DieBerücksichtigungderUnsicherheit
6 Die Berücksichtigung der Unsicherheit bei
Investitionsentscheidungen
6.1 Die Formen der Unsicherheit
Investitionsentscheidungen werden in der Praxis regelmäßig in Unkenntnis der genauen
Zukunftsentwicklung getroffen. Jede im Investitionsproblem zu berücksichtigende Variable
kann abhängig von den später tatsächlich eintretenden Umweltkonstellationen mehrere
verschiedene Werte annehmen; man spricht dann von einer Zufallsvariablen. Diese Zufallsvariablen sind entweder unabhängig voneinander oder sie beeinflussen sich gegenseitig,
was unter anderem mathematisch-statistisch unterschiedliche Auswirkungen hat. Ist mindestens eine Variable des Investitionsproblems zufallsabhängig, so findet die Entscheidung
unter Unsicherheit statt. Dabei sind zwei verschiedene Typen von Unsicherheitssituationen
zu unterscheiden: Risikosituationen sind dadurch gekennzeichnet, dass der Entscheidungsträger dazu in der Lage ist, den möglichen Datenkonstellationen Eintrittswahrscheinlichkeiten zuzuordnen. Beruhen diese Wahrscheinlichkeiten auf statistischen Untersuchungen, so
dass man sie aus empirischen Häufigkeitsverteilungen der Ergebnisse gleichartiger Entscheidungssituationen ableiten kann, so sind die Wahrscheinlichkeiten objektiv. Subjektive
Wahrscheinlichkeiten werden dagegen auf der Basis subjektiver Erfahrungen und Überlegungen des Entscheidungsträgers gebildet.
Da in den Unternehmungen bei Investitionsentscheidungen aufgrund fehlender Erfahrungswerte die Ableitung objektiver Wahrscheinlichkeiten problematisch ist, wird in der Praxis –
wenn überhaupt – meist mit subjektiven Wahrscheinlichkeiten gerechnet. Ist der Entscheidungsträger nicht dazu imstande, für das Eintreten der möglichen Datenkonstellationen
objektive oder auch nur subjektive Wahrscheinlichkeiten anzugeben, so liegt eine Ungewissheitssituation vor.325
Die Begriffe Unsicherheit und Ungewissheit werden in der Literatur nicht einheitlich verwendet. So gliedern z.B. Busse von Colbe/Laßmann den Oberbegriff „Ungewissheit“ in
Risiko und Unsicherheit im engeren Sinne, wobei für Unsicherheit im engeren Sinne unterstellt wird, „der Investor habe keinerlei Kenntnisse über die Eintrittswahrscheinlichkeiten
der verschiedenen Datenkonstellationen”.326
325 Zu den Begriffsdefinitionen und der Systematisierung der Unsicherheit vgl. insbesondere Bamberg, Günter/Coenenberg, Adolf G./Krapp, Michael: Betriebswirtschaftliche Entscheidungslehre.
14. Aufl., München 2008, S. 19; Bieg, Hartmut: Betriebswirtschaftslehre 1: Investition und Unternehmungsbewertung. 2. Aufl., Freiburg i. Br. 1997, S. 149; Kruschwitz, Lutz: Investitionsrechnung. 12. Aufl., München 2009, S. 293-294; Perridon, Louis/Steiner, Manfred: Finanzwirtschaft
der Unternehmung. 14. Aufl., München 2007, S. 93-132.
326 Busse von Colbe, Walther/Laßmann, Gert: Betriebswirtschaftstheorie. Band 3. 3. Aufl., Berlin
1990, S. 156; eine ähnliche Begriffsunterscheidung findet sich bei Schneeweiß, Hans: Entscheidungskriterien bei Risiko. Berlin/Heidelberg/New York 1967, S. 12.
6 Die Berücksichtigung der Unsicherheit182
Abbildung 40 gibt einen Überblick über die verschiedenen Formen der Unsicherheit in dem
hier verstandenen Sinn. In den folgenden Kapiteln werden verschiedene Ansätze zur Unsicherheitsbewältigung bei Investitionsentscheidungen untersucht.
