Portfoliomanagement als Aufgabe der
Optimierung von Rendite, Marktanteil
und Ressourceneinsatz
Werner Adelberger und Nicole Haft-Zboril
Dipl. Ing. Dr. techn.
Werner Adelberger ist
Senior Vice President
bei der BMW AG, München, und verantwortlich für den Bereich
Controlling Produktprojekte.
Dr. Nicole Haft-Zboril ist
Senior Vice President
bei der BMW AG, München, und verantwortlich für das betriebswirtschaftliche Kompetenzzentrum für Herstellkosten und Investitionen.
Stichwörter
Automobilindustrie
Fahrzeugarchitekturen
Portfoliomanagement
Produktdifferenzierung
Risikobewertungen
Für die Produktportfoliosteuerung wird ein Ansatz vorgestellt, der anschaulich die Wirkungen von Entscheidungen in Bezug auf Rendite,
Marktposition und Ressourcenallokation zeigt. Damit können Fragestellungen wie z. B. Volumenpotenziale und Produktaufwände bei unterschiedlicher Produktdifferenzierung, Effekte übergreifender Fahrzeugarchitekturen und auch at chance/at risk-Betrachtungen für eine zielgerichtete Diskussion aufbereitet werden.
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1. Methodischer Ansatz der
Portfoliosteuerung als
Kernaufgabe des strategischen
Produktmanagements
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Die Frage nach der optimalen Gestaltung
und Weiterentwicklung des Produktportfolios stellt sich Premiumherstellern der
Automobilindustrie permanent (vgl.
Hab/Wagner, 2010, S. 3 ff. sowie S. 19 ff.).
Wesentliche Herausforderungen sind dabei das Ausbalancieren der verschiedenen
Zielgrößen, um geforderte Renditen zu
erreichen, die Marktposition und den
Markenwert auszubauen, neue Marktpotenziale zu erschließen sowie die Innovationskraft des Unternehmens zu stärken.
Für diese Aufgabenstellung gelten in der
Automobilindustrie spezifische Randbedingungen wie hoher Einmalaufwand für
die Entwicklung und Produktion neuer
Fahrzeuge, lange Produktlebenszyklen,
aktuelle technologische Herausforderungen wie Hybrid- oder Elektroantriebe,
sich ständig verschärfende, gesetzliche
Auflagen und hohe Substitutionsraten
beim Angebot zusätzlicher Derivate in
gesättigten Märkten (vgl. VDA, 2010,
S. 20). Wachstum bzw. der Gewinn von
Marktanteilen im Premiumbereich ist im
Wesentlichen über neue Produktkonzepte mit erhöhtem Nutzen für spezifische
Kundengruppen und hoher Emotionalität möglich. Der Einsatz übergreifender
Fahrzeugarchitekturen erlaubt, durch
Baukastenansätze unterschiedlichste
Fahrzeugkonzepte in geringen Stückzahlen zu realisieren und trotzdem das notwendige Maß an Skaleneffekten für ein
profitables Erschließen von Marktnischen zu erreichen. Im folgenden Artikel
soll ein zur klassischen BCG Matrix (vgl.
Bruhn, 2010, S. 70 ff.) ergänzender Ansatz vorgestellt werden, der sich in der
Praxis bewährt hat, um die genannten
Entscheidungszusammenhänge gut zu
strukturieren und notwendige Entscheidungsprozesse transparent zu unterstützen.
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2. Klassische Ansätze der
Portfoliodarstellung von BCG,
McKinsey, Arthur D. Little
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Der klassische Ansatz für das strategische
Management des Produktportfolios wurde von der Boston Consulting Group entwickelt und soll den Zusammenhang von
Produktlebenszyklus und Kostenerfahrungskurve verdeutlichen. Dabei wird in
einem Diagramm auf der Ordinate das
erwartete Marktwachstum („Umweltdimension“, „Wachstumspotenziale“) und
auf der Abszisse der relative Marktanteil
(„Erfahrungskurve“, „Economies of Scale“) dargestellt (vgl. Hungenberg/Wulf,
2007, S. 116 ff. sowie Abb. 1). Für jeden
Bereich der Matrix gibt es nun eine sogenannte Normstrategie, nämlich „selektieren“ der Question Marks, „investieren“
in die Stars, „abschöpfen“ der Cash Cows
sowie „desinvestieren“ bei den Poor Dogs
(vgl. Olbrich, 2006, S. 86 ff.).
