B. Systeme auf Vollkostenbasis 331
keiten steht. Leitmotive für diese Entwicklung werden die Erhöhung der Flexibilität sowie der Entscheidungsrelevanz und die bessere theoretische Fundierung der Kosteninformationen sein. Soweit abzusehen ist, werden Strukturelemente der Wirtschaftsinformatik die Ausbaufähigkeit der Prognosekostenrechnung deutlich verbessern. Da jede Prognosekostenrechnung ein
vielseitig auswertbares Informationssystem sein sollte, erweist es sich als
zweckmäßig, bei ihrer Realisierung relationale Datenbanken zu verwenden.
Auf diese Weise wird es möglich, den Aufbau eines wohlstrukturierten
Rechnungssystems zu gewährleisten, interaktive Datenbankabfragesprachen
zu verwenden sowie einen dezentralen und auswertungsflexiblen Dialog zu
führen. Durch den Einsatz relationaler Datenbanken kann eine Prognosekostenrechnung eine wachsende Zahl entscheidungsrelevanter Informationen
präziser, aktueller und mit höherem Entscheidungsbezug direkt zur Verfügung stellen. Es ist zu erwarten, dass ein derartiges Rechnungssystem bei den
Entscheidungsträgern auf eine höhere Akzeptanz stößt, hohe Motivation
bewirkt und somit eine bessere Effizienz der Entscheidungsprozesse ermöglicht. Auf der Grundlage einer relationalen Datenbank werden außerdem die
Integration der Prognosekostenrechnung in das umfassende Informationsund Planungssystem der Unternehmung gefördert sowie die Anwendung
entscheidungsbezogener Auswertungsrechnungen bzw. Optimierungsrechnungen unterstützt. Allgemein kann daher gesagt werden, dass der Ausbau
der Prognosekostenrechnung davon abhängt, welche Entscheidungen und
sonstigen Anwendungen sie bedienen soll, in welcher Urform Informationselemente erfasst werden können, welche Eigenschaften sie besitzen und in
welche Beziehungsmuster sie eingefügt werden können. Es ist zu klären, welche Auswertungsvielfalt gewünscht wird, welcher Flexibilitätsgrad erforderlich ist, welche Hard- und Software-Systeme zur Verfügung stehen bzw. verfügbar gemacht werden können, welche Integration der Kostenrechnung in
das Informations- und Planungssystem der Unternehmung angestrebt wird
und welche späteren Ausbaustufen für die Kostenrechnung vorgesehen bzw.
freigehalten werden sollen402.
II. Konstruktionsbegleitende Kostenrechnung als Konzept zur
Planung und Steuerung von Produktkosten in Produktentstehungsprozessen
1. Aufgaben und Ziele der Kostenplanung und -steuerung in der
Konstruktion
Der Lebenszyklus lässt sich unterteilen in einen Entstehungszyklus, einen
Marktzyklus und einen Auslaufzyklus. Der Entstehungszyklus umfasst die
Phasen Produktplanung, Produktentwicklung sowie langfristige Fertigungsund Absatzvorbereitung. In der Produktplanung wird ein konkreter Entwicklungs- bzw. Konstruktionsauftrag festgelegt. Dieser umschließt die Gewinnung von neuen Ideen und deren Prüfung. Die anschließende Produkt-
402 Vgl. LACKES, R. (Kosteninformationssystem), S. 329 ff.; SCHWEITZER, M. (Systematik),
S. 198 f.
3. Kapitel: Planungsorientierte Systeme der KER332
entwicklung nutzt vorhandenes technisches Wissen, um neue bzw. verbesserte Produkte präzise zu beschreiben. Nach dem Neuheitsgrad des genutzten Wissens kann zwischen der experimentellen und der konstruktiven Produktentwicklung unterschieden werden. In der konstruktiven Entwicklung,
nachfolgend als Konstruktion bezeichnet, wird technisch bereits genutztes
Wissen systematisch kombiniert.
Die Produktentwicklung setzt sich aus drei Teilaufgaben zusammen:
? dem Konzipieren,
? Entwerfen sowie
? Ausarbeiten.
Beim Konzipieren werden die Funktionsstruktur des Produkts sowie die Lösungsprinzipien erarbeitet, d.h. die Prinzipien der Funktionserfüllung. Die
Aufgabe des Konzipierens wird nicht zur Konstruktion gerechnet. Zur Konstruktion gehören nur das Entwerfen und das Ausarbeiten als Teilaufgaben.
Die Aufgabe des Entwerfens umfasst die Teilaufgaben: Erstellen eines maßstäblichen Entwurfs, dessen Bewertung und Verbesserung, Optimierung der
Gestaltzonen und das Festlegen des bereinigten Entwurfs. Zur Aufgabe des
Ausarbeitens zählen die Gestaltung und Optimierung der Einzelteile, die Erarbeitung der Ausführungsunterlagen sowie die Herstellung und Prüfung eines Prototyps. Die Aufgaben der Konstruktion stellen damit das Bindeglied
zwischen Entwicklungs- und Fertigungsvorbereitungsaufgaben dar.
Nach dem Kreativitätsanspruch der formulierten Konstruktionsaufgabe sind
folgende Konstruktionsarten zu unterscheiden:
? Neukonstruktion,
? Anpassungskonstruktion,
? Variantenkonstruktion,
? Konstruktion mit festem Prinzip.
Während eine Neukonstruktion stets die Erarbeitung neuer Lösungsprinzipien voraussetzt und nach einem sehr hohen Kreativitätsanspruch verlangt,
stellt die Konstruktion mit festem Prinzip den niedrigsten Kreativitätsanspruch. Sie ist im Wesentlichen eine Anpassungskonstruktion von Produkten,
die auf die Dimensionierung von Einzelteilen beschränkt ist. Entwicklungsund Konstruktionsaufgaben können durch die fünf folgenden Merkmale gekennzeichnet werden: die Komplexität, die Neuartigkeit, die Variabilität und
den Strukturiertheitsgrad der Konstruktionsaufgabe sowie die Ähnlichkeit
mit bereits bekannten Produkten. Abbildung 3-51 zeigt die Ausprägungen
dieser Merkmale bei den verschiedenen Entwicklungs- und Konstruktionsarten.
Gegenstände der Kostenplanung und -steuerung in der Konstruktion sind:
? die Entwicklungskosten und
? Produktkosten.
B. Systeme auf Vollkostenbasis 333
Unter Entwicklungskosten versteht man diejenigen Kosten, die bei der Ausführung von Konstruktionsaufgaben anfallen. Je nach Industriebereich sind
diese Kosten verschieden hoch. Im Durchschnitt über alle Industrien wird geschätzt, dass sie etwa 6 % der Selbstkosten eines Produkts ausmachen403.
Durch Kostenplanung und -steuerung sollen die Kosten der Konstruktionsprozesse auf einem möglichst niedrigen Niveau gehalten werden. Dieses Ziel
kann beispielsweise mit der Vorgabe von Kostenbudgets erreicht werden.
wicklung und
Neuartigkeit
Komplexität
Variabilität
Strukturiertheitsgrad
Ähnlichkeit
mit bekannten
Produkten
Konstruktion
niedrig
niedrig
niedrighoch
hoch
hoch
niedrig
niedrig hoch
hoch
tion
Form der Ent-
Konstruk-
Merkmal
experimentelle
Entwicklung Neukonstruktion
Anpassungskonstruktion
Variantenkonstruktion
Konstruktion mit
festem Prinzip
Abb. 3-51: Merkmale von Entwicklungs- und Konstruktionsaufgaben404
Im Gegensatz zu den Entwicklungskosten werden die Produktkosten durch
die Herstellung, den Absatz, die Nutzung und die Entsorgung eines Produkts
im Produktlebenszyklus verursacht. Sie entstehen in der herstellenden Unternehmung, beim Nutzer oder beim Entsorger des Produkts. Ihre besondere
Bedeutung als Gegenstand der Planung und Steuerung liegt in dem Umstand, dass die Konstruktion bis zu 70 % der Herstellkosten bzw. bis zu 90 %
der Lebenszykluskosten des Produkts festlegt405. Wegen der großen Einflussnahme der Konstruktion auf die Produktkosten ist die Planung von Kostenvorgaben für die Konstruktion zur Sicherung der Wirtschaftlichkeit einer Unternehmung unverzichtbar. Um eine Planung und Steuerung der Produktkosten in der Konstruktion effizient umsetzen zu können, sollten entsprechend
Abbildung 3-52 folgende Teilaufgabenbereiche abgegrenzt werden406:
? Planung von Produktkosten, die der Konstruktion vorgegeben werden,
? Gestaltung des Produkts unter Kostengesichtspunkten während des
technischen Konstruktionsprozesses sowie
403 Vgl. z.B. EHRLENSPIEL, K. (Konstruieren), S. 2.
404 In Anlehnung an PICOT, A./REICHWALD, R./NIPPA, M. (Entwicklungsaufgabe), S. 121.
405 Vgl. TANAKA, M. (Design Phase), S. 49.
406 Vgl. SCHWEITZER, M./FRIEDL, B. (Konstruktion), Sp. 1110 ff.
3. Kapitel: Planungsorientierte Systeme der KER334
? Kontrolle und Sicherung der Produktkosten parallel zum Konstruktionsprozess.
