11 Die Innenfinanzierung368
Abbildung 110 gibt einen Überblick über die wichtigsten Instrumente der Innenfinanzierung nach dieser Einteilung.
Innenfinanzierung
aus Vermögensumschichtung
und dadurch bedingter
Kapitalfreisetzung
aus Vermögenszuwachs
und dadurch bedingtem
Kapitalzuwachs
Verkürzung der Kapitalbindungsdauer (Rationalisierungsmaßnahmen)
Stille Selbstfinanzierung
Verkauf nicht betriebsnotwendiger Vermögensgegenstände
Bildung von (langfristigen)
Rückstellungen
Rückfluss von
Abschreibungsgegenwerten
Verkauf von Forderungen
(Factoring/Forfaitierung/
Asset Backed Securities)
Offene Selbstfinanzierung
Abbildung 110: Überblick über die wichtigsten Instrumente der Innenfinanzierung951
11.2 Die Selbstfinanzierung
11.2.1 Überblick
Von Selbstfinanzierung wird gesprochen, wenn die Unternehmungsleitung Teile des im
Laufe eines Geschäftsjahres erwirtschafteten Vermögenszuwachses, die sich als steuer- und
handelsrechtlicher Gewinn zeigen (würden), in der Unternehmung zurückbehält, indem sie
entweder derartige Gewinnanteile nicht entstehen lässt oder entstandene Gewinnanteile
nicht ausschüttet. Sie vermeidet also eine entsprechende indirekte negative Finanzierungswirkung von Teilen des steuer- und handelsrechtlichen Gewinns, die ansonsten zu Steuerund/oder Ausschüttungszahlungen führen würden.
Im Rahmen der Erfolgsfeststellung kann dies dadurch geschehen, dass die Unternehmungsleitung Teile des ansonsten festzustellenden Gewinns durch geeignete Bilanzierungs- und
Bewertungsmaßnahmen erst gar nicht entstehen lässt und damit auch nicht ausweisen muss.
951 Modifiziert entnommen aus Bieg, Hartmut: Die Selbstfinanzierung – zugleich ein Überblick über
die Innenfinanzierung. In: Der Steuerberater 1998, S. 192.
11.2 Die Selbstfinanzierung 369
Diese „stillen Gewinne“ unterliegen damit auch nicht der Gefahr der Besteuerung oder
Ausschüttung.952 Man spricht dann von stiller Selbstfinanzierung. Es werden stille Rücklagen gebildet.
Die offene Selbstfinanzierung ist demgegenüber dadurch gekennzeichnet, dass Teile des
ausgewiesenen Gewinns im Rahmen der Erfolgsverwendung in der Unternehmung zurückbehalten werden. Es werden offene Rücklagen gebildet.
11.2.2 Die stille Selbstfinanzierung
Instrumente der stillen Selbstfinanzierung sind sämtliche Bilanzierungs- und Bewertungsentscheidungen, die die Bildung stiller Rücklagen begünstigen. Im Einzelnen können folgende Entscheidungen genannt werden:953
• Nichtaktivierung effektiv vorhandener Vermögenswerte: (z. B. Verzicht auf die
zulässige Aktivierung selbst geschaffener immaterieller Vermögensgegenstände des
Anlagevermögens (vgl. § 248 Abs. 2 Satz 1 HGB); Verbot der Aktivierung selbst geschaffener Marken, Drucktitel, Verlagsrechte, Kundenlisten oder vergleichbarer immaterieller Vermögensgegenstände des Anlagevermögens (vgl. § 248 Abs. 2 Satz 2
HGB));
• Vermögensunterbewertung durch Aufwandsmehrverrechnung (z. B. Unterbewertung von Vorräten; Verrechnung von Abschreibungsquoten, die die tatsächlich eingetretenen Wertminderungen erheblich übersteigen; Sofortabschreibung geringwertiger
Wirtschaftsgüter) oder durch Ertragsminderverrechnung (z. B. Verbot der Zuschreibung von Wertsteigerungen über die historischen Anschaffungs- oder Herstellungskosten hinaus (§ 253 Abs. 1 Satz 1 HGB));
• Schuldenüberbewertung durch Aufwandsmehrverrechnung (z. B. überhöhte Zuführungsbeträge zu den Rückstellungen) oder durch Ertragsminderverrechnung
(z. B. Unterlassung der Auflösung wirtschaftlich nicht mehr gerechtfertigter Teilbeträge von Rückstellungen).
