9.2 Die Verfahren der Unternehmensbewertung 251
Damit ist also auch die Abbildung einer Unternehmung in der Handels- und der Steuerbilanz
möglich. Allerdings ergibt sich der Unternehmenswert infolge des grundsätzlichen Prinzips
der Einzelbewertung aller Vermögensgegenstände bzw. Wirtschaftsgüter sowie der sonstigen Positionen in Handels- und Steuerbilanz aus der Summe der einzelnen bilanzierungsfähigen und bilanzierten bewerteten Aktiva, vermindert um die in der Bilanz ausgewiesenen
Verbindlichkeiten. Es erfolgt keine Bestimmung des Gesamtwerts der Unternehmung, sondern die eines von den Gewinnermittlungsvorschriften beeinflussten Werts, der insbesondere den Zweck der Abgrenzung von Gewinnverwendungskompetenzen hat.
In den Kreis der Nebenfunktionen ließen sich noch einige andere Funktionen der Unternehmensbewertung einreihen, worauf hier jedoch aus Praktikabilitätsgründen verzichtet wird.
Die Verfahren der Unternehmensbewertung
9.2 Die Verfahren der Unternehmensbewertung
9.2.1 Einordnung
Eine Systematisierung der Verfahren der Unternehmensbewertung wird im Allgemeinen so
vorgenommen, dass man zwischen Gesamtbewertungsverfahren, Einzelbewertungsverfahren, Mischverfahren und Überschlagsrechnungen unterscheidet (vgl. dazu Abbildung 59;
Seite 253).
Den Gesamtbewertungsverfahren ist gemein, dass sie die zu bewertende Unternehmung
als eine Bewertungseinheit betrachten,451 und sich im Unterschied zu den Einzelbewertungsverfahren nicht an der Unternehmungssubstanz, sondern an dem zukünftig aus der
Bewertungseinheit erwarteten Nutzen orientieren.452 Dazu wird auf die zukünftig erwarteten
finanziellen Überschüsse abgestellt,453 die auf den Bewertungsstichtag abzuzinsen sind. Je
nachdem, ob diese Überschüsse in Form von periodisierten Größen (Aufwendungen und
Erträge) oder in Form von Zahlungsgrößen (Ein- und Auszahlungen) in die Berechnung
eingehen, kommen dabei das Ertragswertverfahren (vgl. Abschnitt 9.3.4) oder die Discounted Cashflow (DCF)-Verfahren (vgl. Abschnitt 9.3.6 bis 9.3.9) zur Anwendung.
Einzelbewertungsverfahren gehören – genauso wie das gerade erwähnte Ertragswertverfahren in seiner Basisvariante – zu den traditionellen Verfahren der Unternehmensbewertung.454 Wie bereits in Abschnitt 9.1.1 aufgezeigt wurde, orientieren sich diese an einem
objektiven Unternehmenswert, der unabhängig von der spezifischen Interessenlage des
Bewerters bzw. des oder der Bewertungsinteressenten zu ermitteln ist. Die Einzelbewertungsverfahren weisen eine starke Substanzwertorientierung auf,455 da der Unternehmens-
451 Vgl. Mandl, Gerwald/Rabel, Klaus: Methoden der Unternehmensbewertung. In: Praxishandbuch
der Unternehmensbewertung, hrsg. von Volker H. Peemöller, 4. Aufl., Herne 2009, S. 53.
452 Vgl. Peemöller, Volker H./Kunowski, Stefan: Ertragswertverfahren nach IDW. In: Praxishandbuch
der Unternehmensbewertung, hrsg. von Volker H. Peemöller, 4. Aufl., Herne 2009, S. 272.
453 Vgl. Sieben, Günter: Schmalenbachs Auffassung von der Unternehmensbewertung. In: Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis 1998, S. 191.
454 Vgl. Schierenbeck, Henner/Wöhle, Claudia B.: Grundzüge der Betriebswirtschaftslehre. 17. Aufl.,
München 2008, S. 390.
455 Vgl. u.a. Schierenbeck, Henner/Wöhle, Claudia B.: Grundzüge der Betriebswirtschaftslehre.
17. Aufl., München 2008, S. 392.
9 Die Gesamtbewertung von Unternehmungen252
wert aus der Summe der Werte der Einzelbestandteile der zu bewertenden Unternehmung
ermittelt wird.456 Hierher rührt auch der im Folgenden gebrauchte Begriff der „Substanzwertverfahren“. Die Ermittlung des Gesamtwerts einer Unternehmung erfordert die vorherige Bestimmung der individuellen Werte der einzelnen Vermögensgegenstände und Schulden,457 aus denen er dann synthetisch zusammengesetzt wird. Die Substanzwertverfahren
werden vom Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. (IDW) abgelehnt, das den
Barwert der – oftmals subjektiv festgelegten – zukünftigen Überschüsse der Einnahmen
über die Ausgaben als den theoretisch richtigen Wert einer Unternehmung bezeichnet.458
Die Mischverfahren vereinigen sowohl Elemente der Gesamt- als auch der Einzelbewertungsverfahren.459 Ein Beispiel dieser Verfahren ist das in der Praxis sehr gebräuchliche und
daher auch als Praktikerverfahren bezeichnete Mittelwertverfahren, bei dem man den den
Unternehmenswert als arithmetisches Mittel aus Ertrags- und Substanzwert ermittelt.460 Eine
weitere Variante der Mischverfahren stellen die Übergewinnverfahren dar, deren bekanntester Vertreter das Stuttgarter Verfahren ist.
Zu den Überschlagsrechnungen zählt das Multiplikatorverfahren, bei dem der gesuchte
Marktpreis einer zu bewertenden Unternehmung aus feststellbaren Marktpreisen vergleichbarer Unternehmungen abgeleitet wird; die Ableitung kann auch aus den Marktpreisen, die
sich aus Transaktionen mit Beteiligungen an der betrachteten Unternehmung in der Vergangenheit ergeben haben, erfolgen.461
Welcher der verschiedenen denkbaren Wertansätze im konkreten Einzelfall allerdings entscheidungsrelevant ist, hängt zum einen vom Anlass der Unternehmensbewertung und zum
anderen von dem zugrunde liegenden Bewertungszweck ab. Es kann also nur für die jeweilige spezielle Anwendungssituation entschieden werden, welcher Wert denn nun in diesem
Fall einen für den konkreten Anlass brauchbaren Unternehmenswert darstellt.
456 Vgl. Mandl, Gerwald/Rabel, Klaus: Methoden der Unternehmensbewertung. In: Praxishandbuch
der Unternehmensbewertung, hrsg. von Volker H. Peemöller, 4. Aufl., Herne 2009, S. 53-54.
457 Vgl. Mandl, Gerwald/Rabel, Klaus: Methoden der Unternehmensbewertung. In: Praxishandbuch
der Unternehmensbewertung, hrsg. von Volker H. Peemöller, 4. Aufl., Herne 2009, S. 54.
458 Vgl. diesbezüglich Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V.: IDW Standard: Grundsätze
zur Durchführung von Unternehmensbewertungen (IDW S1 i.d.F. 2008). In: IDW-Fachnachrichten 2008, Rn. 6; Wagner, Wolfgang: Die Unternehmensbewertung. In: WP-Handbuch, Band II,
hrsg. vom Institut der Wirtschaftsprüfer, 13. Aufl., Düsseldorf 2007, Rn. 9. Siehe dazu auch Maul,
Karl-Heinz: Offene Probleme der Bewertung von Unternehmen durch Wirtschaftsprüfer. In: Der
Betrieb 1992, S. 1253-1254.
459 Vgl. Ballwieser, Wolfgang: Unternehmensbewertung: Prozeß, Methoden und Probleme. Stuttgart
2004, S. 10.
460 Vgl. Schierenbeck, Henner/Wöhle, Claudia B.: Grundzüge der Betriebswirtschaftslehre. 17. Aufl.,
München 2008, S. 476.
461 Auf diese Verfahren wird im Rahmen dieses Buches nicht näher eingegangen. Vgl. dazu bspw.
ausführlich Schierenbeck, Henner/Wöhle, Claudia B.: Grundzüge der Betriebswirtschaftslehre.