Konzipieren
Entwerfen
Sicherung
(Value Engineering)
Fertigungsvorbereitung
Kostenprognose bzw. Kostenschätzung
Kostenprognose bzw. Kostenschätzung
Kostenplanung
Produktplanung
technischer Konstruktionsprozeß
Folgebeziehungen
kostenorientierte Rückkopplungsinformation
technische Rückkopplungsinformation
konstruktionsbegleitende
Kostenplanung und -steuerung
Soll-Wird-
Vergleich
Abweichungsanalyse
Sicherung
(Value Engineering)
Soll-Wird-
Vergleich
Abweichungsanalyse
Ausarbeiten
Kostenprognose bzw. Kostenschätzung
Sicherung
(Value Engineering)
Soll-Wird-
Vergleich
Abweichungsanalyse
Abb. 3-52: Planung und Steuerung der Produktkosten in der Konstruktion
Ansätze zur Planung und Steuerung der Produktkosten in der Konstruktion
werden in der Fachliteratur als
? 'Kostengünstiges Konstruieren',
? 'mitlaufende Kostenkontrolle' oder
? 'Kostenbeeinflussung in der Konstruktion'
B. Systeme auf Vollkostenbasis 335
bezeichnet. Die Gestaltbarkeit der Produktkosten hängt wesentlich von der
Komplexität, der Neuartigkeit, der Variabilität und dem Strukturiertheitsgrad
der Entwicklungs- bzw. Konstruktionsaufgabe sowie der Ähnlichkeit mit
bekannten Produkten ab407. Während eine Kostenplanung und -steuerung im
Rahmen der experimentellen Entwicklung nur bedingt durchgeführt werden
kann, ist der gesamte Konstruktionsbereich bevorzugter Schwerpunkt dieser
Aufgabenstellung.
2. Konzepte der Planung und Steuerung von Produktkosten in der
Konstruktion
Bei der Planung und Steuerung von Produktkosten in der Konstruktion lassen sich die fertigungsorientierte und die kostenorientierte Konstruktion unterscheiden. Wählt man nur die Materialeinzelkosten sowie die fertigungszeitabhängigen Kosten als Ansatz, spricht man von der fertigungsorientierten Konstruktion408. Bei ihr werden Kosten in einer Höhe vorgegeben, die
sich bei gegebenem Fertigungspotential und wirtschaftlicher Aufgabenerfüllung realisieren lässt. Im Ergebnis soll das jeweilige Produkt im Konstruktionsprozess kostenoptimal an die fertigungstechnischen Gegebenheiten sowie
die vorliegenden Eigenschaften der Anlagen und Materialien angepasst werden. Da die fertigungsorientierte Gestaltung des Produkts an gegebenen Potentialen, Programmen und Prozessen anknüpft, ist sie durch einen eher statischen Charakter gekennzeichnet. Dennoch herrscht dieses Konzept zur Planung und Steuerung der Produktkosten in der Konstruktion vor.
Die technische und ökonomische Entwicklung der letzten Jahre ist durch eine
Steigerung der Produkt- und Programmkomplexität gekennzeichnet. Als
Folge sank der Anteil der Einzelkosten sowie der fertigungszeitabhängigen
Kosten an den Unternehmungskosten. Folgerichtig wird die Kostenplanung
und -steuerung in der Konstruktion um die Gemeinkosten erweitert, die von
der Produkt- und Programmkomplexität abhängen. Hierzu zählen z.B. die
Materialgemeinkosten und die Logistikkosten. Dementsprechend kann von
einem Übergang zur kostenorientierten Konstruktion gesprochen werden.
Im Vordergrund steht die Gestaltung neuer funktionsgerechter Produkte unter Berücksichtigung aller Kosten, die in der Herstellung, im Vertrieb, bei der
Nutzung sowie für die Entsorgung entstehen und von Gestaltungsmerkmalen des Produkts abhängen. Dieser Ansatz ist darüber hinaus durch eine konsequente Zielausrichtung gekennzeichnet. Die Kostenvorgaben orientieren
sich an den verfolgten Unternehmungszielen (z.B. einem Erfolgsziel) und
nicht am verfügbaren Fertigungspotential. Vom Kostenumfang her geht dieser zweite Ansatz deutlich über den ersten hinaus.
Damit genügt die kostenorientierte Konstruktion als zweites
Konzept der Planung und Steuerung von Produktkosten in der
Konstruktion der steigenden Produkt- und Programmkomplexität
und einer Orientierung am Zielsystem der Unternehmung.
407 Vgl. Abb. 3-51.
408 Vgl. SCHEER, A.-W./BECKER, J./BOCK, M. (Expertensystem), S. 240.
3. Kapitel: Planungsorientierte Systeme der KER336
Diese Orientierung am Zielsystem der Unternehmung kann eine deutliche
Anpassung der Potentiale, Programme und Prozesse zur Realisation des
neuen Produkts erforderlich machen. Im Gegensatz zur fertigungsorientierten Konstruktion kann die kostenorientierte Konstruktion als dynamisches
Konzept bezeichnet werden.
3. Phasen des Planungs- und Steuerungsprozesses von Produktkosten in der
Konstruktion
a) Planung von Kostenvorgaben für das Produkt
Im Rahmen der kostenorientierten Konstruktion hat die Kostenvorgabe für
ein neues Produkt stets den Charakter einer Kostenobergrenze. Der Gegenstand der Planung von Kostenvorgaben für die kostenorientierte Konstruktion eines neuen Produkts kann durch drei Merkmale abgegrenzt werden:
? Unternehmungsziele, die mit der Kostenvorgabe erreicht werden sollen,
? Inhalt der Kostenvorgabe sowie
? Gliederung der Kostenvorgaben für das Endprodukt in Kostenvorgaben
für Produktfunktionen und -komponenten.
Die Kostenobergrenze kann entweder ökonomisch oder technisch orientiert
sein. Sie ist ökonomisch orientiert, wenn bei ihrer Berechnung von einem
wirtschaftlichen Unternehmungsziel (z.B. von einem geplanten Gewinn
oder von einer geplanten Kostensenkung) ausgegangen wird. Die Kostenobergrenze ist dagegen technisch orientiert, wenn bei ihrer Berechnung von
einem technischen Unternehmungsziel ausgegangen wird (z.B. von einem
Qualitätsziel). Ein besonderer Ansatz zur Planung einer ökonomischen Kostenvorgabe für ein Produkt aus den wirtschaftlichen Unternehmungszielen
ist das Target Costing409. Bei diesem Ansatz ist die Kostenvorgabe für die Erreichung der wirtschaftlichen Unternehmungsziele (Erfolgsziele) eine Nebenbedingung. Dominiert dagegen in der Konstruktion ein technisches Qualitätsziel, so kann dessen Erreichung unterstützt werden, indem der Konstruktion
Qualitätskosten als Obergrenze vorgegeben werden. Für die Berechnung dieser Kostenvorgabe bietet sich weniger das Target Costing als vielmehr das
Benchmarking an. Es handelt sich hierbei um einen wiederkehrenden
Prozess zum Vergleich der Unternehmung mit der besten Unternehmung der
gleichen oder einer anderen Branche hinsichtlich Zielerreichung, Potentialen,
Programmen und Prozessen. Zwecke des Benchmarking sind die Unterstützung der Zielplanung sowie die Identifikation von Ursachen für bestehende
Unterschiede in der Zielerreichung. Inhalt dieser Ziele können neben Kosten
auch Qualität, Zeit (z.B. Lieferzeit, Entwicklungsdauer) und Kundenzufriedenheit sein410.
Bei der Entscheidung über den Inhalt der Kostenvorgaben ist festzulegen,
welche Kostenkategorien in die Vorgabe eingehen sollen. Dabei ist zu bestimmen, ob die Kostenvorgabe auf der Basis von Herstellkosten, Selbstkos-
409 Vgl. Kapitel 4., Abschnitt D., S. 701 ff.
410 Vgl. CAMP, R.C. (Benchmarking), S. 13 ff.; PRYOR, L.S. (Benchmarking), S. 28 ff.
B. Systeme auf Vollkostenbasis 337
ten, Nutzerkosten oder Entsorgungskosten festgelegt werden soll. Ist zu beobachten, dass die Produkt- oder Programmkomplexität als Kosteneinflussgrößen an Bedeutung zunehmen, stellt sich die Frage, in welchem Umfang
Gemeinkosten des indirekten Leistungsbereichs, die durch die Produkt- bzw.
