Neurocontrolling
Bedeutung der Neurobiologie für das Controlling
Ann Tank
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1. Kennzeichnung der
Neuroökonomie und des
Neurocontrollings
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Eine wichtige Funktion des Controllings
besteht in der Koordination folgender
Aspekte: Erfassung des Informationsbedarfs, Erzeugung benötigter Informationen sowie deren Übermittlung über das
interne und externe Berichtswesen (vgl.
Küpper et al., 2013, S. 184). Es existieren
bereits zahlreiche verhaltensorientierte
Studien, welche dazu beitragen, die Erfüllung dieser Koordinationsaufgabe zu verbessern. Vielfältige Einflussfaktoren konnten identifiziert und deren Wirkung auf
die Informationsaufnahme sowie den
Entscheidungsprozess analysiert werden.
Beispielsweise wird der Einfluss unterschiedlicher Darstellungsformen von Informationen (Tabelle vs. Grafik) untersucht und kontrovers diskutiert. So
konnten bereits Erkenntnisse darüber gewonnen werden, wie die Verwendung
von Grafiken den negativen Einfluss
einer zunehmenden Informationsmenge
reduziert (vgl. Diamond/Lerch, 1992;
Umanath/Vessey, 1994). Andere Studien
zeigen, dass die Darstellung von Informationen in Tabellenform eine Verbesserung der Risikoeinschätzung zur Folge
hat (vgl. Blocher/Moffie/Zmund, 1986).
Doch auch wenn bisherige Studien wertvolle Erkenntnisse geliefert haben, die zu
einer Verbesserung der Informationsbereitstellung und somit zu einer Verbesserung der Entscheidungsqualität führen
können, wird der Fokus weitestgehend
auf die Untersuchung der Eigenschaften
von Informationen, wie deren Komplexität oder Darstellungsform, gelegt. Die bewussten oder unbewussten Prozesse, welche sich während der Informationsaufnahme und Informationsverarbeitung
bzw. der Entscheidungsfindung im
menschlichen Gehirn abspielen, werden
nicht betrachtet. Es wird zwar häufig angemerkt, dass alle betrachteten Variablen
von mentalen Prozessen innerhalb des
Entscheidungsträgers abhängig sind, diese jedoch nicht direkt gemessen oder beobachtet werden können.
In jüngster Zeit geht die betriebswirtschaftliche Forschung dazu über, durch
die Anwendung neurowissenschaftlicher
Methoden diese bislang nicht beobachtbaren mentalen Prozesse zu erforschen.
Die Methoden der Neurowissenschaften
wie beispielsweise EEG (Elekroencephalografie), MEG (Magnetencephalographie), TMS (Transkranielle magnetische
Stimulation), fMRT (funktionelle Magnetresonanztomographie) oder PET
(Positronenemissionstomograhpie) bieten die Möglichkeit, Mechanismen und
Arbeitsweisen im Gehirn zu beobachten
und messbar zu machen, welche durch
klassische wirtschaftswissenschaftliche Erhebungsmethoden wie Fragebogen oder
Interview nicht aufgedeckt werden
können (vgl. Hofmann/Küpper, 2011,
S. 170 f.). So können die Zusammenhänge bewusst oder unbewusst ablaufender
kognitiver oder affektiver Prozesse mit
den ihnen zugrunde liegenden Stimuli
beobachtet und somit auch analysiert
werden.
Die Neurobiologie ist damit in der Lage,
neue Erkenntnisse über das Zustandekommen von ökonomischem Handeln
zu liefern, welche für zahlreiche betriebswirtschaftliche Bereiche relevant sind.
Auch der Bereich des Controllings kann
davon profitieren. Dementsprechend
kann man unter dem Begriff des Neurocontrollings solche Forschungsaktivitäten subsumieren, welche neurowissenschaftliche Erkenntnisse und Methoden
nutzen, um Fragestellungen aus dem Bereich des Controllings und der Unternehmensrechnung zu untersuchen.