Da der typische Lebensweg eines Produktes von Question Mark über Star und
Cash Cow zu Poor Dog verläuft, ist vor
allem die Ausgewogenheit des gesamten
Portfolios von großer Bedeutung. Ohne
Nachwuchsprodukte (Stars und Question
41
25. Jahrgang 2013, Heft 1
Question Marks
Dogs Cash Cows
Stars
Relativer Markt-bzw. Segmentanteil
M
a
rk
tw
a
c
h
s
tu
m
%
Produkt 3
Produkt 4
Produkt 6
Produkt 5
Produkt 2
Produkt 1
10
5
0
0 1,0 2,0
Abb. 1: BCG Matrix (in Anlehnung an Bruhn, 2010, S. 71)
Marks) wird ein Unternehmen mittelfristig nicht erfolgreich sein, ohne Cash
Cows ist der statische Finanzausgleich,
d. h. die Finanzierung der Nachwuchsprodukte, nicht möglich. Die Produkte
des Portfolios müssen sich gegenseitig
stützen und finanzieren können.
Dieser Ansatz bietet eine gute Visualisierung der Problematik und liefert nachvollziehbare Indikationen für strategische
Positionen und notwendige Handlungsbedarfe im Lebenszyklus eines Produktes.
Auch McKinsey (vgl. Hungenberg/Wulf,
2007, S. 121 ff.) und Arthur D. Little (vgl.
Hungenberg, 2004, S. 434) haben ähnliche
Darstellungen zum Portfoliomanagement
entwickelt. McKinsey spannt eine Matrix
mit neun Feldern und den Achsen Marktattraktivität (Marktwachstum, Marktgrö-
ße, Eintrittsbarrieren, Rendite, Wettbewerbsstärke etc.) und Relativer Wettbewerbsvorteil (Marktposition, F&E Potenzial etc.) auf. Es werden ebenfalls klare
Normstrategien vorgeschlagen, aber unter
Berücksichtigung quantitativer und qualitativer, also auch subjektiver Einschätzungen. Die Normstrategien lassen sich
mit den Schlagworten „expandieren“, „selektieren“, „abschöpfen“ beschreiben.
Auch Arthur D. Little beschreibt eine Dimension über die Wettbewerbsposition,
fokussiert jedoch bei der zweiten Dimension explizit die Lebenszyklusphase des
Produktes. In allen 20 Feldern der Matrix
werden klare Handlungsempfehlungen
über empfohlene Normstrategien gegeben (vgl. Abb. 2).
Die ausgeführten Darstellungen liefern
keine anschaulichen Aussagen, ob die
Ressourcen im richtigen Ausmaß in die
einzelnen Produkte investiert werden, ob
unter den Produkten Substitutionsbeziehungen bestehen und ob mit dem aktuellen und zukünftigen Produktportfolio
befriedigende Renditen erwirtschaftet
werden können. Es sind Portfolien, mit
deren Hilfe man die Ausgewogenheit des
Gesamtportfolios in Bezug auf den aktuellen Umsatz beurteilen und strategische
Handlungsempfehlungen ableiten kann.
Aussagen über die aktuelle und zukünftig
erwartete „Stärke“ des Portfolios können
nicht direkt abgeleitet werden. Dazu
kommen noch die in der Einleitung erwähnten Spezifika der Automobilindustrie, die eine Adaption der klassischen
Portfoliodarstellungen als angebracht erscheinen lassen.
Im Premiumsegment der Automobilhersteller besteht im Wesentlichen ein Oligopol aus wenigen Herstellern, die alle sehr
ähnliche Marktanteile haben. In einzelnen Konzeptsegmenten gibt es zwar
durchaus Unterschiede, aber trotzdem
liefert eine Differenzierung nach Marktanteil „größer oder kleiner als stärkster
Wettbewerber“ kaum zusätzliche Erkenntnisse, da durch Komponentenbaukästen und übergreifende Fahrzeugarchitekturen der Gesamtabsatz die bestimmende Größe für Lernkurven und Skaleneffekte ist. Das Marktwachstum als
zweite Dimension der üblichen Portfolios
ist zwar unterschiedlich für einzelne
Konzeptsegmente, es ist aber sehr oft
auch „angebotsinduziert“, d. h. mit der
Markteinführung neuer Modelle wächst
ein spezifisches Marktsegment und
schrumpft auch wieder über den Lebenszyklus dieser Produkte. Das Wachstum
des Gesamtmarktes ist aber i.d.R. langfristig relativ stabil. Der Umsatz pro Produkt oder Produktgruppe ist für die
Wettbewerber nur sehr beschränkt verfügbar und auch kaum ermittelbar, da
die offiziellen Listenpreise der Fahrzeuge
weder Erlöse für Sonderausstattungen
noch Erlösschmälerungen widerspiegeln.