Sicherheit
Dem Entscheidungsträger sind keine
Wahrscheinlichkeiten für das
Eintreten der möglichen Umweltzustände bekannt.
Ungewissheit
Der Entscheidungsträger kennt die
Wahrscheinlichkeiten für das Eintreten der möglichen
Umweltzustände.
Risiko i.e.S.
- Aus empirischen
Häufigkeitsverteilungen der Ergebnisse gleichartiger
Entscheidungssituationen gewonnen.
Objektive
Wahrscheinlichkeiten
- Auf der Basis
subjektiver Erfahrungen und Überlegungen gewonnen.
Subjektive
Wahrscheinlichkeiten
- Risiko i.w.S.
- Möglichkeit des
Abweichens vom
erwarteten Wert,
positiv: Chance,
negativ: Gefahr.
Unsicherheit
Abbildung 40: Die Formen der Unsicherheit
6.2 Die Entscheidungen bei Risiko
6.2.1 Überblick
Voraussetzung bei Entscheidungen unter Risiko ist die Kenntnis von zumindest subjektiven
Wahrscheinlichkeiten. Im Folgenden wird allgemein von Wahrscheinlichkeiten gesprochen,
ohne zwischen den Begriffen subjektiv und objektiv zu differenzieren. Allerdings sollte man
sich im Klaren darüber sein, dass bei Investitionsentscheidungen aufgrund der meist fehlenden Wiederholbarkeit der Investition Wahrscheinlichkeiten i.d.R. nur subjektiv ermittelt
werden können. Als Entscheidungsregeln in dieser Situation dienen zum einen die klassischen Entscheidungsprinzipien, bei denen eine begrenzte Anzahl von Kennzahlen berechnet
wird, die die zugrunde liegende Wahrscheinlichkeitsverteilung hinreichend beschreiben.327
Dazu bietet sich in erster Linie der Erwartungswert an, der jedoch die Verteilung nur unzureichend beschreibt und deshalb durch Größen, die die Abweichung vom Erwartungswert
327 Vgl. dazu und zum Folgenden Franke, Günter/Hax, Herbert: Finanzwirtschaft des Unternehmens
und Kapitalmarkt. 5. Aufl., Berlin u.a. 2004, S. 261-272.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Zu Beginn dieses Lehrbuches wird auf die grundlegenden Prinzipien und Bestandteile der Finanzwirtschaft eingegangen. Daran schließt sich die umfangreiche Auseinandersetzung mit der Investition (und hier vor allem mit den Verfahren der Investionsrechnung) an. Dabei werden alle theorie- und praxisrelevanten Facetten behandelt. Zur Veranschaulichung der Inhalte dient ein durchgehendes Beispiel. Im letzten Kapitel wird sich mit Fragen der Unternehmensbewertung (inkl. DCF-Verfahren) auseinandergesetzt.
- Einführendes Lehrbuch in die Verfahren der Investitionsrechnung
- Behandelt werden theoretische wie praxisrelevante Fragestellungen.
- Zusammenhänge und finanzwirtschaftliche Entscheidungskriterien
- Einordnung von Investitionsrechnung und Investitionsentscheidungen
- Statische und dynamische Verfahren der Investitionsrechnung
- Dynamische Verfahren der Investitionsrechung
- Bestimmung der optimalen Nutzungsdauer und des Ersatzzeitpunktes von Investitionen
- Unsicherheit bei Investitionsentscheidungen
- Investitionsprogrammentscheidungen
- Entscheidungen über Finanzinvestitionen
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Prof. Dr. Hartmut Bieg ist Inhaber des Lehrstuhls für Bankbetriebslehre an der Universität des Saarlandes.
Professor Dr. Heinz Kußmaul ist Direktor des Betriebswirtschaftlichen Instituts für Steuerlehre und Entrepreneurship am Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, an der Universität des Saarlandes.
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