17. Aufl., München 2008, S. 485-488.
9.2 Die Verfahren der Unternehmensbewertung 253
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Abbildung 59: Die Verfahren der Unternehmensbewertung462
462 In Anlehnung an Ballwieser, Wolfgang: Unternehmensbewertung: Prozeß, Methoden und Probleme. Stuttgart 2004, S. 8.
9 Die Gesamtbewertung von Unternehmungen254
9.2.2 Die traditionellen Verfahren
9.2.2.1 Die Substanzwertverfahren
Bei den Substanzwertverfahren wird der Unternehmenswert aus der Summe der Werte aller
Vermögensgegenstände berechnet.463 Den Unternehmenswert ermittelt man nicht aus zukünftig zufließenden Zahlungsströmen, sondern ausschließlich aus der vorhandenen Unternehmenssubstanz. Den Einzelbewertungsverfahren fällt – trotz der zahlreichen Kritik an der
lediglich auf die objektive Bewertung einzelner Vermögensgegenstände ausgerichteten
Bewertung – insofern eine erhebliche Bedeutung zu, als mit ihrer Hilfe eine weitgehend
objektive Grundlage bezüglich einer grundlegenden Bewertungsbasis für eine gesamte
Unternehmung geschaffen wird. Allerdings darf dabei nicht übersehen werden, dass diese
Konzeption der Einzelbewertung der einzelnen in der Unternehmung vorhandenen Vermögenspositionen mit einer Reihe von Mängeln behaftet ist.
Um nämlich aus der Summe der einzelnen zum Unternehmungserfolg beitragenden Vermögensgegenstände als „Substanz der Unternehmung“ für jeden einzelnen Vermögensgegenstand einen Wertansatz im Hinblick auf dessen Bedeutung für das Gesamtsystem ableiten zu
können, müsste der Ermittlung solcher Einzelwerte eigentlich eine Unternehmensgesamtbewertung vorausgehen.
Des Weiteren treten Probleme dahingehend auf, dass einerseits nicht alle am Unternehmenserfolg beteiligten Faktoren bewertbar bzw. überhaupt bekannt sind, und andererseits eine kausale Aufteilung des Unternehmensgesamtwerts auf die einzelnen Vermögensgegenstände undurchführbar ist.
Obwohl die aufgezeigte Problematik einer als Einzelbewertung angelegten Substanzbewertung nicht übersehen werden darf, bietet sich doch in bestimmten Fällen eine Bewertung der
Unternehmung auf der Basis der Einzelwerte der betrieblichen Substanz im Sinne einer
Gesamtbewertung an, so beispielsweise bei:
? Stilllegung einer Unternehmung, wobei ihr Gesamtwert der Summe der Einzelverkaufspreise der veräußerbaren Vermögensgegenstände, vermindert um die Schulden,
entspricht;
? Stilllegung von Teilen der Unternehmung bei grundsätzlicher Bereitschaft zur Fortführung der unternehmerischen Aktivitäten;
? Verkauf von nicht betriebsnotwendigem Vermögen und grundsätzliche Bereitschaft zur
Fortführung der Unternehmung, mit Ausnahme des Verkaufs von Teilbetrieben sowie
Anteilen an anderen Unternehmungen u.Ä., bei denen das Erfordernis einer separaten
Gesamtbewertung besteht.464
Es lässt sich erkennen, dass in bestimmten Situationen der Gesamtwert einer Unternehmung also durch die Unternehmenssubstanz in entscheidender Weise beeinflusst bzw.
z.T. auch weitgehend festgelegt wird. Unklarheit besteht aber oftmals dahingehend, welcher
463 Vgl. Mandl, Gerwald/Rabel, Klaus: Methoden der Unternehmensbewertung. In: Praxishandbuch
der Unternehmensbewertung, hrsg. von Volker H. Peemöller, 4. Aufl., Herne 2009, S. 54.
464 Vgl. zu diesen sowie zu den nachfolgenden Ausführungen Bieg, Hartmut: Betriebswirtschaftslehre 1: Investition und Unternehmungsbewertung. 2. Aufl., Freiburg i.Br. 1997, S. 182-187.
9.2 Die Verfahren der Unternehmensbewertung 255
Substanzwert der Unternehmung denn nun für die Berechnung maßgeblich ist, da der Begriff „Substanzwert“ nur einen Obergriff für mehrere signifikante Spezialausdrücke hinsichtlich des Substanzwerts einer Unternehmung darstellt. Deshalb kann auch nicht für jede
Anwendungssituation in gleicher Weise gesagt werden, welche Bedeutung dem Substanzwert bei einer Unternehmensgesamtbewertung zukommt und welche Bestandteile im entsprechenden Einzelfall für die Bestimmung der Unternehmenssubstanz zu berücksichtigen
sind. Zwar lässt sich der jeweilige Gesamtwert der Unternehmenssubstanz als Summe der
Produkte aus Substanzmenge und Wertansatz der einzelnen Vermögensgegenstände festlegen, jedoch ergeben sich Unterschiede aufgrund des unterschiedlichen Umfangs der in die
Substanz einzubeziehenden Vermögensgegenstände und außerdem aufgrund der unterschiedlichen Wertansätze.
Differenziert werden muss dabei generell zwischen zwei grundsätzlichen Ausrichtungen des
Substanzwerts einer Unternehmung (vgl. diesbezüglich auch Abbildung 60; Seite 256).
Der Substanzwert kann auf eine mögliche Liquidation der Unternehmung ausgerichtet sein;
dann erfolgt eine Orientierung am Liquidationswert. In diesem Fall soll bestimmt werden,
welcher Betrag bei einer Unternehmungsauflösung erzielt werden kann. Beim Verkauf der
veräußerbaren Vermögensgegenstände müssen dabei im Allgemeinen – zumeist in Abhängigkeit von der Dringlichkeit der Liquidation bzw. vom angestrebten Liquidationszeitpunkt – Abschläge vom realen Wert (Anschaffungskosten abzüglich der zeitbedingten
Wertminderung) der Vermögensgegenstände hingenommen werden. Darüber hinaus werden
die Verkaufserlöse durch die Kosten der Abwicklung und der Verwertung gemindert. Aus
den danach noch verbliebenen Verkaufserlösen müssen außerdem noch die Verbindlichkeiten und die sonstigen Verpflichtungen (z.B. aufgrund eines Sozialplanes) abgedeckt werden.
Die schließlich noch übrig bleibenden Nettoeinnahmen repräsentieren den liquidationswertorientierten Substanzwert der Unternehmung.465
Die häufigere Ausprägung des Substanzwerts einer Unternehmung zielt dagegen auf eine
Reproduktionswertorientierung ab. Dabei wird mit Hilfe des Substanzwerts versucht, eine
Antwort auf die Frage zu finden, wie viel Kapital aufgewendet werden müsste, um die zu
bewertende Unternehmung so nachzubauen, wie sie derzeit real existiert, d.h. wie sie steht
und liegt.466 Es wird also diejenige Kapitalsumme ermittelt, die notwendig ist, um eine
Unternehmung der gleichen technischen Leistungsfähigkeit und der gleichen wirtschaftlichen Ausstattung zu errichten, wie sie die zu bewertende Unternehmung aufweist.467
Hierbei wird zunächst von den Vermögensgegenständen ausgegangen, die zum einen als
betriebsnotwendig gelten und zum anderen einzeln bewertbar sind; es tritt an dieser Stelle
das Problem der Bestimmung der betriebsnotwendigen Vermögensgegenstände auf. Die
Abgrenzung zwischen betriebsnotwendigem und nicht betriebsnotwendigem Vermögen
hängt letztendlich von der Art der beabsichtigten Unternehmungsfortführung ab und kann
465 Vgl. dazu u.a. Bieg, Hartmut: Betriebswirtschaftslehre 1: Investition und Unternehmungsbewertung. 2. Aufl., Freiburg i.Br. 1997, S. 183 sowie auch Abbildung 60 (Seite 256).
466 Vgl. HFA des IDW: Stellungnahme HFA 2/1983: Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen. In: Die Wirtschaftsprüfung 1983, S. 473.