Sehr gut und detailliert verfügbar sind
dagegen Absatzzahlen. An diesen Kritikpunkten setzen die Kernüberlegungen
42 CONTROLLING-CASE STUDY
CONTROLLING – ZEITSCHRIFT FÜR ERFOLGSORIENTIERTE UNTERNEHMENSSTEUERUNG
Lebenszyklusphase
W
e
tt
b
e
w
e
rb
s
p
o
s
it
io
n
Entstehung Wachstum Reife Alter
- Marktanteile
hinzugewinnen oder
mindestens halten
- Investitionen, um Position zu
verbessern
- Marktanteilgewinnung
- Position halten
- Wachstum mit der
Branche
- Position halten
- Investieren, um Position
zu verbessern
- Marktanteilgewinnung
(intensiv)
- Investieren, um Position zu
verbessern
- Marktanteilgewinnung
- Position halten
- Wachstum mit der
Branche
- Position halten
oder „Ernten“
- Selektiv oder volle
Marktanteilgewinnung
- Selektive Verbesserung
der Wettbewerbsposition
- Versuchsweise Position
verbessern
- Selektive
Marktanteilgewinnung
- Minimale Investitionen
zur Haltung
- „Ernten“ oder
stufenweise
Reduzierung des
Engagements
- Selektive
Verbesserung der
Wettbewerbsposition
- Aufsuchen und
Erhaltung der Nische
- Aufsuchen einer
Nische oder
stufenweise
Reduzierung des
Engagements
- Stufenweise
Reduzierung des
Engagements
oder
- Liquidieren
- Starke Verbesserung oder
aufhören
- Starke Verbesserung oder
- Liquidierung
dominant
stark
günstig
haltbar
schwach
Abb. 2: ADL Matrix
des nachfolgenden Ansatzes an, der im
Rahmen der Portfoliosteuerung bei der
BMW AG entwickelt wurde.
........................................................
3. Zielgrößen und Restriktionen
als Basis einer spezifischen
Portfoliodarstellung
........................................................
Die wesentlichen Zielgrößen für ein erfolgreiches Portfolio sind: Rendite und
Marktanteil, aus denen sich der Markterfolg ergibt (anschaulich durch ein klares
Absatzziel, das sich aus der Gesamtmarktprognose und dem angestrebten
Marktanteil ableitet). Diese definieren
auch die beiden Achsen des nachstehenden Diagramms. Bei der Rendite sind
zwei wichtige Grenzwerte zu beachten:
die Mindesthürde der Profitabilität
(Mindestrendite) stellen die Kapitalkosten dar, der unternehmensspezifische
Renditeanspruch (RoCE) das Kriterium
für die Zielerreichung in Summe. Der limitierende Faktor für alle Portfolioüberlegungen sind die zur Verfügung stehenden Ressourcen, v.a. das Kapital bzw. der
verfügbare Free Cash-Flow. Damit ist die
dritte Dimension für die Darstellung des
Portfolios das in die Produkte investierte Kapital, dargestellt über die Fläche der
Kreise. Die Allokation des Kapitals ist
auch ein Maß für die Ausgewogenheit des
Portfolios (vgl. Abb. 3). Eine Differenzierung in Serienportfolio, d. h. alle aktuell
am Markt angebotenen Produkte, und
Steuerungsportfolio, d. h. die erwartete
Situation nach Einführung der nächsten
Produktgeneration, bestimmt die Diskussion für Maßnahmen zur Optimierung.
........................................................
4. Kategorisierung des Portfolios
nach spezifischen Kriterien
........................................................
Das Produktangebot wird stetig ausgeweitet, um hohe Marktanteile zu erreichen, jedoch mit dem Ziel, maximale
Skaleneffekte von der Entwicklung bis zu
den Händlerbetrieben zu realisieren. Der
Trend zunehmender Differenzierung des
Produktangebotes verlangt eine Portfoliodarstellung, die auf einen Blick zeigt,
welche Produkte/Produktgruppen wie
viel Kapital binden, welche Renditen damit erwirtschaftet werden und welchen
Beitrag sie zum Erreichen des Absatzziels
(= Marktposition) leisten. Der rechte
große Kreis stellt die Summe des eingesetzten Kapitals, das gesamte Fahrzeugabsatzvolumen und die Gesamtrendite
dar. Diese sind die wesentlichen Kennzahlen des Gesamtportfolios. Zur weiteren Differenzierung wurde folgende Kategorisierung von Produkten bei der
BMW AG entwickelt (vgl. Abb. 4).
Substantials sind die tragenden Säulen
des Portfolios. Sie sind der stabile und am
Markt gut etablierte Kern des Produktangebotes. Sie tragen den Großteil der Aufwände für die Entwicklung des Backbones ihrer Produktfamilie und die Komponenten des Baukastens und erwirtschaften trotzdem eine ausreichende
Rendite. Ein Beispiel dafür ist die 3er Limousine bei BMW. Sie ist im übertragenen Sinne eine Cash Cow des Portfolios.
