Kapitel B: Die Indifferenzkurvenanalyse 83
Kapitel B: Die Indifferenzkurvenanalyse
B. Die Indifferenzkurvenanalyse
I. Prämissen der Analyse und Indifferenzkurve
1. Prämissen der Analyse
Seit der Vorstellung der Grenznutzenanalyse ist immer wieder die Frage aufgeworfen worden, ob Haushalte tatsächlich in der Lage sind, ihre Nutzenempfindungen in Zahlenwerten bzw. Geldeinheiten präzise anzugeben. Zu Beginn des
20. Jahrhunderts (durch Pareto 1906) konnte jedoch gezeigt werden, dass die Fähigkeit zur kardinalen Nutzenschätzung keine zwingende Voraussetzung für eine
nutzentheoretische Fundierung der Nachfragefunktion bildet. Auch wenn der
Haushalt nur zu einer sog. ordinalen Nutzenschätzung in der Lage ist, kann die
Nachfragekurve logisch hergeleitet werden.
Ordinale Nutzenschätzung bedeutet, dass der Haushalt anzugeben vermag, ob er
ein Güterbündel A einem Bündel B vorzieht (A > B), ob er B gegenüber A präferiert (A < B) oder ob er die beiden Bündel gleichsetzt (A = B), ihnen gegenüber
also indifferent ist. Der Haushalt muss also nicht wissen, um wie viel er A gegen-
über B vorzieht, er muss lediglich wissen, ob er es vorzieht oder nicht. Allerdings
verlangt das Konzept, dass die Bedürfnisstruktur des Haushalts logisch widerspruchsfrei ist, d. h.
– es darf immer nur eine Beziehung gelten, entweder A > B oder A < B oder
A = B (Konsistenzbedingung), und
– wenn A > B und B > C, so folgt daraus A > C (Transitivitätsbedingung).
Dies bedeutet, dass kardinal gemessene Nutzen und Grenznutzen in der Indifferenzkurvenanalyse nicht mehr erscheinen. Das Nutzen- wie auch das Grenznutzenkonzept bleiben aber – wie noch zu zeigen sein wird – implizit Grundlage der
Analyse. Kern der Analyse sind die sog. Indifferenzkurven, auf die bereits im
1. Teil bei der Darstellung der Knappheitsproblematik kurz eingegangen wurde
(vgl. Abb. 1.4.). Im Übrigen entsprechen Zielsetzung und Prämissen der Analyse
denen der Grenznutzenanalyse. Auch die Indifferenzkurvenanalyse stellt die Frage, wie ein Haushalt sich verhalten muss, wenn er seinen Nutzen maximieren
möchte (Bedingungstheorie). Zentrale Prämissen der Analyse sind also wie zuvor
Nutzenmaximierung als Zielsetzung der Haushalte, Rationalverhalten, vollkommene Kenntnis aller für das Nachfrageverhalten notwendigen Größen sowie die
fehlende Möglichkeit, die Preise zu beeinflussen. Auf der Basis dieser Prämissen
leitet die Indifferenzkurvenanalyse aus der Bedürfnisstruktur des Haushalts (U),
seinem Einkommen (E) und den Preisen der Güter (p1, p2, . . ., pn) die Nachfragefunktion (2.3) her. Aus Gründen der Darstellung wird üblicherweise mit einem
Zwei-Güter-Modell gearbeitet, dessen Ergebnisse aber auch für den n-Güter-Fall
gelten.
84 3. Teil: Die Theorie der Nachfrage
2. Die Indifferenzkurve
a) Definition und Verlauf der Indifferenzkurve
In einem ersten Schritt der Analyse gilt es zunächst, die Bedürfnisstruktur des
Haushalts darzustellen. Dies geschieht durch das Zeichnen eines Systems von Indifferenzkurven. Eine einzelne Indifferenzkurve ist dabei definiert als Verbindungslinie solcher Gütermengenkombinationen, die dem Haushalt denselben
Nutzen stiften, denen gegenüber er also indifferent ist.
Um die Frage beantworten zu können, welchen Verlauf eine Indifferenzkurve
hat, genügen einige einfache Überlegungen. In einem Zwei-Güter-Mengendiagramm (z. B. mit X1 = Wurst und X2 = Käse) möge von einem Güterbündel B mit
zwei Einheiten Wurst und zwei Einheiten Käse ausgegangen werden (vgl.
