Kapitel C: Die Elastizitäten der Nachfrage und des Angebotes 57
Abb. 2.5.
Kapitel C: Die Elastizitäten der Nachfrage und des Angebotes
C. Die Elastizitäten der Nachfrage und des Angebotes
Nach der Identifikation maßgeblicher Nachfrage- und Angebotsdeterminanten
und nach ersten Überlegungen bezüglich ihrer Wirkungsrichtung gilt es nunmehr, Aussagen über die Stärke der Zusammenhänge zu machen. Derartige Aussagen sind notwendig, um diverse für die unternehmerische sowie für die wirtschaftspolitische Praxis extrem wichtige Fragen zu beantworten wie etwa die
– ob ein Anbieter, der seinen Erlös (Umsatz) steigern möchte, den Preis seiner
Güter senken oder eher anheben soll,
– ob es möglich ist, dass sich bei Einführung einer Ökosteuer gleichzeitig der
Benzinverbrauch senkt und das Steueraufkommen erhöht,
– ob gleiches bei einer Erhöhung der Tabaksteuer möglich ist oder ob zu erwarten ist, dass sowohl die Zigarettennachfrage als auch das Steueraufkommen sinken.
Die Antworten auf derartige Fragen können mit Hilfe eines Messkonzeptes gegeben werden, das in der ökonomischen Theorie als Elastizitätskonzept bezeichnet
wird. Eine Elastizität ist prinzipiell immer definiert als
? =
prozentuale Änderung der abhängigen Variablen___________________________________________
prozentuale Änderung der unabhängigen Variablen
.
Da es in der wirtschaftlichen Wirklichkeit unendlich viele Beziehungen zwischen
unabhängigen und abhängigen Variablen gibt, lassen sich unendlich viele Elastizitäten ermitteln. In diesem Zusammenhang interessieren die Elastizitäten der
Nachfrage und des Angebotes.
I. Die Nachfrageelastizitäten
1. Die direkte Preiselastizität der Nachfrage
Die direkte Preiselastizität der Nachfrage bezieht sich auf die Nachfragefunktion
i. e. S.
(2.3) Nx = f(px),
in der Nx als abhängige Variable und px als unabhängige Variable enthalten sind.
58 2. Teil: Einführung in die Nachfrage- und Angebotstheorie
a) Fragestellung und Definition
Den Ausgangspunkt der Überlegungen bildet die Frage, um wie viel sich die
nachgefragte Menge Nx ändert, wenn der Preis px steigt oder fällt. Diese Frage
lässt sich zunächst mit Hilfe der Steigung der Nachfragekurve
(2.12)
?
?
?
x
x
N
tan =
p
Abb. 2.6.
beantworten. Um das zu verdeutlichen, soll der Einfachheit halber zunächst von
einer linearen Nachfragekurve ausgegangen werden (vgl. Abb. 2.6.a., in der eine
starke, und Abb. 2.6.b., in der eine schwache Reaktion der Nachfrage unterstellt
ist). Die Steigung der Kurve bezieht sich aber nur auf die absoluten Veränderungen. Diese sind aber wenig aussagefähig, denn eine absolute Preisänderung
von einem Euro ist sehr viel bei einer Flasche Rotwein (Ausgangspreis vielleicht
5 Euro), sehr wenig hingegen bei einem Mittelklasseauto (Ausgangspreis ca.
30.000 Euro). Gleiches gilt für die zu untersuchenden Mengenänderungen. Folglich müssen die absoluten Veränderungen auf die jeweiligen Ausgangswerte von
Preis und Nachfragemenge bezogen werden, d. h. dass die Elastizität das Verhältnis der prozentualen Änderungen von Preis und Menge ausdrücken soll. Die direkte Preiselastizität der Nachfrage ist daher definiert als
(2.13)
?
?
? ? ?
? = = ?
= ? ?
?
x
x x x xx
dpN
x x x x x
x
N
100
N p N pN
: bzw.p N p N p100
p
(2.13 a)
? ?
