6.4 Spezielle Methoden zur Erfassung der Unsicherheit 195
getroffen werden, deren Einstellungen zum Risiko erheblich differieren können. Daher
haben sich in der Praxis Verfahren durchgesetzt, die einfacher zu handhaben sind.
6.4 Spezielle Methoden zur Erfassung der Unsicherheit
6.4.1 Korrekturverfahren
Die Unsicherheit bei der Datenermittlung wird durch Variation der Ausgangsdaten der
Investitionsrechnung nach dem Vorsichtsprinzip um globale (allgemeine) Risikozuschläge oder Risikoabschläge erfasst. Bei Anwendung des Kapitalwertmodells könnte dies
durch eine Erhöhung des Kalkulationszinssatzes oder der laufenden Auszahlungen sowie
eine Reduzierung der laufenden Einzahlungen, der Nutzungsdauer oder des Liquidationserlöses realisiert werden.
Die Investitionsrechnung wird mit diesen „quasi-sicheren” Ausgangsgrößen durchgeführt.
Somit werden Werte der Zielgröße errechnet, die mit großer Sicherheit erreicht oder übertroffen werden. Realisiert werden anschließend die Investitionsprojekte, die sämtliche Vorsichtshürden überwinden und trotzdem noch zufriedenstellende Rechenergebnisse aufweisen.
Trotz der Beliebtheit in der Praxis sind Korrekturverfahren aufgrund methodischer Mängel
bedenklich:346
? Die Unsicherheit wird rein summarisch erfasst und verrechnet.
? Es erfolgt eine Korrektur bei Größen, die selbst gar nicht unsicher sind (z.B. Zinssatz,
Nutzungsdauer).
? Es werden ausschließlich negative Abweichungen berücksichtigt, so dass die Entscheidung auf dem Prinzip der Vorsicht beruht und dem Investor im Prinzip völlige Risikoscheu unterstellt wird.
? Durch die Anwendung von Korrekturverfahren besteht somit die Möglichkeit, jede
Investitionsalternative negativ erscheinen zu lassen. Ein Kumulationseffekt kann dazu
führen, dass jedes Projekt „totgerechnet” wird.
? Das Korrekturverfahren dient auf keinen Fall dazu, die Unsicherheit transparent zu
machen.
Aufgrund dieser Mängel sollten Korrekturverfahren lediglich als Faustregel verwendet werden, um besonders risikoreiche Investitionen auszusondern.347
346 Vgl. Blohm, Hans/Lüder, Klaus/Schaefer, Christina: Investition. 9. Aufl., München 2006, S. 231-
232.
347 Ein Zahlenbeispiel zum Korrekturverfahren findet sich bei Kußmaul, Heinz/Leiderer, Bernd: Die
Fallstudie aus der Betriebswirtschaftslehre: Investitionsrechnung. In: Das Wirtschaftsstudium
1996, S. 236-240.
6 Die Berücksichtigung der Unsicherheit196
6.4.2 Sensitivitätsanalyse
6.4.2.1 Allgemeine Bemerkungen
Sensitivitätsanalysen werden ergänzend zur Investitionsrechnung angewandt. Ausgehend
vom jeweiligen Verfahren zur Beurteilung einer Investition untersuchen Sensitivitätsanalysen die Stabilität der Ergebnisse bei Variation der Inputgrößen. Sie können
Antworten auf zwei verschiedene Fragestellungen liefern:348
(1) Wie weit darf der Wert einer oder mehrerer Inputgrößen vom ursprünglichen Wertansatz abweichen, ohne dass ein vorgegebener Zielfunktionswert über- oder unterschritten wird?
(2) Wie ändert sich eine Outputgröße bei Variation einer oder mehrerer Inputgrößen?
Die erste Frage führt zur Ermittlung sogenannter kritischer Werte oder Wertkombinationen. Zur Beantwortung der zweiten Frage werden in der Praxis zwei verschiedene Formen
der Sensitivitätsanalyse herangezogen. Bei den sogenannten Zielgrößen-Änderungsrechnungen werden Eingangsgrößen der Investitionsrechnung von ihrem ursprünglichen Wertansatz aus schrittweise verändert. Dreifach-Rechnungen legen dagegen der Berechnung
einen optimistischen, einen wahrscheinlichen und einen pessimistischen Inputwert zugrunde.
Bei der Durchführung einer Sensitivitätsanalyse ergeben sich verschiedene Wahlmöglichkeiten. Zunächst müssen die als unsicher anzusehenden Inputgrößen festgelegt werden. Die
Analyse kann dann bezüglich einer isolierten Inputgröße oder bezüglich mehrerer Größen
gleichzeitig erfolgen und sich dabei auf eine einzige oder auf mehrere Planungsperioden
beziehen.
6.4.2.2 Dreifach-Rechnung
Die Dreifach-Rechnung ermittelt die zu berechnende Zielgröße – beispielsweise den Kapitalwert – unter Zugrundelegung einer optimistischen, einer wahrscheinlichen und einer
pessimistischen Zukunftseinschätzung.349 Entscheidend ist, dass alle Inputgrößen, die als
unsicher gelten, gleichzeitig variiert werden. Als Ergebnis einer Dreifach-Rechnung können
sich die in Abbildung 42 (Seite 197) dargestellten Situationen ergeben.
Ist der Kapitalwert selbst im schlechtesten zu erwartenden Fall noch positiv, so lohnt es sich,
die Investition durchzuführen.
Bei einem negativen Kapitalwert selbst im günstigsten Fall ist von der Durchführung der
Investition abzuraten. Die beiden anderen Situationen lassen keine eindeutige Aussage
bezüglich der Durchführung der Investition zu. Die Entscheidung unterliegt dem subjektiven
Ermessen des Investors.
348 Vgl. dazu und zum Folgenden Götze, Uwe: Investitionsrechnung. 5. Aufl., Berlin u.a. 2006,
S. 363-375.
349 Vgl. Däumler, Klaus-Dieter: Anwendung von Investitionsrechnungsverfahren in der Praxis.
4. Aufl., Herne/Berlin 1996, S. 185-188.
6.4 Spezielle Methoden zur Erfassung der Unsicherheit 197
Datenkonstellation Entscheidungsregel
optimistisch wahrscheinlich pessimistisch
Vorzeichen + + + Investition durchführen
des + + ?