Die Beispiele zeigen, dass neben den Bilanzierungs- und Bewertungswahlrechten auch
gesetzlich zwingende Bilanzierungs- und Bewertungsentscheidungen zur stillen Rücklagenbildung führen. Man spricht im letzten Fall von stillen Zwangsrücklagen.
Alle vorgenannten Entscheidungen haben aber die gleiche Wirkung. Die dabei entstehenden
Aufwendungen bzw. nicht entstehenden Erträge vermindern für Außenstehende nicht
erkennbar (deshalb: stille Selbstfinanzierung) den steuerpflichtigen bzw. ausschüttungsfähigen Gewinn und damit auch die entsprechenden Auszahlungen. Die stille Selbstfinanzierung ist also dadurch gekennzeichnet, dass Gewinne aufgrund von Bilanzierungs- und Bewertungsmaßnahmen nicht ausgewiesen werden, obwohl die tatsächlichen Werte effektiv
952 Dies setzt allerdings voraus, dass keine steuerrechtlichen und/oder handelsrechtlichen Vorschriften
den Bilanzierungs- und Bewertungsmaßnahmen entgegenstehen.
953 Vgl. hierzu auch Wöhe, Günter/Bilstein, Jürgen: Grundzüge der Unternehmensfinanzierung.
9. Aufl., München 2002, S. 356-357.
11 Die Innenfinanzierung370
vorhanden sind. Somit kann sich im Gegensatz zur noch zu besprechenden offenen Selbstfinanzierung auch nicht das bilanzielle, sondern nur das effektive Eigenkapital erhöhen.
Abbildung 111 verdeutlicht den Einfluss der stillen Rücklagen auf die Höhe des ausgewiesenen Gewinns.
Gewinn- und Verlustrechnung
Aufwendungen
Erträge
Erträge
Gewinn
vor
Ertragsteuern
Gewinn
vor
Ertragsteuern
ohne stille
Selbstfinanzierung
mit stiller
Selbstfinanzierung
mit stiller
Selbstfinanzierung
ohne stille
Selbstfinanzierung
maximale Liquiditätsentlastung durch stille Selbstfinanzierung (in Abhängigkeit von dem auch ohne die stille Selbstfinanzierung thesaurierten
Betrag)
verbleibende
drohende
Ertragsteuer-und
A
usschüttungszahlungen
dr
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Aufwendungen
Durch Vermögensunterbewertung/Schulden-
überbewertung
entstehende
zusätzliche
Aufwendungen
Durch
Vermögensunterbewertung/
Schuldenüberbewertung nicht
entstehende
Erträge
Abbildung 111: Die stille Selbstfinanzierung954
954 Entnommen aus Bieg, Hartmut: Die Selbstfinanzierung – zugleich ein Überblick über die Innenfinanzierung. In: Der Steuerberater 1998, S. 193.
11.2 Die Selbstfinanzierung 371
Erfolgt die Bildung stiller Rücklagen – wie hier gezeigt – auch in der Steuerbilanz, so
bestehen die stillen Rücklagen aus noch unversteuertem Gewinn; die Besteuerung wird bei
ihrer Auflösung nachgeholt, es sei denn, die spätere Auflösung der stillen Rücklagen trifft
auf einen steuerlichen Verlust oder einen steuerlichen Verlustvortrag. Diese zinslose Steuerstundung führt nicht nur zu einer Liquiditätsentlastung der Unternehmung, sondern auch
zu einem Zinsgewinn, beeinflusst also die Rentabilität der Unternehmung. Die bei Auflösung der stillen Rücklagen in späteren Perioden erfolgende Nachversteuerung hat dann
allerdings eine entsprechend stärkere liquiditätsmäßige Belastung zur Folge. Sieht man von
der Zinswirkung ab, so treten endgültige Steuerersparnisse oder Steuermehrbelastungen nur
bei progressiven Steuertarifen (Einkommensteuer) bzw. bei Änderung von Ertragsteuersätzen ein.
