6 Die Berücksichtigung der Unsicherheit210
6.5 Zusammenfassende Beurteilung
Die Praxis misst dem Problem der Unsicherheitsberücksichtigung große Bedeutung bei.371
Eine Befragung bundesdeutscher Großunternehmungen aus dem Jahr 1985 ergab, dass fast
alle der befragten Unternehmungen (99 %) die Unsicherheit in irgendeiner Weise berücksichtigen. Nicht alle Verfahren, die vorgestellt wurden, stoßen jedoch in der Praxis auf
Akzeptanz (vgl. Abbildung 50).
In der Praxis
akzeptiert
In der Praxis
nicht akzeptiert
Korrekturverfahren
Sensitivitätsanalyse
Verfahren zur Berücksichtigung der
Unsicherheit bei Investitions entscheidungen
Erwartungswert
Entscheidungs baumverfahren Risikoanalyse
Abbildung 50: Praxis- und Theorieverfahren zur Berücksichtigung der Unsicherheit372
Die Verbreitung der von der Praxis akzeptierten Methoden lässt sich einer jüngeren Umfrage, deren Ergebnisse im Jahr 1997 publiziert wurden, entnehmen (vgl. dazu Abbildung 51;
Seite 211).373 Die Angaben erfolgen in Prozent, wobei die Summe über 100 Prozent liegt, da
einige Unternehmungen mehrere Verfahren verwenden.
Das Treffen einer Investitionsentscheidung auf der Grundlage von Erwartungswerten
empfiehlt sich nur bei kleineren Investitionen, insbesondere wenn über mehrere kleinere
Investitionen entschieden werden muss, deren Risiken und Chancen sich ganz oder teilweise
kompensieren werden. Bei Großinvestitionen sollte zur Risikoberücksichtigung eine Methode herangezogen werden, die das mit der Investition verbundene Risiko explizit berücksichtigt.
Korrekturverfahren, die ausschließlich die Risiken beachten und die mit der Investition
verbundenen Chancen vernachlässigen, bieten sich bei größeren Investitionsprojekten an,
um die möglichen Folgen eines Fehlschlags transparent zu machen. Der Investor kann er-
371 Vgl. dazu und zum Folgenden Däumler, Klaus-Dieter: Anwendung von Investitionsrechnungsverfahren in der Praxis. 4. Aufl., Herne/Berlin 1996, S. 173-174 und S. 206.
372 Modifiziert entnommen aus Däumler, Klaus-Dieter: Anwendung von Investitionsrechnungsverfahren in der Praxis. 4. Aufl., Herne/Berlin 1996, S. 173.
373 Vgl. Heidtmann, Dietmar/Däumler, Klaus-Dieter: Anwendung von Investitionsrechnungsverfahren bei mittelständischen Unternehmen – eine empirische Untersuchung. In: Buchführung, Bilanz,
Kostenrechnung, Beilage 2/1997.
6.5 Zusammenfassende Beurteilung 211
kennen, ob bei Eintreten der ungünstigsten Situation die Existenz der Unternehmung bedroht wäre. Allerdings kann sich die im Verfahren begründete Einseitigkeit nachteilig auswirken, da die ausschließlich negative Sichtweise zur Ablehnung jeder Investition führen
kann.
Die Sensitivitätsanalyse ist als Kritische-Werte-Rechnung – aber auch als Dreifach-Rechnung und als Zielgrößen-Änderungsrechnung – sinnvoll bei größeren Objekten. Sie bietet
sehr gute Beurteilungsmöglichkeiten der mit der Investition verbundenen Risiken und Chancen, vor allem wenn man kritische Werte mit wahrscheinlichen Werten vergleicht. Ein
weiterer Vorteil der Kritische-Werte-Rechnung ist die leichte Interpretierbarkeit. Obwohl sie
eventuell einen etwas größeren Rechenaufwand verursacht, ist die Kritische-Werte-
Rechnung insgesamt empfehlenswert.
Verfahren zur Berücksichtigung
der Unsicherheit
Anwendende Unternehmungen (in %)
Sensitivitätsanalyse 68,10
Amortisationsrechnung 49,14
Korrekturverfahren 42,24
Erwartungswert 39,66
Sonstige Verfahren 1,72
Abbildung 51: Verfahren zur Berücksichtigung der Unsicherheit in mittelständischen Unternehmungen373
Die Risikoanalyse basiert auf Wahrscheinlichkeitsverteilungen der Inputgrößen und liefert
wahrscheinlichkeitsverteilte Zielgrößen. Aufgrund des mit dem Verfahren verbundenen
Rechenaufwands, aber auch wegen der Problematik der Schätzung der Wahrscheinlichkeiten, ist das Verfahren für die Praxis nur in Fällen bedeutender Investitionen empfehlenswert.
Das Entscheidungsbaumverfahren eignet sich für die Beurteilung von größeren Objekten.
Es bietet einerseits eine optisch übersichtliche Darstellung des Entscheidungsproblems,
verursacht andererseits aber auch einen gewissen Darstellungsaufwand. Der Investor muss
viele unterschiedliche Situationen quantitativ bewerten. Das Verfahren ist nur bedingt empfehlenswert und aufgrund seiner Nachteile in der Praxis auch nicht verbreitet.
373 Modifiziert entnommen aus Heidtmann, Dietmar/Däumler, Klaus-Dieter: Anwendung von Investitionsrechnungsverfahren bei mittelständischen Unternehmen – eine empirische Untersuchung. In:
Buchführung, Bilanz, Kostenrechnung, Beilage 2/1997, S. 19.