Kapital- + ? ?
Entscheidung nach subjektivem
Ermessen des Investors
werts ? ? ? Investition unterlassen
Abbildung 42: Mögliche Ergebnisse einer Dreifach-Rechnung350
Vorteilhaft an der Dreifach-Rechnung ist neben der einfachen Durchführung der Rechnung
und der guten Interpretierbarkeit der Ergebnisse vor allem die Tatsache, dass sich das Ausmaß von Chance und Risiko gleichermaßen quantifizieren lässt.351
6.4.2.3 Zielgrößen-Änderungsrechnung
Die Zielgrößen-Änderungsrechnung gibt Antwort auf die Frage der Änderung der Outputgröße bei schrittweiser Variation des ursprünglichen Wertansatzes.
Die Auswirkungen der Variation einer Inputgröße können differenziert ermittelt werden,
indem man – bei Konstanthaltung der übrigen Inputwerte – eine einzelne Inputgröße systematisch verändert und die sich daraus ergebenden Zielfunktionswerte berechnet.352
Beispiel:353
Betrachtet wird eine Investition, die durch die folgenden Ausgangsdaten gekennzeichnet ist (vgl.
hinsichtlich der Datenkonstellation nochmals Abschnitt 3.6):
Inputgrößen Index Inputwerte
Anschaffungskosten (EUR) A0 66.000
Nutzungsdauer (Jahre) n 6
Kapazität (Flaschen/Jahr) x 9.500
Absatzpreis (EUR/Flasche) p 5,70
Fixe Kosten (EUR/Jahr) Af 9.250
Materialkosten (EUR/Flasche) M 0,72
Löhne und Lohnnebenkosten
(EUR/Flasche)
L 1,2221
Energiekosten (EUR/Flasche) e 0,10
350 Modifiziert entnommen aus Däumler, Klaus-Dieter: Anwendung von Investitionsrechnungsverfahren in der Praxis. 4. Aufl., Herne/Berlin 1996, S. 187.
351 Vgl. Däumler, Klaus-Dieter: Anwendung von Investitionsrechnungsverfahren in der Praxis.
4. Aufl., Herne/Berlin 1996, S. 188.
352 Vgl. dazu Götze, Uwe: Investitionsrechnung. 5. Aufl., Berlin u.a. 2006, S. 366-367.
353 Entnommen aus Kußmaul, Heinz: Berücksichtigung der Unsicherheit bei Investitionsentscheidungen. In: Der Steuerberater 1996, S. 106.
6 Die Berücksichtigung der Unsicherheit198
Sonstige variable Kosten
(EUR/Flasche)
kvs 1,0526
Kalkulationszinssatz (%) i 5
Für die angegebenen Daten ergibt sich der Kapitalwert für die Anlage nach der folgenden Formel:
n
t
0 0 vs f
t 1
n
0 vs f n
6
6
C A [(p m L e k ) x A ] (1 i)
(1 i) 1A [(p m L e k ) x A ]
i (1 i)
1,05 166.000 [(5,7 0,72 1,2221 0,1 1,0526) 9.500 9.250]
0,05 1,05
?
?
? ? ? ? ? ? ? ? ? ? ?
? ?
? ? ? ? ? ? ? ? ? ?
? ?
?
? ? ? ? ? ? ? ? ? ?
?
?
?
+12.673,23EUR
Abbildung 43 (Seite 199) stellt die Reagibilität des Kapitalwerts bei Variation der einzelnen Inputwerte des obigen Fallbeispiels dar. Dabei wird unterstellt, dass sich die Werte der Inputgrößen
prozentual in allen Perioden in gleicher Höhe verändern. Aus Gründen der Übersichtlichkeit wurden in Abbildung 43 (Seite 199) nur die Veränderungen der Größen Absatzpreis (p), Kapazität (x),
Nutzungsdauer (n), Anschaffungsauszahlung (A0) sowie Löhne und Lohnnebenkosten (L) erfasst.
Diese Inputgrößen üben einen nachhaltigen Einfluss auf den Kapitalwert aus. Dabei ist die Auswirkung der Veränderung der Inputgröße auf den Wert der Zielgröße umso größer, je steiler der Kapitalwertverlauf ist. Der Einfluss der nicht dargestellten Inputgrößen auf den Kapitalwert ist nur gering.
Mit Hilfe der dargestellten Analyse lassen sich die eigentlich entscheidungsrelevanten Inputgrößen bestimmen. Eine Inputgröße, die auch bei großer prozentualer Veränderung kaum
eine Änderung des Kapitalwerts bewirkt, kann vom Investor bei der zu treffenden Entscheidung als nicht entscheidungsrelevant angesehen werden. Sensitivitätsanalysen dieser Art
dienen somit dazu, die Bedeutung der Unsicherheit einzelner Inputgrößen für das Entscheidungsproblem transparent zu machen.
6.4 Spezielle Methoden zur Erfassung der Unsicherheit 199
-150000
-100000
-50000
0
50000
100000
150000
200000
-50 -40 -30 -20 -10 0 10 20 30 40 50
Varia tion der Inputgrößen
[p, x , Ao, L um z %; n um z/10 Jahre]
Co
p x n Ao L
Abbildung 43: Reagibilität des Kapitalwerts bei Variation einzelner Inputgrößen
6.4.2.4 Kritische-Werte-Rechnung
Kritische-Werte-Rechnungen geben Antwort auf die Frage, wie weit eine Inputgröße von
ihrem ursprünglichen Wert abweichen kann, ohne dass die Vorteilhaftigkeitsentscheidung
revidiert werden muss. Bei Anwendung der Kapitalwertmethode wird durch eine Kritische-
Werte-Rechnung geprüft, welche Werte der Inputgrößen einen Kapitalwert von null ergeben. Einerseits können kritische Werte für jede relevante unsichere Inputgröße einzeln
berechnet werden, so dass man für jede variierte Inputgröße einen kritischen Punkt erhält.