? = ? =
? ?
x x x x
dpN
x x x x
N p N N
: .
p N p p
Der Definition ist zu entnehmen, dass die Elastizität von zwei Komponenten abhängt: von der Steigung der Nachfragekurve und vom Verhältnis der Ausgangswerte. Die Steigung der Nachfragekurve ?Nx/?px kann auch als Grenznachfrage
(Änderung der Nachfragemenge als Folge einer bestimmten Preisänderung) bezeichnet werden. Das Verhältnis der Ausgangswerte in der Schreibweise Nx/px
kann auch als Durchschnittsnachfrage (nachgefragte Menge, bezogen auf den jeweiligen Preis) bezeichnet werden. Demgemäß lässt sich die direkte Preiselastizität der Nachfrage gemäß der zweiten Schreibweise von (2.13.a) auch als Verhält-
Kapitel C: Die Elastizitäten der Nachfrage und des Angebotes 59
nis von Grenznachfrage zu Durchschnittsnachfrage (allgemein als Verhältnis von
Grenz- und Durchschnittswert) interpretieren.
b) Die Elastizität auf einer linearen Nachfragekurve
Da die Elastizität von der Steigung der Nachfragekurve und vom Verhältnis der
Ausgangswerte abhängt, muss der Elastizitätswert in jedem Punkt einer Nachfragekurve einen anderen Wert annehmen (auf Ausnahmen ist später einzugehen).
Dies sei an einem Zahlenbeispiel demonstriert. Angenommen sei die Nachfragefunktion
(2.14) Nx = – 2px + 10,
die in Tabelle 2.1. sowie Abb. 2.7. festgehalten ist. Berechnet man nun die Elastizität in verschiedenen Punkten der Kurve, wobei man jeweils von einer Preissenkung um eine Geldeinheit ausgehen möge, so lassen sich gemäß der ersten
Schreibweise von (2.13.a) folgende Werte ermitteln:
? ? ? ?
+2 5
– in A : = = – =
–1 0
? ?
+2 4
– in B : = = – 4 = 4
–1 2
? ?
3
– in C : = – 2 = – 1,5 = 1,5
4
2
– in D : = –2 = – 0,67 = 0,67
6
? ?
1
– in E : = –2 = – 0,25 = 0,25
8
? ?
–2 0
– in F : = = 0 (Preissteigerung unterstellt)
+1 10
? ?
Tab. 2.1.
px Nx Rx = px · Nx ?dpN
5
4
3
0
2
4
0
8
12
> 1
2,5 5 12,5 = 1
2
1
0
6
8
10
12
8
0
< 1
60 2. Teil: Einführung in die Nachfrage- und Angebotstheorie
Abb. 2.7.
Die Berechnungen hätten zu den gleichen Resultaten geführt, wenn Preissteigerungen (siehe Punkt F) bzw. größere oder kleinere Preisänderungen unterstellt
worden wären.
Aus den Berechnungen ergeben sich zwei wichtige Folgerungen:
(1) Die Elastizität ist negativ, was aus der negativen Steigung der Nachfragekurve
resultiert. Um den jeweiligen Elastizitätswert leichter ökonomisch interpretieren zu können, soll das Vorzeichen der Elastizität im Folgenden nicht berücksichtigt werden, d. h. es wird mit dem Betrag der Elastizität gearbeitet.
(2) Der Elastizitätsbetrag nimmt auf einer linearen Nachfragekurve unendlich
viele Werte an. Auf der Nachfragekurve der Abb. 2.7. fällt er von ? = ?
(Punkt A) bis auf ? = 0 (Punkt F). Daraus folgt, dass man nie von generell
elastischen Kurven sprechen darf, sondern immer nur von Elastizitäten in einer bestimmten Preis-Mengen-Situation, also in einem bestimmten Punkt der
Kurve. Auf Ausnahmen von dieser Regel ist etwas später unter Punkt f noch
einzugehen.
c) Ökonomische Interpretation des Elastizitätswertes
Es fragt sich nun, wie verschiedene Elastizitätswerte ökonomisch zu interpretieren sind. Ein Wert ? = 4 in Punkt B besagt offenbar, dass eine einprozentige
Preisänderung eine vierprozentige Mengenänderung auslöst. Die prozentuale
Mengenänderung ist also größer als die sie verursachende prozentuale Preisänderung, der Haushalt reagiert also stark auf die Preisänderung. In der oberen Hälfte
der Nachfragekurve, wo sich Elastizitätswerte von ? > 1 finden, spricht man daher von einer elastischen Nachfrage.
Ein Wert von ? = 0,25 in Punkt E besagt demgegenüber, dass die gleiche einprozentige Preisänderung nur eine Mengenänderung von 0,25% auslöst. Die prozentuale Mengenänderung ist demnach kleiner als die sie verursachende prozentuale Preisänderung, der Haushalt reagiert schwach auf die Preisänderung. In der
unteren Hälfte der Nachfragekurve, wo sich Elastizitätswerte von ? < 1 finden, ist
die Nachfrage unelastisch.