Abb. 3.5.a.). Nun wird gefragt, welche Kombinationen besser als B, welche
schlechter als B und welche gleich B sind. Geht man von der Annahme aus, dass
der Haushalt noch nicht gesättigt ist, er also die größeren Bündel den kleineren
stets vorzieht, so sind alle Kombinationen A in Feld I offenbar besser und alle
Kombinationen C in Feld III offenbar schlechter als B. Die der Kombination B
gleichgesetzten Güterbündel können demnach nur in den Feldern II und IV liegen. Wo sie genau liegen, kann aber zunächst noch nicht gesagt werden, da alle
diese Kombinationen von einem Gut mehr, vom anderen hingegen weniger aufweisen.
Zur genauen Festlegung der Indifferenzkurve ist daher eine weitere Überlegung
hinsichtlich der Beziehung zwischen den beiden Gütern notwendig. Güter können entweder vollständig substitutiv (homogen), vollständig komplementär oder
zwischen diesen Extremen beschränkt substitutiv (teilweise komplementär)
sein.
Abb. 3.5.
– Sind zwei Güter vollständig substitutiv, so hat die Indifferenzkurve die Gestalt IS in Abb. 3.5.b. Ist es einem Menschen z. B. völlig gleichgültig, ob er graue
(X1) oder beige Socken (X2) trägt, so wird er die Kombinationen 4/0, 3/1, 2/2,
1/3 und 0/4 als gleichwertig ansehen.
Kapitel B: Die Indifferenzkurvenanalyse 85
– Sind zwei Güter vollständig komplementär, so hat die Indifferenzkurve die
Gestalt IK. Der gleiche Mensch, der zwei linke (X1) und zwei rechte Schuhe
(X2) besitzt (Punkt B), wird sich nicht besser gestellt fühlen, wenn ihm jemand
einen dritten, vierten, fünften rechten Schuh anbietet.
Da die Fälle der vollkommenen Substitutionalität bzw. Komplementarität Grenzfälle darstellen, müssen alle anderen (wahrscheinlicheren) Fälle beschränkter
Substitutionalität zwischen diesen Grenzfällen liegen. Indifferenzkurven für derartige Güter liegen also zwischen IS und IK und haben die Gestalt I, d. h. sie sind
konvex zum Nullpunkt des Koordinatensystems. Je nachdem, ob die Substitutionsbeziehung oder die Komplementaritätsbeziehung dominiert, wird die Kurve
flacher oder eckiger, nähert sich also einer der beiden Extreme an.
Abb. 3.6.
Im Folgenden soll vom Normalverlauf I der Indifferenzkurve ausgegangen werden. Sie stellt eine Kurve gleichen Nutzenniveaus dar (z. B. das Nutzenniveau B in
Abb. 3.5.b.). Sämtliche Kombinationen, die gegenüber der Kurve I „rechts oben“
liegen, stellen höhere Nutzenniveaus dar, alle Kombinationen, die „links unten“
liegen, stellen niedrigere Nutzenniveaus dar. Insgesamt kann die Bedürfnisstruktur des Haushaltes durch eine Indifferenzkurvenschar mit den Indifferenzkurven
I1, I2, . . ., In dargestellt werden (vgl. Abb. 3.6.), wobei die Indifferenzkurven sich
wegen der Konsistenzbedingung nicht schneiden können.
b) Die nutzentheoretische Fundierung der Indifferenzkurve und die
Grenzrate der Substitution
Der normale links gekrümmte Verlauf der Indifferenzkurve ist nutzentheoretisch
begründbar (vgl. Abb. 3.7.). Verfügt ein Haushalt z. B. über die Güterkombination B1 (7 Stück Käse, 1 Stück Wurst), so wird er das reichlich vorhandene Gut
Käse relativ gering, das weniger reichlich vorhandene Gut Wurst relativ hoch einschätzen. Wenn man ihm nun eine Einheit Wurst anböte (Dq1 = 1) und ihn bäte,
dafür Käse herzugeben, dürfte er wohl bereit sein, eine größere Menge Käse zu
opfern (Dq2 = 3), um die begehrte Wurst zu erhalten. Würde man ihm in den
Punkten B2, B3, B4 usw. den gleichen Tausch wieder anbieten, so würden sich die
86 3. Teil: Die Theorie der Nachfrage
Abb. 3.7.
von ihm empfundenen Nutzenschätzungen zunächst angleichen und schließlich
umdrehen. In Punkt B6 würde er Käse sehr hoch und Wurst relativ gering schätzen. Seine Bereitschaft, weiteren Käse zu opfern, wäre also sehr niedrig.
Das Verhältnis der Mengenabnahme von Gut X2 zur Mengenzunahme des Gutes
X1, die sich nutzenmäßig gerade ausgleichen, bezeichnet man als Grenzrate der
Substitution (GRS). Sie ist definiert als
(3.6) 2
1
q
GRS – ,
q
?