Andererseits besteht die Möglichkeit, mehrere Inputgrößen simultan zu untersuchen. Als
Ergebnis erhält man sogenannte kritische Punktmengen. Dabei ergibt sich bei gleichzeitiger
Variation von n (n>1) Inputgrößen eine (n?1)-dimensionale kritische Punktmenge (beispielsweise bei n=2 eine kritische Kurve, bei n=3 eine kritische Fläche).354
354 Vgl. dazu insbesondere Blohm, Hans/Lüder, Klaus/Schaefer, Christina: Investition. 9. Aufl.,
München 2006, S. 233.
6 Die Berücksichtigung der Unsicherheit200
Kritische Werte sind beispielsweise der interne Zinsfuß, der eine Vorteilhaftigkeitsgrenze
für den Kalkulationszinsfuß liefert, oder auch die dynamische Amortisationsdauer als kritischer Wert für die Nutzungsdauer eines Investitionsobjekts.
Bei der Berechnung kritischer Werte geht man in vier Schritten vor:355
(1) Auswahl der als unsicher anzusehenden Inputgrößen;
(2) Formulierung eines Investitionsmodells zur Berechnung des Zielwertes in Abhängigkeit von den ausgewählten Inputgrößen;
(3) Vorgabe eines Schwankungsintervalls für die Zielgröße durch Festlegung von Grenzen, die der Zielwert nicht über- oder unterschreiten soll;
(4) Bestimmung des sich daraus ergebenden Schwankungsintervalls für die Inputgrößen.
Beispiel:356
Die nachfolgende Tabelle enthält die für einen Kapitalwert von null ermittelten kritischen Werte
sowie die prozentualen Abweichungen der kritischen Werte von den ursprünglichen Werten für die
Inputgrößen des Fallbeispiels. Auf die Berechnung der kritischen Nutzungsdauer und des kritischen
Kalkulationszinssatzes wird in diesem Beispiel verzichtet. Die Berechnung dieser Größen wird im
Rahmen der Methode des internen Zinsfußes bzw. der dynamischen Amortisationsrechnung durchgeführt (vgl. nochmals Abschnitt 4.2.3 und 4.2.4).
Inputgröße Index Kritischer Wert
Abweichung des kritischen Werts vom
ursprünglichen Wert
(in %)
Anschaffungskosten (EUR) A0 78.673,23 19,20
Kapazität (Flaschen/Jahr) x 8.541,50 ? 10,09
Absatzpreis (EUR/Flasche) p 5,44 ? 4,56
Fixe Kosten (EUR/Jahr) Af 11.747,19 27,00
Materialkosten (EUR/Flasche) m 0,9829 36,51
Löhne und Lohnnebenkosten
(EUR/Flasche)
L 1,4850 21,51
Energiekosten (EUR/Flasche) e 0,3629 262,90
Sonstige variable Kosten
(EUR/Flasche)
kvs 1,3155 24,98
Als Beispiel für eine simultane Untersuchung sollen Kapazität und Absatzpreis gleichzeitig betrachtet werden. Aus der Bestimmung kritischer Wertkombinationen erhält man eine kritische Kurve. Setzt man den Kapitalwert gleich null und stellt man die Absatzmenge (x) in Abhängigkeit vom
Absatzpreis (p) dar, so erhält man folgende Funktion:
355 Vgl. Blohm, Hans/Lüder, Klaus/Schaefer, Christina: Investition. 9. Aufl., München 2006, S. 232-
236 sowie Kruschwitz, Lutz: Investitionsrechnung. 12. Aufl., München 2009, S. 319.
356 Entnommen aus Kußmaul, Heinz: Berücksichtigung der Unsicherheit bei Investitionsentscheidungen. In: Der Steuerberater 1996, S. 107. Ein weiteres Zahlenbeispiel findet sich bei Kußmaul,
Heinz/Leiderer, Bernd: Die Fallstudie aus der Betriebswirtschaftslehre: Investitionsrechnung. In:
Das Wirtschaftsstudium 1996, S. 236-240.
6.4 Spezielle Methoden zur Erfassung der Unsicherheit 201
n
0 f
n
vs
i (1 i) 1
x A A
p (L m e k )(1 i) 1
? ? ? ?? +
= ? + ?? ? ? ?? ?
? + + ++ ? ? ?? ?
Diese Funktion ist in Abbildung 44 dargestellt.
Kapitalwert < 0
Kapitalwert > 0
0
1.000
2.000
3.000
4.000
5.000
6.000
7.000
8.000
9.000
5 5,5 6 6,5 7 7,5 8
Absatzpreis p [DM]
K
ap
az
itä
tx
[S
tc
k.
]
Abbildung 44: Sensitivitätsanalyse des Kapitalwerts in Bezug auf Kapazität und Absatzpreis
6.4.2.5 Beurteilung der Sensitivitätsanalyse
Sensitivitätsanalysen können das Problem der Entscheidung unter Unsicherheit nicht lösen,
da sie keine Entscheidungsregel beinhalten. Allerdings liefern sie Informationen darüber, ob
die Unsicherheit einer Inputgröße für die Lösung des Entscheidungsproblems von Bedeutung ist oder nicht. Bei schwacher Reaktion der Outputgröße auf die Variation der Inputgrö-
ßen kann man bei der Lösung des Entscheidungsproblems die Unsicherheit vernachlässigen
und Investitionsverfahren verwenden, die von sicheren Erwartungen ausgehen. Wirkt sich
die Variation einer oder mehrerer Inputgrößen erheblich auf die Vorteilhaftigkeitsentscheidung aus, so hat man mit Hilfe der Sensitivitätsanalyse zumindest die für die Entscheidung
relevanten Inputgrößen herausgefiltert.
Ein weiterer Vorteil der Sensitivitätsanalysen ist der relativ geringe Aufwand, zumal die
Durchführung mit Hilfe der EDV erfolgen kann, was besonders bei Variation einer Vielzahl
von Werten erforderlich ist.
Nachteilig an den Sensitivitätsanalysen ist neben dem Fehlen einer Entscheidungsregel vor
allem die Unterstellung, die einzelnen Größen seien stochastisch unabhängig voneinander.
Bei Variation einer Größe geht man bei der Durchführung der Analyse davon aus, dass die
nicht betrachteten Größen konstant bleiben. Diese Annahme ist ziemlich unrealistisch, da
sich die Inputwerte in der Praxis nur selten unabhängig voneinander verändern.