Dieser Sachverhalt hat erhebliche Auswirkungen auf den am Markt erzielbaren
Erlös (gleich Umsatz). Es sei angenommen, dass (2.14) die Marktnachfragekurve
Kapitel C: Die Elastizitäten der Nachfrage und des Angebotes 61
für das Gut X sei und dass ein einziger Anbieter (Monopolist) dieser Nachfrage
gegenüberstehe. Wenn dieser Anbieter seinen Erlös steigern möchte, so ist es für
ihn entscheidend, an welcher Stelle der Nachfragekurve er sich momentan befindet. Befindet er sich im Punkt B (? > 1), d. h. verlangt er gerade 4 Euro, so muss er
den Preis senken. Die auf den Erlös negativ wirkende Preissenkung wird dann
von der positiv wirkenden Mengensteigerung überkompensiert: der Erlös steigt.
Befände er sich hingegen in Punkt E (? < 1), also beim Preis von 1 Euro, so
müsste er den Preis erhöhen. Die auf den Erlös positiv wirkende Preissteigerung
würde die negativ wirkende Mengenreduzierung überkompensieren: der Erlös
würde steigen. Vergleiche dazu auch die Werte des Erlöses in Tab. 2.1. sowie der
Erlöskurve in Abb. 2.8.a.
Angesichts dieses Sachverhaltes können auch Antworten auf die eingangs gestellten Fragen gegeben werden.
– Wenn ein Anbieter seinen Erlös steigern möchte, muss er bei einer elastischen
Nachfrage den Preis senken, bei einer unelastischen Nachfrage muss er ihn anheben.
– Wenn die direkte Preiselastizität der Nachfrage kleiner als Eins oder allenfalls
gleich Eins ist, geht der Benzinverbrauch zurück, aber nur schwach, d. h. der
Umsatz steigt und damit auch das Steueraufkommen.
– Wenn die direkte Preiselastizität der Nachfrage größer als Eins ist, geht der
Zigarettenkonsum stark zurück, d. h. der Umsatz sinkt und damit auch das
Steueraufkommen.
Empirische Tests in zahlreichen Ländern haben ergeben, dass die direkten Preiselastizitäten der Nachfrage für lebensnotwendige Güter, insbesondere für Lebensmittel, unter Eins liegen. Preissenkungen führen daher nicht zu Erlössteigerungen, da die Steigerungen der Nachfragemengen angesichts einer offensichtlich
bereits guten Versorgungssituation der Nachfrager nur gering sind. Bei Preiserhöhungen steigt der Erlös, weil die Nachfrager nur in sehr geringem Maße bereit
oder in der Lage sind, ihre Nachfragemengen zu reduzieren (wie möglicherweise
bei der Benzinnachfrage). Bei weniger lebensnotwendigen Gütern (etwa bei Möbeln, Schmuck, Unterhaltung und offenbar auch bei Zigaretten) liegen die gemessenen Elastizitätswerte z. T. deutlich über Eins. Bei Preiserhöhungen ergeben sich
starke Reduzierungen der Nachfragemengen und es kommt zu Erlösminderungen, bei Preissenkungen ergeben sich deutliche Steigerungen der Nachfragemengen und die Erlöse steigen. Noch einmal sei aber darauf hingewiesen, dass die
empirisch ermittelten Elastizitätswerte sich immer nur auf die jeweils aktuellen
Preise und Mengen und deren Veränderungen, also auf die gerade realisierten
Punkte auf den Nachfragekurven und deren unmittelbare Umgebung beziehen.
Auf weitere Probleme der Elastizitätsmessung wird unter Punkt g noch näher
eingegangen.
d) Die Streckenabschnittsregeln
Zuvor wurde gezeigt, dass der Elastizitätswert in der oberen Kurvenhälfte ? > 1
und in der unteren Kurvenhälfte ? < 1 ist. Der genaue Elastizitätswert an einem
bestimmten Punkt der Nachfragekurve lässt sich nun optisch sehr schnell ermit-
62 2. Teil: Einführung in die Nachfrage- und Angebotstheorie
teln, indem man die Streckenabschnittsregeln anwendet. Sie seien für den Punkt C
in Abb. 2.7. und für eine Preissenkung um eine Geldeinheit demonstriert.