467 Vgl. dazu Wöhe, Günter: Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre. 23. Aufl., München 2008, S. 577-578.
9 Die Gesamtbewertung von Unternehmungen256
deshalb nicht pauschal beantwortet werden. Deutlich zu erkennen ist aber, dass hier große
Ermessensspielräume bei der Unternehmensbewertung existieren.468
AK: Anschaffungskosten
WBK: Wiederbeschaffungskosten
+ stille Rücklagen ± nicht bilanzierungsfähige Vermögensgegenstände und
Schulden
theoretische Trennung
Gesamtreproduktionswert
Restbuchwerte
AK/WBK AK/WBK
– tatsächliche
Wertminderung
AK/WBK
– tatsächliche
Wertminderung
Verkaufspreise
– Liquidationskosten
Kapitalisierungsmehrwert
kapitalisierte
Reinerträge
Ertragswert
Bilanzierungsfähige
Vermögensgegenstände
Alle Vermögensgegenstände
Veräußerbare Vermögensgegenstände
ohne Abzug von Schulden mit Abzug von Schulden
Reproduktionswertorientierte
Substanzwerte
Liquidationswertorientierter
Substanzwert
Substanzwerte
Brutto-
Substanzwerte
Netto-
Substanzwerte
Bilanzwert Reproduktionswert
Teilreproduktionswert
Gesamtreproduktionswert
Liquidationswert
Abbildung 60: Formen der Substanzwerte in der Unternehmensbewertung und deren Abgrenzung zum Ertragswert 469
468 Vgl. dazu und zum Folgenden insbesondere Bieg, Hartmut: Betriebswirtschaftslehre 1: Investition
und Unternehmungsbewertung. 2. Aufl., Freiburg i.Br. 1997, S. 184-186.
469 Entnommen aus Kußmaul, Heinz: Gesamtbewertung von Unternehmen als spezieller Anwendungsfall der Investitionsrechnung. In: Der Steuerberater 1996, S. 306.
9.2 Die Verfahren der Unternehmensbewertung 257
Erwähnt werden muss in diesem Zusammenhang, dass die Voraussetzung der Einzelbewertbarkeit auf eine deutliche Schwäche der Ermittlung eines Unternehmenswerts auf der
Grundlage der Substanzbewertung hinweist. Durch die Einzelbewertung und damit durch
die isolierte Betrachtung eines jeden Vermögensgegenstandes erfolgt nämlich eine Nichtberücksichtigung der Auswirkungen der einzelnen Vermögensgegenstände im Verbund und
somit eine Vernachlässigung von deren Ertragspotenzial.
Ein Ansatz der nicht betriebsnotwendigen Vermögensgegenstände geschieht in Höhe des
Liquidationswerts. Im Falle des Vorhandenseins sowohl betriebsnotwendiger als auch nicht
betriebsnotwendiger Vermögensgegenstände kommt es bei der Ermittlung des Unternehmenswerts darauf an, auf welchen reproduktionswertorientierten Substanzwert abgezielt
wird.
Differenziert werden kann zwischen folgenden Größen (vgl. dazu auch Abbildung 60;
Seite 256):
Eine Berechnung der verschiedenen reproduktionswertorientierten Substanzwerte kann
primär auf der Basis von Brutto- oder Nettosubstanzwerten durchgeführt werden. Möchte
man Bruttosubstanzwerte ermitteln, findet kein Abzug der Schulden der Unternehmung
statt. Erfolgt dagegen ein Abzug der – tatsächlichen (entsprechend der herrschenden Literaturmeinung) oder aber der bei einer als normal erachteten Eigen-/Fremdkapitalrelation
vertretbaren – Schulden, so handelt es sich um Nettosubstanzwerte.
Unter dem Bilanzwert ist die Summe der Restbuchwerte (fortgeführte Anschaffungs- oder
Herstellungskosten) der bilanzierten Vermögensgegenstände zu verstehen. Schwierigkeiten
können in diesem Fall allerdings bei unterschiedlichen Wertansätzen in Handels- und Steuerbilanz auftreten. Als nachteilig hinsichtlich der Aussagefähigkeit dieses Werts ist in erster
Linie anzumerken, dass keine Aufdeckung der stillen Rücklagen aufgrund der preisabhängigen Bewertung (gemildertes Niederstwertprinzip im Anlagevermögen und strenges Niederstwertprinzip im Umlaufvermögen) erfolgt. Des Weiteren werden von diesem Wert nur
bilanzierte Vermögensgegenstände erfasst (Problem: Bilanzierungswahlrechte bzw.
-verbote).
Durch Addition der Anschaffungs- bzw. Wiederbeschaffungskosten sämtlicher bilanzierter
materieller und immaterieller Vermögenswerte am Bewertungsstichtag ergibt sich der Reproduktionswert. Schwierigkeiten können hier u.U. bei der Ermittlung der Wiederbeschaffungskosten auftreten, wenn der Vermögensgegenstand in der Art und Weise seines
derzeitigen Vorhandenseins in der Unternehmung nicht mehr auf dem Markt beschafft
werden kann bzw. wenn der Vermögensgegenstand so nicht mehr beschafft werden würde
(bei einem fiktiven Nachbau der Unternehmung), da eine technische Überalterung eingetreten ist.470
Werden vom Reproduktionswert die entsprechend dem Lebensalter der real vorhandenen
Vermögensgegenstände bisher eingetretenen tatsächlichen Wertminderungen abgesetzt, so
erhält man den Teilreproduktionswert. Der Vorteil dieses Werts gegenüber dem Bilanzwert der Unternehmung ist darin zu sehen, dass hier alle stillen Rücklagen aufgelöst sind.
470 Vgl. dazu und zum Folgenden Bieg, Hartmut: Betriebswirtschaftslehre 1: Investition und Unternehmungsbewertung. 2. Aufl., Freiburg i.Br. 1997, S. 184.
9 Die Gesamtbewertung von Unternehmungen258
Allerdings weist diese auch als Reproduktionsaltwert bezeichnete Kennzahl den Nachteil
auf, dass sich einerseits die Ermittlung der Wiederbeschaffungskosten und die Schätzung
des Abnutzungsgrades der Vermögensgegenstände als schwierig erweisen kann und dass
andererseits der Wert der nicht bilanzierungsfähigen immateriellen Vermögensgegenstände
(wie z.B. Mitarbeiterpotenzial, Standortvorteile, technisches Knowhow, Image, Patente,
Organisation, Kundenstamm, Marktposition, Produktionsgeheimnisse, Betriebsklima) keine
Berücksichtigung findet. Ohne eine Erfassung auch dieser Faktoren hätte aber eine Unternehmensbewertung auf der Basis von Substanzwerten keinen Sinn.
Deshalb wird – um zu einem brauchbaren und aussagefähigen Wert zu gelangen – eine
Erhöhung des Teilreproduktionswerts um die prognostizierten Wiederbeschaffungskosten
der nicht bilanzierten bzw. nicht bilanzierungsfähigen Vermögensgegenstände vorgenommen; man gelangt so zum Gesamtreproduktionswert. Dieser Wert weist im Vergleich zu
den vorherigen drei Werten den Vorteil auf, dass auch nicht bilanzierte bzw. nicht bilanzierungsfähige Vermögensgegenstände erfasst sind; extreme Bewertungsschwierigkeiten werden sich hier allerdings bei der Feststellung der Wiederbeschaffungskosten für das Mitarbeiterpotenzial, die Standortvorteile, das technische Know-how, das Image usw. ergeben.
Zwischen einer Wertermittlung unter Heranziehung des Teilreproduktionswerts und dem
Ertragswert einer Unternehmung liegt als Differenz der sogenannte originäre Firmen- bzw.
Geschäftswert. Er umfasst zum einen den Wert der Vermögensgegenstände, die nicht bilanzierungsfähig sind, und zum anderen die Summe der Mehrwerte der Vermögensgegenstände, die zwar bilanziell erfasst sind, die aber wegen der bei der Bestimmung des Reproduktionswerts erfolgten preisabhängigen Bewertung unter dem Wert angesetzt wurden, der
sich bei einer ertragsabhängigen Bewertung ergeben hätte.
Anders ausgedrückt resultiert der originäre Firmenwert als Summe der nicht bilanzierungsfähigen immateriellen Vermögensgegenstände, der die Differenz zwischen Gesamt- und
Teilreproduktionswert widerspiegelt, und dem Kapitalisierungsmehrwert, der sich als
Differenz zwischen Ertragswert und Teilreproduktionswert ergibt, und der für den Fall, dass
der Gesamtreproduktionswert den Ertragswert übersteigt, zu einem Kapitalisierungsminderwert werden kann.