Programmkomplexität beeinflusst werden, bei der Kostenvorgabe berücksichtigt werden müssen, z.B. die Kosten der Fertigungsvorbereitung, der Beschaffung und der Qualitätssicherung411. Geht man noch einen Schritt weiter
und ist bereit, bei der Konstruktion eines neuen Produkts auch Anforderungen des Nutzers und der Entsorgung zu berücksichtigen, ist darüber zu entscheiden, in welchem Umfang Nutzerkosten und Entsorgungskosten eines
Produkts bei der Kostenvorgabe für die Konstruktion berücksichtigt werden
müssen. Als Zielvorstellung verfolgt man auf diese Weise nicht nur die kostenoptimale Fertigung, sondern auch die kostenoptimale Nutzung und Entsorgung eines Produktes.
Gegenstand der Kostenplanung sind zunächst die Kostenvorgaben für das
Endprodukt. Diese Kostenvorgaben können anschließend in untergeordnete
Kostenvorgaben für einzelne Produktfunktionen, einzelne Baugruppen/Teile
des Produkts oder auf Prozesse aufgespalten werden, die vom Produkt beansprucht werden. Zweck der Spaltung von Kostenvorgaben für das Endprodukt sind
? die eindeutige Abgrenzung der Verantwortung für die Erreichung von
Kostenvorgaben,
? die Identifikation von Kostenbeeinflussungsschwerpunkten sowie
? die Vereinfachung der Kostenkontrolle und -sicherung.
Bei einer Neukonstruktion eignen sich für die frühen Phasen des Konstruktionsprozesses vor allem funktionsorientierte Kostenvorgaben. Da komponentenorientierte Kostenvorgaben den Gestaltungsspielraum der Konstrukteure einengen, ist es zweckmäßig, erst in den späten Phasen aus den funktionsorientierten Kostenvorgaben komponentenorientierte Kostenvorgaben
herzuleiten. Im Falle von Anpassungs- und Variantenkonstruktionen sowie
Konstruktionen mit festem Prinzip kann dagegen auf die Herleitung von
funktionsorientierter Kostenvorgaben verzichtet werden.
b) Kostenorientierte Produktgestaltung in der Konstruktion
Bezweckt man in der Konstruktion die kostenorientierte Gestaltung eines
Produkts, ist es erforderlich, alle kostenbeeinflussenden Merkmale des Produkts zu kennen. Zu diesen zählen u.a.: Fertigungsverfahren, Anzahl und
Art der verwendeten Teile (Kauf-, Norm-, Gleichteile), Art und Anzahl der
Baugruppen, Funktionsstruktur, Wirkstruktur, Geometrie, Werkstoffe u.a.
Konstruktion besteht zum großen Teil darin, alternative Ausprägungen dieser Produktmerkmale zu untersuchen, den Beitrag zur Zielerreichung zu bewerten und schließlich für alle Merkmale diejenigen Ausprägungen auszuwählen und festzulegen, die den gesetzten Zielvorstellungen am besten entsprechen. In jeder Phase des Konstruktionsprozesses sind vergleichbare Ent-
411 Vgl. FRANZ, K.-P. (Kostenbeeinflussung), S. 129.
3. Kapitel: Planungsorientierte Systeme der KER338
scheidungen zu treffen. Formal kann gesagt werden, dass sich jede Phase des
Konstruktionsprozesses aus einzelnen Entscheidungsprozessen der beschriebenen Art zusammensetzt, die entweder zeitlich parallel oder
aufeinander folgend realisiert werden. Seiner Natur nach ist der Konstruktionsprozess daher ein komplexer Planungsprozess, der sich auf die
Gestaltungsmerkmale eines Produkts bezieht. Die kostenorientierte Produktgestaltung verlangt, dass für jede dieser Teilentscheidungen
prognostische Informationen vorliegen, die darüber Auskunft geben, zu
welchen Kostenwirkungen alternative Ausprägungen der Produktmerkmale
führen werden. An die Genauigkeit dieser prognostischen Informationen
können unterschiedliche Anforderungen gestellt werden. Häufig genügt eine
relative Genauigkeit, die sicherstellt, dass die vergleichsweise günstigere Kostenlösung gefunden wird. Als Instrumente zur Unterstützung dieses
Vergleichs können u.a. genannt werden412
? ABC-Analysen,
? Konstruktionsrichtlinien,
? Grenzstückzahlen,
? Kostentabellenkataloge und
? Relativkostenkataloge.
Gelingt es beispielsweise, die Kostenstrukturen eines Produkts in der Weise
zu analysieren, dass relative Kosten von Baugruppen/Teilen, Kostenarten,
Prozessen usw. ermittelt werden können, lässt sich die ABC-Analyse einsetzen. Sie dient der Identifikation von Kostenschwerpunkten, auf welche sich
geplante Kostensenkungsmaßnahmen in erster Linie beziehen sollen. Kostenorientierte Konstruktionsrichtlinien indessen informieren über Gestaltungsformen des Produkts, welche unter bestimmten Bedingungen zu einer kostengünstigen Lösung führen. In diesem Zusammenhang werden bevorzugt
Gut/Schlecht-Beispiele oder überschlägige Kalkulationen von Kostenwirkungen verwendet. Will man dagegen ein kostengünstiges Fertigungsverfahren bestimmen, können Grenzstückzahlen als Kriterium herangezogen werden. Diese informieren über Produktionsmengenintervalle, in welchen ein
bestimmtes Fertigungsverfahren in seiner Kostenstruktur vorteilhafter ist als
ein alternatives Verfahren413.
In Japan findet häufig das Verfahren der Kostentabellenkataloge (Cost
Tables) Anwendung414. Sie enthalten die Kosten eines Kalkulationsobjekts
(Produkt, Baugruppe, Einzelteil) bei alternativen Ausprägungen wichtiger
Kosteneinflussgrößen, des Fertigungsverfahrens, der Fertigungsanlagen, der
Produktfunktionen und weiterer Produktmerkmale. Kostentabellenkataloge
umfassen mehrere Kostentabellen, die nach Fertigungsverfahren und Anlagen gebildet werden können. Abbildung 3-53 zeigt einen Ausschnitt aus einem solchen Kostentabellenkatalog. Kennzeichnend ist, dass bei der Berechnung von Kostentabellen auch Anlagen und Fertigungsverfahren berücksichtigt werden, die in der Unternehmung nicht vorhanden, jedoch beschaff-
412 Vgl. EHRLENSPIEL, K. (Konstruieren), S. 259 ff.
413 Vgl. ERLENSPIEL, K. (Konstruieren), S. 261 ff.
414 Vgl. TANI, T./KATO, Y. (Target Costing), S. 209.
B. Systeme auf Vollkostenbasis 339
bar sind. Derartige Kostentabellenkataloge stellen sowohl für den Konstruktionsprozess als auch für die konstruktionsbegleitende Kostenplanung und
-steuerung wichtige Informationen bereit. Voraussetzung ist, dass die Kostentabellen diejenige Kosteneinflussgröße als Variable enthalten, über welche in
der entsprechenden Phase eine Entscheidung herbeizuführen ist. In der Regel
vereinfachen sie die Suche nach kostengünstigen Lösungen sowie die
zweckorientierte Kostenbewertung und beschleunigen den Konstruktionsprozess. Außerdem können sie einen Beitrag zu einer kostenorientierten Gestaltung des technischen Fertigungspotentials liefern415.
Maschine 1 Maschine 2 Maschine 3
Fräsen Bohren Drehen
Bohrtiefe
Materialart
Kunststoff
Stahl
Aluminium
3'' 5'' 7''
MKFL GK Summe MK FL GK Summe MK FLGK Summe
5 2 3 10 7 5 5 17
9 2 2 13 10 2 2 14
10 2 2 14 11 3 3 17
8 7 8 23
12 4 5 21
12 3 4 19
Bohrtiefe
Materialart
Maschine
Kostentabellenkatalog
Kosteneinflußgrößen
Fertigungsverfahren
Kostentabelle für Bohrmaschine 2
Basis: X Stück pro Jahr
MK = Materialeinzelkosten
FL = Fertigungslohn
GK = Gemeinkosten
Abb. 3-53: Aufbau eines Kostentabellenkatalogs einer Kostentabelle416
Eine spezielle Ausprägung der Kostentabellenkataloge sind Relativkostenkataloge. Bei den in ihnen zusammengefassten Relativkostenzahlen, handelt es
sich um Bewertungszahlen, die einen Kostenvergleich von Lösungsalternativen zulassen. Eine Relativkostenzahl informiert über die Kostenrelation einer
Lösungsalternative zu einem Bezugsobjekt. Dieses kann entweder die kostengünstigste oder die am häufigsten verwendete Lösungsalternative sein.