=
?
wobei man in der Regel das negative Vorzeichen vernachlässigt. In Abb. 3.7. ist
zu erkennen, dass die GRS bei einer Bewegung auf der Indifferenzkurve von B1
nach B7 fällt. Bei gleich bleibendem Dq1 = 1 wird Dq2 laufend kleiner. Es gilt das
Gesetz von der abnehmenden Grenzrate der Substitution.
Nimmt man nicht endliche Mengenänderungen Dq1, sondern unendlich kleine
Mengenänderungen dq1 vor, so geht der Differenzenquotient Dq2/Dq1 in den
Differenzialquotienten über. Die Grenzrate der Substitution entspricht dann der
Steigung der Indifferenzkurve und ist definiert als
(3.7) 2
1
dq
GRS tan = .
dq
= ?
Wie zuvor kurz angedeutet, ist das in der Indifferenzkurvenanalyse zunächst
nicht explizit genannte Grenznutzenkonzept dennoch in der Analyse enthalten.
Die Indifferenzkurve ist nämlich ein Ausschnitt aus einer Nutzenfunktion
(3.8) U = f(q1, q2),
welche den Nutzen des Haushalts in Abhängigkeit von den Mengen der beiden
Güter X1 und X2 ausweist. Definitionsgemäß ändert sich der Nutzen auf der Indifferenzkurve nicht, denn der Haushalt empfindet alle auf der Indifferenzkurve
liegenden Güterkombinationen als gleichwertig. Alle Mengenänderungen der
Kapitel B: Die Indifferenzkurvenanalyse 87
beiden Güter gleichen sich nutzenmäßig gerade aus. Die Nutzenänderung ist
dU = 0. Die Änderung des Nutzens lässt sich durch das totale Differenzial der
Nutzenfunktion (3.8) ausdrücken, das dann gleich Null zu setzen ist. Es gilt
demnach
(3.9)
? ?
? + ? =
? ?1 21 2
U U
dU = dq dq 0.
q q
Da ?U/?q1 und ?U/?q2 die – dem Haushalt allerdings kardinal nicht bewussten –
Grenznutzen der beiden Güter darstellen, kann man auch schreiben
(3.9.a) dU = U1? · dq1 + U2? · dq2 = 0.
Wegen dU = 0 und auf Grund des negativen Vorzeichens von dq2 ergibt sich
(3.10) U1? · dq1 = U2? · dq2
und ungeformt unter Vernachlässigung des Vorzeichens
(3.11) 2 1
1 2
dq U ´
tan = .
dq U ´
? =
Die Grenzrate der Substitution (tan ?) ist also gleich dem umgekehrten Verhältnis
der Grenznutzen der beiden Güter. Damit kann an vorherige Überlegungen angeschlossen werden. In Punkt B1 in Abb. 3.7. ist die Grenzrate der Substitution
hoch. Entsprechend ist das Grenznutzenverhältnis hoch, denn Wurst wird hoch
(U1? ist groß) und Käse wird niedrig (U2? ist klein) eingeschätzt. Ferner wird noch
einmal einsichtig, warum Güter i. d. R. beschränkt substitutiv und damit teilweise
komplementär sind. Wichtig ist nämlich die jeweilig verfügbare Mengenkombination. Je größer das mengenmäßige Missverhältnis zwischen den Gütern ist, um
so weniger kann man auf das ohnehin schon knappere Gut verzichten. Die Indifferenzkurve wird steil und lehnt sich an jene für vollständige Komplementärgüter
an. Bei ausgewogenem Mengenverhältnis überwiegt hingegen die substitutive Beziehung. Die Indifferenzkurve ist vergleichsweise flach und lehnt sich an jene für
vollständige Substitutionsgüter an.
II. Budgetlinie und Haushaltsgleichgewicht
1. Die Budgetlinie
Bisher ist allein die Bedürfnisstruktur des Haushalts in Form einer Nutzenfunktion (3.8) bzw. ihr graphisches Abbild, die Indifferenzkurvenschar (vgl. Abb. 3.6.),
behandelt worden. Unterläge der Haushalt keinerlei Beschränkungen, so würde
er die höchste denkbare Indifferenzkurve In realisieren. Beschränkungen existieren für den Haushalt jedoch in Form einer begrenzten Konsumsumme (Einkommensrestriktion) und in Form von Güterpreisen (Preisrestriktion). Diese Beschränkungen führen dazu, dass der Haushalt nur bestimmte maximale Mengenkombinationen der gewünschten Güter kaufen kann.