11.2.3 Die offene Selbstfinanzierung
Die Wirkungsweise der offenen Selbstfinanzierung wurde bereits aufgezeigt.955 Das Instrument der offenen Selbstfinanzierung beschränkt sich auf die Zurückbehaltung ausgewiesener Gewinne in der Unternehmung, also auf Thesaurierungsbeschlüsse. Allerdings sind die
(gesetzlichen) Vorschriften bezüglich einer Thesaurierung von Gewinnen rechtsformabhängig unterschiedlich.
Bei Einzelunternehmungen und Personenhandelsgesellschaften wird der zur Finanzierung zur Verfügung stehende Betrag nach Steuern auf den Kapitalkonten gutgeschrieben.
Der Einzelunternehmer kann erwirtschaftete Gewinne in der Unternehmung belassen.
Aufgrund der ihm allein zustehenden Gewinnverwendungskompetenz kann er die thesaurierten Gewinne später allerdings jederzeit entnehmen. Theoretisch stellt die Gewinnthesaurierung – unter der Prämisse, dass stets Gewinne erzielt werden – eine unerschöpfliche
Finanzierungsquelle dar. Praktisch ist es jedoch in vielen Fällen so, dass der Einzelunternehmer seinen Lebensunterhalt aus Gewinnentnahmen bestreitet. Deshalb ist auch die Thesaurierung von Gewinnen nur begrenzt möglich.956
Der auf einen Gesellschafter einer Offenen Handelsgesellschaft (OHG) entfallende Gewinn wird – ebenso wie seine Einlage – seinem Kapitalanteil gutgeschrieben, also grundsätzlich thesauriert; allerdings kürzen Entnahmen diesen Kapitalanteil. Sind gesellschaftsvertragliche Regelungen hinsichtlich der Entnahmen nicht getroffen, so ist jeder Gesellschafter gemäß § 122 HGB berechtigt, 4 % seines Kapitalanteils zu entnehmen; darüber
hinausgehende Gewinnanteile des letzten Geschäftsjahres dürfen nur entnommen werden,
soweit dies nicht zum offenbaren Schaden der Gesellschaft gereicht.
Bei den persönlich haftenden Gesellschaftern (Komplementären) einer Kommanditgesellschaft (KG) ergeben sich die gleichen Thesaurierungs- und Entnahmemöglichkeiten von
Gewinnen wie bei OHG-Gesellschaftern. Die Gewinn- und Verlustbeteiligung der beschränkt haftenden Gesellschafter (Kommanditisten) werden durch Gesellschaftsvertrag
955 Vgl. die Abschnitte 11.1.3 und 11.2.1.
956 Vgl.Wöhe, Günter/Bilstein, Jürgen: Grundzüge der Unternehmensfinanzierung. 9. Aufl., München
2002, S. 36.
11 Die Innenfinanzierung372
bzw. durch § 168 HGB geregelt. Ihre Gewinnanteile werden nicht ihren Kapitalkonten
gutgeschrieben, sondern stellen Auszahlungsverpflichtungen der Gesellschaft dar, soweit
die übernommenen Kapitalanteile der Kommanditisten bereits voll eingezahlt sind.
Ist die Kapitaleinlage nicht vollständig geleistet, so erfolgt die Gutschrift der Gewinne als
Kapitaleinlage auf dem entsprechenden Kapitalkonto. Verluste werden gegen das Kapitalkonto verrechnet, das sogar negativ werden kann. Spätere Gewinnanteile dürfen dem Kommanditisten erst wieder ausgezahlt werden, wenn sein Anteil wieder voll aufgefüllt ist. Per
Gesellschaftsvertrag oder Gesellschafterbeschluss können Gewinne auch thesauriert werden, die dann als Gewinnrücklagen zu bilanzieren sind.
Bei Kapitalgesellschaften werden die einbehaltenen Gewinne (bzw. Gewinnteile) in die
offenen Rücklagen, speziell in die Gewinnrücklagen, eingestellt oder auf Rechnung des
folgenden Jahres übertragen (Gewinnvortrag).