Gemäß Elastizitätsformel (2.13.a) ergibt sich
? =
HD
CH
CK
OK
und wegen
HD
CH
· =
KF
CK
? ? = =
KF CK KF CF
= ,
CK OK OK AC
d. h. der Elastizitätswert ergibt sich
(1) als Verhältnis vom rechtem zu linkem Abszissenabschnitt bzw.
(2) als Verhältnis von unterem zu oberem Kurvenabschnitt (gemäß Strahlensatz).
Für Punkt C gilt
? = =
KF 6
(C)= 1,5.
OK 4
Für alle anderen Punkte auf der Nachfragekurve lässt sich der Elastizitätswert in
gleicher Weise ermitteln.
e) Die Elastizitäten auf einer nichtlinearen Nachfragekurve
Auf einer linearen Nachfragekurve ist die erste Komponente der Elastizität, nämlich die Steigung, überall gleich. Man kann den Elastizitätswert daher mit Hilfe
endlicher Änderungen ?Nx und ?px berechnen. Auf einer nicht linearen Nachfragekurve ist die Steigung immer nur auf einen einzelnen Punkt bezogen. Der Elastizitätswert muss daher mit infinitesimalen Änderungen dNx und dpx ermittelt
werden.
Abb. 2.8.
In der graphischen Darstellung bedeutet dies, dass in dem Punkt der Nachfragekurve, für den man den Elastizitätswert berechnen will, die Tangente zwecks Er-
Kapitel C: Die Elastizitäten der Nachfrage und des Angebotes 63
mittlung der Steigung anzulegen ist, z. B. in Punkt C in Abb. 2.8.b. Die Streckenabschnittsregeln lassen sich entsprechend anwenden, allerdings gilt statt Regel (2)
nunmehr Regel
(3) Verhältnis von unterem zu oberem Tangentenabschnitt,
also wiederum CF/AC.
f) Die Isoelastizitätskurven
Zuvor wurde aufgezeigt, dass der Elastizitätswert in jedem Punkt einer Nachfragekurve einen anderen Wert annimmt. Demgemäß kann von generell elastischen
bzw. unelastischen Nachfragekurven nicht gesprochen werden. Von dieser Regel
gibt es drei Ausnahmen: In Abb. 2.9.a. ist die Nachfragekurve als gedanklicher
Grenzfall einer extrem flachen Kurve horizontal gezeichnet. Auf kleinste Preis-
änderungen folgen extrem große (unendlich große) Mengenänderungen. Es ergibt
sich überall ? = ?.
In Abb. 2.9.b. zeigt die senkrechte Nachfragekurve, dass der Haushalt auf Preis-
änderungen überhaupt nicht reagiert. Die prozentuale Mengenänderung ist Null,
es ergibt sich überall ? = 0.
In Abb. 2.9.c. will der Haushalt stets einen konstanten Betrag (px · qx) für das
Gut X ausgeben. Die Nachfragekurve ist eine gleichseitige Hyperbel. Sie weist in
jedem Punkt den Elastizitätswert von ? = 1 (genau genommen ? = – 1) auf.
Abb. 2.9.
g) Probleme der Elastizitätsmessung
Bei der empirischen Ermittlung von Elastizitäten ergeben sich zwei Interpretationsprobleme. Sie resultieren daraus, dass man i. d. R. nur über zwei zu verschiedenen Zeitpunkten t1 und t2 ermittelte Preis-Mengen-Kombinationen verfügt.
Bezüglich dieser Preis-Mengen-Kombinationen ist erstens zu fragen, ob sie überhaupt auf einer Nachfragekurve oder ob sie auf verschiedenen Nachfragekurven
liegen (z. B. auf N1 oder auf N2 und N3 in Abb. 2.10.a.). Um diese Frage zu beantworten, ist es notwendig zu prüfen, ob sich zwischen t1 und t2 außer dem Preis
auch andere Nachfragedeterminanten geändert haben. Wenn dies der Fall wäre,
hätte man nicht nur die direkte Preiselastizität der Nachfrage gemessen, sondern
auch andere Effekte, z. B. Einkommens- oder Nutzenänderungen. Die Prüfung,
ob die ceteris-paribus-Bedingung erfüllt war oder nicht, kann aber möglicherweise sehr schwer sein.
64 2. Teil: Einführung in die Nachfrage- und Angebotstheorie
Abb. 2.10.
Wenn man Grund zu der Annahme hat, dass sich die übrigen Determinanten
nicht geändert haben, kann man davon ausgehen, dass beide Punkte auf einer
Nachfragekurve liegen. Dann ist aber zweitens zu fragen, welche Gestalt die
Nachfragekurve zwischen und jenseits der empirisch ermittelten Punkte hat, ob
sie also z. B. linear oder nicht linear verläuft (z. B. N1 oder N4 in Abb. 2.10.b.).