Die Bildung von Relativkostenzahlen lässt sich für Komponenten, Funktionen, Prozesse oder Einsatzgüter vornehmen417. Da Relativkostenkataloge
415 Vgl. YOSHIKAWA, T./INNES, J./MITCHELL, F. (Cost Tables), S. 30 ff.
416 In Anlehnung an ein Beispiel von YOSHIKAWA, T./INNES, J./MITCHELL, F. (Cost Tables),
S. 31 f.
417 Vgl. EBERLE, P./HEIL, H.-G. (Konstruktion), S. 784 ff.
3. Kapitel: Planungsorientierte Systeme der KER340
nicht über die absoluten Kosten einer Lösungsalternative informieren, eignen
sie sich nicht zur Unterstützung der konstruktionsbegleitenden Kostenplanung und -steuerung. Ihre Informationen sind damit nur für kostenorientierte Gestaltungsentscheidungen aussagekräftig.
c) Steuerung von Produktkosten in der Konstruktion
Neben die Planung von Kostenvorgaben und die kostenorientierte Produktgestaltung tritt als dritte Phase die Steuerung von Produktkosten.
Die Steuerung der Produktkosten umfasst
? die Veranlassung der Produktkostenvorgabe,
? die Kontrolle der Produktkosten sowie
? die Sicherung der Produktkosten.
Der Konstruktionsprozess vollzieht sich in einem Planungsprozess über
einen längeren Zeitraum hinweg. In mehreren Teilplanungsprozessen sowie
einzelnen Planungsphasen werden Entscheidungen über verschiedene
Merkmale von Produktteilen getroffen und damit Kosten festgelegt418. Die
Konstruktion ist durch einen ständig zunehmenden Informationsstand über
das Produkt gekennzeichnet. Mit ihrem Fortschreiten steigen jedoch der
Zeitbedarf und die Entwicklungskosten für Änderungen des Produktentwurfs. Als Konsequenz daraus muss die Kontrolle der Produktkosten
bereits in sehr frühen Phasen des Konstruktionsprozesses erfolgen, um
erforderliche Anpassungsmaßnahmen so früh wie möglich auszulösen419.
Zweckmäßig wird die Kontrolle der Produktkosten deshalb konstruktionsbegleitend durchgeführt. Hierbei handelt es sich um einen Soll-
Wird-Vergleich, d.h. eine Planfortschrittskontrolle. Das bedeutet, dass die
Produktkosten in jeder Phase des Konstruktionsprozesses kontrolliert
werden. Die Kontrolle bezieht sich dabei nicht nur auf die Kosten von
Produktfunktionen bzw. Produktkomponenten, sondern auch auf die Kosten
des Endprodukts. Durch die Kontrolle der Kosten des Endprodukts soll
sichergestellt werden, dass konstruktive Maßnahmen zur Senkung der Produktkosten einzelner Funktionen oder Komponenten des Produkts nicht zu
Gestaltungsanforderungen an andere Funktionen oder Komponenten führen,
die mit einer Erhöhung der Produktkosten des Endprodukts verbunden sind.
Für die Durchführung der Planfortschrittskontrolle müssen neben der
Kostenvorgabe (Soll-Kosten) die Kostenwirkungen des Konstruktionsobjekts
(Wird-Kosten) prognostiziert bzw. geschätzt werden.
Gegenstand der Sicherung von Produktkosten ist die Anpassung des Produktentwurfs beim Auftreten von Kostenabweichungen. Soweit Toleranzgrenzen zugelassen sind, müssen erst beim Überschreiten dieser Toleranzgrenzen Anpassungsmaßnahmen erarbeitet werden. Letztlich bedeutet eine
Anpassung im Konstruktionsprozess das Erarbeiten eines neuen Lösungsvorschlags mit günstigeren Kostenstrukturen. Bei einer Orientierung an den
Produktfunktionen kann in diesem Zusammenhang die Wertgestaltung
418 Vgl. EHRLENSPIEL, K. (Konstruieren), S. 57.
419 Vgl. JEHLE, E. (Kostenfrüherkennung), S. 264 ff.
B. Systeme auf Vollkostenbasis 341
(Value Engineering) eingesetzt werden. Die Sicherung sorgt dafür, dass alle
Erkenntnisse aus der Abweichungsanalyse bei der Erarbeitung von Anpassungsmaßnahmen möglichst umfassend berücksichtigt werden.
4. Darstellung von Rechnungssystemen zur Planung und Steuerung von
Produktkosten in der Konstruktion
a) Grundfragen der Rechnungssysteme
aa) Anforderungen an Rechnungssysteme zur Planung und Steuerung von Produktkosten in der Konstruktion
Ein Rechnungssystem für die Konstruktion hat das Ziel zu verfolgen, relevante Kosteninformationen für Gestaltungsentscheidungen von Produkten
sowie die Kostenplanung und -steuerung während der Entstehungsphase der
Produkte bereitzustellen. Der Informationsbedarf der Kostenplanung und
-steuerung hat die Wird-Produktkosten von geplanten Produkten sowie von
Produkten zum Gegenstand, die sich bereits in der Marktphase des Produktlebenszyklus befinden. Nach ihrem Inhalt und Umfang müssen die berechneten Kosten des Produkts einen präzisen Bezug zur jeweiligen Gestaltungsalternative und damit zu speziellen Merkmalen des Produkts mit ihren möglichen Ausprägungen besitzen. Damit werden die einzelnen Produktmerkmale einer Gestaltungsalternative zu Einflussgrößen von Kostenarten und
-kategorien in kurz-, mittel- und langfristiger Sicht. Bei den merkmalsabhängigen Kosten eines Produkts sollten nicht nur Kosten des direkten Leistungsbereichs (Materialkosten, Lohnkosten), sondern möglichst auch Kosten des
indirekten Leistungsbereichs (anteilige Kosten der Arbeitsvorbereitung, der
Logistik, des Einkaufs usw.) berücksichtigt werden.
Durch umfassende Kostenanalysen ist hier sicherzustellen, dass
möglichst alle Kosten erfasst werden, die von den Entscheidungen
über die Merkmalsausprägungen der Produkte abhängen.
Die Kostenrechnung setzt für die Prognose der Kosten eines Produkts Informationen aus Stücklisten und Arbeitsplänen voraus. Diese Informationen
sind jedoch erst nach Abschluss der Konstruktion verfügbar. Zur konstruktionsbegleitenden Produktkostenkontrolle muss die Kostenrechnung deshalb
um die konstruktionsbegleitende Kalkulation erweitert werden. Aufgabe der
konstruktionsbegleitenden Kalkulation ist die Bereitstellung von Prognoseinformationen über die Kosten von Produkten, die noch nicht in allen Produktmerkmalen festliegen. Dieses Instrument ist dadurch gekennzeichnet,
dass Produktkosten auf der Grundlage von Ausprägungen der Produktmerkmale im Produktentwurf prognostiziert bzw. geschätzt werden. Ein
Rechnungssystem zur Planung und diese umsetzenden Steuerung von Produktkosten in der Konstruktion muss damit zwei Bestandteile umfassen:
? die Kostenrechnung sowie
? die konstruktionsbegleitende Kalkulation.
3. Kapitel: Planungsorientierte Systeme der KER342
Systeme der Kostenrechnung zur Unterstützung der Produktkostenplanung
und -steuerung in der Konstruktion müssen der Forderung nach Entscheidungsrelevanz und Verursachungsgerechtigkeit genügen. Als Grundlage für
die Produktkostenplanung und -steuerung in der Konstruktion wurden bisher die Grenzplankostenrechnung420, die Prozesskostenrechnung421 sowie die
ressourcenorientierte Kostenrechnung vorgeschlagen422.
Um eine wirkungsvolle Steuerung der Produktkosten zu ermöglichen, muss die konstruktionsbegleitende Kalkulation
den folgenden Anforderungen genügen423:
? Präzision,
? Flexibilität sowie
? Auswertbarkeit.
Unter Präzision ist in diesem Zusammenhang der Sachverhalt zu verstehen,
dass kostenverursachende Produktmerkmale möglichst zahlreich bei der Produktkostenprognose berücksichtigt werden. Konstruktionsbegleitende Produktkostenkontrollen in verschiedenen Phasen des Konstruktionsprozesses
sind nur dann zweckmäßig, wenn der Informationszuwachs über das geplante Produkt während der Konstruktion berücksichtigt wird. Zu diesem Zweck
müssen in jeder Phase des Konstruktionsprozesses Prognoseinformationen
über die Produkte bereitgestellt werden, die den aktuellen Konkretisierungsgrad des Produktentwurfs widerspiegeln. Die Flexibilität der konstruktionsbegleitenden Kalkulation umfasst den Sachverhalt, dass unterschiedliche Informationsstände über das Produkt, die im fortschreitenden Konstruktionsprozess wachsen, angemessen berücksichtigt werden können424. Als Ergebnis
wird verlangt, dass die Kalkulationsgenauigkeit in Abhängigkeit vom steigenden Detaillierungsgrad schrittweise verbessert werden kann. Um der
Forderung nach Flexibilität zu genügen, muss ein Verfahren der konstruktionsbegleitenden Kalkulation zwei Bestandteile aufweisen:
? Verfahren der Kostenvorhersage sowie
? Regeln für die Flexibilisierung der Vorhersage.