Über alle diese Wertfestlegungen hinaus ist noch die Situation zu berücksichtigen, dass
nicht betriebsnotwendige Vermögensgegenstände veräußert werden, so dass auch im Rahmen des reproduktionswertorientierten Substanzwertes ein Liquidationswert (Verkaufspreis abzüglich der Liquidationskosten) entsteht. Dieser ist jedoch nicht zu verwechseln mit
dem liquidationswertorientierten Substanzwert, von dem er sich grundlegend unterscheidet.471
Durch den Unterschied zwischen reproduktionswertorientiertem und liquidationswertorientiertem Substanzwert kommt klar zum Ausdruck, dass eine Bestimmung des Substanzwerts
unmöglich getrennt von den zukünftigen – beabsichtigten oder unterstellten – Aktivitäten
der zu bewertenden Unternehmung durchgeführt werden kann. Der jeweilige Entschei-
471 Vgl. dazu sowie hinsichtlich der nachfolgenden Ausführungen v.a. Bieg, Hartmut: Betriebswirtschaftslehre 1: Investition und Unternehmungsbewertung. 2. Aufl., Freiburg i.Br. 1997, S. 184-
186.
9.2 Die Verfahren der Unternehmensbewertung 259
dungsträger legt nicht nur fest, auf welche Teile der Unternehmung er in Zukunft verzichten
will oder kann, sondern er entscheidet auch über eine eventuelle – teilweise – Stilllegung
bzw. Liquidation. Es besteht daher eine Abhängigkeit des Substanzwerts von den mit den
Vermögenspositionen verfolgten Absichten und Möglichkeiten.
Trotz des Vorteils leichterer Bestimmbarkeit des Substanzwerts im Vergleich zu einer Ermittlung des Ertragswerts ist der oftmals sehr entscheidende Nachteil der Vernachlässigung
des zukünftigen Nutzens bzw. der zukünftigen Erträge gegeben. Der Wert eines jeden Vermögensgegenstandes wie auch einer jeden Unternehmungsgesamtheit ist im Allgemeinen
stark von dem Zukunftserfolg abhängig, der daraus resultieren soll. Da aber eine Festlegung
des Unternehmenswerts auf der Grundlage eines Substanzwerts das zukünftige Ertragspotenzial der Vermögensgegenstände nicht berücksichtigt, ist ein derartiger Wert als alleinige
Basis einer Unternehmensbewertung ungeeignet.
Den vehementen Gegnern der Substanzbewertung kann aber entgegengehalten werden, dass
die vorhandene Substanz einer Unternehmung nicht völlig bedeutungslos ist, denn je
brauchbarer sich diese im Hinblick auf die zukünftigen Vorhaben der Unternehmung erweist, desto vorteilhafter sind die Einflüsse auf die zukünftig zu erwartenden Zahlungsströme; beispielsweise können bereits vorhandene Vermögensgegenstände (z.B. ein bislang
nicht genutztes Grundstück) eine Ersparnis bei den künftigen Auszahlungen bewirken oder
aber den zeitlichen Anfall von Auszahlungen verzögern (Neuwertigkeit vorhandener Anlagen und Maschinen).
In der Bewertungspraxis wird die Unternehmenswertermittlung auf ausschließlicher Basis
des Substanzwertverfahrens weitgehend abgelehnt. Gemäß IDW „kommt dem Substanzwert
bei der Ermittlung des Unternehmenswerts keine eigenständige Bedeutung zu“.472 In Gestalt
des Teilreproduktionswerts erlangt der Substanzwert jedoch trotz allem praktische Bedeutung, wobei an die handels- und steuerbilanzielle Behandlung des Erwerbs von Unternehmungen zu denken ist; als Folge des Einzelbewertungsgrundsatzes ist die Gegenleistung
(z.B. der Kaufpreis) auf die einzelnen Vermögensgegenstände und Schulden aufzuteilen.473
Zudem dient der Substanzwert als Hilfsgröße im Zusammenhang mit anderen Wertermittlungsmaßstäben. So bildet nach IDW S1 der Liquidationswert der Unternehmung die Untergrenze für den Unternehmenswert.474
9.2.2.2 Die Mittelwertverfahren
Das durch Schmalenbach initiierte Mittelwertverfahren, in der Literatur auch als „Berliner
Verfahren“ bezeichnet, stützt sich auf die weit verbreitete Vorstellung, dass eine Unternehmensbewertung nach dem Ertragswertverfahren (vgl. dazu Abschnitt 9.3.4) i.d.R. ein zu
hohes, nach der Substanzwertmethode dagegen häufig ein zu niedriges, den „richtigen“
472 Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V.: IDW Standard: Grundsätze zur Durchführung
von Unternehmensbewertungen (IDW S1 i.d.F. 2008). In: IDW-Fachnachrichten 2008, Rn. 6.
473 Vgl. Mandl, Gerwald/Rabel, Klaus: Methoden der Unternehmensbewertung. In: Praxishandbuch
der Unternehmensbewertung, hrsg. von Volker H. Peemöller, 4. Aufl., Herne 2009, S. 84.
474 Vgl. Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V.: IDW Standard: Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen (IDW S1 i.d.F. 2008). In: IDW-Fachnachrichten 2008, Rn. 5;
vgl. auch Mandl, Gerwald/Rabel, Klaus: Methoden der Unternehmensbewertung. In: Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, hrsg. von Volker H. Peemöller, 4. Aufl., Herne 2009, S. 84.
9 Die Gesamtbewertung von Unternehmungen260
Wert der Unternehmung nicht widerspiegelndes Ergebnis zur Folge hat. Dabei liegt der
Gedanke eines vollkommenen Marktes zugrunde, in dem ein über dem Reproduktionswert
liegender Ertragswert langfristig als überhöht angesehen wird, weil jederzeit damit gerechnet werden muss, dass hohe Branchengewinne im Allgemeinen Konkurrenten anlocken und
die erzielbaren Gewinne durch den ausbrechenden Konkurrenzkampf auf ein „normales
Niveau“ gedrückt werden.475
In Anbetracht dieser Situation wurde von Schmalenbach vorgeschlagen, bei Vorliegen einer
derartigen Sachverhaltsgestaltung den Unternehmenswert als arithmetisches Mittel aus
Teilreproduktionswert und Ertragswert zu berechnen. Die Konsequenz daraus ist eine
lediglich hälftige Berücksichtigung des Firmen- bzw. Geschäftswerts.
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mit:
UW: Gesamtwert der Unternehmung;
EW: Ertragswert der Unternehmung;
TRW: Teilreproduktionswert der Unternehmung.
Hinter dieser Formel steckt der Grundgedanke, dass der Gesamtreproduktionswert zwar als
maßgeblicher Unternehmensgesamtwert anzusehen ist, dieser aber aufgrund der Schwierigkeiten einer zahlenmäßigen Festlegung des Firmen- bzw. Geschäftswerts, d.h. des sogenannten „Goodwill“, nicht exakt ermittelt werden kann. Da sich aber Ertragswert und Teilreproduktionswert einigermaßen richtig berechnen lassen – wobei angenommen wird, dass
der Teilreproduktionswert unter dem Gesamtreproduktionswert und der Ertragswert (ohne
Berücksichtigung der Konkurrenzgefahr) über diesem liegt –, liefert das Mittelwertverfahren
einen einfachen, allerdings rein schematischen Ausweg zur Bestimmung des unbekannten
Gesamtreproduktionswerts.476
Obwohl in der Realität keine vollkommene Konkurrenz auf den Märkten herrscht, war das
Mittelwertverfahren „lange Zeit wahrscheinlich das in der Praxis gebräuchlichste Bewertungsverfahren und wird deshalb auch häufig als Praktikerverfahren bezeichnet“.477 Das
IDW hingegen lehnt das Mittelwertverfahren ab.478
Bei der Anwendung dieses Bewertungsverfahrens ergeben sich trotz der auf den ersten Blick
leicht erscheinenden Durchführbarkeit gewisse Nachteile, die einerseits der Ertragswertmethode und andererseits der Substanzwertmethode anhaften. Hier besteht nämlich ebenfalls
475 Vgl. dazu und zum Folgenden insbesondere Wöhe, Günter: Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre. 23. Aufl., München 2008, S. 578-579.
476 Vgl. dazu ausführlich Moxter, Adolf: Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung.
2. Aufl., Wiesbaden 1983, S. 56-60.
477 Schierenbeck, Henner/Wöhle, Claudia B.: Grundzüge der Betriebswirtschaftslehre. 17. Aufl.,
München 2008, S. 476.