Absatzpreis p [EUR]
6 Die Berücksichtigung der Unsicherheit202
Ebenso kann bei Sensitivitätsanalysen keine Aussage über die Wahrscheinlichkeiten von
Abweichungen gemacht werden.357
6.4.3 Risikoanalyse
6.4.3.1 Darstellung
Unter dem Begriff Risikoanalyse werden die Verfahren zusammengefasst, die die Gewinnung einer Wahrscheinlichkeitsverteilung für die interessierende Zielgröße (z.B. für den
Kapitalwert) zum Ziel haben. Dies geschieht durch Überlagerung von geschätzten Wahrscheinlichkeitsverteilungen einzelner unsicherer Inputgrößen, so dass daraus eine einzige
Verteilung für das Entscheidungskriterium der Investitionsrechnung abgeleitet werden kann.
Diese Wahrscheinlichkeitsverteilung basiert i.d.R. auf subjektiven Vorstellungen und dient
als Grundlage für die Entscheidungsfindung unter Berücksichtigung der Unsicherheit.
Die Durchführung einer Risikoanalyse gliedert sich in die folgenden Schritte:358
(1) Auswahl der als unsicher anzusehenden Inputgrößen;
(2) Schätzung subjektiver Wahrscheinlichkeitsverteilungen für die in (1) festgelegten
Inputgrößen;
(3) Berücksichtigung stochastischer Abhängigkeiten zwischen den als unsicher erachteten
Inputgrößen;
(4) Ermittlung einer Wahrscheinlichkeitsverteilung für die Outputgröße aus den Wahrscheinlichkeitsverteilungen der Inputgrößen;
(5) Ergebnisinterpretation.
Zu (1): Im ersten Schritt ist abzuwägen zwischen einer möglichst detaillierten Darstellung
der Unsicherheit und einem noch vertretbaren Datenbeschaffungs- und Rechenaufwand. Je
nach Prognosegenauigkeit und Empfindlichkeit des Zielwertes gegenüber Prognosefehlern
sollte die Zahl der als unsicher anzusehenden Inputgrößen reduziert werden.
Zu (2): Bei Schätzung der Wahrscheinlichkeitsverteilungen für die unsicheren Inputgrößen
kann von vornherein ein bestimmter Verteilungstyp, z.B. die Normalverteilung oder die
Beta-Verteilung, für eine Inputgröße vorausgesetzt werden (a-priori-Verteilung). In diesem
Fall beschränkt sich die Schätzung der Wahrscheinlichkeitsverteilung auf die Schätzung der
Verteilungsparameter. Bei einer Normalverteilung wären dann nur noch der Erwartungswert
und die Varianz zu schätzen; bei einer Beta-Verteilung würde es genügen, den häufigsten
Wert sowie einen oberen und unteren Grenzwert zu bestimmen. Ist der Verteilungstyp nicht
vorgegeben, so kann beispielsweise bei einer diskreten Verteilung die Ermittlung der Verteilungsfunktion durch Angabe der erwarteten Werte der Inputgröße und direkte Zuordnung
357 Zur Beurteilung der Sensitivitätsanalyse vgl. insbesondere Blohm, Hans/Lüder, Klaus/Schaefer,
Christina: Investition. 9. Aufl., München 2006, S. 236-237; Götze, Uwe: Investitionsrechnung.
5. Aufl., Berlin u.a. 2006, S. 374-375.
358 Vgl. Blohm, Hans/Lüder, Klaus/Schaefer, Christina: Investition. 9. Aufl., München 2006, S. 245-
253 sowie mit ähnlichen Schrittfolgen Busse von Colbe, Walther/Laßmann, Gert: Betriebswirtschaftstheorie. Band 3. 3. Aufl., Berlin 1990, S. 179-180; Kruschwitz, Lutz: Investitionsrechnung.
12. Aufl., München 2009, S. 324-326; Perridon, Louis/Steiner, Manfred: Finanzwirtschaft der Unternehmung. 14. Aufl., München 2007, S. 115-117.
6.4 Spezielle Methoden zur Erfassung der Unsicherheit 203
von Wahrscheinlichkeiten zu diesen Werten erfolgen. In jedem Fall ist die Bestimmung von
Wahrscheinlichkeitsverteilungen ein problematischer Schritt, der vor allem aufgrund der
Einmaligkeit der meisten Investitionen i.d.R. nur anhand subjektiver Schätzungen vorgenommen werden kann.359
Zu (3): Die Berücksichtigung stochastischer Abhängigkeiten zwischen den unsicheren
Inputgrößen kann zum einen über die Schätzung von Korrelationskoeffizienten für jeweils
zwei Inputgrößen erfolgen. Zum anderen können sogenannte bedingte Wahrscheinlichkeitsverteilungen für Inputgrößen eingeführt werden, deren Werteverlauf von dem einer anderen
Inputgröße abhängig ist.
Zu (4): Die Zusammenfassung der Wahrscheinlichkeitsverteilungen der Inputgrößen zur
Verteilung der Zielgröße kann auf zwei verschiedenen Wegen erfolgen:
Das analytische Verfahren fasst die Einzelverteilungen rechnerisch zusammen (Faltung
der Wahrscheinlichkeitsverteilungen). Bei dieser Methode ergeben sich in komplexeren
Fällen – beispielsweise bei unterschiedlichen Verteilungstypen der Inputgrößen oder auch
bei einer Vielzahl von Inputgrößen – rechentechnische Schwierigkeiten, so dass restriktive
Annahmen bezüglich der Verteilung der Zielgröße getroffen werden müssen. Setzt man
voraus, dass die Zielgröße einer Normalverteilung genügt, so kann man diese Verteilung
eindeutig aus den Erwartungswerten und den Varianzen der Inputgrößen bestimmen.
Beim simulativen Verfahren360 wird in jedem Simulationsdurchlauf für jede Einflussgröße
ein Wert durch Zufallsauswahl realisiert. Im Mittelpunkt steht dabei ein Zufallszahlengenerator, mit dessen Hilfe Zufallszahlen erzeugt werden, deren Verteilung der Wahrscheinlichkeitsverteilung der jeweils betrachteten Inputgröße entspricht. Der Zielfunktionswert wird
aus den Realisationen aller Einflussgrößen errechnet. Nach einer genügend großen Zahl von
Simulationsdurchläufen erhält man eine ausreichend stabile Häufigkeitsverteilung des Zielwertes. An dieser Stelle kann das Verfahren beendet werden.