Unter der Auswertbarkeit der konstruktionsbegleitenden Kalkulation ist der
Sachverhalt zu verstehen, dass mitlaufend mit dem Konstruktionsprozess
eine systematische Analyse der auftretenden Abweichungen durchgeführt
werden kann. Wenn die Abweichungen zwischen den Produktkosten, die in
den verschiedenen Phasen des Konstruktionsprozesses prognostiziert
wurden, auf Entscheidungen über einzelne Produktmerkmale zurückführbar
sind, genügt die konstruktionsbegleitende Kalkulation der Forderung nach
Auswertbarkeit. Diese Eigenschaft soll die Identifikation von Produkt-
420 Vgl. GRÖNER, L. (Vorkalkulation), S. 81; LACKES, R. (Plankostenrechnung), S. 322 ff.
421 Vgl. WÄSCHER, D. (Gemeinkosten-Management), S. 312; FRANZ, K.-P. (Konstruktion),
S. 37 ff.
422 Vgl. SCHUH, G. (Produktvarianten), S. 102 ff.; EVERSHEIM, W./KÜMPER, R./GUPTA, C.
(Vorkalkulation), S. 241 ff.
423 Vgl. SCHWEITZER, M./FRIEDL, B. (Konstruktion), Sp. 1121.
424 Vgl. BECKER, J. (Kalkulation), S. 355.
B. Systeme auf Vollkostenbasis 343
komponenten bzw. -funktionen erleichtern, für die bei der Kostensicherung
kostengünstigere Lösungsalternativen gesucht werden müssen.
bb) Abgrenzung zwischen konstruktionsbegleitender Kalkulation und
Kostenrechnung
Nach dem Integrationsgrad von Prognose- bzw. Schätzverfahren in die Kostenrechnung lassen sich zwei Formen von Rechnungssystemen für die Kostenplanung und -steuerung bei der Konstruktion unterscheiden:
? die konstruktionsbegleitende Kalkulation sowie
? die konstruktionsbegleitende Kostenrechnung.
Die Ansätze der konstruktionsbegleitenden Kalkulation sind nicht in die
Kostenrechnung integriert. Bei ihnen handelt sich um ein- oder mehrvariablige Kostenfunktionen mit den Produktkosten als abhängigen Variablen. Daneben werden kostenbeeinflussende Produktmerkmale als unabhängige Variablen berücksichtigt. Die Ansätze der konstruktionsbegleitenden Kalkulation greifen auf Kosteninformationen zurück, die sich durch die Nachkalkulation bereits früher konstruierter und gefertigter Produkte ergeben haben. Auf
der Grundlage dieser Informationen werden die genannten Kostenfunktionen
bestimmt.
Die Istkosten aus der Nachkalkulation früherer Produkte haben für die Neukonstruktion eines Produkts nur geringe Aussagekraft. Zweckmäßiger als
Ansätze der konstruktionsbegleitenden Kalkulation sind deshalb Rechnungssysteme, welche die Produktkosten auf der Grundlage von Informationen einer Plankostenrechnung prognostizieren. Die traditionellen Prognosekostenrechnungen gehen allerdings von der Annahme aus, dass das zu fertigende
Produkt bereits vollständig konstruiert ist und die Fertigungsvorbereitung
wesentliche Merkmale des Produktionsprogramms und des Produktionsprozesses bereits festgelegt hat (z.B. Art und Menge des Produktionsprogramms,
Auflagengrößen, Prozessbedingungen). Sie berücksichtigen also Einflussbzw. Bezugsgrößen, die erst nach Abschluss der Konstruktionsarbeiten bekannt und erfassbar sind wie z.B. die Fertigungs-, Montage- und Rüstzeiten.
Bei der konstruktionsbegleitenden Kostenrechnung sind die Prognose- und
Schätzverfahren so in die Prognosekostenrechnung integriert, dass für jede
Bezugsgröße in jeder Kostenstelle bzw. in jedem Kostenplatz ein Verfahren
zur konstruktionsbegleitenden Mengenkalkulation zur Verfügung steht.
Mit ihnen können die Ausprägungen der Bezugsgrößen beim geplanten Produkt auf der Grundlage der Produktinformationen aus dem Produktentwurf
prognostiziert werden. Die konstruktionsbegleitende Kostenrechnung ist im
Gegensatz zur konstruktionsbegleitenden Kalkulation kostenstellen- bzw.
kostenplatzbezogen. Die Kosten eines geplanten Produkts können mit ihr daher erst dann prognostiziert werden, wenn die Kostenstellen bzw. -plätze bekannt sind, deren Leistungen das geplante Produkt im Leistungserstellungsund -verwertungsprozess beanspruchen wird. In einer konstruktionsbegleitenden Kostenrechnung können die Kosten eines geplanten Produkts deshalb
erst in den späteren Phasen des Konstruktionsprozesses prognostiziert wer-
3. Kapitel: Planungsorientierte Systeme der KER344
den. Die Unterschiede zwischen konstruktionsbegleitender Kalkulation und
konstruktionsbegleitender Kostenrechnung verdeutlicht Abbildung 3-54.
Abb. 3-54: Prozess der Informationsgewinnung bei der konstruktionsbegleitenden
Kalkulation und der konstruktionsbegleitenden Kostenrechnung
Die Gemeinsamkeiten beider Rechnungskonzepte liegen darin, dass sie von
den Produktmerkmalen der Gestaltungsalternative ausgehen, auf Produktmerkmale bereits gefertigter Produkte zurückgreifen und eine Prognose bzw.
Schätzung der Kostenwirkungen von Gestaltungsalternativen bezwecken.
Beide Konzepte unterscheiden sich jedoch in der Behandlung von Mengenund Wertkomponenten mit ihren Bezugszeiträumen. Während die konstruktionsbegleitende Kalkulation auf die Nachkalkulation bereits gefertigter Produkte mit ihren realisierten Mengen- sowie Wertstrukturen zurückgreift und diese mittels eines Vorhersageverfahrens für das geplante Produkt
fortschreibt, beschreitet die konstruktionsbegleitende Kostenrechnung einen anderen Weg. Letztere berücksichtigt zwar Produktmerkmale bereits gefertigter Produkte, verzichtet jedoch auf deren Nachkalkulation. Mit der konstruktionsbegleitenden 'Mengenkalkulation' werden vielmehr zunächst für
die geplante Gestaltungsalternative die Ausprägungen der Bezugsgrößen
prognostiziert bzw. geschätzt. Auf der Basis dieser prognostizierten Bezugsgrößenausprägungen und der Wertinformationen aus der konstruktionsbegleitenden Kostenrechnung werden schließlich die Prognose-Kosten der Gestaltungsalternative vorausberechnet.
B. Systeme auf Vollkostenbasis 345
b) Arten der konstruktionsbegleitenden Kalkulation
Die zentrale Aufgabe der konstruktionsbegleitenden Kalkulation liegt darin,
für ein neues Produkt die zugehörigen Produktkosten zu prognostizieren
bzw. zu schätzen. Für diese Vorhersage ist eine Reihe von Verfahren entwickelt worden, die sich nach folgenden drei Merkmalen klassifizieren lassen:
? Anzahl der Produktmerkmale,
? Grad der theoretischen Fundierung sowie
? Differenzierungsgrad.
Knüpft man bei der Anzahl der berücksichtigten Produktmerkmale an,
können eindimensionale und mehrdimensionale Kalkulationsverfahren (Vorhersageverfahren) unterschieden werden. Einvariablige Kalkulationsverfahren arbeiten sehr grob mit einem Produktmerkmal und lassen nur eine
globale Kostenprognose zu. Erhöht man dagegen die Zahl der kostenverursachenden Produktmerkmale, d.h., formuliert man mehrvariablige Kalkulationsverfahren, dann steigt im Normalfall die Präzision der Kostenprognose.
Die Höhe der Produktkosten hängt nicht nur von den Gestaltungsmerkmalen
des Produkts ab, über welche in der Konstruktion entschieden wird, sondern
auch von denjenigen Merkmalen, die später in der Fertigungsvorbereitung
festgelegt werden. Zu diesen zählen die Losgröße, die Maschinenbelegung,
die Bearbeitungsreihenfolge usw. Diese fertigungstechnischen Merkmale sind
in den frühen Phasen des Konstruktionsprozesses noch nicht bekannt. Kostenprognosen in den frühen Phasen des Konstruktionsprozesses berücksichtigen deshalb für diese Größen Durchschnitts- oder Standardwerte. Daher
sind sie nur wenig präzise. Erst in den späteren Phasen des Konstruktionsprozesses können die fertigungstechnischen Merkmale explizit als unabhängige Variablen berücksichtigt werden. Dabei ist es zweckmäßig, für unterschiedliche Merkmalsausprägungen mehrfache Berechnungen der Produktkosten durchzuführen, damit ein klareres Bild beim Konstrukteur darüber
entsteht, welche fertigungstechnischen Alternativen zu welchen Produktkosten führen können.
