verschuldungsgrad (Fremdkapital/Eigenkapital) bzw. hoher Fremdkapitalquote (Fremdkapital/Gesamtkapital), insbesondere wenn der Fremdkapitalbetrag (im Wesentlichen) nur von
einem Gläubiger zur Verfügung gestellt wurde, aus der überragenden Machtposition des
Gläubigers Mitsprache- und Kontrollrechte entstehen, dem Gläubiger sogar Entscheidungsbefugnisse zuwachsen können.
Dagegen sind die im entsprechenden Gesetz vorgesehenen bzw. die im Gesellschaftsvertrag
oder der Satzung vereinbarten Mitsprache-, Kontroll- und Entscheidungsbefugnisse bei den
Eigenkapitalgebern wesentlich ausgeprägter. Bei einigen Rechtsformen (z. B. OHG; § 114
Abs. 1 HGB) verpflichtet die Einbringung von Eigenkapital gleichzeitig zur (Mit-)Geschäftsführung; allerdings kann die Verpflichtung – und das Recht – zur Geschäftsführung
im Gesellschaftsvertrag auch abbedungen werden. Sind Eigenkapitalgeber nicht an der
Geschäftsführung beteiligt, wie dies z. B. bei der AG grundsätzlich der Fall ist, so besitzen
sie stattdessen anderweitige Rechte (z. B. Stimm-, Auskunfts-, Kontrollrechte).
Das Eigenkapital kann die Verlustausgleichsfunktion im Falle einer fortbestehenden Unternehmung sowie die Haftungsfunktion im Falle einer aufzulösenden Unternehmung nur
übernehmen, wenn es der Unternehmung unbefristet überlassen wurde. Fehlende Befristung der Kapitalbereitstellung ist jedoch nicht in jedem Fall gleichbedeutend mit Langfristigkeit der Kapitalhingabe. Im Falle unbeschränkter Haftung von (Mit-)Eigentümern sehen
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Nach einer allgemeinen Einordnung der Finanzierung von Unternehmen werden die einzelnen Instrumente der Außen- und Innenfinanzierung mit ihren theorie- und praxisrelevanten Merkmalen vorgestellt und mit zahlreichen Beispielen untermauert. Darüber hinaus wird auf Finanzinnovationen und Finanzderivate eingegangen.
Einführendes Lehrbuch in die Grundlagen der Unternehmensfinanzierung
Behandelt werden theoretische wie praxisrelevante Fragestellungen.
Grundprinzipien und Bestandteile der Finanzwirtschaft
Finanzierungstheorie
Finanzierungsarten
Außenfinanzierung durch Eigenkapital
Außenfinanzierung durch Fremdkapital
Derivative Finanzinstrumente
Innenfinanzierung^.
Prof. Dr. Hartmut Bieg ist Inhaber des Lehrstuhls für Bankbetriebslehre an der Universität des Saarlandes.
Professor Dr. Heinz Kußmaul ist Direktor des Betriebswirtschaftlichen Instituts für Steuerlehre und Entrepreneurship am Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, an der Universität des Saarlandes.
"Insgesamt betrachtet liegt hier ein beachtliches Nachschlagewerk zum Themenkomplex Investition und Finanzierung vor, das jede einschlägige Frage in ihren Grundzügen beantwortet… Angehenden Betriebswirten und Praktikern kann das Handbuch uneingeschränkt empfohlen werden."
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