Zu (5): Als Ergebnis der Risikoanalyse für ein Investitionsobjekt erhält man die Wahrscheinlichkeitsverteilung des Objektergebnisses, z.B. des Kapitalwertes, indem man die
durch Simulation ermittelten Zielwerte auf der Abszisse eines Koordinatensystems und die
kumulierte relative Häufigkeit der aufgetretenen Zielwerte auf der Ordinate abträgt. Aus der
Wahrscheinlichkeitsverteilung kann man den Erwartungswert der Zielgröße unmittelbar
ablesen. Außerdem kann man angeben, welcher Zielgrößenwert mit welcher Wahrscheinlichkeit erreicht, überschritten oder unterschritten wird.
Interessant ist dabei die Frage, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein negatives Projektergebnis erzielt wird (Verlustwahrscheinlichkeit). Aussagen über die Streuung lassen sich anhand
der Steilheit des Risikoprofils treffen. Je steiler die Kurve verläuft, desto geringer ist die
Streuung und somit das mit der Durchführung der Investition verbundene Risiko.
Das folgende Beispiel soll die mit einer Risikoanalyse verbundenen Schritte verdeutlichen.
359 Vgl. noch Götze, Uwe/Bloech, Jürgen: Investitionsrechnung. 2. Aufl., Berlin u.a. 1995, S. 341;
aktuell nicht mehr enthalten.
360 Vgl. dazu Blohm, Hans/Lüder, Klaus/Schaefer, Christina: Investition. 9. Aufl., München 2006,
S. 251-252 sowie Busse von Colbe, Walther/Laßmann, Gert: Betriebswirtschaftstheorie. Band 3.
3. Aufl., Berlin 1990, S. 179.
6 Die Berücksichtigung der Unsicherheit204
Beispiel:361, 362
Für das Fallbeispiel aus Abschnitt 6.4.2.3 soll eine simulative Risikoanalyse durchgeführt werden.
Im ersten Schritt müssen die als unsicher anzusehenden Inputgrößen ausgewählt werden. Im Folgenden wird davon ausgegangen, dass der Investor die Anschaffungsauszahlung A0, die Nutzungsdauer n, die Kapazität x, die Periodenfixkosten Af, die variablen Stückkosten kv (zur Vereinfachung werden die Materialkosten pro Stück, die Löhne und Lohnnebenkosten pro Stück, die Energiekosten pro Stück sowie die sonstigen variablen Stückkosten zusammengefasst) und den Absatzpreis p als relevante ungewisse Einflussgrößen für den Kapitalwert der Anlage I erachtet. Der Kalkulationszinssatz i wird mit 5 % als sichere Größe vorausgesetzt.
Für die unsicheren Inputgrößen müssen Wahrscheinlichkeitsverteilungen geschätzt werden. Der Investor nimmt an, dass A0 im Intervall [60.000; 72.000] gleichverteilt ist; der Absatzpreis wird als
im Intervall [5; 7] und die variablen Kosten als im Intervall [2,5; 4,2] gleichverteilt vorausgesetzt.
Den übrigen unsicheren Größen ordnet der Investor diskrete Wahrscheinlichkeitsverteilungen zu. In
allen Perioden sollen für die unsicheren Inputgrößen die gleichen Wahrscheinlichkeitsverteilungen
gelten. Stochastische Abhängigkeiten zwischen den einzelnen Inputgrößen bleiben unberücksichtigt. Die Daten sind zusammen mit den geschätzten Wahrscheinlichkeiten in Abbildung 45 enthalten.
n
p (n)
x
p (x)
Af
p (Af)
5
0,25
[7.000; 8.000[
0,2
[6.000; 8.000[
0,1
6
0,5
[8.000; 9.000[
0,2
[8.000; 10.000[
0,7
7
0,25
[9.000; 10.000[
0,2
[10.000; 12.000[
0,2
[10.000;11.000[
0,2
[11.000; 12.000[
0,2
Abbildung 45: Daten des Fallbeispiels für die Investitionssimulation
Da die unsicheren Inputgrößen als stochastisch unabhängig voneinander angenommen wurden,
folgt als nächster Schritt die Generierung von Zufallszahlen entsprechend den in Abbildung 45 angegebenen Wahrscheinlichkeitsverteilungen, mit deren Hilfe Realisationen der Inputgrößen simuliert werden. Aus den Realisationen der Inputgrößen wird in jedem Simulationsdurchlauf ein Kapitalwert für das Investitionsobjekt berechnet. Im Beispiel wurde das Simulationsverfahren nach
1.000 Durchläufen abgebrochen.
361 Entnommen aus Kußmaul, Heinz: Berücksichtigung der Unsicherheit bei Investitionsentscheidungen. In: Der Steuerberater 1996, S. 109-110.
362 Hinsichtlich der Vorgehensweise und der Darstellung der Ergebnisse vgl. insbesondere Adam,
Dietrich: Investitionscontrolling. 3. Aufl., München/Wien 2000, S. 363-369 sowie Blohm, Hans/
Lüder, Klaus/Schaefer, Christina: Investition. 9. Aufl., München 2006, S. 256-261; Busse von
Colbe, Walther/Laßmann, Gert: Betriebswirtschaftstheorie. Band 3. 3. Aufl., Berlin 1990, S. 181-
183; Perridon, Louis/Steiner, Manfred: Finanzwirtschaft der Unternehmung. 14. Aufl., München
2007, S. 117-120.
6.4 Spezielle Methoden zur Erfassung der Unsicherheit 205
Für die Auswertung werden die Ergebnisse aus den Simulationsdurchläufen zunächst verschiedenen Häufigkeitsklassen zugeordnet. Diese Zuordnung liefert das in Abbildung 46 dargestellte Histogramm.
0
20
40
60
80
100
120
-
85
.0
00
-
65
.0
00
-
45
.0
00
-
25
.0
00
-
5.
00
0
15
.0
00
35
.