Sofern N4 die richtige Nachfragekurve ist, hätte man zwischen t1 und t2 nur einen
weniger relevanten Durchschnittswert gemessen (die sog. Bogenelastizität statt
der Punktelastizität). Die Kenntnis weiterer Punkte wäre also erforderlich.
Aus beiden Sachverhalten wird deutlich, dass bei der empirischen Ermittlung von
Elastizitäten erhebliche Fehlschlüsse bezüglich des Verlaufs der Nachfragekurve
und des „echten“ Wertes der direkten Preiselastizität der Nachfrage möglich sind.
2. Weitere Nachfrageelastizitäten
Da neben der Nachfragefunktion i. e. S. (2.3) weitere reduzierte Nachfragefunktionen existieren, ist es möglich, bezüglich alle dieser Funktionen entsprechende
Nachfrageelastizitäten zu definieren und zu ermitteln. In der Nachfragetheorie ist
es üblich, insbesondere zwei weitere Nachfrageelastizitäten zu erörtern, und zwar
– die indirekte Preiselastizität der Nachfrage und
– die Einkommenselastizität der Nachfrage,
die völlig analog der direkten Preiselastizität der Nachfrage definiert sind.
a) Die indirekte Preiselastizität der Nachfrage
Die indirekte Preiselastizität oder Kreuzpreiselastizität der Nachfrage bezieht
sich auf die Funktionen (2.4) bzw. (2.5), in denen die Abhängigkeit der Nachfrage
von den Preisen von Substitutionsgütern bzw. Komplementärgütern ausgedrückt
wird. Gefragt wird also, um wie viel Prozent sich die nachgefragte Menge des
Gutes X ändert, wenn sich der Preis eines anderen Gutes um einen bestimmten
Prozentsatz verändert. Bezüglich eines Substitutionsgutes lautet die Formel der
Kreuzpreiselastizität demnach
(2.15)
x
x
ipN
y
y
N
N
.p
p
?
? = ?
Bei Komplementärgütern wäre im Nenner entsprechend ?pz und pz einzusetzen.
Kapitel C: Die Elastizitäten der Nachfrage und des Angebotes 65
Wie aus Abb. 2.1.c. zu ersehen ist, sind Substitutionsgüter durch eine gleich gerichtete Beziehung von Nx und py gekennzeichnet (z. B. steigende Kartoffelnachfrage bei steigendem Preis von Nudeln), so dass der Wert der Kreuzpreiselastizität positiv ist. Er wird um so höher sein, je enger die Substitutionsbeziehung
zwischen den Gütern ist. Kreuzpreiselastizitäten der Nachfrage können demgemäss auch zur Ermittlung der Enge der Konkurrenzbeziehungen zwischen Anbietern und damit zur Abgrenzung von Marktformen verwendet werden (siehe
5. Teil).
Komplementärgüter (vgl. Abb. 2.1.d.) sind demgegenüber durch eine inverse Beziehung von Nx und pz gekennzeichnet (z. B. sinkende Automobilnachfrage bei
steigendem Benzinpreis), so dass der Wert der Kreuzpreiselastizität negativ ist.
Die Kreuzpreiselastizität wird um so höher sein, je enger die Komplementaritätsbeziehung zwischen den Gütern und je größer die direkte Preiselastizität der
Nachfrage beider Güter ist.
b) Die Einkommenselastizität der Nachfrage
Die Einkommenselastizität der Nachfrage bezieht sich auf die Funktion (2.6), in
der die Abhängigkeit der Nachfrage von der Einkommensentwicklung ausgedrückt wird. Gefragt wird also, um wie viel sich die nachgefragte Menge des Gutes X ändert, wenn sich das Einkommen um einen bestimmten Prozentsatz ver-
ändert. Die Formel der Einkommenselastizität der Nachfrage lautet also
(2.16)
x
x
EN
N
N
= .E
E
?
? ?
Wie zuvor dargestellt (vgl. Abb. 2.1.e.), ist zwischen den drei Fällen der
– Nichtsättigungsgüter (?EN positiv),
– Sättigungsgüter (?EN = 0),
– inferioren Güter (?EN negativ)
zu unterscheiden. Bezüglich der Nichtsättigungsgüter ist noch von Interesse, ob
sich ihre Nachfrage genau proportional der Einkommenssteigerung entwickelt
(?EN = 1), ob sie nur unterproportional steigt (?EN < 1) oder ob sie sogar überproportional zunimmt (?EN > 1).