Wählt man die theoretische Fundierung der Kalkulationsverfahren als unterscheidendes Merkmal, werden in diesem Zusammenhang
? Prognoseverfahren und
? Schätzverfahren
unterschieden. Bei den Prognoseverfahren werden zur Vorausberechnung
der Produktkosten stets gut bestätigte Produktions- und Kostenfunktionen
verwendet, durch welche die Einsatzgütermengen bzw. die Kosten in Abhängigkeit von den Produktmerkmalen betrachtet werden. In einfachster
Form kann es sich dabei um Kennzahlen (beispielsweise Herstellkosten pro
Gewichtseinheit) handeln. Ferner kann man technisch-physikalische Funktionen mit mehreren unabhängigen Einflussgrößen für Kostenfunktionen
verwenden, die mit Hilfe statistischer Auswertungsverfahren ermittelt werden. Ein Beispiel für eine solche Funktion ist die folgende Bestimmungsgleichung für die Hauptzeit ht beim Langdrehen eines Werkzeugs425:
425 Vgl. EHRLENSPIEL, K. (Konstruieren), S. 314.
3. Kapitel: Planungsorientierte Systeme der KER346
fv
ildt h ?
????
? (3-85)
dabei bezeichnen d den Durchmesser, ??d den Umfang, l die Drehlänge, i
die Anzahl der Schnitte, v die Schnittgeschwindigkeit und f den Vorschub.
Die hierfür erforderliche Datenbasis liefern ähnliche Produkte, die in früheren Perioden konstruiert und gefertigt wurden. Eine besondere Kalkulationsform, die auf Kostenfunktionen beruht, ist die so genannte Kurzkalkulation.
Bei ihr zieht man Kostenfunktionen heran, in welchen nur konstruktive Produktmerkmale als unabhängige Variable berücksichtigt werden, während
fertigungstechnische Merkmale außer acht bleiben. Die Kürze dieser Kalkulation liegt darin, dass von den wirksamen Kosteneinflussgrößen nur diejenigen einbezogen werden, die in der Konstruktion unmittelbar verfügbar sind.
Bei den Schätzverfahren werden keine Produktions- und Kostenfunktionen
verwendet, sondern Ähnlichkeitsannahmen. Diese bringen zum Ausdruck,
dass Produkte mit ähnlichen Produktmerkmalen zu Kosten führen, die den
erwarteten Produktkosten des neuen Produkts in ihrer Höhe annähernd
gleich sind. Auf Ähnlichkeitsannahmen beruhen beispielsweise alle Vorhersageverfahren der Suchkalkulation. Diese suchen aus der Menge früher gefertigter Produkte dasjenige aus, welches dem neu zu konstruierenden Produkt in ausgewählten Produktmerkmalen am ähnlichsten ist. Aus dieser
Ähnlichkeit wird geschlossen, dass eine entsprechende Kostenverursachung
sowie eine vergleichbare Kostenhöhe erwartet werden können. Die einfachste
Variante der Suchkalkulation setzt sogar die realisierten Produktkosten des
ähnlichsten Produkts als Kosten des zu konstruierenden Produkts an. In der
Regel werden jedoch mehrere ähnliche, früher konstruierte und hergestellte
Produkte in die Überlegung einbezogen. Aus deren Produktkosten werden
die Produktkosten des zu konstruierenden Produkts durch Inter- bzw. Extrapolation entwickelt. Diese Variante der Suchkalkulation kann verfeinert werden, indem man über die realisierten Produktkosten der ähnlichen Produkte
mit Hilfe einer Regressionsanalyse eine mehrvariablige lineare Kostenfunktion berechnet, die der Prognose der Produktkosten des neuen Produkts mit
seinen spezifischen Merkmalsausprägungen zugrunde gelegt wird. Damit
kommt man in der Regel zu einer präzisen Prognose der Produktkosten426.
Nach dem Differenzierungsgrad der Kostenprognose lassen sich summarische und analytische Verfahren der Kostenvorhersage auseinander halten. In
summarischen Verfahren der Kostenvorhersage werden die Produktkosten
des zu konstruierenden Produkts undifferenziert berücksichtigt. Nach dem
analytischen Verfahren der Kostenvorhersage werden die wichtigen Kostenarten oder spezifischen Kosten der Produktkomponenten bzw. Produktfunktionen berücksichtigt und separat prognostiziert bzw. geschätzt. Bei ihrem Einsatz sind daher in der Regel mehrere Prognoseverfahren bzw.
Schätzverfahren erforderlich. Die prognostizierten Kosten werden in einem
zweiten Kalkulationsschritt zu den gesamten Produktkosten des zu konstruierenden Produkts aggregiert.
426 Vgl. PICKEL, H. (Kostenmodelle), S. 45 ff.
B. Systeme auf Vollkostenbasis 347
An die konstruktionsbegleitende Kalkulation wird ferner die Forderung nach
Flexibilität gestellt. Hiermit ist gemeint, dass in jeder Phase des Konstruktionsprozesses der Informationszuwachs über das geplante Produkt ergänzend
zur vorhergehenden Phase in die Prognose der Produktkosten einbezogen
werden kann. Um eine derartige Flexibilität zu erreichen, gibt es prinzipiell
zwei Vorgehensweisen:
? die Verwendung eines einzigen mehrvariabligen Vorhersageverfahrens
sowie
? die Kombination mehrerer Vorhersageverfahren.
Wird von der Konzipierungsphase bis zur Ausarbeitungsphase ein einziges
Vorhersageverfahren verwendet, muss dieses die Fähigkeit besitzen, auch in
späteren Phasen des Konstruktionsprozesses hinreichend präzise Produktkosten zu berechnen. Um dieses Ziel zu erreichen, muss ein mehrvariabliges
Verfahren entwickelt werden, das in der Lage ist, nicht nur konstruktionspezifische, sondern auch fertigungstechnische Merkmale zu berücksichtigen.
Diesen Anforderungen genügt u.a. das flexible Kalkulationsmodell nach
PICKEL427. In ihm werden die jeweils noch fehlenden Ausprägungen kostenverursachender Produktmerkmale durch ein spezielles wissensbasiertes
Transformationsmodul erzeugt. Anknüpfungspunkt sind die bereits festgelegten Ausprägungen bestimmter Produktmerkmale, aus welchen bei Verwendung mathematischer oder logischer Beziehungen auf die noch fehlenden Merkmalsausprägungen geschlossen wird. Soweit sich einzelne Merkmale dieser Berechnung entziehen, werden vereinfachend Standardwerte
(Werte ähnlicher Produkte oder besonders häufig auftretende Werte) eingesetzt. Im Verlauf des Konstruktionsprozesses werden diese vorläufigen
Ausprägungen durch endgültige ersetzt. Abweichungen zwischen den Prognoseergebnissen verschiedener Phasen des Konstruktionsprozesses können
bei dieser Vorgehensweise auf Unterschiede zwischen vorläufigen und endgültigen Ausprägungen der Produktmerkmale zurückgeführt werden. Das
flexible Kostenmodell genügt damit der Forderung nach Auswertbarkeit.
Die Flexibilisierung der Kostenvorhersage kann andererseits auch dadurch
erreicht werden, dass mehrere Vorhersageverfahren kombiniert werden.
Eine derartige Kombination ist nur zweckmäßig, wenn die Hintereinanderschaltung der einzelnen Verfahren genau diejenige Reihenfolge wiedergibt, in
welcher im Konstruktionsprozess über die Ausprägung des jeweiligen Produktmerkmals befunden wird. Um diesen Weg zur Flexibilisierung beschreiten zu können, muss eine bestimmte Standardisierung des Konstruktionsprozesses vorausgesetzt werden. Das Problem, das sich bei einer derartigen Verfahrenskombination zur Kostenvorhersage ergibt, liegt in den Kostenabweichungen, die auch auf die unterschiedlichen Verfahren zurückzuführen sind. Darin ist der Grund zu sehen, dass derartige Kombinationen, die
in einzelnen Phasen der Konstruktion unterschiedliche Vorhersageverfahren
zulassen, nicht als auswertbar angesehen werden können.