00
0
55
.
00
0
75
.
00
0
95
.
00
0
11
5.
00
0
13
5.
00
0
15
5.
00
0
H
äu
fig
ke
it
00,00%
10,00%
20,00%
30,00%
40,00%
50,00%
60,00%
70,00%
80,00%
90,00%
100,00%
Häufigkeit Kumulierte Häufigkeit [%]
Kapitalwert [EUR]
Abbildung 46: Histogramm der simulativen Risikoanalyse
Aus den absoluten Häufigkeiten, die sich für die einzelnen Häufigkeitsklassen ergeben, werden relative Wahrscheinlichkeiten errechnet, die die Grundlage für die Bestimmung einer Dichtefunktion
für den Kapitalwert bilden (vgl. Abbildung 47).
0
2
4
6
8
10
12
-
85
.0
00
-
65
.0
00
-
45
.0
00
-
25
.0
00
-
5.
00
0
15
.
00
0
35
.
00
0
55
.
00
0
75
.
00
0
95
.
00
0
11
5.
00
0
13
5.
00
0
15
5.
00
0
W
ah
rs
ch
ei
nl
ic
hk
ei
t[
%
]
Kapitalwert [EUR]
Abbildung 47: Dichtefunktion des Kapitalwerts
H
äu
fig
ke
it
it l t [ ]
ä ierte ä ]
W
ah
rs
ch
ei
n
lic
hk
ei
t[
%
]
rt [
6 Die Berücksichtigung der Unsicherheit206
Das Risikoprofil ergibt sich, wenn die Verteilungsfunktion gebildet und entsprechend den prozentualen Werten bis auf 100 Prozent aufsummiert wird.363 Im Fallbeispiel hat das Risikoprofil das in
Abbildung 48 zum Ausdruck kommende Aussehen.
0
20
40
60
80
100
-8
5.
00
0
-6
5.
00
0
-4
5.
00
0
-2
5.
00
0
-5
.0
00
15
.0
00
35
.0
00
55
.0
00
75
.0
00
95
.0
00
11
5.
00
0
13
5.
00
0
15
5.
00
0
Kapitalwert [EUR]
W
ah
rs
ch
ei
nl
ic
hk
ei
t[
%
]
Abbildung 48: Risikoprofil des Fallbeispiels
Das Risikoprofil lässt Aussagen darüber zu, mit welchem Maß an Risiko die Investition verbunden
ist. Je steiler der Verlauf des Risikoprofils ist, desto geringer ist die Streuung der Kapitalwerte und
somit das mit der Investition verbundene Risiko. Das Risikoprofil des Fallbeispiels ist recht flach
und lässt ein relativ hohes Risiko vermuten, was durch die explizite Berechnung der Standardabweichung, die im Beispiel 42.952 EUR beträgt, belegt werden kann. Außerdem können aus den Ergebnissen der Simulation weitere signifikante Kennzahlen wie z.B. der Erwartungswert und die
Verlustwahrscheinlichkeit berechnet werden. Der Erwartungswert des Kapitalwerts beträgt
16.838 EUR, die Verlustwahrscheinlichkeit ist mit ca. 37 % ziemlich groß.
6.4.3.2 Beurteilung der Risikoanalyse
Die Risikoanalyse ermöglicht dem Investor die Behandlung komplexer Situationen, so dass
er mit möglichst realitätsnahen Modellen arbeiten kann. Die Ermittlung der Wahrscheinlichkeitsverteilung für die Zielgröße der Investitionsrechnung kann unter Berücksichtigung
einer relativ großen Zahl von Einflussfaktoren, unterschiedlichen Datenkonstellationen und
deren Wahrscheinlichkeiten sowie stochastischen Abhängigkeiten zwischen den Inputgrö-
ßen erfolgen. Das Modell kann weiterhin ohne großen Aufwand an Änderungen der Datenkonstellation angepasst werden.
Nachteilig ist jedoch der hohe Aufwand für die Datenerfassung, insbesondere für die subjektive Schätzung der Wahrscheinlichkeitsverteilungen. Die Akzeptanz der Risikoanalyse wird
durch eine zumeist ablehnende Haltung der Praxis gegenüber Wahrscheinlichkeitsschätzungen beeinträchtigt.
363 Vgl. diesbezüglich auch Adam, Dietrich: Investitionscontrolling. 3. Aufl., München/Wien 2000,
S. 366.
W
ah
rs
ch
ei
nl
ic
hk
ei
t[
%
]
italwert [EUR]
6.4 Spezielle Methoden zur Erfassung der Unsicherheit 207
Ein weiterer Nachteil ist das Fehlen einer Entscheidungsregel: Die Risikoanalyse liefert
lediglich zusätzliche Daten über das Investitionsobjekt. Die Entscheidung muss der Investor
selbst treffen.364
6.4.4 Entscheidungsbaumverfahren
6.4.4.1 Darstellung
Das Entscheidungsbaumverfahren dient der Lösung komplexer Probleme unter Unsicherheit. Es berücksichtigt, dass wichtige Entscheidungen in mehreren Stufen getroffen werden.
Dabei kann zwischen der ursprünglichen Investitionsentscheidung und den Folgeentscheidungen, die die Vorteilhaftigkeit der ursprünglichen Alternative beeinflussen, differenziert
werden. Der Unterschied im Vergleich zu den bisher behandelten Verfahren liegt in der
möglichen Einbeziehung zustandsabhängiger Folgeentscheidungen, die im Falle des Eintritts bestimmter Umweltzustände zu treffen sind. Der Graph, mit dessen Hilfe ein derartiges, komplexes Entscheidungsfolgeproblem beschrieben werden kann, heißt Entscheidungsbaum. Mit Hilfe des Entscheidungsbaums wird das Problem durch den Einsatz verschiedener Methoden optimiert. Im Ergebnis kann die optimale der in Betracht gezogenen Alternativen ausgewählt werden.
Jeder Pfad im Entscheidungsbaum vom ersten Entscheidungsknoten, dem Ursprung des
Entscheidungsbaums, über verschiedene Zufallsereignisknoten zu den Endpunkten (Ergebnisknoten) stellt eine vollständige Entscheidung dar. Ziel des Verfahrens ist es, den optimalen Weg durch den Entscheidungsbaum zu finden. Die Formalstruktur eines Entscheidungsbaums ist in Abbildung 49 (Seite 208) dargestellt.