478 Vgl. Wagner, Wolfgang: Die Unternehmensbewertung. In: WP-Handbuch, Band II, hrsg. vom
Institut der Wirtschaftsprüfer, 13. Aufl., Düsseldorf 2007, Rn. 9.
9.2 Die Verfahren der Unternehmensbewertung 261
die Schwierigkeit der Bestimmung eines ertragsabhängigen Werts; außerdem treten die
theoretischen Mängel des Ertragswert- und des Substanzwertverfahrens zum Vorschein.
Neben diesem auf Schmalenbach zurückgehenden Mittelwertverfahren („Berliner Verfahren“) existiert in der Schweiz eine abgewandelte Variante, das durch Busch begründete
„Schweizer Verfahren“. Dieses dient dort zur steuerlichen Bewertung von nicht notierten
Anteilen, wobei der Ertragswert als der wichtigere der beiden Werte angesehen wird und
daher eine prozentuale Gewichtung des Ertragswerts im Vergleich zum Substanzwert im
Verhältnis zwei Drittel zu einem Drittel erfolgt.479
9.2.2.3 Die Methoden der befristeten und unbefristeten Geschäftswertabschreibung
Diesen Methoden liegt im Prinzip der gleiche Gedanke zugrunde wie der Mittelwertmethode; allerdings wird hier das Konkurrenzrisiko nicht in gleicher Weise schematisch berücksichtigt.480 Ausgangsbasis der Methoden der Geschäftswertabschreibung stellen die Gewinne (G) dar, die ohne Berücksichtigung der Konkurrenzgefahr zu erwarten sind. Um das
Konkurrenzrisiko zu quantifizieren, erfolgt eine Kürzung dieser Gewinne um sogenannte
„Abschreibungen auf den Geschäftswert“. Als Geschäftswert gilt dabei die Differenz zwischen dem gesuchten (noch unbekannten) Gesamtwert der Unternehmung und dem Substanzwert im Sinne des Reproduktionswerts, wobei sich der gesuchte Unternehmenswert
selbst aus der Kapitalisierung der um die Abschreibungen auf den Geschäftswert gekürzten
Gewinne ergibt.
Für den Fall der unbefristeten Geschäftswertabschreibung und als konstant unterstellten
jährlichen Gewinnen ergibt sich der Gesamtwert der Unternehmung aus der folgenden Gleichung (a stellt dabei den Abschreibungsfaktor dar, der sich aus der Abschreibungsdauer n
ergibt):
G a (UW RW)UW
i
aEW RW
iUW a1
i
? ? ?
?
? ?
?
?
mit 1a
n
?
Erläuterung der Symbole:
UW: Gesamtwert der Unternehmung;
EW: Ertragswert der Unternehmung;
RW: Reproduktionswert der Unternehmung;
479 Vgl. dazu u.a. Redley, Rémi: Unternehmensbewertung: Kurzcharakteristika und Bewertung verschiedener Verfahren. In: bilanz & buchhaltung 1994, S. 475-476.
480 Vgl. dazu und zum Folgenden insbesondere Schierenbeck, Henner/Wöhle, Claudia B.: Grundzüge
der Betriebswirtschaftslehre. 17. Aufl., München 2008, S. 477.
9 Die Gesamtbewertung von Unternehmungen262
G: konstanter jährlicher Gewinn;
a: Abschreibungsfaktor;
n: Abschreibungsdauer;
i: zugrunde liegender Kalkulationszinssatz.
Im Rahmen einer befristeten Geschäftswertabschreibung erfolgt im Allgemeinen zunächst eine Ermittlung des „vollen“ Ertragswerts und daran anschließend eine Absetzung
des Barwerts der Geschäftswertabschreibung von dieser Größe:
n
i
n
i
n
i
GUW RBF a (UW RW)
i
EW a RBF RWUW
1 a RBF
? ? ? ? ?
? ? ?
?
? ?
Obwohl bei der Berechnung des Unternehmenswerts nach einer der beiden Methoden der
Geschäftswertabschreibung ein hoher formaler Aufwand betrieben werden muss, lastet
diesen Verfahren eine unpassende Konzeption an. Im Falle der unbefristeten Geschäftswertabschreibung erfolgt eine Kürzung des Ertragswerts auch dann noch um die Abschreibung
auf den Geschäftswert, wenn Letzterer bereits vollständig abgeschrieben ist. Bei der befristeten Geschäftswertabschreibung wird nach Ablauf der Abschreibungsdauer mit den ungekürzten Gewinnen weitergerechnet, also keine Konkurrenzgefahr mehr unterstellt.481
9.2.2.4 Die Methoden der Übergewinnabgeltung
Eine Gemeinsamkeit zwischen den verschiedenen Methoden der Übergewinnabgeltung besteht dahingehend, dass der Unternehmenswert dabei als Summe von Reproduktionswert
und Geschäftswert, welcher hier den Wert der „Übergewinne“ verkörpert, bestimmt wird.
Als Übergewinn ist der Teil der jährlichen Gewinne einer Unternehmung anzusehen, der
über eine normale Verzinsung des im Reproduktionswert verkörperten Kapitaleinsatzes
hinaus erwirtschaftet wird.482
Übergewinne gelten im Rahmen dieser Bewertungsverfahren als nicht dauerhaft; es wird
vielmehr nur der Normalgewinn als nachhaltig und dauerhaft in seinem zeitlichen Anfall
angesehen. Als Konsequenz daraus resultiert, die Übergewinne nur für eine bestimmte Zeitspanne, die sogenannte Übergewinndauer, im Rahmen des Unternehmensgesamtwerts zu
berücksichtigen.
Bezüglich der Ermittlung des "Übergewinns" wird ausgegangen vom Reproduktionswert der
Unternehmung (RW) und dem landesüblichen Zinssatz, d.h. einem „Normalzinssatz“ i.
Darauf basierend kann der sogenannte „Normalgewinn“ (GN) ermittelt werden, indem eine
Verzinsung des Reproduktionswerts mit dem Zinssatz i erfolgt:
481 Vgl. Schierenbeck, Henner/Wöhle, Claudia B.: Grundzüge der Betriebswirtschaftslehre. 17. Aufl.,
München 2008, S. 477.
482 Vgl. dazu und zum Folgenden u.a. Moxter, Adolf: Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung. 2. Aufl., Wiesbaden 1983, S. 56-60; Schierenbeck, Henner/Wöhle, Claudia B.: Grundzüge der Betriebswirtschaftslehre. 17. Aufl., München 2008, S. 477-478.
9.2 Die Verfahren der Unternehmensbewertung 263
NG i RW? ?
Der sogenannte „Übergewinn“ (GÜ) ergibt sich aus der Differenz zwischen dem erwarteten
Gewinn (G) und dem Normalgewinn (GN):
NÜG G G G i RW? ? ? ? ?
Bei der Methode der einfachen undiskontierten Übergewinnabgeltung erfolgt eine Multiplikation des Übergewinns mit der angenommenen Zahl der Jahre seines Anfallens und
daran anschließend eine Hinzurechnung zum Reproduktionswert, wobei n in diesem Fall der
Übergewinndauer entspricht:
UW RW n (G i RW)? ? ? ? ?
Die Methoden der diskontierten Übergewinnabgeltung rechnen exakter, denn korrekterweise müssen die Übergewinne auf den Bewertungsstichtag abgezinst und dann dem Substanzwert hinzugerechnet werden. Dementsprechend ergeben sich die Varianten einer befristeten oder aber einer unbefristeten Übergewinnabgeltung.
Bei der befristeten diskontierten Übergewinnabgeltung gilt für den Unternehmensgesamtwert UW:
n
iUW RW RBF (G i RW)? ? ? ? ?
mit:
n: Übergewinndauer.
Geht man von einer unbefristeten diskontierten Übergewinnabgeltung aus, so lässt sich
der Unternehmensgesamtwert folgendermaßen berechnen:
Ü
G i RWUW RW
i
? ?
? ?
mit:
UW: Gesamtwert der Unternehmung;
RW: Reproduktionswert der Unternehmung;
G: konstanter jährlicher Gewinn;
i: Normalzinssatz;
iÜ: Zinssatz für den Übergewinn.