7 Die Investitionsprogrammentscheidungen
Die Grundlagen: Sukzessive und simultane Investitionsplanung
7.1 Die Grundlagen: Sukzessive und simultane
Investitionsplanung
Unter der Voraussetzung vollständiger, sich gegenseitig ausschließender Investitionsalternativen kann der Investor eine optimale Entscheidung treffen, indem er jedes Einzelinvestitionsobjekt isoliert mit Hilfe der dynamischen Verfahren der Investitionsrechnung beurteilt.
In der Realität bestehen allerdings zahlreiche Interdependenzen zwischen den Investitionsobjekten, die bewirken, dass sich die Zahlungswirkungen der Investitionsobjekte gegenseitig
beeinflussen. Hinsichtlich der Interdependenzen kann unterschieden werden zwischen375
? indirekten Interdependenzen, bei denen die Einzelprojekte über mindestens eine
gemeinsame Restriktion miteinander verbunden sind (z.B. über ein beschränktes Finanzierungsvolumen oder über beschränkte Absatzmöglichkeiten), sowie
? direkten Interdependenzen, bei denen der Nutzen einer Einzelmaßnahme von der
gleichzeitigen oder späteren Realisierung einer oder mehrerer anderer Investitionsmaßnahmen abhängt (beispielsweise in mehrstufigen Produktionsprozessen, bei denen die
Wirksamkeit der Durchführung einer Erweiterungsinvestition zur Beseitigung eines
Engpasses davon abhängig ist, ob durch diese Maßnahme eine vor- oder nachgelagerte
Produktionsstufe zum neuen Engpass wird).
Investitionsprogrammentscheidungen berücksichtigen diese Interdependenzen und liefern
eine Antwort auf die Frage, welche Kombination von Investitionsobjekten aus einer Menge
sich nicht gegenseitig ausschließender Alternativen das finanzielle Optimum des Investors
liefert. Prinzipiell könnte man Investitionsprogrammentscheidungen lösen, indem man die
Zahlungsreihen sämtlicher möglicher Programmalternativen durch vollständige Enumeration ermittelt und anschließend mit den bekannten Verfahren der dynamischen Investitionsrechnung bewertet. Somit könnte jedes Problem der Investitionsprogrammplanung zur
Einzelentscheidung in Gestalt einer Wahlentscheidung reduziert werden. Die vollständige
Enumeration führt jedoch mit steigender Anzahl der Programmalternativen sehr schnell zu
einem nicht mehr vertretbaren Rechen- und Zeitaufwand, so dass diese Vorgehensweise in
der Praxis nicht durchführbar ist. Muss der Investor beispielsweise eine Entscheidung bezüglich verschiedener Investitionsobjekte treffen, die er einzeln oder gleichzeitig anschaffen
kann, so ergeben sich bei drei Investitionsobjekten 23=8, bei zehn Investitionsobjekten
schon 210=1024 Programmalternativen.376 Zur Lösung des Investitionsprogrammproblems
müssen daher andere Wege beschritten werden.
375 Vgl. dazu Bieg, Hartmut: Betriebswirtschaftslehre 1: Investition und Unternehmungsbewertung.
2. Aufl., Freiburg i. Br. 1997, S. 131.
376 Vgl. dazu Bieg, Hartmut: Betriebswirtschaftslehre 1: Investition und Unternehmungsbewertung.
2. Aufl., Freiburg i. Br. 1997, S. 131-132 sowie Kruschwitz, Lutz: Investitionsrechnung. 12. Aufl.,
München 2009, S. 219.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Zu Beginn dieses Lehrbuches wird auf die grundlegenden Prinzipien und Bestandteile der Finanzwirtschaft eingegangen. Daran schließt sich die umfangreiche Auseinandersetzung mit der Investition (und hier vor allem mit den Verfahren der Investionsrechnung) an. Dabei werden alle theorie- und praxisrelevanten Facetten behandelt. Zur Veranschaulichung der Inhalte dient ein durchgehendes Beispiel. Im letzten Kapitel wird sich mit Fragen der Unternehmensbewertung (inkl. DCF-Verfahren) auseinandergesetzt.
- Einführendes Lehrbuch in die Verfahren der Investitionsrechnung
- Behandelt werden theoretische wie praxisrelevante Fragestellungen.
- Zusammenhänge und finanzwirtschaftliche Entscheidungskriterien
- Einordnung von Investitionsrechnung und Investitionsentscheidungen
- Statische und dynamische Verfahren der Investitionsrechnung
- Dynamische Verfahren der Investitionsrechung
- Bestimmung der optimalen Nutzungsdauer und des Ersatzzeitpunktes von Investitionen
- Unsicherheit bei Investitionsentscheidungen
- Investitionsprogrammentscheidungen
- Entscheidungen über Finanzinvestitionen
"Insgesamt betrachtet liegt hier ein beachtliches Nachschlagewerk zum Themenkomplex Investition und Finanzierung vor, das jede einschlägige Frage in ihren Grundzügen beantwortet… Angehenden Betriebswirten und Praktikern kann das Handbuch uneingeschränkt empfohlen werden."
Ingo Nautsch in "Die Bank" zur Vorauflage der Bände.
Prof. Dr. Hartmut Bieg ist Inhaber des Lehrstuhls für Bankbetriebslehre an der Universität des Saarlandes.
Professor Dr. Heinz Kußmaul ist Direktor des Betriebswirtschaftlichen Instituts für Steuerlehre und Entrepreneurship am Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, an der Universität des Saarlandes.
Für Studierende der Betriebswirtschaftslehre im Bachelor für das Fach Investition & Finanzierung an Universitäten, Fachhochschulen und Berufsakademien. Das Buch bietet aber auch Praktikern zahlreiche Anhaltspunkte zur Lösung von Investitionsproblemen.