Growth Potentials entsprechen in etwa
den Stars der BCG Matrix. Das sind Produkte in stark wachsenden Marktsegmenten mit guten Margen und zukünftigen Volumenpotenzialen. In der Regel
handelt es sich um neue Produktkonzepte, die sich meist über mehrere Produktlebenszyklen im Markt etablieren. Als
Beispiele der jüngeren Vergangenheit
sind vor allem die SUV-Konzepte (z. B.:
X1, X3, X5 von BMW) zu nennen.
Profitchampions sind von Kernprodukten (Substantials) eng abgeleitete Derivate, die mit vergleichsweise geringem Pro-
Portfoliomanagement als Aufgabe der Optimierung von Rendite, Marktanteil und Ressourceneinsatz 43
25. Jahrgang 2013, Heft 1
Serienportfolio von morgen ist
das Steuerungsportfolio von heute
Serienportfolio
heute
Steuerungsportfolio
Zielrendite
Mindestrendite
Absatzziel
ø Volumen p.a.
P
o
rt
fo
lio
re
n
d
it
e
(%
)
Zielrendite
Mindestrendite
ø Volumen p.a.
P
o
rt
fo
lio
re
n
d
it
e
(%
)
Growth
Potentials
Substantials Steuerungsportfolio
Profit
Champions
Brandshaper
Abb. 3: Portfoliosteuerung abgebildet durch Zielrendite und Markterfolg
Abb. 4: Cluster im Produktportfolio
duktaufwand unter konsequenter Nutzung von vorhandenen Architekturen
und Baukastenkomponenten ganz spezifische Kundenbedürfnisse ansprechen.
Sie erschließen damit eigene Segmente
und generieren entweder nennenswerte
Zusatzvolumina und/oder erlauben das
Realisieren höherer Margen. Beispiele dafür sind „Kombikonzepte“ (Touring bei
BMW), alle Cabrios und auch die High
Performance oder Sportversionen von
Fahrzeugen (M Fahrzeuge bei BMW).
Diese Fahrzeuge können auch bei geringen Stückzahlen und in stagnierenden
Marktsegmenten hoch profitabel sein.
Auch hier könnte man von einer Art
Cash Cow sprechen.
Brandshaper sind schließlich „Vorreiter“
und „Botschafter“ der Marke. Es sind
Produkte, die oft geringere Renditen erwirtschaften, aber außerordentlich wichtig für das Image eines Unternehmens
sind. Sie sind in gewissem Sinne „zu Produkten gewordene Marketing- und Forschungsbudgets“, zeigen am Markt die
Technologiekompetenz des Unternehmens (z. B. Elektrofahrzeuge) und erlauben es, Erfahrungen in neuen/zukünftigen Segmenten zu sammeln, oder sind
wichtig für den emotionalen Kern und
die Identität einer Marke (z. B. Supersportwagen). Diese Kategorie kommt in
44 CONTROLLING-CASE STUDY
CONTROLLING – ZEITSCHRIFT FÜR ERFOLGSORIENTIERTE UNTERNEHMENSSTEUERUNG
Zielrendite
Strateg. Plng.
2011 – 2022
Strateg. Plng.
2015– 2026
Strateg. Plng.
2016 – 2027
Strateg. Plng.
2014 – 2025
Strateg. Plng.
2013 – 2024
Strateg. Plng.
2012 – 2023
Effekte 2011:
Nachfolgerbelegung
Derivat 1
Derivat 2
Angebotserweiterung
Neus Derivat 1
Effekte 2012:
Nachfolgerbelegung
Derivat 3
Angebotserweiterung
Neues Derivat 2
Effekte 2013:
Nachfolgerbelegung
Derivat 4
Derivat 5
Angebotserweiterung
Neues Derivat 3
Neues Derivat 4
Effekte 2014:
Nachfolgerbelegung
Derivat 6
Derivat 7
Angebotserweiterung:
Neues Derivat 5
Effekte 2015:
Nachfolgerbelegung
Derivat 8
Angebotserweiterung:
Neues Derivat 6
P
o
rt
fo
lio
re
n
d
it
e
(%
)
Mindestrendite
Abb. 5: Hochrechnung der Renditeentwicklung des Serienproduktportfolios
der klassischen Produktportfoliomatrix
nicht vor.
Wenn man nun alle Produkte diesen Kategorien bzw. Produktclustern zuordnet
und entsprechend der Kriterien Absatz,
Rendite und investiertes Kapital in das
oben beschriebene Schaubild einträgt, erhält man eine sehr gute Übersicht über
die Ausgewogenheit und Stärke des Portfolios, ähnlich den Grundgedanken der
BCG Matrix. Zur detaillierteren Analyse
und Diskussion muss man in den einzelnen Kategorien eine Stufe tiefer auf die
Ebene der Einzelderivate gehen. Auch
hier kann die Fragestellung veranschaulicht werden: welche Derivate hatten welche Bedeutung: früher, heute und – aus
aktueller Einschätzung – in der Zukunft.