Mitunter existieren auch moderne Varianten dieser Methoden, die als sog. Residualgewinn-
Modelle bezeichnet werden; danach ergibt sich der Unternehmenswert aus der Differenz aus
9 Die Gesamtbewertung von Unternehmungen264
dem Barwert der zukünftigen ökonomischen Gewinne (diese entsprechen den Gewinnen
nach Abzug von Kapitalkosten) und dem Buchwert des investierten Kapitals.483
Verbreitete Anwendung finden die diversen Methoden der Übergewinnabgeltung vor allem
in den angelsächsischen Ländern.484 In Deutschland war bis vor kurzem eine spezielle Variante der einfachen undiskontierten Übergewinnabgeltung für erbschaftsteuerliche Zwecke
von Bedeutung, das sog. Stuttgarter Verfahren. Dieses zur erbschaftsteuerlichen Bewertung nicht notierter Unternehmensanteile verwendete Verfahren kommt seit Inkrafttreten der
Erbschaftsteuerreform 2009 nicht mehr zur Anwendung. Aufgrund seiner in der Vergangenheit sehr erheblichen praktischen Bedeutung und seiner Fixierung in vielen Gesellschaftsverträgen von GmbH sei es trotzdem im nachfolgenden Kapitel erläutert.
9.2.2.5 Das Stuttgarter Verfahren als spezielle Variante der einfachen undiskontierten Übergewinnabgeltung
Im Rahmen des Stuttgarter Verfahrens als spezieller Variante der einfachen undiskontierten Übergewinnabgeltung erfolgte – bis zur Reformierung des Erbschaftsteuerrechts in den
Jahren 2008/2009 – eine Bewertung nicht notierter Anteile an Kapitalgesellschaften für
Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer. Die gesetzliche Grundlage für eine Anwendung des Stuttgarter Verfahrens bildeten § 11 Abs. 2 BewG a.F., wonach der gemeine
Wert derartiger Anteile „unter Berücksichtigung des Vermögens und der Ertragsaussichten
der Kapitalgesellschaft zu schätzen“ war, und § 113a BewG a.F., wonach dieser Wert gesondert festzustellen war. Detaillierte Regelungen zu diesem Verfahren fanden sich in R 96-
H 108 ErbStR vom 17.03.2003.
Dabei wurde der Berechung des gemeinen Werts (vgl. zum Begriff des gemeinen Werts § 9
BewG) eines Kapitalanteils der Vermögenswert zugrunde gelegt und durch eine zeitlich
begrenzte Berücksichtigung der Ertragsaussichten korrigiert.
Als Basis für die Ermittlung des Vermögenswerts diente der Wert des Betriebsvermögens,
an dem Korrekturen vorgenommen wurden. Infolge dieser Wertkorrekturen erhielt man
dann als näherungsweise Schätzung den gemeinen Wert der nicht notierten Kapitalgesellschaftsanteile. Die Vorgehensweise bei der Schätzung erfolgte in drei Schritten:485
(1) Berechnung des Vermögenswerts als Prozentsatz vom Nennkapital, abgeleitet aus
dem Betriebsvermögen der Kapitalgesellschaft.
483 Vgl. Schierenbeck, Henner/Wöhle, Claudia B.: Grundzüge der Betriebswirtschaftslehre. 17. Aufl.,
München 2008, S. 479.
484 Vgl. Schierenbeck, Henner/Wöhle, Claudia B.: Grundzüge der Betriebswirtschaftslehre. 17. Aufl.,
München 2008, S. 478.
485 Vgl. dazu u.a. Christoffel, Hans Günter: Neue Anteilsbewertung nach den Vermögensteuer-
Richtlinien 1993. In: GmbH-Rundschau 1993, S. 715-717; Haberstock, Lothar: Steuerbilanz und
Vermögensaufstellung. 3. Aufl., Hamburg 1991, S. 220; Hübner, Heinrich: Die Neuregelung der
Anteilsbewertung nach den Vermögensteuer-Richtlinien 1993. In: Deutsches Steuerrecht 1993,
S. 1656-1661 und mit Neuerungen Eisele, Dirk: Bewertung nichtnotierter Anteile an Kapitalgesellschaften nach dem Stuttgarter Verfahren ab 1995. In: Steuer und Studium 1995, S. 409-412;
Glier, Josef: Die Vermögensteuer-Änderungsrichtlinien 1995. In: Deutsches Steuerrecht 1994,
S. 1836-1840 sowie Kußmaul, Heinz: Betriebswirtschaftliche Steuerlehre. 5. Aufl., München 2008,
S. 121-124.
9.2 Die Verfahren der Unternehmensbewertung 265
(2) Berechnung des Ertragswerts als Prozentsatz vom Nennkapital, abgeleitet aus den
Jahreserträgen der letzten drei Jahre (sogenannter Ertragshundertsatz).
(3) Berechnung des gemeinen Werts als Prozentsatz vom Nennkapital, als Kombination
aus Vermögens- und Ertragswert.
Bezüglich der Berechnung des gemeinen Wertes musste eine Unterscheidung dahingehend
vorgenommen werden, ob die jeweiligen Anteilseigner Einfluss auf die Geschäftsführung
der Kapitalgesellschaft nehmen können oder nicht (wann ein Einfluss auf die Geschäftsführung angenommen wird, war aus R 101 Abs. 1 Satz 3 ErbStR ersichtlich). Der im Stuttgarter
Verfahren ermittelte Wert für einflussreiche Gesellschafter wich von dem für einflussarme
Gesellschafter ab. Bei fehlendem Einfluss auf die Geschäftsführung war der im Rahmen der
Regelbewertung ermittelte gemeine Wert gem. R 101 Abs. 8 ErbStR pauschal um 10 % zu
kürzen.486 Waren beide Gruppen von Gesellschaftern an einer Unternehmung beteiligt,
mussten zwei gemeine Werte berechnet werden.487
Für die Ermittlung des Vermögenswertes war gem. R 98 Abs. 1 ErbStR „das Vermögen der
Kapitalgesellschaft mit dem Wert im Besteuerungszeitpunkt ... zugrunde zu legen, der sich
bei Anwendung des § 12 Abs. 2, 5 und 6 ErbStG [ a.F.; d.Verf.] ergibt“. Mit dem Verweis
auf die genannten Regelungen des Erbschaftsteuerrechts wurde erreicht, dass bei Ermittlung
des Vermögens der Kapitalgesellschaft, welches die Ausgangsgröße bei der Berechnung des
Vermögenswertes bildet, die bewertungsrechtlichen Vorschriften für das Betriebsvermögen
Anwendung fanden. Zur Ermittlung des Vermögenswertes wurde grundsätzlich von der
Bilanz zum Besteuerungszeitpunkt ausgegangen. Wich der Bewertungszeitpunkt vom Bilanzstichtag ab und lag kein Zwischenabschluss vor, so war eine Ableitung des Vermögenswertes von der letzten Bilanz vor dem Besteuerungszeitpunkt vorzunehmen, indem
entsprechende Korrekturen durchgeführt wurden.488
Die Abgrenzung des Betriebsvermögens wurde nach § 95 BewG a.F. – und somit in grundsätzlicher Übereinstimmung mit der Abgrenzung des Betriebsvermögens bei der steuerlichen Gewinnermittlung – vorgenommen. Eine Ausnahme galt für den Geschäfts- oder Firmenwert und die Werte von firmenwertähnlichen Wirtschaftsgütern, die gem. § 12 Abs. 2
Satz 2 ErbStG a.F. und R 98 Abs. 1 Satz 3 ErbStR nicht in die Ermittlung des Vermögenswertes einzubeziehen waren. Die Bewertung der einzelnen Wirtschaftsgüter erfolgte gem.
§ 109 Abs. 1 BewG a.F. grundsätzlich mit den Steuerbilanzwerten. Wertpapiere, Anteile
und Genussscheine von Kapitalgesellschaften, die zum Betriebsvermögen gehören, waren
jedoch nach § 12 Abs. 5 Satz 3 ErbStG a.F. mit dem Stichtagswert bzw. dem gemeinen Wert
anzusetzen. Eine weitere Ausnahme stellten die Betriebsgrundstücke dar. Für diese durften
ebenfalls nicht die Bilanzansätze übernommen werden, sondern es musste eine Bewertung
486 Vgl. diesbezüglich u.a. Eisele, Dirk: Bewertung nichtnotierter Anteile an Kapitalgesellschaften
nach dem Stuttgarter Verfahren ab 1995. In: Steuer und Studium 1995, S. 411; Glier, Josef: Die
Vermögensteuer-Änderungsrichtlinien 1995. In: Deutsches Steuerrecht 1994, S. 1837.