II. Die Angebotselastizitäten
1. Die direkte Preiselastizität des Angebotes
a) Fragestellung und Definition auf einer linearen Angebotskurve
Die direkte Preiselastizität des Angebotes bezieht sich auf die Angebotsfunktion
i. e. S.
(2.11) Ax = f(px).
66 2. Teil: Einführung in die Nachfrage- und Angebotstheorie
Analog zu den zuvor erörterten Nachfrageelastizitäten ist sie definiert als
(2.17)
x
xx x
dpA
x x x
x
A
pA A
= .p p A
p
?
?
? = ?? ?
Da auch die Angebotselastizität von der Steigung der Angebotskurve und vom
Verhältnis der Ausgangswerte abhängt, ist der Elastizitätswert in jedem Punkt einer Angebotskurve ein anderer. Dies sei an einem Zahlenbeispiel demonstriert.
Angenommen sei die Angebotsfunktion
(2.18) Ax = 2px – 2,
die in Abb. 2.11. festgehalten ist. Berechnet man die Elastizität des Angebots in
verschiedenen Punkten der Kurve, wobei eine Preissteigerung von jeweils einem
Euro erfolgen möge, so ergibt sich z. B.
– ? ? = +
+2 2
in C : = 2
+1 2
– ? ? = +
+2 3
in D : = 1,5.
+1 4
Die Elastizitätswerte sind positiv, was aus der positiven Steigung der Angebotskurve resultiert.
Abb. 2.11.
b) Die Streckenabschnittsregeln
Der genaue Wert der Angebotselastizität lässt sich ebenfalls mit Hilfe von Streckenabschnittsregeln optisch schnell ermitteln. Sie seien in Abb. 2.11. für den
Punkt C und eine Preissenkung (!) um eine Geldeinheit demonstriert. Es ergibt
sich
? ? = =
BF CG CG AC
= ,
CF BF CF BC
d. h. der Elastizitätswert ergibt sich
Kapitel C: Die Elastizitäten der Nachfrage und des Angebotes 67
(1) als Verhältnis von Ordinatenwert zu oberem Ordinatenabschnitt bzw.
(2) als Verhältnis von Angebotskurve bis zum (unter Umständen negativen) Abszissenschnittpunkt zu Angebotskurve bis zum (unter Umständen negativen)
Ordinatenschnittpunkt.
Daraus folgt, dass eine Angebotskurve,
– die zuerst die Ordinate schneidet, grundsätzlich fallende Elastizitätswerte von
? > 1 aufweist, Kapitel C: Die Elastizitäten der Nachfrage und des Angebotes
– die zuerst die Abszisse schneidet, grundsätzlich steigende Elastizitätswerte von
? < 1 aufweist,
– die durch den Ursprung läuft, eine weitere Isoelastizitätskurve mit dem Wert
? = + 1 darstellt (vgl. Abb. 2.12.).
Abb. 2.12.
2. Teil: Einführung in die Nachfrage- und Angebotstheorie
c) Nichtlineare Angebotskurven und ökonomische Interpretation
Vorangegangene Überlegungen haben gezeigt, dass Angebotskurven in der Realität nicht linear verlaufen dürften, da bei steigenden Preisen vor Erreichen der
Kapazitätsgrenze noch Produktionssteigerungen möglich sind, bei Erreichen dieser Grenze hingegen nicht mehr (vgl. auch Abb. 2.13.).
Da auf einer nicht linearen Kurve die Steigung immer nur auf einen einzelnen
Punkt bezogen ist, muss der Elastizitätswert mit infinitesimalen Änderungen dAx
und dpx ermittelt werden. In der graphischen Darstellung bedeutet dies, dass im
Abb. 2.13
68 2. Teil: Einführung in die Nachfrage- und Angebotstheorie
jeweiligen Punkt der Angebotskurve die Tangente anzulegen ist. Die zuvor dargestellte Streckenabschnittsregel (2) ist dann auf die Tangente anzuwenden und
lautet
(3) Verhältnis von Tangente bis zum (unter Umständen negativen) Abszissenschnittpunkt zu Tangente bis zum (unter Umständen negativen) Ordinatenschnittpunkt.