So kann auch die Renditeentwicklung des
Serienportfolios über den Zeitraum der
strategischen Planung hochgerechnet
werden. Immer wenn ein bestehendes
Produkt durch das Nachfolgeprodukt ersetzt oder ein neues Produkt in den
Markt gebracht wird, ergibt sich eine
Renditeveränderung im Serienportfolio
(vgl. Abb. 5). Es sei noch darauf hingewiesen, dass diese Portfoliorendite natürlich nicht unmittelbar mit den RoCE-
Kennzahlen einzelner Geschäftsjahre korreliert, aber ein guter Indikator für zukünftige Cash Flows ist.
........................................................
5. Differenzierung, Substitution
und Volumenpotenziale
........................................................
Eine weitere entscheidungsrelevante Frage ist: Wie reagieren das Portfolio in einer
bestimmten Fahrzeugklasse/Produktfamilie und seine einzelnen Produkte auf
die Einführung neuer, zusätzlicher Derivate? Erfolgskritischer Faktor bezogen
auf das Produktportfolio ist, ob ausreichend viele neue Kunden gewonnen werden können und nicht bestehenden Kunden nur eine weitere Alternative geboten
wird. Die zusätzlichen Derivate sollen
sich vom bestehenden Portfolio deutlich
genug differenzieren, um andere Kundenbedürfnisse befriedigen zu können
(vgl. Hab/Wagner, 2010, S. 8). Es muss
eine Nische im Markt für diese Produkte
existieren. Genauso wichtig ist aber auch,
dass sie zur Markenidentität des Unternehmens passen und im Rahmen der bestehenden Fahrzeugarchitekturen und
Komponentenbaukästen darstellbar sind.
In einem entscheidungsorientierten Businesscase ist für diese Derivate eine betriebswirtschaftliche Bewertung durchzuführen, die alle mit der Einführung verbundenen zusätzlichen Aufwände (Produktentwicklung, Investitionen, Produktionskosten etc.) und Erträge, d. h. zusätzliche Deckungsbeiträge minus Deckungsbeitragsverluste durch Substitutionseffekte bei bestehenden Derivaten,
berücksichtigt. Auch hier kann die Portfoliodarstellung nach Volumen, Rendite
und investiertem Kapital sehr anschaulich zeigen, wie das Portfolio in unterschiedlichen Szenarien reagiert (vgl.
Abb. 6).
In dem gezeigten Beispiel sinken zwar
Rendite und Volumen für zwei der bestehenden Derivate (durch Substitutionseffekte), in Summe verbessert sich jedoch
die Marktposition des Unternehmens
und auch die Rendite des Gesamtportfolios steigt. Über mehrere Generationen
können neue Produktkonzepte etablierte
Konzepte völlig aus dem Portfolio verdrängen, wie in den USA zum Beispiel in
den 90er Jahren die aufkommenden
SUV-Konzepte die Kombikonzepte
(„Wagons“) fast völlig verdrängt haben.
Diese SUV’s waren für die US-Automobilindustrie von Anfang an Profitchampions, da sie mit geringem Aufwand von
bestehenden Light Duty Trucks abgeleitet
wurden und vergleichsweise hohe Margen erzielten.
Portfoliomanagement als Aufgabe der Optimierung von Rendite, Marktanteil und Ressourceneinsatz 45
25. Jahrgang 2013, Heft 1
Neues Derivat
Derivat 2
Leadderivat
Derivat 1
Derivat 3
Produktlinie inkl. neuem Derivat
Zielrendite
Mindestrendite
ø Volumen p.a.
P
o
rt
fo
lio
re
n
d
it
e
(%
)
Abb. 6: Effekte der Integration eines neuen Projekts im Produktportfolio
........................................................
6. Kommunalität, Skaleneffekte
und Produktaufwand
........................................................
Die Optimierungsaufgabe bei der Portfoliofestlegung für eine Produktfamilie besteht somit darin, in einem definierten
Marktsegment (z. B. Mittelklassewagen
mit relativ stabilem Deckungsbeitragsniveau pro Fahrzeug) eine möglichst hohe
Rendite zu erreichen. Es ist klar, dass man
mit differenzierten Angeboten, d. h. mit
mehr Derivaten, auch mehr Kunden mit
maßgeschneiderten Produkten ansprechen und damit höhere Gesamtstückzahlen verkaufen kann, jedoch steigt damit
auch der Produktaufwand.
Es sind daher zu Beginn jeder strategischen Planung einer Produktfamilie
frühzeitig die physikalischen Eckpunkte
für die geplante Fahrzeugarchitektur
(Länge, Breite, Höhe, Gewicht, maximale
Motorisierung, Spurweiten etc.) zu definieren und danach die „ideale Anzahl
und Differenzierung“ der Derivate zu bestimmen (vgl. Abb. 7).