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2. Abgrenzung zum
Neuromarketing
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Auch wenn sich die Forschungsdisziplin
der Neuroökonomie erst in jüngster Zeit
gebildet hat, sind bereits zahlreiche Studien veröffentlicht worden, welche sich
mit verschiedenen Fragestellungen aus
der Betriebswirtschaftslehre befassen
(vgl. Knutson et al., 2001; De Martino et
al., 2006). Die meisten betriebswirtschaftlich relevanten Studien finden sich
bisher im Bereich des Neuromarketing,
synonym auch Consumer Neuroscience
genannt. Die Zielsetzung des Neuromarketings ist es, das Konsumverhalten von
Menschen besser zu verstehen sowie Zustände und Prozesse innerhalb des Organismus von potenziellen Kunden messbar zu machen (vgl. Hubert/Kenning,
2011, 197 f.). Durch die Analyse der so
gewonnenen Daten wird den Unternehmen die Möglichkeit eröffnet, mittels
spezifischer Gestaltung von Werbung
oder Produktkommunikation Kaufentscheidungen potenzieller Konsumenten
besser vorherzusagen und zu steuern.
Untersuchungsobjekt ist demnach in der
Neuromarketingforschung der Konsument bzw. der Käufer eines Produkts,
welcher mit dem Kauf in der Regel eine
Entscheidung primär für sich selbst trifft.
Im Unterschied zum Neuromarketing
untersucht die noch wenig beachtete Forschungsrichtung des Neurocontrollings
das Verhalten von Entscheidungs- oder
Handlungsträgern, welche im Sinne der
Steuerung eines Unternehmens entscheiden oder handeln. Diese Entscheidungen
haben primär Konsequenzen für die Unternehmung. Von zentralem Interesse
sind die Prozesse, die innerhalb des Gehirns während der Aufnahme und Verarbeitung ökonomisch relevanter Informationen sowie der Entscheidungsfindung
ablaufen. Zielsetzung ist es, durch die Anwendung neurowissenschaftlicher Methoden das ökonomisch relevante Verhalten besser zu verstehen und aus den so
gewonnenen Erkenntnissen Schlüsse für
das Controlling zu ziehen.
400 CONTROLLING-COMPACT
CONTROLLING – ZEITSCHRIFT FÜR ERFOLGSORIENTIERTE UNTERNEHMENSSTEUERUNG
Autor(en) Thema Methodik Probanden Ergebnis
Wirkung und Verarbeitung von Unsicherheit und Risiko
Gonzalez et al.
(2005)
Kognitive
Anstrengung im
Rahmen des
Framing-Effekts
fMRT
15
(5 weibl., 10 männl.,
Rechtshänder,
Studierende)
Die kognitive Anstrengung ist höher bei
risikobehafteten als bei sicheren Gewinnen.
Die kognitive Anstrengung unterscheidet sich
nicht bei risikobehafteten und sicheren
Verlusten.
Hsu et al.
(2005)
Wirkung von
Unsicherheit und
Risiko auf das
Verhalten
fMRT Keine Information
Die Verarbeitung von Unsicherheit und Risiko
unterscheidet sich nicht in der Art ihrer
neuronalen Aktivität der Gehirnregionen,
jedoch in der Stärke der Aktivierung.
De Martino et
al. (2006)
Wirkungen von
Framing-Effekten
fMRT Studierende
Framing-Effekte hängen mit der Aktivierung
von Gehirnregionen zusammen, welche für
Emotionen zuständig sind.
Bhatt et al.
(2012)
Misstrauen in
Bargaining Games
fMRT
2
(60 Runden)
Misstrauen wird durch die eigene
Risikoeinstellung und das Verhalten des
Gegenübers beeinflusst.
Wirkung und Verarbeitung von Anreizen
Knutson et al.
(2001a)
Wirkung von
monetären Anreizen
fMRT
8
(4 weibl, 4 männl.,
Rechtshänder,
Durchschnittsalter:
31)
Erwartete positive und negative monetäre
Anreize werden in unterschiedlichen
Gehirnregionen verarbeitet.
Knutson et al.