427 Vgl. PICKEL, H. (Kostenmodelle), S. 78 ff.
3. Kapitel: Planungsorientierte Systeme der KER348
c) Grundrechnungen für die konstruktionsbegleitende Kostenrechnung
aa) Grenzplankostenrechnung als Grundlage einer konstruktionsbegleitenden
Kostenrechnung
In der herkömmlichen Grenzplankostenrechnung werden nicht einzelne
Produktmerkmale als Einflussgrößen berücksichtigt, sondern z.B. Fertigungs-, Rüst- oder Montagezeiten als Ersatzmaß für die Ausbringungsmengen einer Kostenstelle428. Es ist daher erforderlich, die Transformationsfunktionen der Grenzplankostenrechnung zunächst auf Produktmerkmale als
Einflussgrößen abzuwandeln. Danach erweist es sich entsprechend Abbildung 3-54 als zweckmäßig, für die entwicklungsbegleitende Kostenrechnung
zunächst eine entwicklungsbegleitende Mengenkalkulation durchzuführen.
Die Grenzplankostenrechnung liefert dann für die vorausberechneten Mengenverbräuche Wertansätze und ermöglicht auf diese Weise die Vorausberechnung der Kosten der Gestaltungsalternative.
Ansätze der entwicklungsbegleitenden Kostenrechnung auf der Grundlage
der Grenzplankostenrechnung sind von RICHARD LACKES und LOTHAR
GRÖNER vorgeschlagen worden. Der Ansatz von LACKES429 greift auf Prognosefunktionen zurück, in welchen die Abhängigkeit der Bezugsgrößen von
den Produktmerkmalen erfasst wird. Für jede Bezugsgröße jeder Kostenstelle
wird mit Hilfe von Regressionsanalysen eine solche Prognosefunktion bestimmt. Flexibilisierungsregeln für die Vorhersage einzelner Bezugsgrößen
werden nicht formuliert. Im Ansatz nach GRÖNER430 wird auf eine Suchkalkulation zurückgegriffen, mit deren Hilfe aus der Menge bereits gefertigter
Produkte dasjenige ausgewählt wird, das dem zu konstruierenden Produkt
am ähnlichsten ist. Materialbedarf und Bezugsgrößen des ähnlichsten Produkts sind bekannt, so dass dessen Herstellkosten mit den Wertinformationen der Grenzplankostenrechnung kalkuliert werden können. Aus den Herstellkosten des ähnlichsten Produkts werden dann die Herstellkosten des zu
konstruierenden Produkts durch Inter- bzw. Extrapolation über die Produktmerkmale berechnet. Im Unterschied zum Ansatz von LACKES wird bei
GRÖNER die Kostenprognose durch die Anwendung von zwei Regeln flexibilisiert: (1) Für Produktmerkmale, deren Ausprägungen im Kalkulationszeitpunkt nicht bekannt sind, gehen Werte des ähnlichsten Produkts in die Kostenprognose ein. (2) Die Kosten des zu konstruierenden Produkts werden mit
zunehmender Konkretisierung differenziert nach einzelnen Produktkomponenten berechnet.
Gemeinsam ist beiden Ansätzen, dass in ihnen proportionale Gemeinkosten
des indirekten Leistungsbereichs über Zuschlagssätze auf Einzel- oder Herstellkosten verrechnet werden. In beiden Fällen werden Abhängigkeiten zwischen den kostenverursachenden Produktmerkmalen und den Kosten des
indirekten Leistungsbereichs nicht erfasst. Im Ergebnis werden daher bei der
Konstruktion Gestaltungsalternativen bevorzugt, für welche niedrige Mate-
428 Vgl. Kapitel 3., Abschnitt D.I.3.a)aa), S. 414.
429 Vgl. LACKES, R. (Kosteninformationssystem), S. 322 f.
430 Vgl. GRÖNER, L. (Vorkalkulation), S. 209 ff.
B. Systeme auf Vollkostenbasis 349
rial- und Lohnkosten anfallen, weil man deren tatsächliche Auswirkungen
auf die proportionalen Kosten des indirekten Leistungsbereichs vernachlässigt. Des Weiteren fehlt in beiden Ansätzen eine Analyse von Wirkungen kostenverursachender Produktmerkmale auf die fixen Kosten des indirekten
Leistungsbereichs. Die von den Gestaltungsalternativen auf die Kosten des
indirekten Leistungsbereichs ausgelösten Wirkungen werden also nicht erfasst. Beide Ansätze sind daher eher dazu geeignet, eine fertigungsorientierte Konstruktion zu unterstützen.
bb) Prozesskostenrechnung als Grundlage einer konstruktionsbegleitenden
Kostenrechnung
In jüngster Zeit wird in der betriebswirtschaftlichen Literatur auch die
Prozesskostenrechnung als Grundlage einer konstruktionsbegleitenden
Kostenrechnung vorgeschlagen431. Die Prozesskostenrechnung erfasst und
verrechnet nur die Kosten des indirekten Leistungsbereichs432. Sie kann damit
nur der zielorientierten Gestaltung der Gemeinkosten des indirekten Leistungsbereichs dienen. Um diesem Rechnungszweck zu genügen, müssen die
bekannten Ansätze der Prozesskostenrechnung angepasst werden433. DieModifikationen betreffen vor allem
? die Abgrenzung der Prozesse,
? den Verrechnungsumfang und
? die Auswahl der Prozessbezugsgrößen (Driver).
Zur Unterstützung der kostenorientierten Konstruktion sind Informationen
über die relevanten Kosten bereitzustellen. Relevant sind die von den Produktmerkmalen abhängigen Kosten, über die in der Konstruktion entschieden wird. Die Prozesse im indirekten Leistungsbereich müssen deshalb nach
der Abhängigkeit der Prozessmengen von Produktmerkmalen abgegrenzt
werden. Da die Verrechnung auf die Produkte in diesem System der Prozesskostenrechnung jeweils über eine einzige Bezugsgröße erfolgt, müssen die
Prozesse so abgegrenzt werden, dass die Prozesskosten allein von einer
Prozessbezugsgröße abhängig sind. Nur die Kosten einflussgrößenabhängiger Prozesse sind für Konstruktionsentscheidungen relevant und
durch die Konstruktion beeinflussbar. Deshalb dürfen nur die Kosten
einflussgrößenabhängiger Prozesse auf die Produkte verrechnet werden.
Eine verursachungsgerechte Verrechnung der Kosten einflussgrößenabhängiger Prozesse auf die Produkte setzt voraus, dass die Prozessbezugsgrößen zwei Anforderungen genügen:
Die Produktmerkmale und die Prozessbezugsgrößen der Prozesse
müssen durch einen funktionalen Zusammenhang verknüpft
sein.
431 Vgl. z.B. WÄSCHER, D. (Gemeinkosten-Management), S. 312; FOSTER, G./GUPTA, M.
(Activity Accounting), S. 233; FRANZ, K.-P. (Konstruktion), S. 37 ff.
432 Vgl. Kapitel 3., Abschnitt B.III.3.c), S. 365 ff.
433 Vgl. hierzu auch BANKER, R.D./DATAR, S.K./KEKRE, S./MUKHOPADHYAY, T. u.a. (Complexity), S. 220 f.
3. Kapitel: Planungsorientierte Systeme der KER350
Zwischen den Prozessmengen und dem Produkt muss ein Zusammenhang bestehen (Prozesskoeffizient), der eine eindeutige Zuordnung von Prozessmengen zu Produkten ermöglicht.
Diese Anforderungen verlangen, dass die Prozessbezugsgrößen Maßgrößen
der Kostenverursachung sind, durch welche sich die Unterschiede der Produkte in kostenbeeinflussenden Produktmerkmalen abbilden lassen. Nur
wenn bei der Abgrenzung der Prozesse und der Auswahl der Prozessbezugsgrößen eine Vielzahl konstruktiver Produktmerkmale berücksichtigt werden
kann, ist es möglich, die Produktkomplexität und die Heterogenität des Produktionsprogramms durch das Rechnungskonzept zu erfassen.
Mit der Prozesskostenrechnung werden überwiegend beschäftigungsfixe
Kosten auf die Produkte verrechnet. In der Konstruktion wird neben den beschäftigungsvariablen Kosten und einigen Sondereinzelkosten (z.B. Werkzeugkosten) zunächst der Bedarf an Leistungsabgaben fixkostenverursachender Potentialgüter beeinflusst. Eine Verringerung des Bedarfs an Leistungsabgaben fixkostenverursachender Potentialgüter führt jedoch nur dann zu Kostenänderungen, wenn die Potentialgüter selbst abgebaut oder einer anderen
Nutzung zugeführt werden können. In allen anderen Fällen kann die undifferenzierte Verrechnung beschäftigungsfixer Kosten zu Fehlurteilen führen.
Der Prozesskostenrechnung liegen u.a. folgende einschränkende Annahmen
zugrunde:
? die Konstanz der Prozesskostensätze,
? die Proportionalität zwischen den Prozessbezugsgrößen und den
Prozesskosten sowie
? lineare Kostenfunktionen.