88 3. Teil: Die Theorie der Nachfrage
Im Zwei-Güter-Modell lassen sich die für den Haushalt geltenden Beschränkungen graphisch durch eine sog. Budgetlinie (Bilanzgerade, Konsummöglichkeitslinie) darstellen. Sie beruht auf der Annahme, dass der Haushalt die gesamte Konsumsumme zum Kauf der beiden Güter verwendet. Es gilt also
(3.12) E = p1q1 + p2q2 bzw.
(3.13) 12 1
2 2
p E
q – q .
p p
= ? +
Die Zusammenhänge sollen durch ein Zahlenbeispiel verdeutlicht werden. Angenommen seien eine Konsumsumme E = 100 und die Güterpreise p1 = 5 und
p2 = 10. Würde der Haushalt die gesamte Konsumsumme zum Kauf von X1 verwenden, so könnte er E/p1, also 100/5 = 20 Einheiten X1 (und Null Einheiten X2)
erwerben (vgl. Abb. 3.8.). Würde er nur X2 kaufen, könnte er E/p2, also
100/10 = 10 Einheiten X2 (und Null Einheiten X1) kaufen. Würde er das Einkommen je zur Hälfte für X1 und X2 ausgeben, so ergäben sich q1 = 10 und
q2 = 5. Alle maximalen kaufbaren Mengenkombinationen liegen auf der in
Abb. 3.8. gezeichneten Budgetlinie.
Abb. 3.8.
Die Steigung und die Lage der Budgetlinie werden gemäß (3.13) von den Preisen
der beiden Güter sowie von der Höhe der Konsumsumme bestimmt. Die Steigung der Budgetlinie ergibt sich als
(3.14) ? = = 1
2 1 2
E E p
tan : ,
p p p
ist also gleich dem Verhältnis der Güterpreise. Ändert sich das Preisverhältnis von
tan ?1 = 5/10 auf tan ?2 = 10/10, dann wird die Budgetlinie entsprechend steiler
(vgl. Abb. 3.9.a). Hätte sich nicht nur p1, sondern auch p2 verdoppelt (also p1 = 10
und p2 = 20), so hätte sich die Budgetlinie parallel nach innen verschoben (vgl.
Abb. 3.9.b.).
Kapitel B: Die Indifferenzkurvenanalyse 89
Abb. 3.9.
Der gleiche Effekt wäre eingetreten, wenn sich (bei den alten Preisen) die Konsumsumme auf E = 50 halbiert hätte. Zusammenfassend ist also festzuhalten: die
Budgetlinie dreht sich bei Änderungen des Preisverhältnisses (der sog. relativen
Preise), sie verschiebt sich parallel bei Änderungen des Einkommens sowie bei
prozentual gleichen Änderungen der Preise der beiden Güter (der sog. absoluten
Preise). Preiserhöhungen haben generell den gleichen Effekt wie (Nominal-)einkommensminderungen: sie reduzieren das sog. Realeinkommen, d. h. die maximal
kaufbaren Gütermengen.
2. Das Haushaltsgleichgewicht
Nachdem mit der Indifferenzkurvenschar in Abb. 3.6. die Bedürfnisstruktur des
Haushalts und mit der Budgetlinie in Abb. 3.8. die dem Haushalt auferlegten
Preis- und Einkommensrestriktionen festgehalten worden sind, kann nunmehr
das Haushaltsgleichgewicht abgeleitet werden. Als Haushaltsgleichgewicht wird
wiederum das unter den gegebenen Beschränkungen maximal erreichbare Nutzenniveau bezeichnet.
Das Haushaltsgleichgewicht kann graphisch durch Zusammenfügen der beiden
Abbildungen 3.6. und 3.8. zu einer neuen Abb. 3.10. veranschaulicht werden. Da
die Budgetlinie die maximal kaufbaren Mengenkombinationen ausweist, kann das
Gleichgewicht nur auf dieser Linie liegen. Wandert man die Linie entlang, so
zeigt es sich, dass man dabei verschiedene Nutzenniveaus I1, I2 usw. realisiert. Das
Abb. 3.10.
90 3. Teil: Die Theorie der Nachfrage
maximal erreichbare Nutzenniveau ist das Niveau I4. Das Haushaltsgleichgewicht
liegt im Punkt M4 mit den Gütermengen q11 und q21. In diesem Punkt berührt die
Budgetlinie die maximal erreichbare Indifferenzkurve I4. Noch höher liegende
Indifferenzkurven I5, I6 usw. sind bei diesem Einkommen und diesen Preisen
nicht zu erreichen.