(2001b)
Unterschied von
erwarteter und
tatsächlicher
Belohnung
fMRT
9
(7 weibl., 2 männl.,
Rechtshänder,
Durchschnittsalter:
26,45)
Erwartete und tatsächliche Belohnungen
werden in unterschiedlichen Gehirnregionen
verarbeitet.
O´Doherty et
al. (2001)
Wirkung von
monetären Anreizen
fMRT 9
Positive und negative Anreize werden in
unterschiedlichen Gehirnregionen verarbeitet.
Abb. 1: Übersicht neuroökonomischer Forschungsarbeiten zur Wirkung von Unsicherheit und Risiko sowie von positiven und negativen Anreizen
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3. Für das Controlling relevante
neurowissenschaftliche
Erkenntnisse
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Bislang existieren noch sehr wenige Studien, welche in den Bereich des Neurocontrollings einzuordnen sind. In Abb. 1
werden Studien dargestellt, welche die
Wirkung und Verarbeitung von Unsicherheit und Risiko sowie von positiven
und negativen Anreizen untersuchen und
somit für das Controlling relevante Erkenntnisse bieten.
Um die Wirkung von Unsicherheit und
Risiko zu erforschen, werden beispielsweise Framing-Effekte (unterschiedliche Darstellungen ökonomisch gleicher
Sachverhalte, welche zu unterschiedlichem Verhalten führen) im fMRT untersucht. In diesem Zusammenhang
konnten Unterschiede in der kognitiven
Anstrengung einer Person in unterschiedlich risikoreichen Entscheidungssituationen beobachtet werden (vgl.
Gonzalez et al., 2005). Dies lässt vermuten, dass mit Unterschieden im Risikograd der eintretenden Ergebnisse einer
Entscheidung auch der Informationsbedarf variiert, da die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses unterschiedlich beansprucht wird.
Zudem konnte eine höhere neuronale
Aktivität bei Entscheidungen unter Risiko als bei Entscheidungen unter Unsicherheit beobachtet werden, was intuitiv
nicht unmittelbar einleuchtet. Es wird
vermutet, dass unter Unsicherheit das
Gehirn für die Tatsache sensibilisiert ist,
dass Informationen fehlen und mehr kognitive Ressourcen für die Informationsaufnahme vorgehalten werden, um zusätzliche Informationen aus der Umgebung aufzunehmen und zu verarbeiten.
Demnach sind für die Verarbeitung der
Informationen und für die Entscheidungsfindung weniger Ressourcen aktiviert als bei Entscheidungen unter Risiko.
(vgl. Hsu et al., 2005).
Weitere für das Controlling relevante Erkenntnisse, welche durch die Erforschung
von Anreizwirkungen gewonnen wurden,
betreffen die Verarbeitung von positiven
und negativen Anreizen in unterschiedlichen Gehirnregionen (vgl. O’Doherty et
al., 2001). Das Wissen über die getrennte
Verarbeitung positiver und negativer Anreize, kann für die Gestaltung von Anreizsystemen, die auf kompensatorischen
Beziehungen von Belohnung oder Bestrafung aufbauen, von Bedeutung sein.
Zu den hier vorgestellten Studien ist zu
ergänzen, dass sie durch ihren experimentellen Aufbau streng genommen individuelle Entscheidungen der Probanden untersuchen und nicht Entscheidungen, welche ein Individuum für ein Unternehmen trifft. Jedoch wird ein solcher
Forschungsansatz in der Literatur vielfach gefordert (vgl. beispielsweise Hofmann/Küpper, 2011 oder Birnberg/Ganguly, 2012) und ist sowohl für die wissenschaftliche Forschung als auch für die
unternehmerische Praxis von Bedeutung.
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4. Fazit
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Die neurowissenschaftliche Betrachtungsweise ist mittlerweile in mehreren anwendungsorientierten betriebswirtschaftlichen
Neurocontrolling 401
26. Jahrgang 2014, Heft 7
Bereichen angekommen. Auch in der Controlling-Forschung ist die Anwendung
neurowissenschaftlicher Methoden bereits
anzufinden.