Bei der Aktiengesellschaft (AG) wird die offene Selbstfinanzierung durch § 58 AktG einerseits nach oben begrenzt. Er gestattet es Vorstand und Aufsichtsrat, sofern sie den Jahresabschluss feststellen,957 höchstens die Hälfte des Jahresüberschusses in die Gewinnrücklagen
einzustellen. Die Satzung einer AG kann sogar vorsehen, dass in diesem Fall mehr als die
Hälfte des Jahresüberschusses durch Vorstand und Aufsichtsrat in die Gewinnrücklagen
eingestellt werden kann. Letzteres ist allerdings nur möglich, soweit die Gewinnrücklagen
die Hälfte des Grundkapitals nach der Thesaurierung nicht übersteigen.958
Unabhängig von diesen Regelungen erlaubt es § 58 Abs. 2a AktG Vorstand und Aufsichtsrat, den Eigenkapitalanteil von Wertaufholungen und von bei der steuerrechtlichen Gewinnermittlung gebildeten Passivpositionen, die nicht im Sonderposten mit Rücklageanteil ausgewiesen werden dürfen, in die Gewinnrücklagen einzustellen. Andererseits erzwingt z. B.
§ 150 AktG die Bildung einer gesetzlichen Rücklage („gesetzliche Selbstfinanzierung“) und
§ 272 Abs. 2 HGB die einer Kapitalrücklage. Da die Kapitalrücklage jedoch lediglich das
bei der Ausgabe von Aktien, Wandelschuldverschreibungen, Optionsschuldverschreibungen
und Gewinnschuldverschreibungen über den Nennwert hinaus erzielte Aufgeld (Agio)
aufnimmt, hat sie mit dem hier erörterten Fall der Gewinnthesaurierung nichts zu tun.
Soweit die Gewinnverwendungskompetenz bei den Eigentümern (der Hauptversammlung)
liegt, können Vorstand und Aufsichtsrat durch entsprechende Gewinnverwendungsvorschläge die Eigentümer dahingehend beeinflussen, dass weitere Teile des Gewinns in die
Gewinnrücklagen eingestellt, also nicht ausgeschüttet werden.
§ 29 Abs. 2 GmbHG sieht für Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH) vor,
dass die Gesellschafter, wenn der Gesellschaftsvertrag nichts anderes bestimmt, Beträge in
Gewinnrücklagen einstellen oder als Gewinn vortragen können. Außerdem enthält § 29
Abs. 4 GmbHG eine dem oben beschriebenen § 58 Abs. 2a AktG analoge Regelung. Auch
957 Dies ist bei deutschen Aktiengesellschaften zwar die Regel; das Gesetz sieht aber auch die Möglichkeit der Feststellung des Jahresabschlusses durch die Hauptversammlung vor; vgl. § 58
Abs. 1 AktG.
958 Vgl. § 58 Abs. 2 Satz 3 AktG.
11.2 Die Selbstfinanzierung 373
die im HGB für alle Kapitalgesellschaften kodifizierten Vorschriften zur Bildung von Rücklagen (§ 272 Abs. 2 und 4 HGB) sind von GmbH anzuwenden.
Die offene Selbstfinanzierung führt stets zum Ansteigen des bilanziell ausgewiesenen
Eigenkapitals. Eine Zuordnung zu irgendwelchen Vermögenspositionen ist nicht möglich;
allenfalls kann im Zeitpunkt der Rücklagenbildung festgestellt werden, dass entsprechende
liquide Mittel die Unternehmung nicht verlassen.
11.2.4 Die Beurteilung der Selbstfinanzierung
Als Vorteile der Selbstfinanzierung werden genannt und gleichzeitig kritisch hinterfragt:959
• Die Selbstfinanzierung belastet die Liquidität der Unternehmung weder durch Ausschüttungszahlungen noch durch Tilgungsmaßnahmen.
Die Verfechter dieser These verkennen einerseits, dass im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auch offene Rücklagen zum Zwecke der Ausschüttung („Rückzahlung“) aufgelöst
werden können. Andererseits denken sie hinsichtlich der Liquiditätsbelastung durch Ausschüttungszahlungen offensichtlich nur an die auf Dauer gegründeten Kapitalgesellschaften,
bei denen die offene Selbstfinanzierung zu einem erhöhten Ausweis von speziellen Eigenkapitalpositionen, den Rücklagen, führt. Tatsächlich ist aber auch dort das gezeichnete
Kapital nur die nominelle Basis der Aufteilung der ausgeschütteten Gewinne an die Anteilseigner, während sich die Gewinnansprüche der Anteilseigner wie bei Personenhandelsgesellschaften am gesamten Eigenkapital orientieren dürften.