Im Haushaltsgleichgewicht M4 haben die Indifferenzkurve und die Budgetlinie
die gleiche Steigung. Da die Steigung der Indifferenzkurve tan ? gemäß (3.11)
gleich der Grenzrate der Substitution und dem Grenznutzenverhältnis ist und die
Steigung der Budgetlinie tan ? das Preisverhältnis ausweist, lautet die Bedingung
für das Haushaltsgleichgewicht
(3.15) 2 11
1 2 2
dq pU ´
tan tan .
dq U ´ p
? = = = = ?
Im Haushaltsgleichgewicht ist also das Grenznutzenverhältnis gleich dem Verhältnis der Güterpreise (und beide sind umgekehrt proportional der Grenzrate der Substitution). Diese Bedingung war als Gleichung (3.5) bereits im Rahmen der Grenznutzenanalyse hergeleitet worden. Es handelt sich um das zweite Gossensche Gesetz, das sich damit auch im Rahmen der Indifferenzkurvenanalyse darstellen lässt.
Neben der soeben vorgestellten graphischen Methode zur Bestimmung des Haushaltsgleichgewichtes lässt sich dieses auch algebraisch ermitteln. Es gilt nämlich,
die Nutzenfunktion (3.8) U = f(q1, q2) unter der Nebenbedingung
(3.12) E = p1q1 + p2q2 zu maximieren. Setzt man die Nebenbedingung in der
Schreibweise
(3.13) q2 = E/p2 – p1 • q1/p2 in die Nutzenfunktion (3.8) ein, so ergibt sich
(3.16) 1 11
2
E – p q
U f(q , ).
p
=
Die erste Ableitung nach q1 ergibt auf Grund der Kettenregel bei zwei abhängigen Variablen
(3.17) 2 1
1 1 2 1 1 2 2
dq pdU f f f f
–
dp q q dq q q p
? ? ? ?
= + ? = + ?
? ? ? ?
= + ?
1
1 2
2
p
U ´ U ´ – .
p
Wird sie gleich Null gesetzt, so entsteht daraus wie zuvor gezeigt
(3.15) 11
2 2
pU ´
.
U ´ p
=
Auf der Basis einer sehr einfachen Nutzenfunktion vom Typ
(3.18) U = q1 · q2
und der o. a. Annahmen E = 100, p1 = 5 und p2 = 10 ergeben sich
(3.12.a) 100 = 5q1 + 10q2,
(3.13.a) q2 = 10 – 1/2q1,
(3.16.a) U = q1 · (10 – 1/2q1),
U = 10q1 – 1/2q12,
Kapitel B: Die Indifferenzkurvenanalyse 91
(3.17.a) 1
1
dU
10 – q 0
dq
= =
und daraus q1 = 10. Setzt man q1 = 10 in (3.13.a) ein, so erhält man q2 = 5, d. h. das
Haushaltsgleichgewicht (Punkt M4) ist durch die Gütermengen q1 = 10 und q2 = 5
gekennzeichnet.
Zum gleichen Ergebnis gelangt man mit Hilfe des Lagrange-Ansatzes. Aus der
Nutzenfunktion (3.8) und der Budgetrestriktion (3.12) bildet man die Lagrangefunktion
(3.19) L = f(q1, q2) + ?(E – p1q1 – p2q2).
Um U = L zu maximieren, sind die partiellen Ableitungen nach q1, q2 und ? zu
bilden und gleich Null zu setzen, also
(3.20) 1
1 1
L f
– p 0,
q q
? ?
= ? =
? ?
(3.21) 2
2 2
L f
– p 0,
q q
? ?
= ? =
? ?
(3.22) 1 1 2 2
L
E – p q – p q 0.
?
= =
??
Eliminiert man ? durch Gleichsetzen von (3.20) und (3.21), so erhält man wiederum
(3.15) 11
2 2
pU ´
.
U ´ p
=
Setzt man die unterstellten Zahlenwerte ein, so erhält man
(3.19.a) L = q1q2 + 100? – 5?q1 – 10?q2,
(3.20.a) 2 2
1
L
q – 5 0, also q 5 ,
q
?
= ? = = ?
?
(3.21.a) 1 1
1
L
q –10 0, also q 10 ,
q
?
= ? = = ?
?
(3.22.a)
?
= = =
?? 1 2 2
L
100 – 5q – 10q 0, also q 10 – 1/2q1.
Aus (3.20.a), (3.21.a) und (3.22.a) ergibt sich
5? = 10 – 1/2 · 10?
5? = 10 – 5?
10? = 10
? = 1
und somit q1 = 10 · 1 = 10 und q2 = 5 · 1 = 5, d. h. das Haushaltsgleichgewicht
(Punkt M4) mit den Gütermengen q1 = 10 und q2 = 5.