Aus Abb. 2.13. ist nun zu entnehmen, dass der Wert der direkten Preiselastizität
des Angebotes mit Annäherung an die Kapazitätsgrenze fällt. So ergibt sich
– in Punkt C1 ein Wert von ? > 1,
– in Punkt C2 ein Wert von ? = 1,
– in Punkt C3 ein Wert von ? < 1,
– ab Punkt C4 ein Wert von ? = 0.
Die verschiedenen Werte der direkten Preiselastizität des Angebotes zeigen, dass
man aus ihnen herleiten kann, wie nahe sich der Anbieter an seiner Kapazitätsgrenze befindet. Ist er noch weit davon entfernt, so kann er bei Preissteigerungen
die Angebotsmenge noch deutlich erhöhen, ?Ax und damit die direkte Preiselastizität des Angebotes ist hoch. Hat er die Kapazitätsgrenze erreicht, dann ist bei
Preissteigerungen keine Mengensteigerung mehr möglich, ?Ax und damit auch
die direkte Preiselastizität des Angebotes ist gleich Null. Analog zur Darstellung
bei der Nachfrage in Abb. 2.9 lassen sich auch beim Angebot Isoelastizitätskurven(abschnitte) mit dem Wert ? = ? (weit vor der Kapazitätsgrenze) sowie ? = 0
(an der Kapazitätsgrenze) herleiten.
2. Weitere Angebotselastizitäten
Da neben der Angebotsfunktion i. e. S. (2.11) weitere reduzierte Angebotsfunktionen existieren, ist es möglich, auch bezüglich dieser Funktionen entsprechende
Angebotselastizitäten zu definieren und zu ermitteln. In der Angebots- und der
ihr zu Grunde liegenden Produktionstheorie werden nun diverse Elastizitäten
gebildet, so z. B. die auf Funktion (2.15) basierende indirekte Preiselastizität oder
Kreuzpreiselastizität des Angebotes
(2.18)
x
x
ipA
w
w
A
A
p
p
?
? = ?
oder diverse, zwar nicht auf die angebotene, sondern zunächst auf die produzierte
Menge des Gutes ausgerichtete Produktionselastizitäten für einzelne Produktionsfaktoren wie etwa die Produktionselastizität des Faktors Arbeit
(2.19) qL
q
q
L
L
?
? = ?
Auf diese und weitere Produktions- und Angebotselastizitäten soll hier nicht näher eingegangen werden.
Kapitel C: Die Elastizitäten der Nachfrage und des Angebotes 69
Im Hinblick auf die im 5. Teil zu erörternde Preisbildung in alternativen Marktformen ist lediglich noch die Kreuzmengenelastizität des Angebotes von Interesse.
Gemäß
(2.20)
w
w
iqA
x
x
p
p
A
A
?
? = ?
wird gefragt, ob der Anbieter des Gutes W den Preis ändert, wenn der Anbieter
des Konkurrenzgutes X eine Mengenänderung vornimmt. Ist dies der Fall (also
eiqA ? 0), so liegt oligopolistische Reaktionsverbundenheit vor. Wird der Preis
nicht geändert (eiqA = 0), so ist von einer polypolistischen Konkurrenzbeziehung
auszugehen.
III. Synopse
Zum Abschluss der Darstellung der wichtigsten Elastizitäten der Nachfrage und
des Angebotes sollen diese in der Übersicht 2.1. noch einmal in kurzer und zusammenfassender Form präsentiert werden. Die Übersicht zeigt, dass das Konzept und der Aufbau der Elastizitätsformeln stets gleich ist, da die prozentualen
Mengenänderungen als abhängige Variable immer im Zähler und die prozentualen Änderungen der jeweiligen Determinanten immer im Nenner erscheinen.
Dies gilt im Übrigen auch für alle weiteren, hier nicht genannten Elastizitäten im
Rahmen der ökonomischen Theorie.
Übersicht 2.1.
Funktion abhängige unabhängige
Variable Variable
Bezeichnung der
Elastizität
(1) Nx = f(px)
?
x x
x x
N p
= :
N p
? ? Direkte Preiselastizität
der Nachfrage
(2) Nx = f(py)
?
yx
x y
pN
= :
N p
?? Indirekte Preiselastizität der Nachfrage
(Kreuzpreiselastizität
der Nachfrage)
(3) Nx = f(E)
?
x
x
N E
= :
N E
? ? Einkommenselastizität
der Nachfrage
(4) Ax = f(px)
?
x x
x x
A p
= :
A p
? ? Direkte Preiselastizität
des Angebotes
(5) Ax = f(pw)
?
x w
x w
A p
= :
A p
? ? Indirekte Preiselastizität des Angebotes
(Kreuzpreiselastizität
des Angebotes)
70 2. Teil: Einführung in die Nachfrage- und Angebotstheorie
Kontrollfragen zum 2. Teil
1. Was versteht man unter einer Nachfragefunktion?
2. Nennen Sie die wichtigsten Nachfragedeterminanten und erläutern Sie, ob jeweils positive oder negative Beziehungen zwischen ihnen und der Nachfragemenge vorliegen.