487 Vgl. dazu u.a. Rose, Gerd: Betrieb und Steuer, 3. Buch: Die Substanzsteuern. 10. Aufl., Wiesbaden 1997, S. 81.
488 Vgl. Haar, Horst: Änderungen des Stuttgarter Verfahrens durch die Erbschaftsteuer-Richtlinien
und -Hinweise. In: Steuer und Studium 1999, S. 413-414.
9 Die Gesamtbewertung von Unternehmungen266
mit den Grundbesitzwerten erfolgen, die anhand der Vorschriften des Vierten Abschnitts des
Zweiten Teils des Bewertungsgesetzes zu ermitteln waren.
Durch Division des ermittelten Vermögenswertes der Kapitalgesellschaft durch das Nennkapital der Unternehmung ergab sich nach R 98 Abs. 4 ErbStR der Vermögenswert (V):
Korrigiertes Vermögen 100V
Nennkapital
?
?
Ein negativer Vermögenswert war dabei nicht – wie im Falle des Ertragswerts (siehe unten) – auf 0% zu begrenzen, sondern im Rahmen der Ermittlung des gemeinen Werts mit
dem entsprechenden Ertragswert zu saldieren. Im Falle eines negativen gemeinen Werts war
dieser allerdings auf 0% zu begrenzen.
Für die Ermittlung des Ertragshundertsatzes war der voraussichtliche künftige (ausschüttungsfähige) Jahresertrag maßgeblich. Dieser basierte i.d.R. auf dem tatsächlich erzielten
gewichteten Durchschnittsertrag (R 99 Abs. 1 Satz 2 ErbStR). Dabei wurden die Betriebsergebnisse der letzten drei vor dem Besteuerungszeitpunkt abgelaufenen Wirtschaftsjahre
zugrunde gelegt. Nach R 99 Abs. 3 ErbStR waren die ermittelten Betriebsergebnisse der
letzten drei Jahre zu gewichten. Das Betriebsergebnis des am weitesten zurückliegenden
Jahres wurde mit dem Faktor 1, das des mittleren Jahres mit dem Faktor 2 und das des unmittelbar vorhergehenden Jahres mit dem Faktor 3 multipliziert. Die Summe der somit
errechneten Betriebsergebnisse wurde durch 6 dividiert und ergab den Durchschnittsertrag
bzw. Jahresertrag.
Gem. R 99 Abs. 1 Satz 4 ErbStR war dabei vom jeweiligen zu versteuernden Einkommen
nach §§ 7 und 8 KStG auszugehen, das dann noch um die in R 99 Abs. 1 Satz 5 ErbStR
angegebenen Positionen zu korrigieren war (vgl. dazu das Schema in Abbildung 61). Die
Korrekturen dienten dazu, das steuerliche Ergebnis in das „tatsächliche Betriebsergebnis“
umzuformen, das regelmäßig erzielt werden kann. Das zu versteuernde Einkommen wurde
also um die Beträge korrigiert, die das Einkommen erhöht oder gemindert haben, für die
Ausschüttung jedoch nicht zur Verfügung stehen.
Betriebsergebnis
+ Im Betriebsergebnis berücksichtigtes Gehalt des Gesellschafter-Geschäftsführers
= Bemessungsgrundlage der Höchstgrenze
Höchstgrenze für die persönliche Tätigkeit im Betrieb
(30 % der Summe aus Betriebsergebnis und Geschäftsführergehalt)
– Tatsächliches Geschäftsführergehalt
= Abschlag
Abbildung 61: Ermittlung des Sonderabschlags bei persönlichem Einsatz eines
Gesellschafter-Geschäftsführers
Ein besonderer Abschlag bis zu 30% konnte nach R 99 Abs. 2 ErbStR bei Kapitalgesellschaften gemacht werden, „... bei denen ohne Einsatz eines größeren Betriebskapitals der
Ertrag ausschließlich und unmittelbar von der persönlichen Tätigkeit des Gesellschafter-
9.2 Die Verfahren der Unternehmensbewertung 267
Geschäftsführers abhängig [war; d. Verf.], ohne dass dies bereits durch ein entsprechendes
Entgelt abgegolten wird“. Begründet wurde dies damit, dass ein Wechsel in der Geschäftsführung den Unternehmenswert wesentlich beeinträchtigen könnte. Als Indiz für diesen
Tatbestand wurde eine ungewöhnlich hohe Rendite auf das eingesetzte Kapital angesehen.
Diese Rendite wurde aus dem Verhältnis zwischen dem Ertragshundertsatz (ohne die Abschläge nach R 99 Abs. 2 ErbStR; vgl. dazu den Jahresertrag im Schema) und dem Vermögenswert berechnet. Zur jeweiligen Höhe des Abschlags gab es keine detaillierten Vorschriften der Finanzverwaltung. Für den Fall eines Sonderabschlags wegen des persönlichen
Einsatzes eines Gesellschafter-Geschäftsführers wurde die in Abbildung 61 (Seite 266)
dargestellte Berechnung vorgeschlagen.489
Demnach kam ein Sonderabschlag nur in Betracht, wenn das berücksichtigte Geschäftsführergehalt die Obergrenze von 30% bezogen auf das Betriebsergebnis plus Geschäftsführergehalt nicht überstieg. Unter Berücksichtigung weiterer Korrekturen ließ sich das in
Abbildung 62 (Seite 268) folgende Berechnungsschema zur Ermittlung des Ertragshundertsatzes nach R 99 und R 103 Abs. 4 ErbStR aufstellen.
Teilte man den Jahresertrag durch das Nennkapital der Unternehmung, erhielt man den
Ertragshundertsatz (E):
Jahresertrag 100E
Nennkapital
?
?
Nach R 99 Abs. 4 Satz 3 ErbStR war bei einem negativen ausschüttungsfähigen Jahresertrag
von einem Ertragshundertsatz von null auszugehen.
Körperschaftsteuerliches Einkommen
+ Einkommensminderungen aus Beteiligungen an anderen Kapitalgesellschaften von mehr als
50% (R 103 Abs. 4 Nr. 2 ErbStR)
+ Sonderabschreibungen oder erhöhte Abschreibungen, Bewertungsabschläge, Zuführungen zu
steuerfreien Rücklagen, Teilwertabschreibungen (nur lineare und degressive AfA waren zu
berücksichtigen)
+ Absetzungen auf den Geschäfts- oder Firmenwert oder auf firmenwertähnliche
Wirtschaftsgüter
+ Verlustabzug gem. § 10d EStG
+ Einmalige Veräußerungsverluste
+ Steuerfreie Vermögensmehrungen
+ Investitionszulagen, soweit in Zukunft mit weiteren zulagebegünstigten Investitionen in
gleichem Umfang gerechnet werden konnte
– Einkommenserhöhungen aus Beteiligungen an anderen Kapitalgesellschaften von mehr als
50 % (R 103 Abs. 4 Nr. 2 ErbStR)
– Einmalige Veräußerungsgewinne und gewinnerhöhende Auflösungsbeträge steuerfreier
Rücklagen
– Übrige nichtabziehbare Aufwendungen (z.B. Hälfte der Aufsichtsratsvergütungen,
Solidaritätszuschlag, nicht jedoch Körperschaftsteuer)
489 Vgl. Christoffel, Hans Günter: Bewertung nichtnotierter Anteile an Kapitalgesellschaften nach
dem Stuttgarter Verfahren ab 1993. In: Neue Wirtschafts-Briefe vom 12.12.1994, Fach 9, S. 2651.
9 Die Gesamtbewertung von Unternehmungen268
– KSt-Tarifbelastung auf die nichtabziehbaren Aufwendungen
Steuersatz in v.H. nichtabziehbare Ausgaben
100 Steuersatz in v.H.
? ?
?? ?
?? ?
490
– Abschlag für persönliche Tätigkeit des Gesellschafter-Geschäftsführers (R 99 Abs. 2 ErbStR)
= Betriebsergebnis
? Summe der gewichteten Betriebsergebnisse der letzten drei Jahre (R 99 Abs. 3 ErbStR):
( 3 ? Betriebsergebnis der letzten Periode vor dem Besteuerungszeitpunkt
+ 2 ? Betriebsergebnis der vorletzten Periode vor dem Besteuerungszeitpunkt
+ 1 ? Betriebsergebnis der vorvorletzten Periode vor dem Besteuerungszeitpunkt)
? 6
= Durchschnittsertrag = Jahresertrag
Abbildung 62: Berechnungsschema zur Ermittlung des Jahresertrages
Der gemeine Wert wurde als Kombination aus Vermögens- und Ertragswert errechnet.