Weit gespreizte Fahrzeugarchitekturen
erlauben zwar die Ausleitung einer grö-
ßeren Anzahl ausreichend differenzierter
Fahrzeuge, erfordern aber einen vergleichsweise höheren Produktaufwand
und erzwingen oft auch teurere Lösungen für die kleinen Fahrzeuge aus dieser
Produktfamilie. Wenige, stark differenzierte Derivate decken mit geringeren gegenseitigen Substitutionsraten und höheren Stückzahlen pro Derivat ein größeres
Marktsegment ab. Dagegen lassen sich
viele, aber dafür wenig differenzierte,
d. h. hoch kommunale Derivate mit vergleichsweise geringem Produktaufwand
realisieren. Sie decken dann aber nur ein
eingeschränktes Marksegment ab und
stehen untereinander in direktem Wettbewerb (z. B. 2- und 4-türige Coupe´s).
Die damit verbundenen höheren Substitutionsraten limitieren sehr stark die erzielbaren Stückzahlen pro Derivat. In der
vorgestellten Produktportfoliodarstellung kann man diese unterschiedlichen
Szenarien sehr anschaulich gegenüberstellen, um das Szenario mit der besten
Gesamtwirkung auf das Portfolio (Rendite und Volumen) auszuwählen. Die
Eckpunkte der Optimierungsaufgabe
sind somit primär Absatzvolumen (Segmentanteil), Differenzierung (Anzahl
Derivate und Varianten) und Produktaufwand (Entwicklungsaufwand, Investitionen etc.). Um die geforderten Renditeansprüche erfüllen zu können, muss der
Deckungsbeitrag der verkauften Fahrzeuge neben den projektübergreifenden Fixkosten zunächst den projektspezifischen
Einmalaufwand amortisieren. Als einfache Kennzahl zur Validierung unterschiedlicher Szenarien und für Vergleiche
mit Vorgängermodellen eignet sich der
„Produktaufwand pro verkaufter Einheit“. Dieser Wert ist sehr unterschiedlich
für jedes Marktsegment, da sich auch die
Deckungsbeiträge pro Fahrzeug von Luxuslimousinen und Kleinwagen stark unterscheiden. Dabei ist es unerheblich, ob
der angestrebte Absatz einer Produktfamilie mit mehr oder weniger Derivaten
erzielt wird. Ziel ist es, das Optimum aus
Produktaufwand und Ausschöpfung des
definierten Segments zu finden. Wenn
man diese Kennzahl über Produktgenerationen hinweg verfolgt, kann man den
Fortschritt bei Produktdefinition und
-entwicklung gut erkennen. Ein geringerer Kapitaleinsatz pro verkauftes Fahrzeug reduziert aber auch die Risikoposition des Unternehmens vor allem beim
Eintritt in neue Segmente, der mit hohen
Unsicherheiten bei der Abschätzung erzielbarer Absatzvolumina verbunden ist.
Neben dem Produktaufwand sind mit
steigender Variantenvielfalt die rasch
wachsenden Komplexitätskosten unbedingt zu berücksichtigen (vgl. Piller/Waringer, 1999, S. 25–27; Dellanoi, 2006,
S. 98 ff.). Vor allem dürfen dabei die indirekten Komplexitätskosten nicht vernachlässigt werden, die sich oft „schleichend“ in allen Teilen der Organisation
aufbauen, im Einzelnen schwer greifbar
sind und daher in Wirtschaftlichkeitsbe-
46 CONTROLLING-CASE STUDY
CONTROLLING – ZEITSCHRIFT FÜR ERFOLGSORIENTIERTE UNTERNEHMENSSTEUERUNG
„Spielfeld“ (Grenzen) einer
Fahrzeugarchitektur
Derivat 4
Derivat 5
SUV
Derivat 3
Limousine
SUV mit 3.
Sitzreihe
Gesamtes
Marktpotenzial
Abgedecktes
Marktpotenzial
Coupe
hoch/lang
kurz/ lang
kurz/ flach
hoch
Abb. 7: Spielfeld einer Fahrzeugarchitektur
trachtungen zu zusätzlichen Derivaten
und Varianten oft unterschätzt werden.