3. Welche der Nachfragedeterminanten stellen Sammelausdrücke dar?
4. Erläutern Sie den Unterschied zwischen der globalen Nachfragefunktion, den
reduzierten Nachfragefunktionen und der Nachfragefunktion im engeren
Sinn.
5. Bilden Sie Beispiele dafür, wie sich Veränderungen der Erwartungen auf die
Nachfrage eines Gutes auswirken können.
6. Warum trägt man in den Wirtschaftswissenschaften bei der graphischen Darstellung von Nachfrage- und Angebotsfunktionen die Menge, also die abhängige Variable, entgegen der mathematischen Konvention auf der Abszisse ab?
7. Welche unterschiedlichen Sachverhalte können der Aussage „die Nachfrage
ist gestiegen“ zu Grunde liegen? Erläutern Sie in diesem Zusammenhang den
Unterschied zwischen Bewegungen auf einer Kurve und Verschiebungen der
Kurve.
8. Der Preis für Kartoffeln steigt innerhalb eines Monats um 3 Euro. Die Nachfrage steigt im gleichen Zeitraum um 20%. Liegt eine anomal verlaufende
Nachfragekurve vor?
9. Eine Nachfragefunktion lautet Nx = – 2px + 10. Reagiert der Haushalt normal
oder nicht normal auf Preisänderungen? Wie viel fragt er nach, wenn das Gut
umsonst zu bekommen ist?
10. Wie gelangt man von der individuellen Nachfragekurve eines Haushaltes zur
Marktnachfragekurve?
11. Was versteht man unter einer Angebotsfunktion?
12. Nennen Sie die wichtigsten Angebotsdeterminanten und erläutern Sie die globale Angebotsfunktion in alternativen Schreibweisen.
13. Was versteht man unter der Angebotsfunktion im engeren Sinn und welcher
Normalverlauf wird für die entsprechende Angebotskurve üblicherweise unterstellt?
14. Erläutern Sie, warum die Angebotskurve an der Kapazitätsgrenze senkrecht
verläuft und warum sie sich bei Kapazitätserweiterungen nach rechts verschiebt.
15. Wie gelangt man von der individuellen Angebotskurve einer Unternehmung
zur Marktangebotskurve?
16. Erläutern Sie die Bedeutung der Zeitdimension in einer Nachfragefunktion
bzw. in einer Angebotsfunktion.
17. Welche Bedeutung hat die Zielsetzung der Haushalte und Unternehmungen
für die Herleitung der Nachfrage- bzw. Angebotsfunktion?
18. Was versteht man in der ökonomischen Theorie generell unter Elastizität?
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Mikroökonomie leicht und verständlich
Dieses Lehrbuch bietet eine verständliche Darstellung eines zentralen Teilgebiets der Ökonomik. Da Inhalt und Aussagewert der Mikroökonomik häufig dadurch unklar bleiben, dass die Studenten zuviel rechnen müssen und dabei nicht mehr genügend zum Denken kommen, wird die Algebra in nur sparsamer Dosierung eingesetzt. Dafür stellt das Buch die grundlegenden Fragestellungen und Modelle umso klarer und lesefreundlicher dar und unterstützt das Lernen mit zahlreichen Kontrollfragen.
* Grundlagen
* Einführung in die Nachfrage- und Angebotstheorie
* Theorie der Nachfrage
* Theorie des Angebots
* Theorie des Marktgleichgewichts
* Theorie der Marktprozesse
Das Lehrbuch beantwortet unter anderem folgende Fragen:
* Warum und in welcher Menge fragen Haushalte bestimmte Güter nach?
* Welche Ziele verfolgen Unternehmen?
* Wann ist ein Marktpreis stabil?
* Welche Marktform ist effizient?
* Fördert Wettbewerb den technischen Fortschritt?
Die Autoren
Prof. Dr. Klaus Herdzina ist Professor an der Universität Hohenheim.
Prof. Dr. Stephan Seiter ist Professor an der ESB Business School an der Hochschule Reutlingen.