Dabei wurde unterstellt, dass ein Interessent für Unternehmensanteile die Wahl hat, zum
gemeinen Wert Anteile zu kaufen oder den gleichen Betrag in einer mit 9 % verzinsten
Alternativanlage zu investieren. Als überschaubarer Zeitraum für seine Überlegungen wurden 5 Jahre angenommen. Die Ertragsaussichten beim Anteilserwerb (enthalten im Ertragswert) waren somit für diesen Zeitraum den Ertragsaussichten der Alternativanlage gegen-
überzustellen. Die Differenz wurde dem Vermögenswert hinzugerechnet bzw. davon abgezogen.491
Formal kann diese Berechnung folgendermaßen dargestellt werden (vgl. dazu R 100 Abs. 2
Satz 3 ErbStR):
? ?Gemeiner Wert V 5 E gemeiner Wert 0,09? ? ? ? ?
Nach Umformung und Abrundung erhält man als Formel zur Berechnung des gemeinen
Werts:
? ?Gemeiner Wert 0,68 V 5 E? ? ? ?
Gem. R 100 Abs. 3 Satz 2 ErbStR konnten besondere Umstände, die in den bisherigen
Berechnungen nicht hinreichend beachtet wurden, durch Zu- oder Abschläge Berücksichtigung finden. Dazu gehörten insbesondere Abschläge wegen unverhältnismäßig geringer
Erträge, schwerer Verkäuflichkeit, Verfügungsbeschränkungen u.a.
490 Die Höhe der auf die nichtabziehbaren Ausgaben entfallenden Körperschaftsteuer war für jedes
Jahr des dreijährigen Ermittlungszeitraumes gesondert nach obiger Gleichung zu berechnen.
491 Vgl. dazu u.a. Christoffel, Hans Günter: Neue Anteilsbewertung nach den Vermögensteuer-
Richtlinien 1993. In: GmbH-Rundschau 1993, S. 717; Glier, Josef: Die Vermögensteuer-
Änderungsrichtlinien 1995. In: Deutsches Steuerrecht 1994, S. 1836-1840; Haberstock, Lothar:
Steuerbilanz und Vermögensaufstellung. 3. Aufl., Hamburg 1991, S. 226 und Hübner, Heinrich:
Die Neuregelung der Anteilsbewertung nach den Vermögensteuer-Richtlinien 1993. In: Deutsches
Steuerrecht 1993, S. 1660.
9.3 Die Gesamtbewertungsverfahren 269
Hinsichtlich der Anwendung des Stuttgarter Verfahrens in besonderen Fällen, z.B. bei Neugründungen, Holdinggesellschaften oder gemeinnützigen Unternehmungen, soll hier der
Hinweis auf R 102, 103 und 108 ErbStR genügen.
Die Gesamtbewertungsverfahren
9.3 Die Gesamtbewertungsverfahren
9.3.1 Einordnung
Zu den Gesamtbewertungsverfahren zählen das Ertragswertverfahren (vgl. Abschnitt 9.3.4) sowie die verschiedenen Discounted Cashflow (DCF)-Verfahren.492 Das
Ertragswertverfahren gilt als traditionelles Verfahren der Unternehmensbewertung. Im
letzten Jahrzehnt gewannen die aus den USA stammenden Discounted Cashflow-Verfahren
zunehmend an Bedeutung. Diese Verfahren der Unternehmensbewertung, welche auf Unternehmensberater wie Rappaport und Copeland/Koller/Murrin zurückgehen, haben sich
heute weitgehend durchgesetzt, wie auch der neue IDW Standard „Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen (IDW S1 i.d.F. 2008)“ erkennen lässt (vgl. dazu
auch Abschnitt 9.4). Die Gründe dafür sind:
? Es wird nicht der Ertragswert berechnet, sondern ein Discounted Cashflow (DCF); die
beiden Werte können sich im Detail trotz gleicher Kapitalbasis unterscheiden,493 was
u.E. auf unterschiedliche Cashflow-Definitionen zurückzuführen ist.
? Gesucht wird nicht der objektivierte Unternehmenswert, sondern der Unternehmenswert, der die Strategie des Managements optimiert. In strategischen Anwendungssituationen, wie zum Beispiel Unternehmensakquisitionen, zeigt das Ertragswertverfahren
Grenzen in der Aussagefähigkeit, da gezahlte Akquisitionspreise oftmals durch das
Bewertungsverfahren nicht mehr nachvollzogen werden können.494
? Der Bewertungsprozess wird marktgestützt vorgenommen, insbesondere durch die
Berechnung eines risikoangepassten Kalkulationszinsfußes mittels des sogenannten
Capital Asset Pricing Models (CAPM).495
? Es werden auch Softwarepakete angeboten, mit deren Hilfe ohne großen Aufwand
Prämissenänderungen direkt durchgespielt werden können.496
492 Vgl. Ballwieser, Wolfgang: Unternehmensbewertung: Prozeß, Methoden und Probleme. Stuttgart
2004, S. 8-9.
493 Vgl. Ballwieser, Wolfgang: Aktuelle Aspekte der Unternehmensbewertung. In: Die Wirtschaftsprüfung 1995, S. 120.
494 Vgl. Serfling, Klaus/Pape, Ulrich: Strategische Unternehmensbewertung und Discounted Cash-
Flow-Methode. In: Das Wirtschaftsstudium 1996, S. 57.
495 Vgl. Abschnitt 9.3.3, vor allem aber Bieg, Hartmut/Kußmaul, Heinz: Investitions- und Finanzierungsmanagement. Band III: Finanzwirtschaftliche Entscheidungen, München 2000, Abschnitt 2.2.3.
496 Vgl. Ballwieser, Wolfgang: Aktuelle Aspekte der Unternehmensbewertung. In: Die Wirtschaftsprüfung 1995, S. 120.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Zu Beginn dieses Lehrbuches wird auf die grundlegenden Prinzipien und Bestandteile der Finanzwirtschaft eingegangen. Daran schließt sich die umfangreiche Auseinandersetzung mit der Investition (und hier vor allem mit den Verfahren der Investionsrechnung) an. Dabei werden alle theorie- und praxisrelevanten Facetten behandelt. Zur Veranschaulichung der Inhalte dient ein durchgehendes Beispiel. Im letzten Kapitel wird sich mit Fragen der Unternehmensbewertung (inkl. DCF-Verfahren) auseinandergesetzt.
- Einführendes Lehrbuch in die Verfahren der Investitionsrechnung
- Behandelt werden theoretische wie praxisrelevante Fragestellungen.
- Zusammenhänge und finanzwirtschaftliche Entscheidungskriterien
- Einordnung von Investitionsrechnung und Investitionsentscheidungen
- Statische und dynamische Verfahren der Investitionsrechnung
- Dynamische Verfahren der Investitionsrechung
- Bestimmung der optimalen Nutzungsdauer und des Ersatzzeitpunktes von Investitionen
- Unsicherheit bei Investitionsentscheidungen
- Investitionsprogrammentscheidungen
- Entscheidungen über Finanzinvestitionen
"Insgesamt betrachtet liegt hier ein beachtliches Nachschlagewerk zum Themenkomplex Investition und Finanzierung vor, das jede einschlägige Frage in ihren Grundzügen beantwortet… Angehenden Betriebswirten und Praktikern kann das Handbuch uneingeschränkt empfohlen werden."
Ingo Nautsch in "Die Bank" zur Vorauflage der Bände.
Prof. Dr. Hartmut Bieg ist Inhaber des Lehrstuhls für Bankbetriebslehre an der Universität des Saarlandes.
Professor Dr. Heinz Kußmaul ist Direktor des Betriebswirtschaftlichen Instituts für Steuerlehre und Entrepreneurship am Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, an der Universität des Saarlandes.
Für Studierende der Betriebswirtschaftslehre im Bachelor für das Fach Investition & Finanzierung an Universitäten, Fachhochschulen und Berufsakademien. Das Buch bietet aber auch Praktikern zahlreiche Anhaltspunkte zur Lösung von Investitionsproblemen.