Als wesentliche Kostentreiber für die direkten Aufwände eines neuen Produktes
und auch für den Zuwachs an Komplexitätskosten wurden in detaillierten internen Analysen die Anzahl der Derivate
und Antriebsvarianten und die Anzahl
der verwendeten Sachnummern erkannt
(vgl. Bohne, 1998, S. 24–29). Der Anzahl
an Sachnummern kommt dabei eine besondere Bedeutung zu, da sie nicht nur
einen großen Hebel für die Komplexitäts-, Einkaufs- und Logistikkosten darstellen. Auch die Höhe der Entwicklungskosten und sogar der gesamte direkte
Produktaufwand korrelieren sehr gut mit
der Anzahl an Sachnummern. Die Anzahl
neuer Sachnummern, die durch ein zusätzliches Derivat verursacht werden, ist
zugleich auch eine Maßzahl für die Differenzierung dieses Derivats von bereits bestehenden Derivaten. Sie ist so auch der
statistische Treiber für den damit verbundenen Produktaufwand.
Auf Basis dieser Erkenntnisse werden für
die betriebswirtschaftliche Bewertung
von Szenarien des Produktportfolios
Kostensätze für die Berücksichtigung der
indirekten Komplexitätskosten angesetzt
(sprungfix mit jedem weiteren Derivat
und proportional mit der Anzahl der
notwendigen Sachnummern). Diese Kosten verändern die Renditen von Derivaten mit hohen Stückzahlen kaum, können aber bei Nischenfahrzeugen die Rendite durchaus um deutlich mehr als zehn
Prozentpunkte belasten.
........................................................
7. Risikobetrachtungen
........................................................
Die langen Produktlebenszyklen und hohen Investitionen in der Automobilindustrie erfordern weiterhin Aussagen
über die Robustheit einzelner Produktentscheidungen gegenüber produktspezifischen und allgemeinen wirtschaftlichen
Risiken (vgl. Hab/Wagner, 2010, S. 133–
143). In den frühen Phasen einer Projektidee reichen dazu standardisierte Sensitivitäten für die Parameter Absatzvolumen,
Erlösschmälerungen/Preise und Wechselkurse. Zur finalen Projektentscheidung
sind allerdings differenziertere Betrachtungen anzustellen.
Der Startpunkt der Bewertung sind Zielwerte für jedes Projekt, die aus Benchmarks (Best Practice für Aufwandspositionen) oder strategischen Ansprüchen
(Segmentanteile, Preispositionierung, Effizienzansprüche, Zielrenditen etc.) abgeleitet werden. Das so ermittelte Zielgerüst stellt den Anspruch des Unternehmens an die Projekte und die Einzelsteuergrößen dar. Diesen Zielwerten werden zur Validierung Erwartungswerte gegenüber gestellt, die die Einschätzung der
Experten zum aktuellen Stand des Projektes darstellen. Dabei ist zwischen Risiken der allgemeinen Projektprämissen
wie Wechselkurse, Rohstoffpreise, Marktsegmententwicklungen und den spezifischen Projektrisiken, wie z. B. der Verfehlung von Zielen für Herstellkosten und
Entwicklungsaufwand, zu unterscheiden.
Zu jedem dieser Erwartungswerte erfolgt
dann eine Betrachtung der Cashflows „at
Chance“ und „at Risk“. Die Ermittlung
von Chancen/Risiken in ihrer Höhe wie
auch in ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit
erfolgt teilweise durch allgemein gültige,
statistisch hinterlegte Modelle (z. B. für
Wechselkurse), teilweise über bekannte
Bandbreiten und aktuell erkennbare
Trends (z. B. für Erlösschmälerungen
oder Rohstoffpreise) und teilweise als
echte Experteneinschätzung auf Basis
sehr konkreter Projektumsetzungsszenarien (z. B. für Aufwandsgrößen). Darüber
hinaus sind immer auch spezifische Themen konkret zu bewerten, wie beispielsweise aktuell die Unsicherheiten über die
Art und Geschwindigkeit der Ausbreitung von Hybrid- und Elektrofahrzeugen
und die damit verbunden Kostenrisiken
Portfoliomanagement als Aufgabe der Optimierung von Rendite, Marktanteil und Ressourceneinsatz 47
25. Jahrgang 2013, Heft 1
Abb. 8: Projektspezifisches Chancen-/Risikenprofil und Einfluss der Parameter auf den Erwartungswert
und Preischancen (inkl. möglicher Förderungen durch die Politik). Als Ergebnis
dieser Analysen entsteht dann eine Aussage zur Projektrendite in Bezug auf Zielwert, Erwartungswert, at Chance und at
Risk mit einer entsprechenden Eintrittswahrscheinlichkeit und Streubreite als
wertvolle Zusatzinformation über die
Robustheit des Vorhabens bei der Entscheidungsfindung. Die in diesem Artikel
beschriebene Darstellungsform für das
Produktportfolio eignet sich sehr gut zur
Veranschaulichung der Wirkungen von
Chancen und Risiken auf Absatzvolumen, Produktaufwand und Rendite; sowohl für Einzelprojekte als auch für das
Gesamtportfolio (vgl. Abb. 8).
........................................................
8. Fazit
........................................................