Das Entscheidungsbaumverfahren gliedert sich in die folgenden Schritte:365
(1) Festlegung der Struktur des Entscheidungsbaums durch die Bestimmung des Planungszeitraums und der Entscheidungsalternativen sowie der möglichen Zustände in
den einzelnen Zeitpunkten.
(2) Ermittlung der weiteren entscheidungsrelevanten Daten: Bei einem Kapitalwertmodell
sind für alle Entscheidungsalternativen und die jeweils möglichen Zustände die Anschaffungsauszahlungen, Nutzungsdauern, Liquidationserlöse, Absatzmengen und
-preise sowie absatzmengenabhängige und -unabhängige Auszahlungen sowie der
Kalkulationszinssatz zu bestimmen. Zusätzlich müssen den einzelnen Umweltzuständen Wahrscheinlichkeiten zugeordnet werden.
(3) Bestimmung der optimalen Entscheidungsalternative zu Beginn des Planungszeitraums, wobei als Entscheidungskriterium i.d.R. der Erwartungswert des Kapitalwerts
364 Vgl. zur Kritik hinsichtlich der Risikoanalyse insbesondere Adam, Dietrich: Investitionscontrolling. 3. Aufl., München/Wien 2000, S. 368; Blohm, Hans/Lüder, Klaus/Schaefer, Christina: Investition. 9. Aufl., München 2006, S. 262-263; Busse von Colbe, Walther/Laßmann, Gert: Betriebswirtschaftstheorie. Band 3. 3. Aufl., Berlin 1990, S. 183-184; Perridon, Louis/Steiner, Manfred:
Finanzwirtschaft der Unternehmung. 14. Aufl., München 2007, S. 120-121.
365 Vgl. dazu und zum Folgenden Blohm, Hans/Lüder, Klaus/Schaefer, Christina: Investition.
9. Aufl., München 2006, S. 264.
6 Die Berücksichtigung der Unsicherheit208
verwendet wird. Optimal ist diejenige Entscheidungsfolge, die den maximalen Erwartungswert des Kapitalwerts aufweist.
t=0 t=1 t=2Periode 1 Periode 2
E
Z
Z
R/E
R/E
R/E
R
R
R
R
Z
Z
z
z
z
z
R
R
R
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e
z
z
z
z
z
z
e
e
Abbildung 49: Formalstruktur eines Entscheidungsbaums366
Dabei haben Kanten und Knoten die folgende Bedeutung:
E: Entscheidungsknoten, d.h. Knoten, der ein Entscheidungsereignis charakterisiert;
e: Kante, die eine Entscheidungsalternative repräsentiert;
Z: Zufallsereignisknoten;
z: Kante, die einen Umweltzustand repräsentiert, der aus dem Eintritt eines Zufallsereignisses resultiert;
R: Ergebnisknoten;
R/E: Knoten, der darstellt, dass ein Ereignis vorliegt und eine Entscheidung getroffen
werden muss.
Zur Bestimmung der erwartungswertmaximalen Alternative kann das von Magee entwickelte Rollback-Verfahren verwendet werden.367 Das Rollback-Verfahren nimmt ebenso wie
die dynamische Programmierung eine Optimierung vom Prozessende her vor (Rekursion).
366 Vgl. Blohm, Hans/Lüder, Klaus/Schaefer, Christina: Investition. 9. Aufl., München 2006, S. 264
und Götze, Uwe: Investitionsrechnung. 5. Aufl., Berlin u.a. 2006, S. 384.
367 Vgl. Magee, John F.: Decision Trees for Decision Making. In: Harvard Business Review 1964,
N° 4, S. 126-138; Magee, John F.: How To Use Decision Trees in Capital Investment. In: Harvard
Business Review 1964, N° 5, S. 79-96.
6.4 Spezielle Methoden zur Erfassung der Unsicherheit 209
Für die zeitlich am weitesten in der Zukunft liegenden Entscheidungsalternativen werden
die Erwartungswerte berechnet und für jeden Teilknoten die erwartungswertmaximale Alternative ermittelt. Nur diese Alternativen – die Rollback-Methode unterstellt einen risikoneutralen Investor – werden dann für die vorletzte Entscheidungsstufe in die Berechnung
einbezogen. Diese Vorgehensweise wird so lange fortgeführt, bis der Beginn des Planungszeitraums erreicht und die zugehörige erwartungswertmaximale Entscheidungsalternative
bestimmt ist.
Neben dem Rollback-Verfahren können auch die vollständige Enumeration, die dynamische
Programmierung sowie die gemischt-ganzzahlige lineare Programmierung als Lösungsverfahren herangezogen werden.368
6.4.4.2 Beurteilung des Entscheidungsbaumverfahrens
Der Vorteil des Entscheidungsbaumverfahrens liegt in der klaren Formulierung des Entscheidungsproblems und der übersichtlichen Darstellung. Mit wachsender Anzahl zufallsabhängiger Inputgrößen wird der Entscheidungsbaum jedoch sehr schnell recht umfangreich,
wodurch einerseits die Analyse des Entscheidungsbaums, also die Ermittlung der Optimallösung erschwert wird; andererseits kann dadurch auch die Datenermittlung sehr aufwändig
werden.
Außerdem müssen zur Anwendung des Verfahrens vereinfachende Voraussetzungen getroffen werden, über die der Investor, der anhand von Entscheidungsbäumen seine Entscheidung optimieren will, Kenntnis haben muss:369
? Das Entscheidungsbaumverfahren ermöglicht nur die Betrachtung gleichartiger Entscheidungen, d.h., sowohl das eigentliche Entscheidungsproblem als auch die Folgeentscheidungen müssen Investitionsentscheidungen sein.
? Die Ergebnisverteilungen sind unabhängig von der getroffenen Entscheidung, d.h., die
Entscheidungen beeinflussen den Zufallsmechanismus der Ergebnisse nicht.
? Die Wahrscheinlichkeitsverteilungen sind diskret.
? Bei Anwendung des Rollback-Verfahrens wird Risikoneutralität unterstellt.