Es wird die Zielsetzung verfolgt, eine
wirklichkeitsgetreuere Darstellung des
ökonomisch relevanten Verhaltens innerhalb einer Unternehmung zu liefern und
somit Implikationen für das Controlling
zu bieten.
Die Erkenntnisse aus dem vielversprechenden Forschungsfeld des Neurocontrollings dürften in Zukunft dazu beitragen, bewusste und unbewusste kognitive
als auch affektive Prozesse während der
Aufnahme und Verarbeitung ökonomisch relevanter Informationen besser zu
verstehen und somit einen wertvollen
Beitrag zur Verbesserung des Controllings und der Unternehmensrechnung
leisten.
Als mögliche Grenzen des Forschungsfelds können die hohen Kosten der Methode und die noch geringe Erfahrung
mit der Anwendung auf spezifische Fragestellungen für das Controlling gesehen werden. Die stetige Entwicklung der
Technik und zunehmende „best-practice“-Ansätze lassen allerdings vermuten, dass sich diese Art der Forschung
weiter verbreiten wird und weitere Forschungsaktivitäten zu beobachten sein
werden.
Literatur
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Gonzalez, C./Dana, J./Koshino, H./Just, M.,
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degrees of uncertainty in human decisionmaking, in: Science, 310. Jg. (2005), H. 5754,
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Knutson, B./Adams, C. M./Fong, G. W./Hommer, D., Anticipation of increasing monetary
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Küpper, H.-U./Friedl, G./Hofmann, C./Hofmann, Y./Pedell, B., Controlling – Konzeption, Aufgaben, Instrumente, 6. Aufl., Stuttgart 2013.
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presentation and human judgment: a cognitive fit perspective, in: Decision Science,
25. Jg. (1994), H. 5/6, S. 795–824.
Dipl.-Kffr. techn. Ann Tank ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Lehrstuhl Controlling der Universität Stuttgart.
402 CONTROLLING-COMPACT
CONTROLLING – ZEITSCHRIFT FÜR ERFOLGSORIENTIERTE UNTERNEHMENSSTEUERUNG
Zusammenfassung
Die neurowissenschaftliche Betrachtungsweise ist mittlerweile in mehreren anwendungsorientierten betriebswirtschaftlichen Bereichen angekommen. Auch in der Controlling-Forschung ist die Anwendung neurowissenschaftlicher Methoden bereits anzufinden. Es wird die Zielsetzung verfolgt, eine wirklichkeitsgetreuere Darstellung des ökonomisch relevanten Verhaltens innerhalb einer Unternehmung zu liefern und somit Implikationen für das Controlling zu bieten. Die Erkenntnisse aus dem vielversprechenden Forschungsfeld des Neurocontrollings dürften in Zukunft dazu beitragen, bewusste und unbewusste kognitive als auch affektive Prozesse während der Aufnahme und Verarbeitung ökonomisch relevanter Informationen besser zu verstehen und somit einen wertvollen Beitrag zur Verbesserung des Controllings und der Unternehmensrechnung leisten. Als mögliche Grenzen des Forschungsfelds können die hohen Kosten der Methode und die noch geringe Erfahrung mit der Anwendung auf spezifische Fragestellungen für das Controlling gesehen werden. Die stetige Entwicklung der Technik und zunehmende „best-practice“-Ansätze lassen allerdings vermuten, dass sich diese Art der Forschung weiter verbreiten wird und weitere Forschungsaktivitäten zu beobachten sein werden.
References
Abstract
Month by month, Controlling - Zeitschrift für erfolgsorientierte Unternehmenssteuerung publishes peer-reviewed, applied research contributions for business management, accounting and reporting. Key elements of succesful corporate controlling are presented in an analytic, well-structured manner.
Language: German.
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Zusammenfassung
Die Controlling - Zeitschrift für erfolgsorientierte Unternehmenssteuerung liefert Monat für Monat fundierte und anwendungsorientierte Fachbeiträge für das Management sowie das Finanz- und Rechnungswesen in Unternehmen. Klar gegliedert und strukturiert werden für alle Controlling-Bereiche die Faktoren für eine erfolgreiche Unternehmenssteuerung aufgezeigt.
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