Das vorgestellte Instrumentarium ermöglicht eine zielgerichtete und ganzheitliche Diskussion von Entscheidungen
zur Weiterentwicklung des Produktportfolios in der Automobilindustrie. Die beschriebene Portfoliodarstellung eignet
sich zur Veranschaulichung von Handlungsbedarfen (Plan-/Ziellücken) sowie
dem Nachhalten der tatsächlichen IST-
Werte im Vergleich zu den Zielwerten bei
Projektverabschiedung. Nur so können
Zielvereinbarungen klar nachgehalten
und die Erfahrungen aus vergangenen
Projekten systematisch in die zukünftigen Bewertungen einfließen, um damit
eine erfolgreiche Unternehmensentwicklung wirksam zu unterstützen. Die Erfahrungen bei der Einführung dieser Methoden und Darstellungen haben gezeigt,
dass die anschauliche Verknüpfung von
strategischen Fragestellungen mit konkreten betriebswirtschaftlichen Bewertungen zu sehr konstruktiven und zielorientierten Diskussionen und vor allem
Entscheidungen im Unternehmen führt.
Abschließend gilt es jedoch festzuhalten,
dass selbst bei Vorliegen einer sehr stringenten Portfoliosteuerung der Kern jeder
erfolgreichen Produktpolitik immer noch
ein hervorragendes Gespür für aktuelle
und zukünftige Kundenerwartungen, ein
überzeugendes Design, beste Produktqualität, technisch überzeugende Lösungen sowie eine starke und authentische
Marke ist.
Keywords
Automotive industry
Carline architectures
Portfolio management
Product differentiation
Risk assessments
Summary
To determine an effective product
portfolio mix, we can develop a concept that shows the downstream impact of decisions in terms of ROI, market share and resource allocation. This
can facilitate a goal oriented discussion, by looking at given production
potentials, the investment needed to
achieve different product characteristics, the effects of common vehicle architectures, and all underpinned by a
corresponding at chance/at risk-analysis.
Literatur
Bohne, F., Komplexitätskostenmanagement
in der Automobilindustrie, Wiesbaden 1998.
Bruhn, M., Marketing, 10. Aufl., Wiesbaden
2010.
Dellanoi, R., Kommunalitäten bei der Entwicklung variantenreicher Produktfamilien,
Bamberg 2006.
Hab, G./Wagner, R., Projektmanagement in
der Automobilindustrie, 3. Aufl., Wiesbaden
2010.
Hungenberg, H./Wulf, T., Grundlagen der
Unternehmensführung, 3. Aufl., Berlin 2007.
Hungenberg, H., Strategisches Management
im Unternehmen, 3. Aufl., Wiesbaden 2004.
Olbrich, R., Marketing, 2. Aufl., Berlin et al.
2006.
Piller, F. T./Waringer, D., Modularisierung in
der Automobilindustrie – neue Formen und
Prinzipien, Aachen 1999.
VDA, Verband der Automobilindustrie,
Jahresbericht 2010, Berlin 2010.
48 CONTROLLING-CASE STUDY
CONTROLLING – ZEITSCHRIFT FÜR ERFOLGSORIENTIERTE UNTERNEHMENSSTEUERUNG
Abstract
To determine an effective product portfolio mix, we can develop a concept that shows the downstream impact of decisions in terms of ROI, market share and resource allocation. This can facilitate a goal oriented discussion, by looking at given production potentials, the invest-ment needed to achieve different product characteristics, the effects of common vehicle archi-tectures, and all underpinned by a corresponding at chance/at risk-analysis.
Zusammenfassung
Für die Produktportfoliosteuerung wird ein Ansatz vorgestellt, der anschaulich die Wirkungen von Entscheidungen in Bezug auf Rendite, Marktposition und Ressourcenallokation zeigt. Damit können Fragestellungen wie z.B. Volumenpotenziale und Produktaufwände bei unter-schiedlicher Produktdifferenzierung, Effekte übergreifender Fahrzeugarchitekturen und auch at chance/at risk-Betrachtungen für eine zielgerichtete Diskussion aufbereitet werden.
References
Abstract
Month by month, Controlling - Zeitschrift für erfolgsorientierte Unternehmenssteuerung publishes peer-reviewed, applied research contributions for business management, accounting and reporting. Key elements of succesful corporate controlling are presented in an analytic, well-structured manner.
Language: German.
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Zusammenfassung
Die Controlling - Zeitschrift für erfolgsorientierte Unternehmenssteuerung liefert Monat für Monat fundierte und anwendungsorientierte Fachbeiträge für das Management sowie das Finanz- und Rechnungswesen in Unternehmen. Klar gegliedert und strukturiert werden für alle Controlling-Bereiche die Faktoren für eine erfolgreiche Unternehmenssteuerung aufgezeigt.
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