92 3. Teil: Die Theorie der Nachfrage
Ein derart einfaches Ergebnis, bei dem die Haushaltsgleichgewichtsmengen exakt
die Hälfte der jeweils einzeln maximal kaufbaren Gütermengen E/q1 = 20
und E/q2 = 10 ausmachen, ergibt sich selbstverständlich nur dann, wenn die zu
Grunde liegende Nutzenfunktion die sehr einfache Gestalt (3.18) U = q1 · q2 hat,
woraus sich als Indifferenzkurven gleichseitige Hyperbeln ergeben.
III. Die Lage der Nachfragekurve
1. Preis-Konsum-Kurve und Nachfragekurve
Nach Erreichen des Haushaltsgleichgewichts M4 hat der Haushalt keinen Grund,
diese Position wieder zu verlassen, denn sie stellt angesichts der gegebenen Bedürfnisstruktur und der bestehenden Restriktionen sein Nutzenmaximum dar.
Die Lage des Haushaltsgleichgewichts ändert sich allerdings, wenn Änderungen
hinsichtlich der Bedürfnisstruktur, des Einkommens und der Preise eintreten.
Im Hinblick auf die zu suchende Nachfragefunktion
(2.3) Nx = f(px)
soll zunächst dargestellt werden, wie sich die Lage des Haushaltsgleichgewichtes
verändert, wenn der Preis eines der beiden Güter variiert wird. Die Herleitung
der Nachfragekurve soll für das Gut X1 mit Hilfe eines Zahlenbeispiels erläutert
werden. Es sei angenommen, dass das Einkommen wie bisher E = 100 und der
Preis des zweiten Gutes wie bisher p2 = 10 betragen. Der Preis des Gutes X1
möge variieren und von P11 = 5 auf p12 = 10 bzw. p13 = 20 steigen.
Wie zuvor beschrieben, bewirkt die Änderung eines Preises (und damit des Preisverhältnisses) eine Drehung der Budgetlinie. Die maximal kaufbaren Mengen von
X1 (sofern nur X1 gekauft wird), reduzieren sich auf q1 = 10 bzw. q1 = 5 (vgl.
Abb. 3.11.a.). Durch die Preissteigerung ist das ursprüngliche Nutzenniveau der
Indifferenzkurve I4 und damit M4 nicht mehr erreichbar, das Realeinkommen ist
demnach gesunken. Die neuen Haushaltsgleichgewichte M3 bzw. M2 liegen auf
den Indifferenzkurven I3 bzw. I2 mit entsprechend niedrigeren Nutzenniveaus.
Die Verbindungslinie aller Haushaltsgleichgewichte, die sich als Folge der Preis-
änderung eines Gutes ergeben, wird als Preis-Konsum-Kurve (PKK) bezeichnet.
Aus der Preis-Konsum-Kurve lässt sich die Nachfragekurve unmittelbar herleiten. Trägt man in das übliche Preis-Mengen-Schema (Abb. 3.11.b.) die Preise p11,
p12 und p13 ein und überträgt aus Abb. 3.11.a. die Gleichgewichtsmengen q11, q12
und q13, so erhält man die die Funktion (2.3) abbildende Nachfragekurve. Sie
verläuft wie erwartet von links oben nach rechts unten. Die Nachfragekurve lässt
sich also auch mit Hilfe der Indifferenzkurvenanalyse herleiten.
Abb. 3.11. zeigt darüber hinaus noch, dass sich auch die Gleichgewichtsmenge für
das Gut X2 verändert hat. Sie ist gesunken, was sich in einer Linksverschiebung
der Kurve Nx2 in Abb. 3.11.c. niederschlägt. Diese Linksverschiebung ist zu
nächst überraschend. X1 und X2 sind Substitutionsgüter, und bei einer Erhöhung
von p1 ist eigentlich eine Steigerung der Nachfrage nach X2 zu erwarten. Die Ursache dafür, dass auch Nx2 sinkt, liegt in dem durch die Preissteigerung von X1
gesunkenen Realeinkommen. Der negative Realeinkommenseffekt hat den positi-
Kapitel B: Die Indifferenzkurvenanalyse 93
Abb. 3.11.
ven Substitutionseffekt überkompensiert. Das gesunkene Realeinkommen bewirkt, dass von beiden Gütern weniger nachgefragt wird.