? Die relevanten Daten zur Kapitalwertbestimmung und die zugehörigen Wahrscheinlichkeiten müssen bis zum Ende des Planungszeitraums quantifiziert werden können.
Blohm/Lüder/Schaefer empfehlen die Entscheidungsbaumanalyse insbesondere für Großprojekte, „die starke zeitliche Interdependenzen zu anderen Projekten aufweisen (oder die in
zeitlich interdependente kleinere Projekte aufgespalten werden können wie z.B. Forschungsoder Entwicklungsprojekte) und deren Erfolg im wesentlichen von einem Zufallsereignis
oder von einigen wenigen Zufallsereignissen abhängig ist“.370
368 Vgl. Kruschwitz, Lutz: Investitionsrechnung. 12. Aufl., München 2009, S. 338-341.
369 Vgl. Perridon, Louis/Steiner, Manfred: Finanzwirtschaft der Unternehmung. 14. Aufl., München
2007, S. 126.
370 Blohm, Hans/Lüder, Klaus/Schaefer, Christina: Investition. 9. Aufl., München 2006, S. 269-270.
6 Die Berücksichtigung der Unsicherheit210
6.5 Zusammenfassende Beurteilung
Die Praxis misst dem Problem der Unsicherheitsberücksichtigung große Bedeutung bei.371
Eine Befragung bundesdeutscher Großunternehmungen aus dem Jahr 1985 ergab, dass fast
alle der befragten Unternehmungen (99 %) die Unsicherheit in irgendeiner Weise berücksichtigen. Nicht alle Verfahren, die vorgestellt wurden, stoßen jedoch in der Praxis auf
Akzeptanz (vgl. Abbildung 50).
In der Praxis
akzeptiert
In der Praxis
nicht akzeptiert
Korrekturverfahren
Sensitivitätsanalyse
Verfahren zur Berücksichtigung der
Unsicherheit bei Investitions entscheidungen
Erwartungswert
Entscheidungs baumverfahren Risikoanalyse
Abbildung 50: Praxis- und Theorieverfahren zur Berücksichtigung der Unsicherheit372
Die Verbreitung der von der Praxis akzeptierten Methoden lässt sich einer jüngeren Umfrage, deren Ergebnisse im Jahr 1997 publiziert wurden, entnehmen (vgl. dazu Abbildung 51;
Seite 211).373 Die Angaben erfolgen in Prozent, wobei die Summe über 100 Prozent liegt, da
einige Unternehmungen mehrere Verfahren verwenden.
Das Treffen einer Investitionsentscheidung auf der Grundlage von Erwartungswerten
empfiehlt sich nur bei kleineren Investitionen, insbesondere wenn über mehrere kleinere
Investitionen entschieden werden muss, deren Risiken und Chancen sich ganz oder teilweise
kompensieren werden. Bei Großinvestitionen sollte zur Risikoberücksichtigung eine Methode herangezogen werden, die das mit der Investition verbundene Risiko explizit berücksichtigt.
Korrekturverfahren, die ausschließlich die Risiken beachten und die mit der Investition
verbundenen Chancen vernachlässigen, bieten sich bei größeren Investitionsprojekten an,
um die möglichen Folgen eines Fehlschlags transparent zu machen. Der Investor kann er-
371 Vgl. dazu und zum Folgenden Däumler, Klaus-Dieter: Anwendung von Investitionsrechnungsverfahren in der Praxis. 4. Aufl., Herne/Berlin 1996, S. 173-174 und S. 206.
372 Modifiziert entnommen aus Däumler, Klaus-Dieter: Anwendung von Investitionsrechnungsverfahren in der Praxis. 4. Aufl., Herne/Berlin 1996, S. 173.
373 Vgl. Heidtmann, Dietmar/Däumler, Klaus-Dieter: Anwendung von Investitionsrechnungsverfahren bei mittelständischen Unternehmen – eine empirische Untersuchung. In: Buchführung, Bilanz,
Kostenrechnung, Beilage 2/1997.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Zu Beginn dieses Lehrbuches wird auf die grundlegenden Prinzipien und Bestandteile der Finanzwirtschaft eingegangen. Daran schließt sich die umfangreiche Auseinandersetzung mit der Investition (und hier vor allem mit den Verfahren der Investionsrechnung) an. Dabei werden alle theorie- und praxisrelevanten Facetten behandelt. Zur Veranschaulichung der Inhalte dient ein durchgehendes Beispiel. Im letzten Kapitel wird sich mit Fragen der Unternehmensbewertung (inkl. DCF-Verfahren) auseinandergesetzt.
- Einführendes Lehrbuch in die Verfahren der Investitionsrechnung
- Behandelt werden theoretische wie praxisrelevante Fragestellungen.
- Zusammenhänge und finanzwirtschaftliche Entscheidungskriterien
- Einordnung von Investitionsrechnung und Investitionsentscheidungen
- Statische und dynamische Verfahren der Investitionsrechnung
- Dynamische Verfahren der Investitionsrechung
- Bestimmung der optimalen Nutzungsdauer und des Ersatzzeitpunktes von Investitionen
- Unsicherheit bei Investitionsentscheidungen
- Investitionsprogrammentscheidungen
- Entscheidungen über Finanzinvestitionen
"Insgesamt betrachtet liegt hier ein beachtliches Nachschlagewerk zum Themenkomplex Investition und Finanzierung vor, das jede einschlägige Frage in ihren Grundzügen beantwortet… Angehenden Betriebswirten und Praktikern kann das Handbuch uneingeschränkt empfohlen werden."
Ingo Nautsch in "Die Bank" zur Vorauflage der Bände.
Prof. Dr. Hartmut Bieg ist Inhaber des Lehrstuhls für Bankbetriebslehre an der Universität des Saarlandes.
Professor Dr. Heinz Kußmaul ist Direktor des Betriebswirtschaftlichen Instituts für Steuerlehre und Entrepreneurship am Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, an der Universität des Saarlandes.
Für Studierende der Betriebswirtschaftslehre im Bachelor für das Fach Investition & Finanzierung an Universitäten, Fachhochschulen und Berufsakademien. Das Buch bietet aber auch Praktikern zahlreiche Anhaltspunkte zur Lösung von Investitionsproblemen.