Zwar weist die stille Selbstfinanzierung in diesem Zusammenhang den Vorteil auf, dass die
Eigentümer dieses stille Eigenkapital nicht erkennen und deshalb keine Gewinnansprüche
hieran anknüpfen können (dies gilt nur, wenn Eigentum und Management der Unternehmung getrennt sind). Weil die stille Selbstfinanzierung aber den ausgewiesenen Gewinn
schmälert, könnte für die Unternehmungsleitung ein Erklärungs- bzw. Rechtfertigungsbedarf gegenüber den Eigentümern entstehen, warum der Gewinn geringer ist als eventuell –
u. U. auch im Vergleich zu anderen Unternehmungen – erwartet. Können die Eigentümer
diesbezüglich nicht überzeugt bzw. beruhigt werden, so könnte mittel- und langfristig die
Weiterbeschäftigung der Unternehmungsleiter in Frage gestellt sein.
Die stillen Rücklagen haben zudem den entscheidenden Nachteil, dass sie sich durch den
laufenden Desinvestitionsprozess wieder auflösen, was oft von der Unternehmungsleitung
nicht erkannt wird.
• Offene Selbstfinanzierung erhöht die Eigenkapitalbasis und damit auch die Kreditwürdigkeit der Unternehmung. Die (stille oder offene) Selbstfinanzierung erfordert
außerdem nicht die Bereitstellung von Sicherheiten. Diese Argumente gelten allerdings
für die Eigenfinanzierung allgemein.
959 Vgl. auch Perridon, Louis/Steiner, Manfred: Finanzwirtschaft der Unternehmung. 14. Aufl.,
München 2007, S. 469-471 sowie Vormbaum, Herbert: Finanzierung der Betriebe. 9. Aufl., Wiesbaden 1995, S. 250-255.
11 Die Innenfinanzierung374
• Selbstfinanzierung verändert die Machtstrukturen in der Unternehmung nicht.
Stille wie offene Selbstfinanzierung sind aber häufig gerade Ergebnis der Machtstruktur
einer Unternehmung.
In diesem Zusammenhang muss auch darauf hingewiesen werden, dass über die stille
Selbstfinanzierung ausschließlich die Unternehmungsleitung im Rahmen der Aufstellung
des Jahresabschlusses entscheidet, ohne dabei – wie im Falle der offenen Selbstfinanzierung
– gegenüber den Eigentümern Rechenschaft ablegen zu müssen (vgl. allerdings den oben
angesprochenen Rechtfertigungsbedarf bei nicht „ausreichenden“ Gewinnen).
Damit ist nicht nur der hier im Mittelpunkt stehende Finanzierungseffekt verbunden, sondern auch die Möglichkeit der Glättung der ausgewiesenen – insbesondere handelsrechtlichen – Jahresergebnisse. Die stille Selbstfinanzierung ermöglicht nämlich die zeitliche
Verlagerung von Gewinnausschüttungen (Möglichkeit der Dividendenkontinuität). So werden einerseits die Jahresabschlussleser in besonders erfolgreichen Geschäftsjahren nicht
über den gesamten Umfang des Gewinns informiert, andererseits können – was aufgrund
der dann fehlenden Reaktionsmöglichkeiten der Eigentümer wesentlich problematischer ist
– Periodenverluste vor ihnen verheimlicht werden, indem noch vorhandene stille Rücklagen
erfolgserhöhend, aber von den Jahresabschlusslesern nicht erkennbar, aufgelöst werden.
Den Jahresabschlussadressaten wird damit permanent ein falsches Bild der wirtschaftlichen
Lage der Unternehmung vermittelt.
Auch mit der offenen Selbstfinanzierung ist eine Gewinnglättung möglich (Bildung und
Auflösung offener Rücklagen). Allerdings sind hierbei gesetzliche Vorschriften zu beachten
(z. B. §§ 58, 150 AktG). Zudem ist es möglich, dass die Eigentümer (und nicht die Unternehmungsleitung) entscheidungsbefugt sind.
• Eine Zweckbindung für bestimmte Investitionsvorhaben der Unternehmung ist nicht
erforderlich.
Es besteht allerdings die Möglichkeit, dass die einbehaltenen Gewinne aufgrund fehlender
klarer Zweckbindung und aufgrund des fehlenden Vergleichs der Rentabilitäten verschiedener Anlagealternativen innerhalb und außerhalb der Unternehmung unrentabel investiert
werden.