Die Wirkungen von Realeinkommens- und Substitutionseffekt sollen mit
Abb. 3.12. genauer erläutert werden. Es sei angenommen, dass der Haushalt eine
die Preiserhöhung auf p12 = 10 ausgleichende Nominaleinkommensverbesserung
erhält, die ihn in die Lage versetzt, die alte Indifferenzkurve I4 weiterhin zu erreichen. Eine dementsprechende Budgetlinie hätte den in Abb. 3.12.a. gezeichneten
gestrichelten Verlauf. Das neue Haushaltsgleichgewicht läge in M4a. Die Bewegung von M4 nach M4a drückt den Substitutionseffekt aus. Nx1 geht zurück (gestrichelter Pfeil in Abb. 3.12.b.) und Nx2 verschiebt sich erwartungsgemäß nach
rechts (gestrichelte Nachfragekurve in Abb. 3.12.c.). Bleibt die Nominaleinkommenssteigerung aber aus, dann wird M3 realisiert, wie es zuvor beschrieben
wurde. Die Bewegung von M4a nach M3 drückt den negativen Realeinkommenseffekt aus (durchgezogene Pfeile in Abb. 3.12.b. und 3.12c.). Er trifft auf Grund
der hier unterstellten Bedürfnisstruktur das Gut X2 stärker als das Gut X1, dessen
Preis gestiegen ist.
Eine interessante Variante dieses Sachverhaltes bildet der sog. Giffen-Effekt.
R. Giffen beobachtete Mitte des 19. Jahrhunderts in Großbritannien, dass die
Nachfrage nach Brot zum Teil anstieg, obwohl das Brot teurer geworden war.
Die Erklärung liegt zunächst darin, dass Brot ein inferiores Gut ist, welches mit
94 3. Teil: Die Theorie der Nachfrage
Abb. 3.12.
steigendem Realeinkommen vermindert und mit sinkendem Realeinkommen
vermehrt nachgefragt wird. Überdies hat der hier positiv wirkende Einkommenseffekt den negativen Substitutionseffekt überkompensiert. Da Brot trotz Preissteigerung immer noch das billigste Nahrungsmittel war, wurde es zu Lasten anderer Nahrungsmittel vermehrt nachgefragt.
2. Bedürfnisstruktur, Einkommen und Nachfrage
Im Rahmen der Indifferenzkurvenanalyse kann ferner anschaulich dargestellt
werden, wie sich Änderungen der Bedürfnisstruktur und des Einkommens auf die
Lage der Nachfragekurve auswirken. Änderungen der Bedürfnisstruktur, d. h.
Änderungen im generellen Ausmaß an Wertschätzung für die beiden Güter,
schlagen sich in Verschiebungen der Indifferenzkurvenschar nieder. In Abb. 3.13.
dokumentiert die neue Indifferenzkurve I42 gegenüber der alten Kurve I41, dass
das Gut X2 nun offenbar höher und das Gut X1 geringer geschätzt wird, denn die
Kurve ist insgesamt flacher geworden, d. h. die Grenzrate der Substitution und
damit das Grenznutzenverhältnis U1?/U2? ist gefallen. Das Haushaltsgleichgewicht verlagert sich von M41 nach M42. Entsprechend geht die Nachfrage nach X1
von q11 nach q12 zurück, während die Nachfrage nach X2 von q21 auf q22 ansteigt,
was sich in entsprechenden Verschiebungen von Nx1 nach links und Nx2 nach
rechts niederschlägt.
Änderungen des Einkommens (der Konsumsumme) führen, wie in Abb. 3.9.b.
gezeigt wurde, zu Parallelverschiebungen der Budgetlinie. Bei Einkommensstei-
Kapitel B: Die Indifferenzkurvenanalyse 95
Abb. 3.13.
gerungen ergeben sich Rechtsverschiebungen der Budgetlinie, die zu neuen
Haushaltsgleichgewichten M5, M6 usw. führen. Im „Normalfall“ der Nichtsättigungsgüter (also keine Sättigungsgüter bzw. inferiore Güter) steigt die Nachfragemenge für beide Güter an (vgl. Abb. 3.14.). Die gestrichelte Linie in
Abb. 3.14.a. wird als Einkommen-Konsum-Kurve (EKK) bezeichnet. Der hier für
beide Güter unterstellte Anstieg der Nachfrage zeigt sich auch in der Rechtsverschiebung der beiden Nachfragekurven in Abb. 3.14.b. und 3.14.c.
Abb. 3.14.
Die beschriebenen Änderungen der Bedürfnisstruktur bzw. des Einkommens lassen sich auch in Form der im 2. Teil vorgestellten Nachfragefunktionen
96 3. Teil: Die Theorie der Nachfrage
(2.2) Nx = f(U),
(2.6) Nx = f(E)
und den entsprechenden Nachfragekurven (vgl. Abb. 2.1.a. und 2.1.e.) darstellen.