Darüber hinaus können immer nur die Wirkungen einiger wichtiger Produktmerkmale abgebildet werden. Die Kosteninformationen der Prozesskostenrechnung sind deshalb nicht unmittelbar für die Bewertung von Gestaltungsalternativen geeignet. Sie bilden jedoch eine globale Grundlage für die
Formulierung von Konstruktionsrichtlinien über die Kostenwirkungen von
Produktmerkmalen434. Für die Zwecke der kostenorientierten Konstruktion
muss die Prozesskostenrechnung deshalb nicht als laufende Rechnung ausgestaltet werden. Die kostenverursachenden Produktmerkmale müssen nur in
bestimmten Zeitabständen identifiziert werden, um die Konstruktionsrichtlinien anzupassen.
5. Aussagefähigkeit betriebswirtschaftlicher Kostenrechnungssysteme für die
Planung und Steuerung von Produktkosten in der Konstruktion
In den traditionellen Systemen der Kostenrechnung werden nur die Materialeinzelkosten sowie die fertigungszeitabhängigen Gemeinkosten nach kostenbeeinflussenden Produktmerkmalen auf die Produkte verrechnet. Sie sind
deshalb für die Kostenplanung und -steuerung bei der Konstruktion nur
434 Vgl. COOPER, R./TURNEY, P.B. (Activity-Based Cost Systems), S. 295 f.
B. Systeme auf Vollkostenbasis 351
dann aussagefähig, wenn ein homogenes Produktionsprogramm angeboten
werden soll, das sich aus Produkten mit geringem Komplexitätsgrad zusammensetzt. Diese Merkmale weist das Produktionsprogramm einer Unternehmung in der Regel nur dann auf, wenn eine Kostenführerschaftsstrategie
verfolgt wird.
Wird dagegen eine Differenzierungsstrategie verfolgt, ist das Produktionsprogramm durch hohe Programm- oder Produktkomplexität gekennzeichnet.
Um deren Kosten gestalten zu können, müssen bei der Kostenplanung und
-steuerung in der Konstruktion neben den Materialeinzelkosten und den fertigungszeitabhängigen Gemeinkosten die Kosten produkt- bzw. programmkomplexitätsabhängiger Prozesse des indirekten Leistungsbereichs berücksichtigt werden. Zur Unterstützung ist ein Kostenrechnungssystem zu konzipieren, das die Kosten dieser Prozesse nach kostenbeeinflussenden Produktmerkmalen auf die Produkte verrechnet. Die bisher vorgeschlagenen
Ansätze der Prozesskostenrechnung genügen diesem Auswertungszweck jedoch nicht.
Die Produktkosten setzen sich damit aus Vorleistungs-, Leistungserstellungsund Nachleistungskosten zusammen. Die traditionellen Verfahren der Kostenrechnung beziehen sich jedoch auf kalendermäßig abgegrenzte Abrechnungseinheiten. Bei mehrperiodigen Produktlebenszyklen hat das zur Folge,
dass die Vorleistungs- und Nachleistungskosten einer Periode durch andere
Produkte verursacht sein können als die Leistungserstellungskosten. Um die
Vorleistungs- und Nachleistungskosten verursachungsgerecht auf Produkte
verrechnen zu können, muss eine konstruktionsbegleitende Kostenrechnung
als lebenszyklusorientiertes Rechnungssystem ausgestaltet sein, d.h., sie
muss die drei folgenden Merkmale aufweisen:
? Die Nachleistungskosten werden als prognostisch antizipierte Größen erfasst und verrechnet.
? Die Vorleistungs-, Leistungserstellungs- und Nachleistungskosten werden getrennt erfasst, dokumentiert und verrechnet.
? Die Vorleistungs- und Nachleistungskosten werden über die Produktionsmenge im Produktlebenszyklus auf die Produkte verrechnet.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die bekannten Systeme
der Kostenrechnung für die Unterstützung der Kostenplanung und -steuerung bei der Konstruktion nur begrenzt aussagefähig sind. Ein System der
Kostenrechnung, dessen Rechnungsziel die Bereitstellung von Kosteninformationen für die Kostenplanung und -steuerung in der Konstruktion zum
Inhalt hat, ist bis jetzt noch nicht entwickelt worden.
3. Kapitel: Planungsorientierte Systeme der KER352
III. Systeme der Prozesskostenrechnung (Aktivitätskostenrechnung)
1. Entwicklung und Begriff der Prozesskostenrechnung
a) Entwicklung der Prozesskostenrechnung
Die herkömmlichen Systeme der Kostenrechnung sind unter den Bedingungen einer relativen Homogenität des Fertigungs- und Absatzprogramms
entwickelt worden. Da bisher davon ausgegangen werden konnte, dass sich
die Zusammensetzung der Fertigungs- und Absatzprogramme nur langsam
über mehrere Perioden veränderte, richtete sich die Kostenrechnung an kurzfristigen Entscheidungen der Produktionsmengen aus und präzisierte dementsprechend ihre Rechnungsziele. So ist es zu verstehen, dass die bisherigen
Systeme der Kostenrechnung an den kurzfristigen Entscheidungen der Planung und Steuerung der Produktionsmengen bzw. Produktionsprozesse orientiert sind. Die Programmhomogenität rechtfertigt auch die Annahme, dass
die Beschäftigung in der Fertigung die wichtigste Einflussgröße für alle Einsatzgüterverbräuche darstellt. Folgerichtig greifen die herkömmlichen Systeme der Kostenrechnung bei der Gemeinkostenverrechnung auf die Beschäftigung bzw. auf beschäftigungsabhängige Ersatzgrößen zurück (z.B. Materialeinzelkosten, Fertigungseinzelkosten, Herstellkosten).
Die Entwicklung der Märkte zu Käufermärkten ist in den letzten Jahren dadurch gekennzeichnet, dass die Anforderungen der Nachfrage an die Unternehmungen gestiegen sind. Durch die Erhöhung des Wettbewerbsdrucks
sind die Unternehmungen gezwungen, diesen Anforderungen gerecht zu
werden und die Variantenzahl zu erhöhen, die Produktqualität zu verbessern, die Lieferzeiten zu senken, die Produktlebenszyklen zu verkürzen sowie
die gesamten Aktivitäten zu internationalisieren. Insbesondere die steigende
Zahl der Produktvarianten stellt erhöhte Anforderungen an die Flexibilität
der Unternehmung und den Integrationsgrad des Material- und Informationsflusses. Diese Entwicklung verstärkt die Tendenz zum Ausbau von Planungs- und Steuerungssystemen. Außerdem sind international und national
Umschichtungen aus der Sachgüterproduktion in die Dienstleistungserstellung zu beobachten. Während im Fertigungsbereich der Industrieunternehmungen die Aktivitäten durch Reduktion der Fertigungstiefe (outsourcing)
eher vermindert werden, nehmen in den so genannten indirekten Leistungsbereichen die Aktivitäten zu. Zu diesen werden Forschung und Entwicklung,
Konstruktion, Instandhaltung, Qualitätssicherung, Fertigungsvorbereitung,
Auftragsabwicklung, Beschaffung, Logistik sowie Vertrieb gerechnet. Die gekennzeichnete Entwicklung führt dazu, dass im indirekten Bereich die Gemeinkosten deutlich ansteigen und dass ihr Anteil an den Gesamtkosten
stetig zunimmt.
Die Veränderung der Kostenstruktur ist neben der Zunahme der Gemeinkosten des indirekten Leistungsbereichs durch einen Anstieg der fixen Kosten
gekennzeichnet, d.h., der Anteil der kurzfristig beeinflussbaren Kosten wird
immer geringer. Der Grund für diese Veränderung der Kostenstruktur ist
darin zu sehen, dass im indirekten Bereich personalintensive Prozesse vollzo-
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Dieses Standardwerk liefert Ihnen einen umfassenden Überblick über die Aufgaben, Techniken und Systeme der Kosten- und Erlösrechnung. Zunächst führt es in die Grundlagen ermittlungsorientierter Systeme ein. Dazu gehören die Kostenarten-, Kostenstellen- und Kostenträgerrechnung, ein Spektrum, das in jeder Vorlesung zur Kostenrechnung gelehrt wird. Daran schließt sich die Darstellung planungs- und verhaltenssteuerungsorientierter Systeme an. Dabei handelt es sich um Methoden wie Prozesskosten-, Grenzplankosten- oder Deckungsbeitragsrechnungen und Target Costing, die im Alltag von höchster praktischer Relevanz sind. Abgeschlossen wird das Buch durch die Behandlung aktueller Weiterentwicklungen auf dem Gebiet der Kostenrechnung. Hierbei spielen insbesondere die Herausforderungen der Preisregulierung bei den Strom-, Gas- und Telekommunikationsmärkten eine große Rolle.
Die Autoren
Prof. Dr. Marcell Schweitzer lehrte Betriebswirtschaftslehre an der Universität Tübingen.
Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Ulrich Küpper ist Inhaber des Lehrstuhls für Produktionswirtschaft und Controlling an der LMU in München.