11.3 Die Fremdfinanzierung aus Rückstellungen 375
11.3 Die Fremdfinanzierung aus Rückstellungen
11.3.1 Handels- und steuerrechtliche Vorschriften zur Bildung und
Auflösung von Rückstellungen960
11.3.2 Die Bildung von Rückstellungen
Rückstellungen werden zum Zwecke der periodenrichtigen Erfolgsabgrenzung verrechnet. Sie werden in Handels- und Steuerbilanz für ungewisse Verpflichtungen angesetzt, d. h.
für Aufwendungen, deren wirtschaftliche Ursachen zwar in der laufenden Periode liegen,
bei denen aber noch nicht feststeht, ob, mit welchem Betrag und in welchem zukünftigen
Zeitpunkt sie zu Auszahlungen oder Mindereinzahlungen führen werden.
Rückstellungen stellen Aufwendungen dar, die im betrachteten Geschäftsjahr noch nicht zu
Auszahlungen geführt haben; sie ähneln insoweit den antizipativen passiven Rechnungsabgrenzungen. Der Unterschied besteht jedoch darin, dass bei Letzteren – im Gegensatz zu
den Rückstellungen – stets Grund, Betrag und Fälligkeitstermin der späteren Auszahlung
genau bekannt sind.
Eine Rückstellungsbildung ist grundsätzlich gerechtfertigt, wenn eine der drei folgenden
Situationen vorliegt:961
1. Die Unternehmung erwartet, dass in zukünftigen Perioden Ansprüche von Seiten
Dritter an sie herangetragen werden, deren wirtschaftliche Ursachen im gegenwärtigen Geschäftsjahr liegen. Hierbei sind vier Fälle möglich:
a) Die Verpflichtung der Unternehmung gegenüber einem Dritten ist bereits
rechtswirksam entstanden, jedoch steht die Höhe der späteren Auszahlungen
noch nicht fest.
Beispiel: Rückstellungen für ein vertragliches Versprechen der Unternehmung
zur Leistung von Alters-, Hinterbliebenen- oder Invalidenunterstützung an einzelne Beschäftigte (Pensionsrückstellungen).
b) Die Verpflichtung gegenüber einem Dritten ist bereits verursacht und erkennbar, sie ist aber noch nicht rechtswirksam festgesetzt worden.
Beispiel: Rückstellungen für Steuern, Rückstellungen für bereits erkennbare
Bergschäden.
c) Aufgrund bisheriger Erfahrungen ist es hinreichend wahrscheinlich, dass in
Zukunft eine Schuld gegenüber einem Dritten entstehen wird, die in der be-
960 Vgl. hierzu auch Bieg, Hartmut: Buchführung. 5. Aufl., Herne 2008, S. 146-150; Bieg, Hartmut/Kußmaul, Heinz: Externes Rechnungswesen. 5. Aufl., München 2009, S. 166-167; Wöhe,
Günter/Kußmaul, Heinz: Grundzüge der Buchführung und Bilanztechnik. 6. Aufl., München 2008,
S. 287-299.
961 Vgl.Wöhe, Günter: Bilanzierung und Bilanzpolitik. 9. Aufl., München 1997, S. 516-517.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Nach einer allgemeinen Einordnung der Finanzierung von Unternehmen werden die einzelnen Instrumente der Außen- und Innenfinanzierung mit ihren theorie- und praxisrelevanten Merkmalen vorgestellt und mit zahlreichen Beispielen untermauert. Darüber hinaus wird auf Finanzinnovationen und Finanzderivate eingegangen.
Einführendes Lehrbuch in die Grundlagen der Unternehmensfinanzierung
Behandelt werden theoretische wie praxisrelevante Fragestellungen.
Grundprinzipien und Bestandteile der Finanzwirtschaft
Finanzierungstheorie
Finanzierungsarten
Außenfinanzierung durch Eigenkapital
Außenfinanzierung durch Fremdkapital
Derivative Finanzinstrumente
Innenfinanzierung^.
Prof. Dr. Hartmut Bieg ist Inhaber des Lehrstuhls für Bankbetriebslehre an der Universität des Saarlandes.
Professor Dr. Heinz Kußmaul ist Direktor des Betriebswirtschaftlichen Instituts für Steuerlehre und Entrepreneurship am Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, an der Universität des Saarlandes.
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