Im Hinblick auf die später zu erörternden Preisbildungsprozesse war es hier aber
nützlich, die Auswirkungen derartiger Änderungen auf die Nachfragefunktion
(2.3) ausführlich zu behandeln. Es konnte mit Hilfe der Indifferenzkurvenanalyse
bestätigt werden, dass Nutzen- und Einkommensänderungen Verschiebungen der
Nachfragekurven beider Güter nach sich ziehen.
Kapitel C: Kritik und Erweiterungen der Theorie der Nachfrage
C. Kritik und Erweiterungen der Theorie der Nachfrage
Eine Kritik der Theorie der Nachfrage in der Gestalt der Grenznutzen- und der
Indifferenzkurvenanalyse setzt an der Frage an, ob die Theorie ihre beiden Ziele,
– reales Wirtschaftsgeschehen zu erklären (explikative Theorie),
– Handlungsanweisungen für die Haushalte in Form von Bedingungen für das
Eintreten günstiger ökonomischer Wirkungen zu geben (Bedingungstheorie),
erreicht. Da sich die Nachfragetheorie primär als Bedingungstheorie versteht, soll
dieser Aspekt zuerst behandelt werden.
I. Die Nachfragetheorie als Bedingungstheorie
1. Informationsstand, Substitutionalität und Teilbarkeit der Güter
Unter der Voraussetzung, dass die Haushalte ihren Nutzen maximieren und dass
sie sich dabei rational verhalten wollen, ist zu erörtern, ob ihnen ein Befolgen der
Handlungsanweisungen der Theorie überhaupt möglich ist. Diverse Einschränkungen, welche die Eignung der Theorie als Bedingungstheorie herabsetzen, sind
offensichtlich.
Zunächst ist die von der Theorie unterstellte vollständige Information über alle
Güter und ihre Preise nicht gegeben. Wo Informationen über die Qualität der
Güter fehlen oder lückenhaft sind, liegt es möglicherweise nahe, den Preis als
Qualitätsindikator anzusehen. Haushalte werden dann dazu neigen, ein Gut zu
kaufen, gerade weil es teuer ist. Grenznutzen und Preis entwickeln sich dann
möglicherweise völlig parallel, d. h. die in der Nachfragetheorie formulierte Bedingung, dass Grenznutzen und Preis gleich sein sollen, ist immer erfüllt und damit inhaltsleer. Immerhin gibt die Nachfragetheorie aber den Hinweis, dass es
notwendig ist, den Informationsstand der Haushalte zu verbessern.
Darüber hinaus ist zu bedenken, dass es bei bestimmten Gütern kaum möglich
ist, verlässliche Informationen über ihre Qualität und damit über den aus ihnen
erwachsenden Nutzen bzw. Grenznutzen zu erhalten. Eine Unterscheidung in
Suchgüter, Erfahrungsgüter und Vertrauensgüter trägt diesem Sachverhalt Rechnung. Während man bei Suchgütern (besser Prüfgütern) deren Qualität vor dem
Kauf feststellen bzw. prüfen kann (etwa das Design von Kleidern und Möbeln
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Zusammenfassung
Mikroökonomie leicht und verständlich
Dieses Lehrbuch bietet eine verständliche Darstellung eines zentralen Teilgebiets der Ökonomik. Da Inhalt und Aussagewert der Mikroökonomik häufig dadurch unklar bleiben, dass die Studenten zuviel rechnen müssen und dabei nicht mehr genügend zum Denken kommen, wird die Algebra in nur sparsamer Dosierung eingesetzt. Dafür stellt das Buch die grundlegenden Fragestellungen und Modelle umso klarer und lesefreundlicher dar und unterstützt das Lernen mit zahlreichen Kontrollfragen.
* Grundlagen
* Einführung in die Nachfrage- und Angebotstheorie
* Theorie der Nachfrage
* Theorie des Angebots
* Theorie des Marktgleichgewichts
* Theorie der Marktprozesse
Das Lehrbuch beantwortet unter anderem folgende Fragen:
* Warum und in welcher Menge fragen Haushalte bestimmte Güter nach?
* Welche Ziele verfolgen Unternehmen?
* Wann ist ein Marktpreis stabil?
* Welche Marktform ist effizient?
* Fördert Wettbewerb den technischen Fortschritt?
Die Autoren
Prof. Dr. Klaus Herdzina ist Professor an der Universität Hohenheim.
Prof. Dr. Stephan Seiter ist Professor an der ESB Business School an der Hochschule Reutlingen.